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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T108099.20011031
Datum der Entscheidung: 31 October 2001
Aktenzeichen: T 1080/99
Anmeldenummer: 94307386.6
IPC-Klasse: G06F 3/033
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders: TEKTRONIX, INC.
Name des Einsprechenden: Mannesmann VDO AG
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: I. Stellt eine Kammer fast drei Monate vor einer anberaumten mündlichen Verhandlung in einem Schreiben fest, daß der Antrag eines Beteiligten auf Verlegung der mündlichen Verhandlung zwar dem Erfordernis genügt, wonach ein solcher Antrag so bald wie möglich nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung ergehen muß, nicht aber den übrigen in der “Mitteilung der Vizepräsidenten Generaldirektionen 2 und 3 vom 1. September 2000 über mündliche Verhandlungen vor dem EPA”, ABl. EPA 2000, 456 angeführten Erfordernissen, und bemüht sich dieser Beteiligte nicht darum, seinen ursprünglichen Antrag möglichst rasch zu ergänzen, sondern reagiert er statt dessen erst eine Woche vor der anberaumten mündlichen Verhandlung auf das Schreiben der Kammer, so ist davon auszugehen, daß die zusätzlichen Gründe und Beweismittel für den Antrag auf Verlegung und auf Anberaumung eines neuen Termins für die mündliche Verhandlung zu spät eingegangen und somit nicht akzeptabel sind (s. Nrn. 2.1 bis 2.3 der Entscheidungsgründe).
II. Eine japanische Patentzusammenfassung in englischer Sprache (“Patent Abstracts of Japan”) ist angesichts ihrer Rechtsnatur und ihres beabsichtigten Zwecks wie jede Art von technischer Zusammenfassung oder Inhaltsangabe eine Veröffentlichung, die den technischen Gehalt der entsprechenden japanischen Patentanmeldung zum Zwecke einer raschen Prima-facie-Unterrichtung der Öffentlichkeit wiedergeben soll.
Der Inhalt solcher Zusammenfassungen muß daher im Lichte des Originaldokuments – sofern dieses vorliegt – ausgelegt und möglicherweise neu bewertet werden. Scheint eine Zusammenfassung dem Originaldokument etwas hinzuzufügen, so deutet dies auf einen Fehler in der Zusammenfassung oder zumindest auf einen Fehler bei ihrer Auslegung hin (s. Nr. 4.6 der Entscheidungsgründe).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 23(3)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 85
Schlagwörter: Antrag auf Verlegung einer mündlichen Verhandlung (abgelehnt)
Patent Abstracts of Japan’ als Stand der Technik
erfinderische Tätigkeit (verneint)
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
T 0077/87
T 0412/91
T 0160/92
T 0333/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0606/06
T 0382/07
T 1011/09
T 0028/13

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückweisen, weil der gemäß den Artikeln 100 (a), 52 (1) und 56 EPÜ vorgebrachte Einspruchsgrund – mangelnde erfinderische Tätigkeit – der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegenstand.

II. Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

“Verfahren zur Berührungssteuerung der Position des Cursors (32) bzw. der Schreibmarke auf einer Anzeigevorrichtung (30) mit einem Tast-Bildschirm (26) bzw. einem Sensor-Bildschirm, wobei das Verfahren die folgenden Schritte umfaßt:

Feststellen von einem ersten Berührungspunkt (1) durch einen Zeiger (34) auf dem Tast-Bildschirm (26), ob sich ein Cursor (32) am ersten Berührungspunkt befindet; und wenn sich der Cursor an dem ersten Berührungspunkt befindet, Aktualisieren der Cursorposition, während sich der Zeiger bei gegebenem Kontakt von dem ersten Berührungspunkt über den Tast-Bildschirm bewegt, so daß die Position während der Bewegung einem momentanen Berührungspunkt entspricht, so daß es den Anschein hat, als ob sich der Cursor auf der Anzeigevorrichtung mit dem Zeiger bewegt.”

III. In der Entscheidung wurden unter anderem folgende Druckschriften angeführt:

D1: JP-A-01 125612 und eine vom EPA zur Verfügung gestellte englische Übersetzung

D1a: “Patent Abstracts of Japan”, Band 13, Nr. 368 (P-919), 16. August 1989, die der Druckschrift D1 entsprechende Zusammenfassung

D2: RESEARCH DISCLOSURE, April 1990, 31240, anonym: “Dynamic Scanned Image Interface”

D4: EP-A-0 496 383

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte in der Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin verteidigte in ihrer Erwiderung das Patent und beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Beide Beteiligten beantragten hilfsweise eine mündliche Verhandlung.

V. Am 18. Juli 2001 lud die Kammer zu einer mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 2001. In einer Anlage zur Ladung vertrat die Kammer die vorläufige Auffassung, daß es zweifelhaft sei, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 eine erfinderische Tätigkeit aufweise, und zwar insbesondere in Anbetracht der Lehre der Druckschriften D1 und D2. Trotz der Argumentation der Beschwerdegegnerin, daß D2 die Bewegung bestimmter “Objekte” auf dem Bildschirm behandle und somit von der Verwendung von Cursors abhalte, sei die Kammer der Auffassung, daß solche “Objekte” dennoch Ähnlichkeiten mit Cursors aufzuweisen schienen. In diesem Zusammenhang verwies die Kammer auf ihre Entscheidung in der Sache T 333/95 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht).

VI. In einem am 26. Juli 2001 eingegangenen und von Martyn W. Molyneaux unterzeichneten Telefax beantragte die Beschwerdegegnerin, einen neuen Termin für die mündliche Verhandlung “irgendwann nach dem 19. November 2001” anzuberaumen. Unter anderem schrieb sie: “Wir bedauern, daß der Unterzeichnete in der Zeit vom 17. Oktober 2001 bis zum 19. November 2001 bereits eine Reihe fester Termine im Fernen Osten hat.”

VII. Mit Schreiben vom 3. August 2001 verwies die Kammer auf die “Mitteilung der Vizepräsidenten Generaldirektionen 2 und 3 vom 1. September 2000 über mündliche Verhandlungen vor dem EPA” im ABl. EPA 2000, 456 und erklärte, “die anberaumte mündliche Verhandlung wird nicht abgesagt”, weil “der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Verlegung der auf den 31. Oktober 2001 anberaumten mündlichen Verhandlung nach Auffassung der Kammer den im ABl. EPA 2000, 456 dargelegten Erfordernissen nicht genügt”.

