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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1995:G000395.19951127
Datum der Entscheidung: 27 November 1995
Aktenzeichen: G 0003/95
Anmeldenummer:
IPC-Klasse:
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders:
Name des Einsprechenden:
Kammer: EBA
Leitsatz: 1. In der Entscheidung T 356/93 (ABl. EPA 1995, 545) wurde festgestellt, daß ein auf genetisch veränderte Pflanzen mit einem unterscheidbaren, beständigen, herbizidresistenten genetischen Merkmal gerichteter Anspruch nach Artikel 53 b) EPÜ nicht gewährbar ist, weil die beanspruchte genetische Veränderung selbst aus der veränderten oder transformierten Pflanze eine “Pflanzensorte” im Sinne des Artikels 53 b) EPÜ macht.
2. Diese Feststellung steht nicht in Widerspruch zu den Feststellungen in den Entscheidungen T 49/83 (ABl. EPA 1984, 112) und T 19/90 (ABl. EPA 1990, 476).
3. Demzufolge ist die Vorlage der Frage :
“Verstößt ein Patentanspruch, der auf Pflanzen oder Tiere gerichtet ist, ohne daß dabei bestimmte Pflanzensorten oder Tierarten in ihrer Individualität beansprucht werden, gegen das Patentierungsverbot des Artikels 53 b) EPÜ, wenn er Pflanzensorten oder Tierarten umfaßt?”
an die Große Beschwerdekammer durch den Präsidenten des EPA nach Artikel 112 (1) b) EPÜ unzulässig.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 53(b)
European Patent Convention 1973 Art 112(1)(b)
Schlagwörter: Patentierbarkeit von Pflanzensorten und Tierarten
Keine divergierenden Entscheidungen
Vorlage durch den Präsidenten des EPA unzulässig
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1054/96
T 0315/03

Zusammenfassung des Verfahrens

I. Am 28. Juli 1995 legte der Präsident des EPA der Großen Beschwerdekammer nach Artikel 112 (1) b) EPÜ die folgende Frage vor:

“Verstößt ein Patentanspruch, der auf Pflanzen oder Tiere gerichtet ist, ohne daß dabei bestimmte Pflanzensorten oder Tierarten in ihrer Individualität beansprucht werden, gegen das Patentierungsverbot des Artikels 53 b) EPÜ, wenn er Pflanzensorten oder Tierarten umfaßt?”

Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ ist für diese Frage relevant und lautet wie folgt:

“Europäische Patente werden nicht erteilt für: … Pflanzensorten oder Tierarten …”

II. In der Begründung zu dieser Vorlage erklärte der Präsident, seiner Auffassung nach hätten verschiedene Beschwerdekammern über die vorgelegte Frage voneinander abweichende Entscheidungen getroffen; insbesondere stehe die Entscheidung T 356/93 (ABl. EPA 1995, 545) der Technischen Beschwerdekammer 3.3.4 vom 21. Februar 1995 in bezug auf die Rechtsfrage, die Gegenstand der Vorlage sei, in Widerspruch zu der Entscheidung T 49/83 (ABl. EPA 1984, 112) der Technischen Beschwerdekammer 3.3.1 vom 26. Juli 1983 und der Entscheidung T 19/90 (ABl. EPA 1990, 476) der Technischen Beschwerdekammer 3.3.2 vom 3. Oktober 1990.

III. In der Entscheidung T 49/83 geht es um eine Beschwerde gegen eine Entscheidung einer Prüfungsabteilung, die eine Anmeldung unter Berufung auf Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ zurückgewiesen hatte. Die der Anmeldung zugrunde liegende Erfindung betraf die chemische Behandlung von Vermehrungsgut (zum Beispiel Saatgut) für Pflanzen mit dem Zweck, die Pflanzen gegen Agrarchemikalien wie beispielsweise Herbizide widerstandsfähig zu machen. Die Anmeldung enthielt unter anderem zwei Erzeugnisansprüche, in denen mit einer chemischen Verbindung gemäß einer bestimmten Formel behandeltes “Vermehrungsgut von Kulturpflanzen” definiert wurde. Die beiden Ansprüche lauten wie folgt:

“13. Vermehrungsgut von Kulturpflanzen, behandelt mit einem Oximderivat der Formel I des Anspruchs 1. 14. Vermehrungsgut gemäß Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, daß es sich um Saatgut handelt.”

