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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1997:T065592.19970211
Datum der Entscheidung: 11 Februar 1997
Aktenzeichen: T 0655/92
Anmeldenummer: 85900253.7
IPC-Klasse: A61K 49/00
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: DIAGNOSE- UND KONTRASTMITTEL
Name des Anmelders: NYCOMED AS
Name des Einsprechenden: Advanced Magnetics Inc.
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: 1. Die Verwendung eines Stoffs oder Stoffgemischs zur Herstellung eines Mittels, das in einem bestimmten Verfahren verwendet werden soll, kann ihre Neuheit aus der späteren Verwendung des Mittels in diesem Verfahren nur dann herleiten, wenn das Verfahren zu den nach Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz ausgenommenen gehört (s. G 1/83, ABl. EPA 1985, 60).
2. Umfassen Verfahren zur Bestimmung chemischer oder physikalischer Zustände nur Schritte oder Maßnahmen, die nicht von einem Arzt, sondern vielmehr von einem Techniker ergriffen werden müssen, der die Grundlage für die spätere Diagnosetätigkeit des Arztes schafft, so fallen sie nicht zwangsläufig unter den Ausschluß nach Artikel 52 (4) EPÜ (s. z. B. T 385/86, ABl. EPA 1988, 308).
3. Einem Verfahren, für das Schutz beantragt wird, kann jedoch ein diagnostischer Charakter im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ zugesprochen werden, wenn es tatsächlich wesentliche Schritte umfaßt, die von medizinisch geschultem Personal oder unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden müssen (s. Entscheidungsgründe Nr. 5.2).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(4)
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Klarheit (bejaht)
Diagnostisches Verfahren im Sinne des Artikels 52 (4) (bejaht)
Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
G 0005/83
T 0385/86
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0964/99
T 1758/15

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 0 166 755 wurde auf die europäische Patentanmeldung Nr. 85900253.7 erteilt, in der eine Priorität vom 21. Dezember 1983 in Anspruch genommen wurde.

II. Die Beschwerdegegnerin legte Einspruch gegen das Patent ein und beantragte seinen Widerruf in vollem Umfang wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit sowie wegen unzureichender Offenbarung (Art. 52, 54, 56, 83, 100 a) und b) EPÜ).

Das Patent wurde von der Einspruchsabteilung vor allem aufgrund der folgenden Entgegenhaltungen widerrufen:

III. Der Entscheidung lagen die erteilten Ansprüche nach dem Hauptantrag sowie zwei Hilfsanträge zugrunde.

IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.

V. Die Beschwerdeführerin machte sinngemäß folgendes geltend:

VI. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) ging auf die Beschwerdebegründung nicht ein, sondern erklärte, sie ziehe sich aus dem Beschwerdeverfahren zurück.

VII. Auf die Bescheide der Kammer hin, in denen diese unter anderem Zweifel am medizinischen Charakter des erfindungsgemäßen NMR-Abbildungsverfahrens geäußert hatte, wurde am 22. April 1996 eine geänderte Fassung des Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag eingereicht. Der Anspruch lautet wie folgt:

“Verwendung eines magnetisch anregbaren Materials zur Herstellung eines diagnostischen Kontrastmittels zur Verwendung bei der am lebenden Objekt durchgeführten NMR-Abbildung, wobei dieses Mittel Matrix-Partikel mit einem Durchmesser von bis zu 10 Mikrometern umfaßt, in die das magnetisch anregbare Material eingebettet ist, dessen magnetische Erregbarkeit so beschaffen ist, daß die Partikel magnetisch lokalisiert werden können und während der am Objekt vorgenommenen NMR-Abbildung Veränderungen der Relaxationszeit hervorrufen, die zu einem Kontrasteffekt nach Art der “schwarzen Löcher” führen, der sichtbar gemacht werden kann”

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in der geänderten Fassung vom 22. April 1996 (Hauptantrag) oder die Aufrechterhaltung in der Fassung eines der beiden mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2.1 Zu Artikel 123 (2) EPÜ:

2.2 Zu Artikel 123 (3) EPÜ:

3. Zu Artikel 84 EPÜ:

4. Zu Artikel 83 EPÜ:

5. Zu Artikel 52 (4) EPÜ:

5.1 Wie in der Patentbeschreibung eingeräumt wird, ist das Mittel nach Anspruch 1, das Partikel eines Matrixmaterials mit einem Durchmesser von bis zu 10 Mikron enthält, in die ein magnetisch anregbares Material eingebettet ist, im Stand der Technik seit etwa 1965 als hämatopoetisches Mittel zur Behandlung von Eisenmangel bekannt, das intravenös oder intramuskulär injiziert wird.