VIII. Am 24. Oktober 2001 sandte die Beschwerdegegnerin ein Telefax, in dem sie folgendes vorbrachte:

“Wir können der Auffassung nicht folgen, daß die in unserem Antrag auf Verlegung genannten Gründe den im ABl. EPA 2000, 456 dargelegten Erfordernissen nicht genügen.” Insbesondere verwies sie auf Absatz 2.3 der Mitteilung der Vizepräsidenten und argumentierte, daß “eine Reihe fester Termine im Fernen Osten gewiß ein triftiger Grund für die Beantragung eines neuen Termins für die mündliche Verhandlung sein” müsse. Bei diesen Terminen handle es sich um “Geschäftstermine”, und der Unterzeichnete sei als einziger mit der vorliegenden Sache vertraut und vom Patentinhaber bevollmächtigt, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Das Schreiben war von Clifford J. Want im Auftrag von Martyn W. Molyneaux unterzeichnet, der es im Namen von Wildman, Harrold, Allen & Dixon verfaßt hatte.

Außerdem hieß es in diesem Schreiben, daß entsprechende Beweise beigefügt würden, obwohl gemäß der Mitteilung der Vizepräsidenten keine Beweise erforderlich seien. Dem Schreiben lagen Kopien von zwei Flugtickets von London (Abflug: 19. Oktober) nach Taipeh über Singapur, Phuket und Singapur sowie von Taipeh zurück nach London über Seoul, San Francisco und Chicago bei. Diese Tickets waren offenbar am 17. Oktober 2001 ausgestellt worden.

Eine Kopie des Schreibens ging auch an den Präsidenten des EPA, Herrn I. Kober.

IX. Am 26. Oktober 2001 teilte die Geschäftsstelle der Kammer den Beteiligten per Telefax folgendes mit: “Den Beteiligten wird mitgeteilt, daß die mündliche Verhandlung entsprechend unserer Ladung vom 18.7.01 am 31.10.01 stattfindet.”

X. Am 29. Oktober 2001 sandte die Beschwerdegegnerin ein Telefax an den Präsidenten des EPA, Herrn I. Kober, mit Kopie an den Vorsitzenden der mit der vorliegenden Sache befaßten Beschwerdekammer. Sie verwies auf die Mitteilung der Kammer an die Beteiligten vom 26. Oktober 2001 und erklärte, daß sie die Reaktion der Kammer für inakzeptabel halte. Da Herr Molyneaux als einziger Vertreter mit der Sache vertraut sei, beantrage sie nochmals eine Verlegung. Dieses Schreiben (Telefax) war auf dieselbe Weise und offenbar von derselben Person unterzeichnet wie das Schreiben (Telefax) der Beschwerdegegnerin vom 24. Oktober 2001.

XI. Die mündliche Verhandlung fand am 31. Oktober 2001 ohne Beteiligung der Beschwerdegegnerin statt.

Bezüglich des Antrags der Beschwerdegegnerin auf Verlegung der mündlichen Verhandlung argumentierte der Vertreter der Beschwerdeführerin, in der Mitteilung der Vizepräsidenten sei klar festgelegt, daß ein Antrag auf Änderung des Termins einer mündlichen Verhandlung substantiiert werden müsse und auch zu begründen sei, warum der an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verhinderte Vertreter nicht durch einen anderen Vertreter ersetzt werden könne. Im vorliegenden Fall habe die Beschwerdegegnerin erst 6 Tage vor der mündlichen Verhandlung versucht, ihren Antrag durch die Einreichung von Beweismitteln zu substantiieren. Offenbar sei der betreffende Vertreter zu diesem Zeitpunkt aber bereits in den Fernen Osten abgereist gewesen. Die Verlegung einer mündlichen Verhandlung in einem so späten Stadium sei jedoch nicht sinnvoll, weil die letzten Vorbereitungen der Kammer und der anderen Beteiligten für die mündliche Verhandlung unter Umständen bereits angelaufen seien. Der Vertreter der Beschwerdeführerin erklärte ferner, er versuche in Fällen, in denen er eine mündliche Verhandlung absehen könne und wisse, daß sie mit Geschäftsterminen oder privatem Urlaub kollidieren könnte, der Einspruchsabteilung oder der Kammer im voraus – vor der Anberaumung der mündlichen Verhandlung – die Termine mitzuteilen, an denen er verhindert wäre.

XII. Was die erfinderische Tätigkeit anbelangt, so argumentierte die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Kammer im wesentlichen anhand der Druckschriften D1, D1a und D2, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 keine erfinderische Tätigkeit aufweise. D4 zog sie als Nachweis dafür heran, daß bekannt sei, die genaue Position eines Zeigers auf einem Bildschirm zu bestimmen. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hatte die Beschwerdeführerin bereits vorgebracht, daß es angesichts von D1 alleine sowie durch die Kombination der Lehren von D1 und D2 oder von D1 und D1a naheliegend sei, zu der Erfindung zu gelangen. Im Verfahren vor der Kammer bezeichnete sie die Kombination der Lehren von D1a und D1 als naheliegendste Möglichkeit, zu der Erfindung zu gelangen; naheliegend sei aber auch, von D1 oder D1a alleine zu der Erfindung zu gelangen.

Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist der in D1a enthaltene Satz, mit dem die Bewegung eines Cursors auf dem Bildschirm beschrieben wird – “der Cursor kann rasch bewegt werden, indem die Cursorposition mit dem Finger auf einem berührungsempfindlichen Tastfeld verschoben wird … und der Finger … nach der Bewegung des Cursors auf die gewünschte Position losgelassen wird” -, so auszulegen, daß der Benutzer den alten Cursor berührt und ihn zum gewünschten Punkt auf dem Bildschirm verschiebt. Dies sei gewiß die einzige Auslegung, für die sich der Fachmann auf den ersten Blick entscheiden würde. Bei dieser Lesart von D1a würde der Fachmann auch sofort zu der Erfindung gelangen. Der einzige Unterschied zu der beanspruchten Erfindung bestünde dann (gemäß dem ersten kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs 1) darin, daß in D1a nicht ausdrücklich angegeben sei, daß die Position des Berührungspunkts des Fingers mit der Position des Cursors identisch sein müsse, wenn der Cursor bewegt werden solle. Daß man sich dessen vergewissern müsse, verstehe sich jedoch von selbst.