Die Beschreibung enthielt Beispiele für eine solche an bestimmten bekannten Pflanzensorten durchgeführte chemische Behandlung, aus denen deutlich hervorging, daß sich die beiden Ansprüche auf das Vermehrungsgut von beliebigen Kulturpflanzen, d. h. auch von bekannten Zuchtsorten, bezogen, die erfindungsgemäß chemisch behandelt worden waren. Die Prüfungsabteilung vertrat folglich die Auffassung, der Gegenstand dieser beiden Ansprüche sei nach Artikel 53 b) EPÜ, der sowohl auf neue als auch auf bekannte Pflanzensorten Anwendung finde, von der Patentierbarkeit ausgenommen. Die Technische Beschwerdekammer 3.3.1 gab der Beschwerde jedoch mit der Begründung statt, durch Artikel 53 b) EPÜ sollten nur neue Pflanzensorten in ihrer Individualität von der Patentierbarkeit ausgenommen werden. Die Beschwerdekammer war der Meinung, daß zwar das Vermehrungsgut für alle Arten von Kulturpflanzen und Zuchtsorten, die die definierte chemische Behandlung erfahren hätten, vom Umfang der beiden Ansprüche erfaßt sei, daß aber der Gegenstand der Ansprüche dennoch keine individuelle Pflanzensorte sei und somit kein Verstoß gegen Artikel 53 b) EPÜ vorliege.

IV. In der Entscheidung T 19/90 geht es ebenfalls um eine Beschwerde gegen eine Entscheidung einer Prüfungsabteilung, die eine Anmeldung unter anderem unter Berufung auf Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ zurückgewiesen hatte. Die dieser Anmeldung zugrunde liegende Erfindung betraf eine bestimmte genetische Behandlung von Tieren für die Zwecke der Krebsforschung, und die Anmeldung beinhaltete Ansprüche, die auf in dieser Weise behandelte Tiere gerichtet waren. Die Prüfungsabteilung vertrat die Auffassung, daß dem Wortlaut des Artikels 53 b) EPÜ zufolge zwar “Tierarten” von der Patentierbarkeit ausgenommen seien, daß es dem Gesetzgeber aber um ein generelles Patentierungsverbot für Tiere gegangen sei. Die Technische Beschwerdekammer 3.3.1 war allerdings der Ansicht, die Prüfungsabteilung habe die Anmeldung zu Unrecht mit der Begründung zurückgewiesen, Tiere als solche seien vom Patentschutz ausgeschlossen; die Frage müsse richtig lauten, ob der Gegenstand der Anmeldung eine “Tierart” sei oder nicht. Die Sache wurde an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung und mit der Auflage, auch diese Frage zu prüfen, zurückverwiesen.

V. In der Entscheidung T 356/93 geht es um eine Beschwerde in einem Einspruchsverfahren. Die dem angefochtenen Patent zugrunde liegende Erfindung betrifft die gentechnische Veränderung von Pflanzen. Erfindungsgemäß werden die Gene einer Pflanze auf eine bestimmte Weise verändert, um die Pflanze gegen ein Herbizid widerstandsfähig zu machen.

Das Patent enthält eine Reihe unabhängiger Ansprüche einschließlich des Anspruchs 21, der auf eine “Pflanze” gerichtet ist, die anspruchsgemäß genetisch verändert und somit transformiert wurde. Anspruch 21 lautet wie folgt:

“Nichtbiologisch transformierte Pflanze mit einer stabil in das Genom ihrer Zellen integrierten fremden DNA-Nucleotidsequenz, die für ein Protein codiert, dessen nichtsortenspezifische enzymatische Wirkung einen Glutamin-Synthetase-Inhibitor neutralisieren oder inaktivieren kann, wobei die Expression des Proteins unter der Steuerung eines von den Polymerasen der Pflanzenzellen erkannten Promotors erfolgt.”

