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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1996:T027495.19960202
Datum der Entscheidung: 02 Februar 1996
Aktenzeichen: T 0274/95
Anmeldenummer: 85308677.5
IPC-Klasse: G07F 3/02
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders: MARS INCORPORATED
Name des Einsprechenden: WH Münzprüfer Dietmar Trenner GmbH
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: 1. Wird ein Einspruchsgrund in der Einspruchsschrift substantiiert, aber anschließend im Verfahren vor der Einspruchsabteilung nicht aufrechterhalten (hier: Abgabe einer diesbezüglichen Erklärung des Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung), so ist die Einspruchsabteilung nicht verpflichtet, diesen Einspruchsgrund weiter zu prüfen oder auf ihn in ihrer Entscheidung einzugehen, sofern er nicht so relevant ist, daß er der Aufrechterhaltung des Patents wahrscheinlich entgegensteht (im Anschluß an die Stellungnahme G 10/91).
2. Ein Einspruchsgrund, der in der Einspruchsschrift substantiiert, aber anschließend vor der Einspruchsabteilung nicht aufrechterhalten wird, ist für den Fall, daß er im Beschwerdeverfahren wiedereingeführt werden soll, kein “neuer Einspruchsgrund” im Sinne der Stellungnahme G 10/91 und kann folglich in Ausübung des Ermessens der Beschwerdekammer ohne das Einverständnis des Patentinhabers in das Beschwerdeverfahren wiedereingeführt werden.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 100(c)
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Einspruchsgrund (Art. 100(c) EPÜ) in der Einspruchsschrift substantiiert, aber vor der Einspruchsabteilung nicht aufrechterhalten
Wiedereinführung in das Beschwerdeverfahren im Ermessen der Beschwerdekammer
Gegenstand, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (verneint)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0342/98
T 0589/98
T 0899/98
T 0967/98
T 0101/00
T 0520/01
T 0877/01
T 0736/05
T 1491/07

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 0 184 393 wurde dem Beschwerdegegner auf der Grundlage von 22 Ansprüchen erteilt.

Der unabhängige Anspruch 1 dieses Patents lautet wie folgt:

“1. Vorrichtung zum Überprüfen der Gültigkeit von Münzen (8) mit einer Einrichtung (2, 6, 22), die einen Münzweg festlegt, einer elektrisch betriebenen Münzprüfschaltung (58, 60), die so ausgebildet ist, daß sie die Gültigkeit einer Münze überprüft, die entlang des Münzwegs durchläuft, einer Münzauftrefffläche (16), die so angeordnet ist, daß sie von jeder entlang des Münzweges laufenden Münze getroffen wird, wobei die Münzauftrefffläche auf einem Teil (16) vorhanden ist, das die von der auftreffenden Münze hervorgerufene Kraft erfährt und von der Auftrefffläche ausgelenkt wird, einer Einrichtung zum Erzeugen eines elektrischen Signals (36), wenn eine zu prüfende Münze ankommt, und einer Schalteinrichtung (56), die von diesem elektrischen Signal so betreibbar ist, daß sie die Münzprüfschaltung (58) mit Energie versorgt, um sie dadurch in die Lage zu versetzen, die Gültigkeit der Münze zu überprüfen, dadurch gekennzeichnet, daß die Einrichtung zum Erzeugen eines elektrischen Signals (36) ein piezoelektrisches Element (36, 36a) aufweist, das so angeordnet ist, daß es die Kraft nicht erfährt, sondern auf das Schwingungen entlang eines Schwingungsübertragungswegs übertragen werden, die von einer auf die Auftrefffläche treffenden Münze (8) hervorgerufen werden, wodurch das piezoelektrische Element (36, 36a) das elektrische Signal auf die Schwingungen hin erfährt, sowie dadurch gekennzeichnet, daß das piezoelektrische Element dadurch in der Vorrichtung angebracht ist, daß es an einem feststehenden Teil der Vorrichtung befestigt ist, der auf dem Schwingungsübertragungsweg liegt, und daß alle anderen Konstruktionskomponenten (falls solche vorliegen), die entlang des Schwingungsübertragungsweges liegen, ebenfalls fest aneinander befestigt sind, wodurch der Übertragungsweg durchgehend festes Material aufweist, das fest an jeglichen Zwischenflächen entlang des Schwingungsübertragungswegs angebracht ist.”