Alternativ könne in Betracht gezogen werden, daß der Fachmann die Lehren von D1a und D1 kombiniere. Die erste Ausführungsart in D1 betreffe die Menüauswahl mit Hilfe von Icons, die auf dem Bildschirm angezeigt würden. Zur Auswahl eines bestimmten Menüs müsse das gewünschte Icon auf dem Tastfeld vor dem Bildschirm gedrückt werden. Die Zentraleinheit lese dann die einschlägigen Koordinaten des Fingers auf dem Tastfeld, und das betreffende Icon werde auf dem Bildschirm hervorgehoben (“invertiert”) dargestellt, damit erkennbar sei, welches Icon ausgewählt wurde. Solange der Finger nicht vom Tastfeld entfernt werde, werde die betreffende Menüfunktion nicht ausgeführt. Wenn der Benutzer also versehentlich das falsche Icon ausgewählt habe (z. B. Menü B), könne er seinen Finger auf dem Tastfeld zum richtigen Icon (Menü C) bewegen. Er entferne seinen Finger erst dann vom Tastfeld, wenn das richtige Icon hervorgehoben sei. So habe die Hervorhebung einzelner Icons während der Bewegung des Fingers über verschiedene Icons auf dem Bildschirm bei dieser ersten Ausführungsart von D1 große Ähnlichkeit mit dem Verschieben eines Cursors. In jedem Fall sei klar, daß die Koordinaten des Fingers im Verhältnis zu den Icons überprüft würden. Durch Kombination dieses Merkmals von D1 mit dem in D1a offenbarten Verfahren würde der Fachmann somit zur Erfindung gelangen.

D1 offenbare auch eine zweite Ausführungsart, bei der es um die Bewegung eines Cursors gehe. Bei dieser Ausführungsart werde der alte Cursor gelöscht, und an der Stelle, die mit dem Finger berührt werde, werde ein neuer Cursor erzeugt. Dieser neue Cursor könne mit dem Finger zu einer gewünschten Position auf dem Bildschirm bewegt werden. Wenn der Finger vom Cursor (und vom Tastfeld) entfernt werde, ändere sich die Form des Cursors, und diese Form bleibe auf dem Bildschirm, bis das Tastfeld nochmals berührt werde. Angesichts dieser zweiten Ausführungsart in D1, so die Beschwerdeführerin, würde der Fachmann feststellen, daß es für den Benutzer nicht immer zweckmäßig wäre, wenn bei jeder Berührung des Tastfelds ein neuer Cursor erzeugt würde. Daher würde er in Erwägung ziehen, den bereits auf dem Bildschirm vorhandenen alten Cursor zu verwenden. Da die erste Ausführungsart in D1 lehre, wie die Position des Fingers auf dem Tastfeld im Verhältnis zu einem Icon auf dem Bildschirm überprüft werde, würde der Fachmann direkt zu der Erfindung gelangen.

XIII. Das schriftliche Vorbringen der Beschwerdegegnerin im Verfahren vor der Kammer läßt sich wie folgt zusammenfassen:

In D1 werde kein Suchverfahren erwähnt, mit dem sich feststellen lasse, ob sich ein Cursor am ersten Berührungspunkt befinde. Statt dessen werde für den neuen Cursor bei jeder Berührung des Bildschirms eine spezifische Marke am Berührungspunkt erzeugt. Außerdem werde der ursprüngliche Cursor gelöscht, sobald der Bildschirm (d. h. das Tastfeld) berührt werde, und nur die erzeugte Marke (die für den Cursor stehe) werde über den Bildschirm bewegt.

In der Zusammenfassung D1a von D1 sei nicht angegeben, wie die erste Cursorposition zustandekomme, d. h., ob sie durch die Berührung des Tastfelds mit dem Finger oder als Ergebnis eines bereits auf dem Bildschirm vorhandenen Cursors erzeugt werde, der vom Finger zu einer neuen Position verschoben werden müsse. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, daß sich der Fachmann beim Lesen von D1a nicht auf diese Zusammenfassung verlassen, sondern die ursprüngliche Patentanmeldung D1 zuziehen würde, weil die Zusammenfassung mehrdeutig sei. In jedem Falle offenbare D1a nicht den Schritt “Feststellen an einem ersten Berührungspunkt …”, der im vorliegenden Anspruch 1 verlangt werde.

Somit würde ein Fachmann mit keinem der beiden Dokumente zu der Erfindung gelangen. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, daß D1a auf die technische Lehre von D1 gestützt sein müsse und daher keine von D1 abweichenden Merkmale offenbaren könne.

Bezüglich D2 vertrat die Beschwerdegegnerin die Auffassung, daß sich diese Druckschrift auf ein Design-Paket beziehe, bei dem Objekte berührt und auf einem am Bildschirm angezeigten Schreibtisch verschoben werden könnten. Diese Druckschrift betreffe aber den “Versuch einer Alternative zu den Icon-Schnittstellen anderer Produkte” und würde von der Verwendung von Cursors zur Bewegung von Objekten abhalten. In dieser Anmeldung gehe es nicht um Cursors, die durch dünne Striche dargestellt seien, sondern um die Bewegung von Objekten. Auch werde nicht offenbart, wie man die Koordinaten der Objekte erhalte und das Objekt ermittle, das bewegt werden solle. Somit führe die Kombination von D2 und D1a nicht zur vorliegenden Erfindung.

XIV. Hinsichtlich der von der Einspruchsabteilung und von der Beschwerdegegnerin vertretenen Auffassung, eine japanische Zusammenfassung sei im Lichte der entsprechenden Patentanmeldung auszulegen, brachte die Beschwerdeführerin vor, daß eine japanische Zusammenfassung (“Patent Abstracts of Japan”) als ein durchaus unabhängiges Dokument zu betrachten sei. In der von der Einspruchsabteilung angeführten Sache T 77/87 habe die Kammer zwar befunden, daß eine Zusammenfassung in “Chemical Abstracts”, die mit der Offenbarung des Originaldokuments (einer DE-A-Schrift) nicht übereinstimme, anhand des Originaldokuments ausgelegt werden müsse. Die Zusammenfassung D1a betreffe aber nicht das Gebiet der Chemie, sondern sei eine in englischer Sprache veröffentlichte japanische Patentzusammenfassung, d. h. eine Zusammenfassung, die aus der veröffentlichten japanischen Patentanmeldung hervorgegangen sei. Da die japanische Sprache in Europa nicht geläufig sei und es in der Regel nicht möglich sei, sich bei Bedarf sofort die Übersetzung einer japanischen Patentanmeldung zu beschaffen, erscheine es sachgerecht, sich auf die Zusammenfassung zu verlassen. Im vorliegenden Fall hätten die meisten Fachleute die Zusammenfassung wie die Beschwerdeführerin ausgelegt. Tatsächlich lasse sich die Offenbarung der Zusammenfassung (D1a) als dritte Ausführungsart neben den beiden in der entsprechenden veröffentlichten Patentanmeldung offenbarten Ausführungsarten ansehen. Die Beschwerdeführerin räumte jedoch ein, daß eine andere Auslegung der Zusammenfassung, nämlich entsprechend der veröffentlichten Anmeldung D1, angesichts des Wortlauts von D1a möglich, aber künstlich wäre.