Die Beschreibung des Patents enthält eine Reihe von Ausführungsbeispielen für die genetische Transformation bekannter Tabakpflanzensorten gemäß Anspruch 21 der Erfindung. Es wird nachgewiesen, daß die auf diese Weise transformierten Pflanzen normal fortpflanzungsfähig und die Samen der zweiten Generation in bezug auf das Resistenzgen homozygot sind.

Der Einsprechende erhob gegen das Patent eine Reihe von Einwänden und stützte sich unter anderem auf Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch zurück und hielt das Patent in der erteilten Fassung aufrecht (die Entscheidung ist in IIC 1993, 618 veröffentlicht).

In ihrer Entscheidung im anschließenden Beschwerdeverfahren wies die Technische Beschwerdekammer 3.3.4 unter Hinweis auf den Begriff der “Pflanzensorten” in Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ zunächst darauf hin, daß es sowohl in der Entscheidung T 49/83 als auch in der Entscheidung T 320/87 (ABl. EPA 1990, 71) um diese Ausnahme von der Patentierbarkeit gegangen sei und daß die Bedeutung dieses Begriffs jeweils unter Bezugnahme auf das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen aus dem Jahr 1961 (nachstehend “UPOV-Übereinkommen” genannt) ausgelegt worden sei. Auf die Aussagen in diesen beiden Entscheidungen hin interpretierte die Beschwerdekammer unter Nummer 23 ihrer Entscheidung den in Artikel 53 b) EPÜ verwendeten Begriff “Pflanzensorte”; er beziehe sich auf “eine pflanzliche Gesamtheit innerhalb eines einzigen botanischen Taxons der untersten bekannten Rangstufe, die unabhängig davon, ob sie nach dem UPOV-Übereinkommen schutzfähig wäre, durch mindestens ein übertragbares Merkmal, das sie von anderen pflanzlichen Gesamtheiten unterscheidet, gekennzeichnet und in ihren maßgebenden Merkmalen hinreichend homogen und beständig ist” (Hervorhebung durch die Kammer). Die Kammer kam dann unter Nummer 24 zu folgendem Ergebnis: “Ein Erzeugnisanspruch, dessen Gegenstand “Pflanzensorten” im soeben … definierten Sinne umfaßt, ist nach Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ nicht patentierbar …” (Hervorhebung durch die Kammer).

Anschließend prüfte die Kammer unter Nummer 40.3 ff. der Entscheidung, ob Anspruch 21 unter Berücksichtigung dieser Definition im Hinblick auf Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ gewährbar ist. Unter Nummer 40.4 heißt es eingangs wie folgt: “Der Gegenstand des Anspruchs 21 unterscheidet sich insofern grundsätzlich von dem in den Entscheidungen T 49/83 und T 320/87 erörterten Gegenstand …, als er genetisch veränderte Pflanzen betrifft, die in ihrem (ihren) veränderten Merkmal(en) gleichbleiben. Das angegebene kennzeichnende Merkmal der beanspruchten Pflanze wird in den Pflanzen und Samen tatsächlich beständig von einer Generation zur nächsten weitergegeben …” (Hervorhebung durch die Kammer). Die Kammer stellte fest, in den Ausführungsbeispielen des Patents würden aus bekannten Pflanzensorten transformierte Pflanzen erzeugt, und es werde nachgewiesen, “daß die auf diese Weise transformierten Pflanzen normal fortpflanzungsfähig und die Samen der zweiten Generation in bezug auf das Resistenzgen homozygot sind”; sie kam dann zu folgendem Ergebnis: “Somit handelt es sich bei den transformierten Pflanzen oder Samen der Ausführungsbeispiele unabhängig davon, ob sie den Voraussetzungen für die Erteilung eines Züchterrechts genügen würden, um Pflanzensorten, weil sie der vorstehenden Definition dieses Begriffs (s. Nrn. 21 – 23) entsprechen, nämlich unterscheidbar und in ihren maßgebenden Merkmalen einheitlich und beständig sind.” Ferner könnten die Sorten in den Ausführungsbeispielen als “im wesentlichen abgeleitete Sorten” ausgelegt werden; vgl. Artikel 14 (5) c) des 1991 in Genf revidierten UPOV-Übereinkommens.