Insbesondere wird in der Entgegenhaltung 35 die Verwendung von Partikeln aus Dextranmagnetit (Eisen(III)-tetroxid) mit einem Durchmesser von 5 bis 20 nm konkret offenbart. Die Verbindung ist der Entgegenhaltung zufolge mit dem Eisendextran-Komplex (1) verwandt, der als hämatopoetisches Mittel verwendet und dadurch hergestellt wird, daß einer Suspension von Eisen(III)-tetroxid Dextran zugesetzt wird (vgl. erster Absatz). Die Entgegenhaltung 1 (Ricketts, Cox et al., Nature 208, 237, 1965) stellt offenbar einen der ersten Aufsätze über diesen Komplex dar.

Auch die Entgegenhaltung 2 beschreibt einen Eisendextran-Komplex, der als “Imferon” bezeichnet wird (s. Fußnote auf S. 513). Wie dem Zitat aus dem obengenannten Aufsatz von Ricketts, Cox et al. zu entnehmen ist (vgl. S. 513, Zeile 12), handelt es sich bei “Imferon” um denselben Komplex, der auch in der Entgegenhaltung 35 offenbart ist.

Schließlich bezieht sich auch die Entgegenhaltung 46 auf “Imferon”, d. h. auf die Eisendextraninjektion (U.S.P.) als das in den Vereinigten Staaten derzeit allgemein verwendete parenterale Mittel (vgl. S. 1325).

Die Kammer kommt deshalb zu dem Schluß, daß sich alle drei Vorveröffentlichungen auf dieselben Partikel nach Anspruch 1 und ihre erste therapeutische Anwendung beziehen.

5.2 Daher war der Anspruch 1 im Verfahren vor der Prüfungsabteilung entsprechend den Entscheidungen G 1/83 (ABl. EPA 1985, 60), G 5/83 (ABl. EPA 1985, 64) und G 6/83 (ABl. EPA 1985, 67) als “zweite medizinische Indikation” eines Arzneimittels formuliert.

Ob die Verwendung eines Stoffs zur Herstellung eines Arzneimittels seine Neuheit aus der späteren Verwendung dieses Mittels in einem bestimmten Verfahren herleiten kann, hängt von der Art dieses Verfahrens ab. Die Ableitbarkeit der Neuheit ist nur dann zu bejahen, wenn es zu den nach Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossenen Verfahren gehört (vgl. G 1/83, l. c., Nr. 21, letzter Absatz). Um die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 beurteilen zu können, muß man deshalb zunächst feststellen, ob sich der derzeitige Anspruch 1 auf eines dieser Verfahren oder aber auf ein patentfähiges technisches Verfahren bezieht.

Dem Ausschluß der in Artikel 52 (4) EPÜ genannten Verfahren lag der Gedanke zugrunde, daß diejenigen, die diese Verfahren zur therapeutischen Behandlung von Menschen oder Tieren einsetzen, dabei nicht durch Patentrechte behindert werden sollten (T 385/86, ABl. EPA 1988, 308, Nr. 3.2). Es sollten aber nur nichtgewerbliche Tätigkeiten auf dem Gebiet der Human- und Veterinärmedizin von patentrechtlichen Beschränkungen freigehalten werden (G 1/83, l. c., Nr. 22). Bei der Auslegung des Artikels 52 (4) EPÜ muß dies berücksichtigt werden.

Die Kammern haben entschieden, daß Verfahren zur Erlangung chemischer oder physikalischer Daten aus dem lebenden Organismus mittels Diagnosegeräten, die diese Daten aufzeichnen oder in Bildform wiedergeben, nicht unter den Ausschluß des Artikels 52 (4) EPÜ fallen, sondern daß nur solche Verfahren ausgeschlossen sind, deren Ergebnis es unmittelbar gestattet, über eine medizinische Behandlung zu entscheiden (T 385/86, l. c., und die übrigen im Bericht über die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 2. Ausgabe, 1996, I.A.2.5 genannten Entscheidungen). Dieser Entscheidung lag die Überlegung zugrunde, daß bei diesen Verfahren die Schrittfolge, für die Schutz begehrt wird, keinen Schritt enthält, der den Charakter einer ärztlichen Diagnosetätigkeit oder medizinischen Behandlung hat oder zu seiner Durchführung einen Arzt erfordert. Vielmehr könnte ein Techniker das beanspruchte Verfahren selbständig durchführen, um eine Arbeitsgrundlage für die nachfolgende Diagnosetätigkeit des Arztes zu schaffen (T 385/86, l. c., Nr. 3.5.1 und 3.5.2).