In der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin, diese Beschwerdekammer solle den Stellenwert japanischer Zusammenfassungen im allgemeinen und der vorliegenden Zusammenfassung D1a im besonderen als Bezugsdokumente für die Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit klären.

XV. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde entspricht den in Regel 65 (1) EPÜ aufgeführten Bestimmungen und ist somit zulässig.

2. Verfahrensfragen

Hinsichtlich des Antrags der Beschwerdegegnerin auf Anberaumung eines neuen Termins für die mündliche Verhandlung (s. Nrn. VI bis X) erachtete es die Kammer im vorliegenden Fall für zweckmäßig, auf die “Mitteilung der Vizepräsidenten Generaldirektionen 2 und 3 vom 1. September 2000 über mündliche Verhandlungen vor dem EPA” (ABl. EPA 2000, 456; nachstehend “Mitteilung” genannt) zu verweisen, die erlassen wurde, um die Verfahren vor dem EPA zu straffen und insbesondere die Effizienz der Arbeit der Beschwerdekammern zu steigern, und die den an Verlegungen interessierten Beteiligten eindeutige Richtlinien an die Hand gibt.

Gemäß Nummer 2.2 der “Mitteilung” kann einem Antrag auf Verlegung einer mündlichen Verhandlung nur stattgegeben werden, wenn

– der Beteiligte so bald wie möglich nach dem Eintreten der Gründe, aus denen er nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen kann, einen Antrag stellt,

– dem Antrag eine hinreichend substantiierte Begründung für die Verlegung beigefügt wird, und

– der Beteiligte schwerwiegende Gründe vorbringen kann, die die Verlegung rechtfertigen.

2.1 Im Schreiben vom 3. August 2001 (s. Nr. VII), d. h. fast drei Monate vor dem Termin der mündlichen Verhandlung, brachte die Kammer klar zum Ausdruck, daß der ursprüngliche Antrag der Beschwerdegegnerin vom 26. Juli 2001 (s. Nr. VI) auf Anberaumung eines neuen Termins, obwohl so bald wie möglich nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung gestellt, den Erfordernissen der “Mitteilung” nicht genügte. So ist die Kammer der Auffassung, daß die Beschwerdegegnerin in ihrem Antrag vom 26. Juli 2001 keine “schwerwiegenden Gründe” vorgebracht hat, “die die Festlegung eines neuen Termins rechtfertigen”; auch war dem Antrag keine “hinreichend substantiierte Begründung” beigefügt (s. Nr. 2.2 der “Mitteilung”). Der einzige Grund, der im Antrag vom 26. Juli 2001 angeführt war, nämlich die “Reihe fester Termine im Fernen Osten”, wurde überhaupt nicht substantiiert, weil die “Reihe von Terminen” nicht näher erläutert wurde (s. Nrn. 2.3 und 2.4 der “Mitteilung”) und ihr Zweck und/oder Charakter nicht angegeben war. Auch wurde keine Begründung gemäß Nummer 2.5 der “Mitteilung” vorgelegt, warum der verhinderte Vertreter (Herr Molyneaux) nicht durch einen anderen Vertreter im Sinne der Artikel 133 (3) bzw. 134 EPÜ ersetzt werden konnte.

Angesichts der “Mitteilung” war der ursprüngliche Antrag der Beschwerdegegnerin (vom 26. Juli 2001) auf Verlegung der mündlichen Verhandlung also nicht zulässig, so daß die Kammer diesem Antrag der Beschwerdegegnerin nicht stattgeben konnte (s. Nr. VII).

2.2 Die Kammer nimmt zur Kenntnis, daß sich die Beschwerdegegnerin – anstatt sich darum zu bemühen, ihren ursprünglichen Antrag so bald wie möglich zu ergänzen – dafür entschieden hat, auf das Schreiben der Kammer vom 3. August 2001 mit dem Schreiben (Telefax) vom 24. Oktober 2001, also nur eine Woche vor dem Termin der mündlichen Verhandlung, zu reagieren. Sie brachte vor, daß es sich bei der im ursprünglichen Antrag genannten “Reihe fester Termine im Fernen Osten” um Geschäftstermine handle. Dabei wies sie darauf hin, daß Urlaub, der vor Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung bereits fest gebucht sei, gemäß Nummer 2.3 der “Mitteilung” als schwerwiegender Grund gelte, der die Anberaumung eines neuen Termins rechtfertige. Geschäftstermine müßten “zu derselben Kategorie triftiger Gründe für die Beantragung der Änderung des Termins einer mündlichen Verhandlung gehören wie Urlaub”. Außerdem erklärte die Beschwerdegegnerin in diesem Schreiben (24. Oktober 2001), daß Herr Molyneaux als einziger mit der vorliegenden Sache vertraut und nur er vom Patentinhaber bevollmächtigt sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

Nach Erhalt des Schreibens vom 24. Oktober 2001 hatte die Kammer somit zu entscheiden, ob die zusätzlichen Gründe rechtzeitig vorgebracht wurden und/oder ob sie in bezug auf die “Mitteilung” in dem Sinne triftig waren, daß es sich um schwerwiegende sachliche Gründe handelte.

2.3 Da die zusätzlichen Gründe nur eine Woche vor der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden (das eingegangene Telefax trägt den Vermerk “Empfangszeit 24. Okt. 15:09”, die Kammer erhielt aber erst am nächsten Tag Kopien davon), waren die Vorbereitungen der Kammer für die mündliche Verhandlung bereits angelaufen. Vor einer mündlichen Verhandlung wird die Beschwerdeakte stets innerhalb der Kammer in Umlauf gegeben, und zwar üblicherweise zwei Wochen vor dem Verhandlungstermin, um die Originalunterlagen allen Kammermitgliedern zugänglich zu machen. Nach dem Umlauf verbleibt die Akte in der Regel beim Berichterstatter. Wird also ein Antrag auf Verlegung erst eine Woche vor der mündlichen Verhandlung gestellt, so liegt es auf der Hand, daß bereits Vorbereitungen angelaufen sind und eine Verlegung die Effizienz der Arbeit der Kammer beeinträchtigen und auch die Kosten des EPA erhöhen würde.

Ganz offensichtlich ist im Falle eines mehrseitigen Verfahrens auch der andere Verfahrensbeteiligte, der keine Verlegung beantragt, betroffen, wenn die mündliche Verhandlung abgesagt oder verlegt wird, und zwar nicht nur, weil die Vorbereitung der in der mündlichen Verhandlung zu klärenden technischen und rechtlichen Fragen unterbrochen wird, sondern auch weil Reisepläne storniert oder geändert und anstehende Aufgaben neu geplant werden müssen. Daraus folgt, daß solchen verspäteten Anträgen auf Verlegung nur in Ausnahmefällen stattgegeben werden darf.