Unter Nummer 40.5 erklärte die Kammer dann, daß Anspruch 21 Pflanzen definiere, die sich von allen anderen Pflanzen durch das angegebene spezielle Merkmal unterschieden, das sie beständig an ihre Nachkommen weitergäben. Während Anspruch 21, so die Kammer weiter, das gemeinsame Unterscheidungsmerkmal aller unter diesen Anspruch fallenden Pflanzen definiere, zeigten die Ausführungsbeispiele praktische Ausführungsformen der Erfindung gemäß Anspruch 21, bei denen es sich um “genetisch transformierte” Pflanzensorten handle.

Die Kammer war der Meinung, infolgedessen umfasse “der Gegenstand des Anspruchs 21 genetisch transformierte Pflanzensorten mit dem betreffenden Unterscheidungsmerkmal …”; Anspruch 21 sei folglich “nur dann gewährbar, wenn das in Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ enthaltene Patentierungsverbot für Pflanzensorten keine Anwendung findet, weil der Anspruchsgegenstand als Erzeugnis eines mikrobiologischen Verfahrens zu werten ist” (Nr. 40.8). Unter den Nummern 40.9 bis 40.11 vertrat die Kammer die Auffassung, die beanspruchten Pflanzen seien keine Erzeugnisse eines mikrobiologischen Verfahrens und Anspruch 21 sei mithin nicht gewährbar.

VI. In seiner Begründung für die Vorlage der vorstehend genannten Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer führte der Präsident aus, mit ihrer Schlußfolgerung unter Nummer 24 der Entscheidung T 356/93 (“Ein Erzeugnisanspruch, dessen Gegenstand “Pflanzensorten” im soeben … definierten Sinne umfaßt, ist nach Artikel 53 b) … EPÜ nicht patentierbar …”) stelle die Technische Beschwerdekammer 3.3.4 einen allgemeinen Rechtssatz auf, der im Widerspruch zu der in den Entscheidungen T 49/83 (Nrn. 2 bis 2.5 seiner Begründung) und T 19/90 (Nr. 2.6) vertretenen Auffassung stehe. Der Präsident war insbesondere der Meinung, daß gemäß der vorstehenden Feststellung in der Entscheidung T 356/93 ein Anspruch, der eine erfindungsgemäß behandelte Pflanze definiere und dessen Schutzumfang so behandelte bekannte Pflanzensorten umfasse, nach Artikel 53 b) EPÜ nicht gewährbar sei. Demzufolge sprach er sich dafür aus, Artikel 53 b) EPÜ in Übereinstimmung mit der Entscheidung T 49/83 dahin auszulegen, daß durch Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ nur ein Anspruch von der Patentierbarkeit ausgenommen werden solle, der bestimmte Pflanzensorten in ihrer Individualität definiere.

VII. Nach Artikel 11b der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer wurden im Rahmen dieses Verfahrens die folgenden schriftlichen Stellungnahmen zu der vorgelegten Rechtsfrage eingereicht:

Greenpeace (Schreiben vom 6. September 1995)

Compassion in World Farming (25. September 1995)

UNICE (Union des Conféderations de l’Industrie et des Employeurs d’Europe) (7. November 1995, aktualisierte Fassung vom 20. November 1995)

Ian Armitage, Mewburn Ellis (8. November 1995)

Büro der Kampagne “Kein Patent auf Leben!” (9. November 1995) Greenpeace (9. November 1995)

The Chartered Institute of Patent Agents (9. November 1995)

The British Society of Plant Breeders Ltd. (10. November 1995)

Sandoz Technology Ltd. (16. November 1995)

