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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T118302.20030217
Datum der Entscheidung: 17 Februar 2003
Aktenzeichen: T 1183/02
Anmeldenummer: 99910558.8
IPC-Klasse: H03F 3/08
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders: QinetiQ Limited
Name des Einsprechenden:
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: Eine Erwiderung auf eine Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung, die in gutem Glauben eingereichte Änderungen und Argumente enthält, hebt die Ladung nicht auf. Daher stellt die Tatsache, daß die Gültigkeit der Ladung nicht bestätigt wurde, keinen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von Regel 67 EPÜ dar (Nrn. 3 bis 8 der Entscheidungsgründe).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 109
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: wesentlicher Verfahrensmangel (verneint)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Abhilfe (verneint)
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
J 0010/84
T 0185/82
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0003/03

Sachverhalt und Anträge

I. Diese Restbeschwerde wurde der Kammer zur Entscheidung Aber die Rückzahlung der Beschwerdegebühr vorgelegt, nachdem die Prüfungsabteilung der Beschwerde abgeholfen hat, mit der ihre Zurückweisungsentscheidung in bezug auf die europäische Patentanmeldung Nr. 99 910 558 angefochten worden war (Art. 109 EPÜ und R. 67 EPÜ).

II. Bei der Anmeldung handelte es sich ursprünglich um eine internationale Anmeldung nach dem PCT, für die ein internationaler vorläufiger Prüfungsbericht (IPER) erstellt worden war, der die Grundlage für den ersten Bescheid der Prüfungsabteilung vom 20. September 2001 bildete. In ihrer Erwiderung vom 26. Oktober 2001, die am 26. November 2001 einging, reichte die Anmelderin geänderte Ansprüche und eine geänderte Beschreibung ein und wiederholte weitgehend die bereits im PCT-Verfahren vorgebrachten Argumente. Am 1. Februar 2002 lud die Prüfungsabteilung zu einer mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2002. Der Ladung beigefügt war ein begründeter Bescheid, der unter anderem eine ausführliche Erläuterung, warum der Einwand mangelnder Neuheit in bezug auf den Anspruch 1 aufrechterhalten wurde, und einen Vorschlag für einen Anspruch enthielt, der diesen Einwand ausräumen könnte. In Erwiderung auf diesen Bescheid reichte die Anmelderin am 19. Februar 2002 unter anderem einen neugefaßten Anspruch 1 ein. Ihr Begleitschreiben, in dem die Neufassung begründet wurde, enthielt folgenden Satz: “Die Anmelderin wäre dankbar, wenn der Prüfer bestätigen könnte, daß eine mündliche Verhandlung jetzt nicht mehr erforderlich ist.”

III. Am 23. Mai 2002 fand die mündliche Verhandlung wie anberaumt statt. Die Anmelderin war nicht vertreten. Der Vorsitzende der Prüfungsabteilung bemerkte unter anderem, daß der Gegenstand des neugefaßten Anspruchs 1 aus den Gründen nicht neu sei, die in dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid genannt seien. Nachdem er die Zustimmung der anderen Mitglieder der Prüfungsabteilung eingeholt hatte, gab er die Entscheidung der Prüfungsabteilung bekannt, daß die Anmeldung zurückgewiesen werde. Die begründete Zurückweisungsentscheidung wurde am 2. Juli 2002 zur Post gegeben.

IV. Am 13. August 2002 legte die Anmelderin (nunmehr Beschwerdeführerin) Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, und in der am 4. Oktober 2002 eingereichten Beschwerdebegründung beantragte sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr (R. 67 EPÜ). Wie unter Nummer I angeführt, hob die Prüfungsabteilung ihre Zurückweisungsentscheidung auf (Art. 109 (1) EPÜ, erster Satz), ordnete aber nicht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr an.