Gemäß Nummer 2.2 der “Mitteilung” ist der Antrag, einen anderen Termin anzuberaumen, “so bald wie möglich nach dem Eintreten der Gründe zu stellen”, aus denen der Beteiligte an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen kann. Daher ist die Kammer der Auffassung, daß die im Schreiben (Telefax) vom 24. Oktober 2001 enthaltene zusätzliche Begründung des Antrags auf Festlegung eines neuen Termins für die mündliche Verhandlung zu spät eingegangen ist und somit nicht anerkannt werden kann.

Im vorliegenden Fall hätte sich die Beschwerdegegnerin so bald wie möglich nach dem Erhalt des negativen Bescheids der Kammer vom 3. August 2001 darum bemühen müssen, die Substantiierung ihres Antrags auf Verlegung vom 26. Juli 2001 zu verbessern.

2.4 Zum Inhalt der verspätet vorgebrachten Begründung der Beschwerdegegnerin möchte die Kammer folgendes hinzufügen:

In ihrem Schreiben vom 24. Oktober 2001 äußerte die Beschwerdegegnerin die Meinung (s. Nr. 2.2), Geschäftstermine müßten unter die Nummer 2.3 der “Mitteilung” fallen und somit – wie Urlaub – als triftiger Grund für die Verlegung einer mündlichen Verhandlung gelten.

Die Kammer ist jedoch der Auffassung, daß Geschäftstermine durch die Nummer 2.3 der “Mitteilung” nicht abgedeckt werden. Diese Nummer betrifft die durch persönliche Umstände wie schwere Erkrankung, Eheschließung oder Todesfall in der Familie sowie bereits fest gebuchten Urlaub bedingte Verhinderung, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Außerdem umfaßt sie die Verhinderung aufgrund einer Ladung zu einer mündlichen Verhandlung in einem anderen Verfahren, die dem Beteiligten vor der Ladung der Kammer zugestellt wurde, und aufgrund der Wahrnehmung zwingend vorgeschriebener staatsbürgerlicher Pflichten.

Nach Auffassung der Kammer ergeben sich alle unter der Nummer 2.3 explizit angegebenen Gründe durch Umstände, die der Beteiligte nicht zu vertreten hat. In diesem Zusammenhang ist die Kammer der Ansicht, daß auch Urlaub von solchen äußeren Umständen abhängig ist, weil ein Vertreter oder Patentanwalt in der Regel über eine bestimmte Zahl von Urlaubstagen verfügt, die er innerhalb eines Jahres nehmen “muß”. Deshalb wird davon ausgegangen, daß Urlaub nicht dem Einfluß des Beteiligten (oder in der Praxis des Büros bzw. der Kanzlei des betreffenden Patentanwalts) unterliegt und somit nichts mit der normalen Arbeit zu tun hat.

Daher ist die Kammer der Meinung, daß eine Reihe von Geschäftsterminen kein Grund ist, der unter die Nummer 2.3 der “Mitteilung” fällt, weil Geschäftstermine direkt vom Büro des Patentanwalts oder Vertreters bestimmt und geplant und in der Regel nicht durch “äußere Umstände” im Sinne der Nummer 2.3 der “Mitteilung” beeinflußt werden.

In diesem Zusammenhang könnte eine “übermäßige Arbeitsbelastung”, wie sie unter der Nummer 2.4 der “Mitteilung” angeführt ist, für die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte “Reihe von Geschäftsterminen” relevant sein. Gemäß Nummer 2.4 wird eine “übermäßige Arbeitsbelastung” aber in der Regel nicht als Grund für die Verlegung einer mündlichen Verhandlung anerkannt. Dies deckt sich mit den Überlegungen der Kammer zu Nummer 2.3 der “Mitteilung”, weil “übermäßige Arbeitsbelastung” das Ergebnis interner Planungen ist und nicht durch “äußere Umstände” bedingt wird.

2.5 Außerdem vermißt die Kammer im vorliegenden Fall eine ausreichende Substantiierung des Antrags der Beschwerdegegnerin auf Verlegung in bezug auf die Erklärung, daß die Geschäftstermine bereits fest vereinbart waren, als die Beteiligte die Ladung der Kammer vom 18. Juli 2001 erhielt. Die am 24. Oktober 2001 bei der Kammer eingegangenen “Beweismittel” konnten dies nicht belegen. Den Kopien der Flugtickets, die dem Schreiben beigefügt waren, war lediglich zu entnehmen, daß diese am 17. Oktober 2001 ausgestellt worden waren und der Vertreter, Herr Molyneaux, offenbar am 19. Oktober 2001 nach Bangkok abgereist war; diese Daten liegen rund drei Monate nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung.

2.6 Darüber hinaus nimmt die Kammer zur Kenntnis, daß die Beschwerdegegnerin nicht erläutert hat, warum Herr Molyneaux in der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht durch einen anderen Vertreter ersetzt werden konnte. Im Schreiben vom 24. Oktober 2001 erklärte sie lediglich, daß Herr Molyneaux als einziger mit der Sache vertraut sei. Eine solche Erklärung ist aber keine Begründung, denn in einer Patentanwaltskanzlei ist üblicherweise nur eine Person für eine bestimmte Sache zuständig und damit vertraut.

Der Nummer 2.5 der “Mitteilung” liegt natürlich die Annahme zugrunde, daß ein anderer Vertreter im Büro bzw. in der Kanzlei des Patentanwalts in der Regel den Fall – zumindest für die anberaumte mündliche Verhandlung – übernimmt, wenn der zuständige Vertreter an der Teilnahme verhindert ist, und der neue Vertreter dann selbstverständlich die Sache prüfen und sich mit ihr vertraut machen muß, damit er sie vor der Kammer vertreten kann. Ist ein Patentanwaltsbüro oder eine Patentanwaltskanzlei aber aus irgendeinem Grund nicht in der Lage, den zuständigen Vertreter durch einen anderen Vertreter zu ersetzen, so sollte der Grund in jedem Antrag auf Verlegung gemäß Nummer 2.5 der “Mitteilung” klar substantiiert werden.

2.7 Daher befindet die Kammer, daß die zusätzliche Begründung des Antrags der Beschwerdegegnerin auf Verlegung der anberaumten mündlichen Verhandlung (Telefax vom 24. Oktober 2001) nicht nur zu spät eingereicht wurde (s. Nr. 2.3), sondern auch unzureichend im Sinne der “Mitteilung” war.