EPI (Institut der beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter) (16. November 1995)

Begründung der Stellungnahme

1. Im Zusammenhang mit der der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Rechtsfrage und eingedenk der Tatsache, daß der Präsident nach Artikel 112 (1) b) EPÜ “der Großen Beschwerdekammer eine Rechtsfrage vorlegen (kann), wenn zwei Beschwerdekammern über diese Frage voneinander abweichende Entscheidungen getroffen haben”, geht es bei der ersten von der Großen Beschwerdekammer zu prüfenden Frage um Art und Umfang des Widerspruchs zwischen den Entscheidungen T 49/83 und T 19/90 auf der einen Seite und der Entscheidung T 356/93 auf der anderen Seite.

2. Die Entscheidung T 49/83 ist unter Nummer III zusammengefaßt. Die Prüfungsabteilung hatte in diesem Fall die Auffassung vertreten, die beiden in Frage stehenden Erzeugnisansprüche seien schon allein deshalb nach Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ von der Patentierbarkeit ausgenommen, weil der Schutzbereich dieser Ansprüche “Vermehrungsgut” sowohl für Pflanzen umfasse, bei denen es sich um (bekannte) Pflanzensorten handle, als auch für Pflanzen, die keine Sorten seien, welche die beanspruchte chemische Behandlung erfahren hätten. Mit anderen Worten: Weil diese Ansprüche unter anderem bekannten Pflanzensorten, die die beanspruchte chemische Behandlung erfahren hätten, Schutz verliehen, finde Artikel 53 b) EPÜ auf solche Ansprüche Anwendung, obwohl die beanspruchte Erfindung auf die in den Ansprüchen genannte bestimmte chemische Behandlung gerichtet sei und darin bestehe. Die Beschwerdekammer setzte sich jedoch in diesem Fall über die Entscheidung der Prüfungsabteilung hinweg und vertrat die Auffassung, daß Artikel 53 b) EPÜ nur auf Ansprüche anwendbar sei, die neue, von anderen Sorten unterscheidbare individuelle Pflanzensorten definierten, deren Züchtung im Rahmen des UPOV- Übereinkommens geschützt werden könne. Die Beschwerdekammer bemerkte insbesondere: “Artikel 53 b) EPÜ schließt … nur die Patentierung von Pflanzen oder deren Vermehrungsgut in der genetisch fixierten Form der Pflanzensorte aus.”

Die Entscheidung T 49/83 macht deutlich, daß die beanspruchte chemische Behandlung, um die es bei der “beanspruchten Neuerung” geht, “nicht auf dem Gebiet der Pflanzenzüchtung (liegt), die sich mit der genetischen Veränderung von Pflanzen befaßt”. Eine solche chemische Behandlung bewirkt natürlich keine genetische Veränderung der behandelten Pflanzen, und die Wirkung einer solchen Behandlung kann auch nicht an künftige Generationen weitergegeben werden.

3. Wie unter Nummer IV zusammengefaßt, vertrat die Technische Beschwerdekammer 3.3.2 in der Entscheidung T 19/90 lediglich die Auffassung, mit dem Begriff “Tierarten” in Artikel 53 b) EPÜ würden nicht “Tiere als solche” vom Patentschutz ausgeschlossen. Die Sache wurde an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, die Prüfungsabteilung solle entscheiden, ob die beanspruchten gentechnisch veränderten Säuger in dem Begriff “Tierarten” mit eingeschlossen seien.

Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer kann den Ausführungen der Technischen Beschwerdekammer 3.3.2 in der Entscheidung T 19/90 zu der Frage, welche Bedeutung der Begriff “Tierart” (“animal variety”, “race animale”) in Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ eigentlich habe, nichts anderes entnommen werden, als daß durch diese Bestimmung “Tiere als solche” von der Patentierbarkeit nicht ausgeschlossen sind.