Der Anspruch 22 bezieht sich auf eine münzbetätigte Anlage mit der in einem der vorstehenden Ansprüche beanspruchten Münzprüfvorrichtung.

Die Ansprüche 2 bis 21 des Patents sind von Anspruch 1 abhängig.

II. Gegen das europäische Patent wurde Einspruch eingelegt mit der Begründung,

i) sein Gegenstand sei im Hinblick auf den in den Druckschriften

D1: EP-A-0 058 094,

D2: DE-A-3 415 273,

D3: CH-A-645 210 und

D4: US-A-3 776 338

offenbarten Stand der Technik gemäß den Artikeln 52 bis 57 EPÜ nicht patentfähig,

ii) der Gegenstand des Patents gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, da zwei Merkmale des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht offenbart seien (Art. 100 c) EPÜ).

III. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung nahm der Patentinhaber zum Einspruch Stellung und bestritt unter anderem die vorstehend genannten Einspruchsgründe. In einem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid vertrat die Einspruchsabteilung unter anderem die vorläufige Auffassung, daß “der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe” und daß aus den genannten Gründen “der Gegenstand des Anspruchs 1 vom Stand der Technik nicht nahegelegt werde”. In dem Bescheid hieß es ferner, daß die Druckschrift D2 nach Artikel 54 EPÜ nicht zum Stand der Technik gehöre.

Der Einsprechende erklärte in der mündlichen Verhandlung am 25. November 1994 ausweislich des Protokolls unter anderem, daß er “die Einwände bezüglich einer unzulässigen Erweiterung nunmehr fallenlasse” und einräume, daß die Druckschrift D2 nicht zum Stand der Technik gehöre.

IV. In ihrer Entscheidung vom 19. Januar 1995 führte die Einspruchsabteilung unter Nummer 4.2 des Abschnitts “Sachverhalt und Anträge” aus, der Einsprechende habe in der mündlichen Verhandlung erklärt, der Einspruchsgrund der unzulässigen, über den Inhalt der ursprünglichen Offenbarung hinausgehenden Erweiterung werde nicht länger aufrechterhalten; er halte lediglich an seinem Antrag auf Widerruf wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit fest. Nicht erwähnt wird in dem Abschnitt “Entscheidungsgründe” der ursprünglich geltend gemachte Einspruchsgrund, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus unzulässig erweitert worden.

V. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch zurück. In ihrer Entscheidung vom 19. Januar 1995 begründete sie dies im wesentlichen wie folgt:

VI. Der Einsprechende legte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein und beantragte den Widerruf des Patents.

In seiner Beschwerdebegründung machte der Einsprechende erneut geltend, der Gegenstand des Anspruchs 1 gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, und führte zur Begründung der mangelnden erfinderischen Tätigkeit weitere Druckschriften (DE-A-2 908 580 (D5) und DE-C-3 342 558 (D6)) an. Der Patentinhaber erwiderte, der auf eine “unzulässige Erweiterung” gestützte Einspruchsgrund (Art. 100 c) EPÜ) sei in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung fallengelassen worden und dürfe in das Beschwerdeverfahren nicht wiedereingeführt werden.