3. Außerdem nimmt die Kammer zur Kenntnis, daß die Beschwerdegegnerin zwei Tage vor der anberaumten mündlichen Verhandlung ein Telefax an den Präsidenten des EPA gesandt hat (s. Nr. X), das in Kopie der Kammer zuging und in dem die Beschwerdegegnerin den Präsidenten ersuchte, die von der Kammer anberaumte mündliche Verhandlung zu verlegen. Da dieses Schreiben an den Präsidenten des EPA gerichtet war, ist die Kammer nicht verpflichtet, darauf zu reagieren. In Anbetracht der Tatsache, daß die Kammer eine Kopie dieses Schreibens erhalten hat, weist sie aber darauf hin, daß die Beschwerdekammern ihre Tätigkeit unabhängig wahrnehmen (s. Art. 23 (3) EPÜ) und nur dem EPÜ und seiner Ausführungsordnung unterworfen sind. Dabei sind die Beschwerdekammern an keinerlei Weisungen gebunden.

4. Stand der Technik

Wie den obigen Ausführungen zu entnehmen ist (s. Nr. XIV), ist die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall der Auffassung, daß eine englischsprachige Zusammenfassung einer japanischen Patentanmeldung (“Patent Abstracts of Japan”) unabhängig von der entsprechenden veröffentlichten Anmeldung ausgelegt werden solle. Die Zusammenfassung wäre mithin eine eigenständige Offenbarung, und zwar unabhängig davon, ob sie den Inhalt der entsprechenden Anmeldung bestätigt, von ihm abweicht oder ihm widerspricht. Daraus ergibt sich für die Beschwerdeführerin, daß eine japanische Patentzusammenfassung und die entsprechende Anmeldung kombiniert werden können, um zu belegen, daß ein Anspruch keine erfinderische Tätigkeit aufweist. Im vorliegenden Fall macht sie geltend, daß die Zusammenfassung D1a eine neue Ausführungsart hervorbringe, die in der entsprechenden veröffentlichten Patentanmeldung nicht enthalten sei. Was ihren Wortlaut für sich genommen angeht, so räumt die Kammer ein, daß eine solche Auslegung der Zusammenfassung D1a möglich ist. Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein solcher Status der Zusammenfassung als unabhängiger Stand der Technik mit ihrem beabsichtigten Zweck und mit ihrer Rechtsnatur vereinbar ist.

4.1 Die “Patent Abstracts of Japan”, die auch zum Prüfstoff des EPA gehören, sind englischsprachige Fassungen japanischer Zusammenfassungen (Kokai-Veröffentlichungen), die den Inhalt der entsprechenden japanischen Patentanmeldungen wiedergeben. Wie andere Arten von Zusammenfassungen wissenschaftlicher oder technischer Artikel sind Patentzusammenfassungen im Lichte der vollständigen Offenbarung der entsprechenden Originaldokumente zu lesen und auszulegen. Für sich genommen kann ihr Inhalt somit nur als vorläufig und prima facie akzeptabel gelten. Nach Meinung der Kammer entspricht diese Auffassung der vernünftigen Erwartung eines Fachmanns, daß bei der Anfertigung einer Zusammenfassung der vollständige Inhalt eines Dokuments zwangsläufig verkürzt und vereinfacht wird, was Probleme in bezug auf die Klarheit verursachen kann. Diese Probleme verschärfen sich natürlich, wenn die Zusammenfassung darüber hinaus in eine Fremdsprache übersetzt wird. Dies bedeutet, daß Patentzusammenfassungen – selbst wenn sie für sich genommen klar sind – nur als Prima-facie-Informationsquelle zweckmäßig sind, die die Aufmerksamkeit eines Fachmanns weckt und zur umfassenden Beurteilung ihres Inhalts auf die Offenbarung des Originaldokuments verweist, das im Zweifelsfall oder zur genauen Prüfung unabdingbar ist. Sind die Originaldokumente oder ihre Übersetzungen nicht verfügbar, muß man sich unter Umständen auf eine Zusammenfassung als isolierte Offenbarungsquelle verlassen. Kann aber anhand des Originaldokuments nachgewiesen werden, daß der Inhalt einer Zusammenfassung mit der ursprünglichen Offenbarung nicht übereinstimmt, so ist die ursprüngliche Offenbarung maßgebend, und die Zusammenfassung wird im Lichte dieser Offenbarung ausgelegt oder berichtigt.

4.2 Diese Schlußfolgerung wird durch die Rechtsnatur europäischer Patentzusammenfassungen gestützt, die nach Artikel 85 EPÜ “ausschließlich der technischen Information” dienen und “nicht für andere Zwecke, insbesondere nicht für die Bestimmung des Umfangs des begehrten Schutzes …, herangezogen werden” können. Die Kammer nimmt zur Kenntnis, daß die Bestimmungen des japanischen Patentgesetzes über japanische Zusammenfassungen den Vorschriften des EPÜ über Patentzusammenfassungen entsprechen. Somit können die “Patent Abstracts of Japan”, auch wenn sie vom JPO übersetzt und gesondert herausgegeben werden, ihrer Rechtsnatur nach nicht als unabhängig von den entsprechenden Anmeldungen gelten; sie sollen vielmehr deren Inhalt wiedergeben.

4.3 Nach Auffassung der Kammer stehen diese Feststellungen auch in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern.

In der von beiden Beteiligten angeführten Sache T 77/87 (ABl. EPA 1990, 280) erklärte die Kammer folgendes (s. Nr. 4.1.2 der Entscheidungsgründe): “Bei der Ermittlung des Stands der Technik für die Zwecke des Artikels 54 EPÜ ist das zu berücksichtigen, was dem Fachmann zugänglich gemacht worden ist. Der Fachmann ist aber an der technischen Realität interessiert.” In diesem Fall war zwar ein Merkmal der Erfindung des Streitpatents in einem “Chemical Abstract” offenbart, aber aus dem in dieser Zusammenfassung angeführten veröffentlichten Patent ergab sich, daß die Zusammenfassung fehlerhaft war. Die Kammer befand, daß das in der Zusammenfassung offenbarte Merkmal nicht zum Stand der Technik gehörte, weil “die Offenbarung der Zusammenfassung (7) anhand der Originalfassung, also der Entgegenhaltung 7′, ausgelegt werden sollte, wenn festgestellt werden soll, was technisch tatsächlich offenbart worden ist; sie sollte nicht als selbständiges Dokument isoliert betrachtet werden.” Das Originaldokument wurde als Primärquelle dessen angesehen, was als technische Lehre zugänglich gemacht wurde, während die Zusammenfassung ihrer Natur nach nur eine sekundäre, abgeleitete Quelle sei (s. Nr. 4.1.4 der Entscheidungsgründe).