4. Für die Klärung der Frage, ob die Entscheidung T 356/93 eine in bezug auf die vorgelegte Rechtsfrage von der Entscheidung T 49/83 oder T 19/90 “abweichende Entscheidung” ist, muß geprüft werden, welche Einwände der Einsprechende unter Berufung auf Artikel 53 b) EPÜ in dem Einspruch, der Gegenstand der Entscheidung T 356/93 ist, überhaupt geltend gemacht hat.

Aus der Akte geht hervor, daß der Einsprechende seinen auf Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ gestützten Einwand gegen Anspruch 21 auf zweierlei unterschiedliche Weise vorgebracht hat:

1) Anspruch 21 umfasse bekannte Pflanzensorten, die genetisch verändert worden seien, um sie herbizidresistent zu machen; siehe die Ausführungsbeispiele in der Beschreibung des Patents. Weil der Anspruch solche bekannten Pflanzensorten umfasse und ihnen mithin Schutz verleihe, sei er nach Artikel 53 b) EPÜ nicht gewährbar.

2) Anspruch 21 definiere Pflanzen (unabhängig davon, ob es sich vor ihrer genetischen Transformation um “Pflanzensorten” im Sinne des UPOV-Übereinkommens handle), die genetisch verändert worden seien, um sie herbizidresistent zu machen. Diese genetische Herbizidresistenz sei ein unterscheidbares und von einer Pflanzengeneration zur nächsten beständiges Merkmal. Die beanspruchte genetische Veränderung selbst mache mithin aus den Pflanzen “Pflanzensorten” im Sinne des 1991 revidierten UPOV- Übereinkommens, und folglich sei Anspruch 21 auf einen im Sinne des Artikels 53 b) EPÜ nicht patentierbaren Gegenstand gerichtet.

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung befaßt sich in erster Linie mit dem Einwand 1 (s. Nrn. 10 und 13 des Abschnitts “Sachverhalt und Anträge” und Nrn. 4.1 bis 4.3 der “Entscheidungsgründe”). Im Beschwerdeverfahren erlangte jedoch der Einwand 2 größere Bedeutung als der Einwand 1. Die Technische Beschwerdekammer 3.3.4 bezog sich deshalb in ihrer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung nur auf den Einwand 2 und wies darauf hin, daß sich der Sachverhalt, der zu diesem Einwand Anlaß gebe, von dem in den Entscheidungen T 49/83 und T 320/87 untersuchten Sachverhalt unterscheide. Unter Nummer IX d) des Abschnitts “Sachverhalt und Anträge” der Entscheidung T 356/93 werden die Ausführungen des Einsprechenden mit den Worten zusammengefaßt, es “bezögen sich diese Ansprüche [einschließlich des Anspruchs 21] auf eine sehr eng umrissene Gruppe von Pflanzen mit einem bestimmten Merkmal (Herbizidresistenz), das beständig von einer Folgegeneration zur nächsten weitergegeben werde … und das Teil der genetischen Veränderung der betreffenden Pflanzen sein solle. Damit sei faktisch die Definition einer Pflanzensorte im Sinne des [UPOV-Übereinkommens] erfüllt. Deshalb seien die Ansprüche nach Artikel 53 b) EPÜ nicht gewährbar. Wenn ein Anspruch etwas nicht Patentierbares enthalte, so sei er nämlich als Ganzes zu verwerfen”.

5. Die maßgebenden Teile der “Entscheidungsgründe” in der Entscheidung T 356/93 sind unter Nummer V zusammengefaßt. Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer entspricht die in dieser Entscheidung getroffene Feststellung, Anspruch 21 sei nach Artikel 53 b) EPÜ nicht gewährbar, in den wesentlichen Zügen dem, was vorstehend als Einwand 2 zusammengefaßt ist. Bei sorgfältiger Lektüre der Nummern 20 bis 24 und 40.3 bis 40.5 der Entscheidung T 356/93 in ihrem jeweiligen Zusammenhang ist mithin ersichtlich, daß die Beschwerdekammer der Auffassung war, Anspruch 21 verstoße gegen Artikel 53 b) EPÜ nicht etwa deshalb, weil der Anspruch bekannte Pflanzensorten umfasse (Einwand 1), sondern weil die beanspruchte genetische Veränderung einer Pflanze selbst aus der veränderten oder transformierten Pflanze eine neue “Pflanzensorte” im Sinne des 1991 revidierten UPOV-Übereinkommens und des Artikels 53 b) EPÜ mache (Einwand 2).