5.3 Das Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents ist jedoch ganz anders geartet. Es geht hier um ein in vivo durchgeführtes NMR-Abbildungsverfahren, bei dem Konstrastmittel eingesetzt werden. Im Gegensatz zu der in T 385/86, l. c., beschriebenen Technik ist das erfindungsgemäße Verfahren durch die parenterale Verabreichung (iv) des Kontrastmittels nach Anspruch 1 gekennzeichnet, wodurch aus der nichtinvasiven NMR-Abbildung ein invasives Verfahren wird. Außerdem ist das intravenöse Injizieren von Dextranmagnetit, d. h. Imferon (s. Entscheidungsgründe Nr. 5.1), nicht frei von zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen, wie durch die Entgegenhaltung 46 dokumentiert wird, wo es auf Seite 1326, rechte Spalte, wie folgt heißt:

Als Reaktion auf intravenös verabreichtes Eisen treten unter anderem Kopfschmerzen, Unwohlsein, Fieber, allgemeine Lymphadenopathie, Arthralgien, Urtikaria und bei Patienten mit rheumatoider Arthritis bisweilen eine Verschlimmerung des Krankheitsbilds auf. Höchst besorgniserregend sind jedoch die – wenn auch seltenen – anaphylaktischen Reaktionen, die trotz Behandlung zum Tod führen können. Obwohl nur wenige Todesfälle dieser Art beobachtet worden sind, ist deshalb von der Verwendung von Eisendextran abzuraten.

Angesichts des Risikos, mit dem diese Behandlung behaftet ist, heißt es weiter:

Bei der intravenösen Verabreichung werden zunächst über einen Zeitraum von 5 Minuten 1 bis 2 Tropfen Eisendextran injiziert, um festzustellen, ob Anzeichen oder Symptome einer Anaphylaxie auftreten. Bleiben diese aus, dann können über einen Zeitraum von 5 bis 10 Minuten 500 mg Eisen injiziert werden.

Zweifellos kann die “Feststellung, ob Anzeichen oder Symptome einer Anaphylaxie auftreten”, nur von medizinisch geschultem Personal getroffen werden, das in der Lage sein muß, schon die ersten Symptome einer Anaphylaxie oder sonstigen unerwünschten Reaktion zu erkennen und die Behandlung der besonderen Situation anzupassen, die Verabreichung abzubrechen oder gegebenenfalls unverzüglich alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die bereits erkennbaren Nebenwirkungen zu bekämpfen oder zu lindern.

Im Gegensatz zu den früheren Fällen umfaßt dieses Diagnoseverfahren als Ganzes also mindestens einen zur Erlangung des gewünschten Diagnoseergebnisses notwendigen Schritt, für den der Fachmann für NMR-Technik nicht allein zuständig sein kann. Während es bei Verfahren, deren Schritte insgesamt nicht medizinischer, sondern technischer Art sind, durchaus legitim ist, aus ihrem letztlich diagnostischen Zweck keinen diagnostischen Charakter (In-vivo-Diagnose) herzuleiten, gilt dies nicht für Verfahren zu diagnostischen Zwecken, die in ihren wesentlichen Schritten von medizinisch geschultem Personal oder unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden müssen. Jede anderslautende Auslegung stünde eindeutig im Widerspruch zum Geist des Artikels 52 (4) EPÜ.

Schließlich wird festgestellt, daß es sich bei dem Fachmann im vorliegenden Fall, nämlich dem zuständigen medinzischen Personal, nicht unbedingt um ein und denselben Spezialisten handeln muß. Es kann durchaus sein, daß der für die endgültige Diagnose zuständige Arzt nicht der für die Ausführung und Überwachung des medizinischen Teils des Diagnoseverfahrens zuständige Spezialist ist, d. h. derjenige, der das Konstrastmittel injiziert und im Bedarfsfall alle nachfolgenden therapeutischen Maßnahmen durchführt. Dies ändert nichts am medizinischen Charakter des Diagnoseverfahrens nach Anspruch 1. Daß das Konstrastmittel von einem Spezialisten verabreicht werden und ein anderer dann die Diagnose stellen kann, zeigt, daß ein diagnostischer Charakter im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ unabhängig von der eigentlichen Diagnosetätigkeit, die ja nicht Gegenstand des beanspruchten Verfahrens ist, allein schon aufgrund des medizinischen Charakters einiger Schritte dieses Verfahrens zugesprochen werden kann.

Infolgedessen hält die Kammer das Verfahren nach Anspruch 1 für ein diagnostisches Verfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ.

6. Zu Artikel 54 EPÜ

7. Zu Artikel 56 EPÜ

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit den folgenden Ansprüchen und einer entsprechend angepaßten Beschreibung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche 1 bis 10 des mit Schreiben vom 22. April 1996 eingereichten Hauptantrags.