4.4 Die Beschwerdeführerin brachte vor, daß sich die Entscheidung T 77/87 auf Zusammenfassungen in einer Fachzeitschrift für Chemie beziehe und daß solche Zusammenfassungen mit den amtlichen “Patent Abstracts of Japan” nicht vergleichbar seien (s. Nr. XIV). Dagegen ist die Kammer der Auffassung, daß sich der vorliegende Fall durchaus mit der Sache T 77/87 vergleichen läßt. In beiden Fällen bestehen Abweichungen zwischen der Zusammenfassung und dem Originaldokument, und in beiden Fällen gibt es einen eindeutigen Querverweis von der Zusammenfassung auf das Originaldokument. Aus der Bezeichnung des “Chemical Abstract” geht dies eindeutig hervor, und im Falle der “Patent Abstracts of Japan” ist der Querverweis auf das Originaldokument inhärent im System enthalten, weil sich jede Zusammenfassung auf die entsprechende ursprüngliche Patentanmeldung bezieht und auch darauf verweist.

In diesem Zusammenhang wird auch auf die Entscheidung T 160/92 (ABl. EPA 1995, 35) hingewiesen, in deren Leitsatz es wie folgt heißt: “Die Lehre einer vorveröffentlichten Zusammenfassung eines japanischen Patentdokuments gehört für sich genommen auch ohne das entsprechende Originaldokument prima facie zum Stand der Technik und kann als solche der Anmeldung zu Recht entgegengehalten werden, wenn nach Aktenlage nichts ihre Gültigkeit als Stand der Technik in Frage stellt.” In dieser Sache verwies die Kammer auch auf die Schlußfolgerung in T 77/87 (s. Nr. 2.5 der Entscheidungsgründe), wonach die Offenbarung einer Zusammenfassung “nicht als eigenständiges Dokument isoliert betrachtet werden darf”, sondern anhand des Originals auszulegen ist, wenn beide Dokumente zur Verfügung stehen und widersprüchliche Lehren enthalten. In der Sache T 160/92 enthielt die Akte aber nur die japanische Zusammenfassung, und nichts deutete darauf hin, daß ihre Offenbarung möglicherweise fehlerhaft war oder im Lichte der Offenbarung des Originaldokuments anders ausgelegt werden müßte. Somit gehörte die wörtliche Offenbarung der Zusammenfassung prima facie zum Stand der Technik. Die Kammer fügte hinzu, daß die Beschwerdeführerin den Beweis für das Gegenteil auf der Grundlage der Lehre des Originaldokuments hätte erbringen müssen.

4.5 Außerdem bezog sich die Beschwerdeführerin auf die Entscheidung T 412/91 (im ABl. EPA nicht veröffentlicht), in der wie folgt befunden wurde: “Ist eine Aussage [in einem Dokument des Stands der Technik] schlichtweg falsch, … so gehört sie trotz ihrer Veröffentlichung nicht zum Stand der Technik” (s. Nr. 4.6 der Entscheidungsgründe); sie könne außer acht gelassen werden. Allerdings heiße es dort auch: Wenn der fachkundige Leser eines Dokuments “nicht erkennen würde, daß die Lehre falsch ist, gehört sie zum Stand der Technik”.

Die Kammer stimmt der Aussage in T 412/91 zu, aber nur dahingehend, daß eine Lehre in der Praxis als Stand der Technik gilt, wenn nicht zu erkennen ist, daß sie falsch ist. Wird aber (anders als in T 160/92, s. Nr. 4.4) nachgewiesen, daß die englischsprachige Fassung einer japanischen Zusammenfassung mit der veröffentlichten Patentanmeldung nicht übereinstimmt, so sollte die “technische Realität” (s. T 77/87, Nr. 4.3) des Stands der Technik in der Regel anhand der veröffentlichten japanischen Patentanmeldung geklärt werden.

4.6 Somit ist eine japanische Patentzusammenfassung in englischer Sprache (“Patent Abstracts of Japan”) angesichts ihrer Rechtsnatur und ihres beabsichtigten Zwecks wie jede Art von technischer Zusammenfassung oder Übersicht eine Veröffentlichung, die den technischen Gehalt der entsprechenden japanischen Patentanmeldung zum Zwecke einer raschen Prima-facie-Unterrichtung der Öffentlichkeit wiedergeben soll. Der Inhalt solcher Zusammenfassungen muß daher im Lichte des Originaldokuments – sofern dieses vorliegt – ausgelegt und möglicherweise neu bewertet werden. Scheint eine Zusammenfassung dem Originaldokument etwas hinzuzufügen, so deutet dies auf einen Fehler in der Zusammenfassung oder zumindest auf einen Fehler bei ihrer Auslegung hin.

4.7 In diesem Zusammenhang akzeptiert die Kammer die Argumentation der Beschwerdeführerin nicht, die “Patent Abstracts of Japan” hätten wegen der Sprache der Originaldokumente einen Sonderstatus. Zwar werden diese Zusammenfassungen hergestellt, um die Öffentlichkeit außerhalb Japans über japanische Patentanmeldungen in Japan zu unterrichten. Aber auch unter diesen Umständen wird ein Fachmann, der der japanischen Sprache nicht mächtig ist, die “technische Realität” in Zweifelsfällen oder bei besonderem Interesse dadurch ermitteln, daß er die Originaldokumente übersetzen läßt.

4.8 Im vorliegenden Fall liegen das Originaldokument D1 und eine englische Übersetzung davon vor, so daß der Inhalt der Zusammenfassung D1a mit der vollständigen ursprünglichen Offenbarung verglichen werden kann. Wie auch die Beschwerdeführerin zugesteht (s. Nr. XII), beschreibt die Druckschrift D1 zwei unterschiedliche Ausführungsarten für die Steuerung eines Cursorsystems, wobei sich die erste (s. Abb. 2 bis 4 und zugehöriger Text) auf die Hervorhebung verschiedener bereits vorhandener Icons bei der Bewegung des Fingers auf dem Bildschirm von einem Icon zum nächsten und die zweite (s. Abb. 5 bis 7 und zugehöriger Text) auf die Erzeugung eines neuen Cursors an einer mit dem Finger berührten Position und die Bewegung des neuen Cursors mit dem Finger zu einer gewünschten anderen Position auf dem Bildschirm bezieht. Die Druckschrift D1 offenbart aber keine Ausführungsart, bei der ein bereits vorhandener Cursor berührt und zu einem gewünschten Punkt auf dem Bildschirm verschoben wird, wie der Druckschrift D1a alleine entnommen werden könnte. Bei einer solchen Auslegung von D1a würden Merkmale der beiden Ausführungsarten von D1 miteinander eine dritte “Ausführungsart” bilden, was von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt wurde.