V. Die Begründung der Beschwerdeführerin für ihren Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist nachstehend in vollem Wortlaut wiedergegeben:

“6. Außerdem beantragt die Anmelderin die Rückzahlung der Beschwerdegebühr, da die Beschwerde notwendig wurde, weil es die Prüfungsabteilung unterlassen hat, Fehler mitzuteilen, den Grundsatz von Treu und Glauben anzuwenden und auf das Schreiben der Anmelderin zu antworten – all dies unter anderem entgegen den Entscheidungen T 185/82 “Posso” und J 10/84 “Texas”. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das Schreiben der Anmelderin vom 19. Februar 2002 in Erwiderung auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2002 verfaßt wurde und die Anmelderin der Auffassung war, daß damit alle offenen Fragen geklärt seien und keine mündliche Verhandlung erforderlich sei. Der Anmelderin ist durchaus bewußt, daß die Prüfungsabteilung unter Umständen nicht alle Fragen für geklärt hielt, möchte aber höflichst darauf hinweisen, daß die Prüfungsabteilung in diesem Fall gemäß den Entscheidungen T 185/82 und J 10/84 die Anmelderin in einer kurzen Mitteilung, einer E-Mail oder einem Telefonat darüber hätte unterrichten sollen.

7. Die Anmelderin hat die Prüfungsabteilung in ihrem Schreiben ausdrücklich um eine Bestätigung gebeten, daß die mündliche Verhandlung nunmehr nicht stattfinde, darauf aber keine Antwort erhalten. Nach Auffassung der Anmelderin geht insbesondere aus J 10/84 “Texas” hervor, daß das Europäische Patentamt verpflichtet ist, auf Anträge von Beteiligten zu reagieren, und daß Schreiben von Anmeldern nicht unbeantwortet bleiben dürfen.

8. Die Anmelderin war sehr überrascht über die Äußerung der Prüfungsabteilung, daß das Schreiben der Anmelderin vom 19. Februar 2002 “der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung diente” – siehe Nr. 5 des Abschnitts “Sachverhalt und Anträge” der Entscheidungsgründe (Anlage); sie lag dem Schreiben der Prüfungsabteilung vom 2. Juli 2002 bei. Diese Äußerung der Prüfungsabteilung ist nur schwer nachzuvollziehen – es sei denn, es liegt ein Versehen vor -, denn das Schreiben der Anmelderin vom 19. Februar 2002 enthielt am Ende von Absatz 3 folgenden Satz: “Die Anmelderin wäre dankbar, wenn der Prüfer bestätigen könnte, daß eine mündliche Verhandlung jetzt nicht mehr erforderlich ist.” Dies paßt nicht zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung.

9. Die Anmelderin hat die Aufhebung einer mündlichen Verhandlung in Zusammenhang mit einer anderen europäischen Patentanmeldung (Nr. 92 924 837.5, Aktenzeichen des Anmelders: P2069EPW) erlebt, die ebenfalls auf dem Gebiet der Elektronik lag. Zu dieser Anmeldung hatte die Anmelderin nach einer Ladung zur mündlichen Verhandlung Änderungen eingereicht. Damals wurde die mündliche Verhandlung aufgehoben; allerdings erfuhr die Anmelderin dies erst, als sie das Europäische Patentamt anrief; später bestätigte sie den Inhalt des Telefonats in einem Schreiben an das Europäische Patentamt. Daher war die Anmelderin der Meinung, daß die Prüfungsabteilung die Aufhebung einer mündlichen Verhandlung nur auf ausdrücklichen Antrag eines Anmelders hin mitteilt.

10. Im vorliegenden Fall wandte sich der Anwalt der Anmelderin nach Eingang der Entscheidung über die Zurückweisung dieser europäischen Patentanmeldung telefonisch an die Prüfungsabteilung. Der Anmelderin wurde mitgeteilt, daß es Praxis der Prüfungsabteilung sei, Anmelder nur über die Aufhebung einer mündlichen Verhandlung zu unterrichten und nicht darüber, daß sie nicht aufgehoben werde, auch wenn dies vom Anmelder offenbar beantragt wurde. Dies erscheint unlogisch: Wenn nämlich die Aufhebung einer mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt wird, hat dies nicht den Verlust einer Patentanmeldung zur Folge; dagegen tritt dieser Verlust ein, wenn nicht mitgeteilt wird, daß eine Verhandlung nicht aufgehoben wird.

11. Die Anmelderin beantragt eine mündliche Verhandlung für den Fall, daß das Europäische Patentamt diese Beschwerde zurückzuweisen beabsichtigt.”

VI. In einer begründeten Mitteilung, die der Ladung zur mündlichen Verhandlung beilag, vertrat die Kammer die vorläufige Auffassung, daß es im vorliegenden Fall keine Grundlage für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr zu geben scheine.