VII. In einem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid vertrat die Kammer folgende vorläufige Auffassung:

a) Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ sei vom Einsprechenden im Verfahren vor der Einspruchsabteilung nicht aufrechterhalten worden und nicht so relevant, daß er im Beschwerdeverfahren geprüft werden müsse.

b) Der auf mangelnde erfinderische Tätigkeit gestützte Einspruchsgrund stehe der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung wahrscheinlich nicht entgegen. Die neu angeführten Druckschriften D5 und D6 seien anscheinend nicht so relevant, daß sie im Beschwerdeverfahren zugelassen werden müßten.

VIII. Am 2. Februar 1996 fand eine mündliche Verhandlung statt.

Zur Untermauerung seines Antrags machte der Einsprechende schriftlich und mündlich im wesentlichen folgendes geltend:

IX. Zur Untermauerung seines Antrags machte der Patentinhaber schriftlich und mündlich im wesentlichen folgendes geltend:

a) Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ sei in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung fallengelassen worden und dürfe in der Beschwerdephase nicht wiedereingeführt werden. Gemäß der Stellungnahme G 10/91, ABl. EPA 1993, 420, Nummer 18 dürfe ein neuer Einspruchsgrund im Beschwerdeverfahren nur mit dem Einverständnis des Patentinhabers geprüft werden, und der Patentinhaber erkläre sein Einverständnis im vorliegenden Fall nicht. Dem Einsprechenden solle es deshalb nicht gestattet werden, diesen P unkt in der mündlichen Verhandlung auch nur vorzutragen. Ferner solle die Sache, falls die Kammer das Vorbringen dieses Einspruchsgrunds im Beschwerdeverfahren zulasse, in Übereinstimmung mit Nummer 18 der Stellungnahme G 10/91 zur Entscheidung dieser Frage an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, zumal der Einsprechende durch seinen Verzicht auf diesen Einspruchsgrund vor der Einspruchsabteilung dem Patentinhaber die erstinstanzliche Prüfung des in Frage stehenden Einspruchsgrundes vorenthalten habe.

Auf jeden Fall sei das Merkmal der beanspruchten Vorrichtung, wonach Konstruktionskomponenten entlang eines Schwingungsübertragungswegs fest aneinander befestigt seien, in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart, insbesondere in dem auf Seite 9 unten beginnenden Absatz.

b) Der auf mangelnde erfinderische Tätigkeit gestützte Einspruchsgrund …

X. In der mündlichen Verhandlung wurden beide Beteiligten zu dem Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ gehört. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet, die Beschwerde und den Antrag auf Kostenverteilung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Wiedereinführung des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 c) EPÜ in das Beschwerdeverfahren

a) Dieser Einspruchsgrund wurde in der Einspruchsschrift vorgebracht und vollständig substantiiert und vom Patentinhaber am 26. Juli 1994 unter den Nummern 2.1 bis 2.18 der schriftlichen Stellungnahme zu dem Einspruch vollumfänglich bestritten. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde dieser Einspruchsgrund nicht aufrechterhalten; dies geht aus dem Protokoll und der Entscheidung der Einspruchsabteilung hervor und wurde vom Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer auch so eingeräumt.

Bei dieser Sachlage wird in der Entscheidung der Einspruchsabteilung unter dem Abschnitt “Entscheidungsgründe” auf diesen Einspruchsgrund verständlicherweise nicht eingegangen, zumal die Einspruchsabteilung zuvor in dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid (in Anbetracht der schriftlich vorgebrachten Argumente der Beteiligten) die vorläufige Auffassung vertreten hatte, dieser Einspruchsgrund stehe der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen. Wird ein ordnungsgemäß substantiierter Einspruchsgrund vom Einsprechenden im Verfahren vor der Einspruchsabteilung nicht aufrechterhalten (wird zum Beispiel – wie im vorliegenden Fall – vom Vertreter des Einsprechenden eine diesbezügliche Erklärung in der mündlichen Verhandlung abgegeben), so ist die Einspruchsabteilung nicht verpflichtet, diesen Grund weiter zu prüfen oder auf ihn in ihrer begründeten Entscheidung einzugehen, sofern er nicht so relevant ist, daß er der Aufrechterhaltung des Patents wahrscheinlich entgegensteht. Dies folgt aus den unter den Nummern 15 und 16 der Stellungnahme G 10/91 dargelegten Grundsätzen.