Daher gelangt die Kammer zu dem Schluß, daß ein Fachmann im vorliegenden Fall die von der Beschwerdeführerin vertretene Auslegung der Zusammenfassung D1a, die von der Offenbarung des Originaldokuments D1 abweicht, insofern als irreführend betrachtet hätte, als sie dem Originaldokument etwas hinzufügt. Diese Hinzufügung gehört somit nicht zum Stand der Technik.

Selbst auf der Grundlage des Arguments der Beschwerdeführerin, daß die Zusammenfassung als unabhängige Offenbarungsquelle betrachtet werden solle, weil die betreffende japanische Anmeldung nicht verfügbar oder nicht verständlich sei, wäre es unlogisch, die “unabhängige” Zusammenfassung mit einer verfügbaren und verständlichen Fassung dieser “nicht verfügbaren” Anmeldung zu kombinieren.

5. Erfinderische Tätigkeit

Die Kammer hält D1 für den nächstliegenden Stand der Technik.

5.1 Wie von beiden Beteiligten anerkannt, unterscheidet sich die beanspruchte Erfindung von der zweiten Ausführungsart von D1 (s. Abb. 5 bis 7 und zugehöriger Text) dadurch, daß festgestellt wird, ob sich ein Cursor am ersten Berührungspunkt eines Zeigers auf dem Bildschirm befindet, und nur dann die Cursorposition bei der Bewegung des Zeigers über den Bildschirm aktualisiert wird. Dagegen wird gemäß D1 an jedem Berührungspunkt ein neuer Cursor (Marke 51) erzeugt und der bisherige Cursor 50 entfernt.

5.2 Wie im Bescheid der Kammer angeführt, läßt sich die zu lösende Aufgabe bezeichnen als “Vermeidung von Fehlern bei der Dateneingabe, wenn ein Benutzer mit einem Tastbildschirm arbeitet”, wie sie von der Einspruchsabteilung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit formuliert wurde. Der Zweck der Erfindung besteht somit darin, zu vermeiden, daß der Cursor versehentlich zu einer falschen Bildschirmposition bewegt wird. Die bloße Stellung dieser Aufgabe umfaßt noch keine erfinderische Tätigkeit. Selbstverständlich wäre es ärgerlich, wenn ein Cursor an der falschen Bildschirmposition erzeugt wird und der alte Cursor wegen einer versehentlichen Berührung des Bildschirms verlorengeht, wie dies bei der Verwendung der Anordnung von D1 der Fall sein kann.

5.3 Wie bereits angeführt (s. Nr. XIII), war die Beschwerdegegnerin der Auffassung, daß sich D2 nicht auf Cursors beziehe, die durch dünne Striche dargestellt sind, sondern auf die Bewegung großer Objekte auf einem Bildschirm mit einem Zeiger. Wie die Kammer in der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung bereits erklärt hat, besteht aber doch eine starke Ähnlichkeit zwischen der Berührung eines Cursors und seinem Verschieben auf dem Bildschirm einerseits und der Ausführung des entsprechenden Vorgangs mit Symbolen wie den in D2 ausdrücklich genannten Objekten “Telefon” und “Aktenschrank” andererseits. Außerdem können Cursors in einer Vielzahl unterschiedlicher Arten und Formen auftreten.

In diesem Zusammenhang stellt die Kammer auch fest, daß ihr in der Sache T 333/95, in der es um die europäische Patentanmeldung Nr. 88 480 023.6 ging, ein Patentanspruch vorlag, dessen Schlüsselmerkmal die “Verwendung dieser graphischen Objekte als aktueller Cursor mit Steuerung durch einen Zeiger” war. Bei den “graphischen Objekten” handelte es sich in diesem Fall um Symbole – “sogenannte “Sprites” -, die zur Erzeugung einer animierten Anzeige verwendet wurden und über den Bildschirm bewegt werden konnten. Die Kammer befand, daß das Merkmal “Verwendung dieser graphischen Objekte als aktueller Cursor” eindeutig technischen Charakter habe und daß darüber hinaus im angeführten Stand der Technik die “Verwendung eines graphischen Objekts selbst als Cursor” nicht erwähnt werde.

Somit ist davon auszugehen, daß einem Fachmann der enge Zusammenhang zwischen Cursors und “Objekten”, die auf einem Bildschirm bewegt werden, vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt war.

5.4 Daher befindet die Kammer, daß die in D2 genannten “Objekte” – wie von der Beschwerdeführerin vertreten – als Cursors oder zumindest als Cursors sehr ähnlich in bezug auf Verwendung und “Verhalten” betrachtet würden.

Bei der Anordnung gemäß D2 müssen die verschiedenen “Objekte” gekennzeichnet werden, die auf irgendeine Weise am Bildschirm angezeigt werden, so wie bei der vorliegenden Erfindung der Cursor gekennzeichnet wird, weil es auch bei D2 wichtig ist, zu überprüfen, daß der Zeiger richtig auf dem “Objekt” positioniert ist. Nur wenn sich das “Objekt” am Berührungspunkt des Zeigers befindet, kann der Bewegungsvorgang beginnen. Trifft der Zeiger das “Objekt” nicht oder trifft er ein falsches “Objekt”, dann bewegt sich das gewünschte “Objekt” nicht. Somit muß die vorliegende Erfindung auf Überlegungen basieren, die bereits in D2 angestellt wurden.

5.5 Die Kammer ist daher der Auffassung, daß der Fachmann ohne weiteres zu der Erfindung gelangen würde. Ausgehend von der in D1 offenbarten zweiten Ausführungsart und angesichts der Aufgabenstellung wäre es naheliegend, die in D2 offenbarten Verfahren anzuwenden und so zu der Erfindung zu gelangen.

5.6 Außerdem stimmt die Kammer mit der Beschwerdeführerin darin überein, daß wohl auch die erste Ausführungsart von D1 (in Verbindung mit der zweiten Ausführungsart von D1) den Fachmann zu der Erfindung führt, weil sie folgende Lehre enthält: Bei korrektem Berühren der Position eines “Objekts” – eines als Schaltfläche verwendeten Icons – wird das “Objekt” hervorgehoben, d. h. anhand eines ersten Berührungspunkts wird festgestellt, ob sich an diesem Punkt ein “Objekt” befindet, und nur dann wird ein weiterer Schritt durchgeführt (Ausführung des hervorgehobenen Icons, wenn der Zeiger entfernt wird, oder Verschiebung der Hervorhebung auf ein anderes Icon, wenn der Zeiger auf dem Bildschirm zu diesem anderen Icon bewegt wird).

5.7 Daher befindet die Kammer, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents den Erfordernissen der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ nicht genügt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.