VII. Mit Schreiben vom 24. Januar 2003 teilte die Beschwerdeführerin der Kammer mit, daß sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde; daraufhin hob die Kammer die Verhandlung auf.

VIII. Nachdem die Prüfungsabteilung der Beschwerde abgeholfen hat, beantragt die Beschwerdeführerin die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Regel 67 EPÜ sieht unter anderem vor, daß die Rückzahlung der Beschwerdegebühr angeordnet wird, wenn der Beschwerde abgeholfen wird und “die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht”.

3. Die Beschwerdeführerin bringt vor, daß die Unterlassung der Prüfungsabteilung, auf die Erklärung im Schreiben der Beschwerdeführerin vom 19. Februar 2002 zu antworten, wonach sie “dankbar wäre, wenn der Prüfer bestätigen könnte, daß eine mündliche Verhandlung jetzt nicht mehr erforderlich sei”, einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der Regel 67 EPÜ darstelle.

4. Nach Auffassung der Kammer zeugte diese Erklärung von der Auffassung der Anmelderin, daß alle offenen Fragen auch ohne eine mündliche Verhandlung geklärt seien, und ist zugleich ein Antrag an die Prüfungsabteilung, ihre Zustimmung zu den Änderungen und Argumenten der Anmelderin dadurch zu signalisieren, daß sie die mündliche Verhandlung aufhebe.

5. Die Kammer ist der Meinung, daß bei einem derart formulierten Antrag angesichts des gewählten Wortlauts, der verfahrensrechtlichen Normen und auch des gesunden Menschenverstands stillschweigend davon auszugehen ist, daß die mündliche Verhandlung stattfinden wird, falls die Prüfungsabteilung von den Argumenten der Anmelderin nicht überzeugt ist.

6. Ob es von guter Verwaltungspraxis der Prüfungsabteilung zeugen würde, wenn diese ihre Ablehnung der Argumente der Anmelderin dadurch signalisierte, daß sie die planmäßige Abhaltung der mündlichen Verhandlung bestätigte, ist fraglich, muß von der Kammer aber nicht beurteilt werden. Die Kammer hat lediglich zu entscheiden, ob die Anmelderin einen verfahrensrechtlichen Anspruch auf eine solche Bestätigung hatte, so daß deren Unterlassung einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der Regel 67 EPÜ darstellen würde.

7. Die Beschwerdeführerin bringt in Nummer 10 der Beschwerdebegründung vor, daß die Prüfungsabteilung verpflichtet sei, eine solche Bestätigung zu erlassen, weil es zum Verlust der Patentanmeldung führen könnte, wenn nicht mitgeteilt werde, daß eine mündliche Verhandlung nicht aufgehoben werde. Dieses Argument scheint auf der Annahme zu beruhen, daß eine Erwiderung auf eine Ladung zur mündlichen Verhandlung, die in gutem Glauben eingereichte Änderungen und Argumente enthält, die ursprüngliche Ladung aufhebe, die dann entweder storniert oder durch eine nochmalige Ladung (Mitteilung über die nicht erfolgte Aufhebung) bestätigt werden müsse, um das Risiko auszuschließen, daß die Anmelderin ihre Anmeldung infolge der ohne sie abgehaltenen mündlichen Verhandlung verliert.

8. Die Kammer ist nicht davon überzeugt, daß es für eine solche Annahme eine Rechtsgrundlage gibt.

9. Was die Entscheidungen T 185/82 (“Posso”, ABl. EPA 1984, 174) und J 10/84 (“Texas”, ABl. EPA 1985, 71) anbelangt, auf die sich die Beschwerdeführerin beruft, so ist anzumerken, daß die Kammer in J 10/84 die Rückzahlung der Beschwerdegebühr abgelehnt hat, weil sie keinen wesentlichen Verfahrensmangel feststellen konnte, und in T 185/82 entschieden hat, daß die Prüfungsabteilung einen wesentlichen Verfahrensmangel beging, weil sie einen offensichtlichen sachlichen Fehler der Anmelderin in einem Argument zur erfinderischen Tätigkeit nutzte, um die Anmeldung zurückzuweisen. Nach Auffassung der Kammer stützt keine dieser Entscheidungen das Vorbringen der Beschwerdeführerin.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Restbeschwerde bezüglich der Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.