b) Unter Nummer 18 der Stellungnahme G 10/91 geht es um die Anwendung des Artikels 114 (1) EPÜ im Einspruchsbeschwerdeverfahren, wenn ein “neuer Einspruchsgrund” erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht wird. Aus Nummer 16 der Stellungnahme G 10/91 geht beispielsweise eindeutig hervor, daß es der Großen Beschwerdekammer im wesentlichen um die Umstände ging, unter denen es möglich ist, “einen durch die Erklärung gemäß Regel 55 c) EPÜ nicht abgedeckten Einspruchsgrund” im Verfahren vor einer Einspruchsabteilung (Nrn. 15 und 16) bzw. vor einer Beschwerdekammer (Nrn. 17 und 18) zu prüfen und darüber zu befinden.

Wie der Zusammenfassung unter a zu entnehmen ist, war im vorliegenden Fall der vom Einsprechenden nach Artikel 100 c) EPÜ vorgebrachte Einspruchsgrund in seiner Erklärung gemäß Regel 55 c) EPÜ vollständig substantiiert, und auch der Patentinhaber ging mit Schreiben vom 26. Juli 1994 hierauf vollumfänglich ein.

Nach Auffassung der Kammer ist daher der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ, den der Einsprechende in dieses Beschwerdeverfahren wiedereinführen möchte, kein “neuer Einspruchsgrund” im Sinne der Stellungnahme G 10/91. Infolgedessen kann die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall ohne das Einverständnis des Patentinhabers in Ausübung ihres Ermessens diesen Einspruchsgrund prüfen und darüber befinden.

c) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Überlegungen war die Kammer bereit, in der mündlichen Verhandlung am 2. Februar 1996 weitere Argumente zu diesem Einspruchsgrund vor einer Entscheidung darüber zu hören, ob der Grund so relevant ist, daß seine Wiedereinführung in das Verfahren gerechtfertigt ist. Nach dieser Anhörung der Beteiligten vertritt die Kammer weiterhin die bereits in ihrem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid geäußerte Auffassung (die auch in dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid der Einspruchsabteilung vertreten worden war), daß dieser Einspruchsgrund nicht so relevant ist, daß er der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht. Aufgrund dieser Auffassung ließe sich zwar der Grund als unzulässig zurückweisen; um einen allzu formalistischen Ansatz in diesem Verfahren zu vermeiden und angesichts der geringen Relevanz dieses Einspruchsgrunds hat die Kammer jedoch beschlossen, ihn zuzulassen und aus den nachstehenden materiellrechtlichen Gründen zurückzuweisen.

d) Hätte die Kammer diesen Einspruchsgrund für so relevant befunden, daß er der Aufrechterhaltung des Patents wahrscheinlich entgegensteht, so wäre dem Vorbringen des Patentinhabers selbstverständlich Rechnung getragen worden, der Einsprechende habe durch seinen Verzicht auf den Einspruchsgrund im Verfahren vor der Einspruchsabteilung dem Patentinhaber eine erstinstanzliche mündliche Verhandlung und Entscheidung über diese Frage verweigert, weshalb die Sache im Fall der Wiedereinführung des Einspruchsgrunds an die Vorinstanz zurückverwiesen werden solle, und zwar gegebenenfalls mit einer Kostenverteilung. In Anbetracht der unter c gemachten Ausführungen bedürfen diese Punkte jedoch keiner weiteren Prüfung.

2. Angeblich unzulässige Erweiterung – Artikel 100 c) EPÜ

3. Erfinderische Tätigkeit

4. Daher ist die Beschwerde zurückzuweisen.

5. Kosten

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Kostenverteilung wird zurückgewiesen.