Diese Auslegung der Entscheidung T 356/93 wird dadurch erhärtet, daß es unter Nummer 40.4 der Entscheidung heißt, der Gegenstand des Anspruchs 21 “unterscheide sich grundsätzlich” von dem in der Entscheidung T 49/83 erörterten Gegenstand; siehe Nummer V.

6. Unter Nummer 40.6 wird ausgeführt, der Patentinhaber räume ein, “daß die besagten Ausführungsbeispiele an vorhandenen Sorten durchgeführt wurden”, und bestreite nicht, “daß Anspruch 21 auch Pflanzensorten umfaßt”. Weiter heißt es, da der Patentinhaber “keine Möglichkeit für die Aufnahme eines geeigneten Disclaimers” sehe, mache er geltend, die beanspruchte “bestimmte Pflanzensorte” (worunter die Große Beschwerdekammer eine Bezugnahme auf die beanspruchte genetische Veränderung versteht) solle als eine Art “Auswahlerfindung” betrachtet werden. Die Kammer 3.3.4 schloß sich dem nicht an, da eine solche Erfindung, wie schon unter Nummer 40.5 ausgeführt, eine “Pflanzensorte” im Sinne des Artikels 53 b) EPÜ sei, und zwar unabhängig davon, ob sie eine “Auswahlerfindung” verkörpere. Die Aussagen unter Nummer 40.6 stehen daher mit der Feststellung unter Nummer 40.5 in Einklang und erhärten sie.

Nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer ist den Ausführungen unter Nummer 40.6 der Entscheidung T 356/93 nirgendwo zu entnehmen, Anspruch 21 sei im Sinne des Einwands 1 nicht patentierbar.

7. Wie unter Nummer VI angegeben, machte der Präsident des EPA in seiner Begründung für die Vorlage der Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer geltend, die Aussage unter Nummer 24 der Entscheidung T 356/93 stehe im Widerspruch zu den Entscheidungen T 49/83 und T 19/90. Betrachtet man Nummer 24 in ihrem Zusammenhang, d. h. in Verbindung mit den Nummern 40.3 bis 40.8, so ist die eigentliche Bedeutung von Nummer 24 in den Augen der Großen Beschwerdekammer im wesentlichen identisch mit der Aussage in den ersten drei Zeilen von Nummer 40.8, nämlich daß Anspruch 21 nicht gewährbar ist, wenn er (wie dies der Fall ist) eine Pflanzensorte gemäß der Definition unter Nummer 23, beispielsweise die in Anspruch 21 definierten genetisch transformierten Pflanzen, umfaßt (“vom Umfang her erfaßt”).

8. Die Feststellung in der Entscheidung T 356/93, die unter Nummer 5 genannt ist und dem Einwand 2 entspricht, betrifft zweifellos eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, aber diese Rechtsfrage ist nicht Gegenstand der Vorlage des Präsidenten an die Große Beschwerdekammer. Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer besteht zwischen dieser Feststellung und den Feststellungen in den Entscheidungen T 49/83 und T 19/90 kein Widerspruch, weil es (wie aus den Nummern III, IV, 2 und 3 hervorgeht) weder in der Entscheidung T 49/83 noch in der Entscheidung T 19/90 um die Rechtsfrage ging, die Gegenstand der Entscheidung T 356/93 war. Mit anderen Worten: Die beiden Beschwerdekammern haben über die Rechtsfrage, die der Präsident der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) b) EPÜ vorgelegt hat, keine voneinander abweichenden (d. h. sich widersprechenden) Entscheidungen getroffen.

Schlußfolgerung

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Vorlage der unter Nummer I genannten Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer durch den Präsidenten des EPA ist nach Artikel 112 (1) b) EPÜ unzulässig.