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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:T114997.19990507
Datum der Entscheidung: 07 Mai 1999
Aktenzeichen: T 1149/97
Anmeldenummer: 88301957.2
IPC-Klasse: G01N 9/00
G01N 11/16
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: Wandler für Flüssigkeiten
Name des Anmelders: Solartron Group Limited
Name des Einsprechenden: Endress + Hauser GmbH + Co.
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: I. Liegt kein Einspruch vor, so bildet der Erlaß des Beschlusses über die Erteilung eines europäischen Patents normalerweise eine Zäsur für die Vornahme von Änderungen an den Anmeldungsunterlagen im europäischen Verfahren. Ist ein Einspruch eingelegt worden, so kann eine Zäsurwirkung aufgrund der Erteilung eines Patents in den Beschränkungen gesehen werden, die nach den Regeln 57a und 87 und Artikel 123 (3) EPÜ für weitere Änderungen der Patentschrift gelten.
II. Obwohl sich Artikel 123 (3) EPÜ nur auf die Ansprüche des europäischen Patents bezieht, können Änderungen an der Beschreibung und den Zeichnungen auch den Schutzbereich nach Artikel 69 (1) EPÜ erweitern.
III. Sind die Anmeldungsunterlagen im Hinblick auf Artikel 84 und 69 EPÜ vor der Erteilung an geänderte Ansprüche angepaßt worden und wurde dabei ein Teil des ursprünglich offenbarten Gegenstands gestrichen, um Übereinstimmungsmängel in der Patentschrift zu vermeiden, so kann der aus diesem Grund gestrichene Gegenstand in der Regel weder erneut in die Patentschrift noch in die Ansprüche in der erteilten Fassung aufgenommen werden, ohne daß ein Verstoß gegen Artikel 123 (3) EPÜ vorliegt. Dies gilt analog für einen Gegenstand, der bei einer solchen Anpassung nur aus Gründen der Verständlichkeit und mit dem Hinweis darauf in der Patentschrift beibehalten wurde, daß er sich nicht auf die beanspruchte Erfindung bezieht (s. Nr. 6 der Entscheidungsgründe).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 69(1)
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
European Patent Convention 1973 R 57a
Schlagwörter: Neuheit – Hauptantrag und Hilfsanträge 2 und 3 (verneint)
Erfinderische Tätigkeit – Hilfsantrag 1 (verneint) – Hilfsantrag 6 (bejaht)
Änderungen – Hilfsanträge 4 und 5 (unzulässig): Zäsurwirkung nach Artikel 123 (3) EPÜ durch Erteilung eines Patents
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/84
G 0002/88
G 0001/93
G 0007/93
T 0061/85
T 0064/85
T 0420/86
T 0673/89
T 0784/89
T 0187/91
T 0977/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0037/99
T 0274/00
T 0268/02
T 0684/02
T 0081/03
T 0975/03
T 0012/05
T 0142/05
T 0402/05
T 0513/05
T 1481/05
T 1887/06
T 0364/08
T 2220/14
T 1477/15

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 0 282 251 widerrufen wurde, Beschwerde ein.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hatte aufgrund von Artikel 100 a) EPÜ Einspruch gegen das Patent im gesamten Umfang eingelegt, weil der Gegenstand des Streitpatents keine Neuheit und/oder erfinderische Tätigkeit aufweise. Der Einspruch stützte sich unter anderem auf die folgenden Druckschriften (unter Verwendung der Bezeichnungsweise der Einspruchsabteilung):

A: DE-C-17 73 815 und

B: DE-C-33 36 991.

Die Einspruchsabteilung vertrat die Auffassung, daß die in Artikel 100 a) EPÜ erwähnten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des angefochtenen Patents insoweit entgegenstünden, als der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung gegenüber dem in der Druckschrift B offenbarten Stand der Technik nicht neu sei. Der gemäß einem Hilfsantrag geänderte Anspruch 1 verstoße gegen Artikel 123 (2) EPÜ und sei aus diesem Grunde nicht gewährbar.

II. In der Mitteilung vom 10. Februar 1999 nach Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern führte die Kammer aus, daß nach ihrer vorläufigen Auffassung der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung durch den in der Druckschrift B offenbarten Fluidwandler vorweggenommen werde, da unter den Begriff “Joch” auch das Einschraubstück gemäß Druckschrift B falle, das ebenfalls einen “Hohlraum” aufweise. Darüber hinaus habe die Kammer erhebliche Zweifel, ob die Änderungen des Anspruchs 1 gemäß den von der Beschwerdeführerin zusammen mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Hilfsanträgen den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ entsprächen. Insbesondere lasse sich eine Anordnung, die nur in einem von zwei Hohlräumen ein Erregungsmittel aufweise, wobei der andere Hohlraum leer sei oder ein Sensorelement enthalte, nicht unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen ableiten.

III. Die von der Beschwerdeführerin hilfsweise beantragte mündliche Verhandlung fand am 7. Mai 1999 statt. Während dieser Verhandlung bezog sich die Beschwerdeführerin auf einen Artikel in

The Marconi Review, Vol. XLIII, Nr. 218, 1980, Seiten 156 bis 175,

den bereits die Prüfungsabteilung als Druckschrift D1 angezogen hatte und der im Streitpatent gewürdigt worden war. Am Ende der mündlichen Verhandlung erging die Entscheidung der Kammer.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags (Patent in der erteilten Fassung) oder der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsanträge 1 bis 6.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

VI. Anspruch 1 hat gemäß den zum Zeitpunkt dieser Entscheidung vorliegenden Anträgen folgenden Wortlaut:

Hauptantrag

“1. Ein Fluidwandler, umfassend:

ein Sensorelement (10), das für das Eintauchen in ein Fluid ausgebildet ist und ein Paar Zinken (834, 835; oder 845, 846) umfaßt, die sich in Axialrichtung von einem gemeinsamen Joch (836 oder 842) erstrecken, über dieses miteinander gekoppelt sind und zu Resonanzschwingungen bei gleicher Frequenz, jedoch in Gegenphase, anregbar sind;

ein piezoelektrisches Mittel (830; oder 840, 841), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erregung solcher resonanter gegenphasiger Vibrationen der Zinken; und ein weiteres piezoelektrisches Mittel (20 oder 48), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erfassung der Vibrationsfrequenz;

dadurch gekennzeichnet, daß das Erregungsmittel (830; oder 840, 841) unter axialer Kompression in einem Hohlraum (831; oder 850, 851) in dem Joch (836 oder 842) in einem Bereich desselben dicht an dem Punkt angebracht ist, wo die innere Seite (832 oder 833; oder 843 oder 844) einer der Zinken (834 oder 835; oder 845 oder 846) auf das Joch trifft.”

Hilfsantrag 1

Hilfsantrag 2

Hilfsantrag 3

“1. Ein Fluidwandler, umfassend:

ein Sensorelement (10), das für das Eintauchen in ein Fluid ausgebildet ist und ein Paar Zinken (834, 835; oder 845, 846) umfaßt, die sich in Axialrichtung von einem gemeinsamen Joch (836 oder 842) erstrecken, über dieses miteinander gekoppelt sind und zu Resonanzschwingungen bei gleicher Frequenz, jedoch in Gegenphase, anregbar sind; ein piezoelektrisches Mittel (830; oder 840, 841), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erregung solcher resonanter gegenphasiger Vibrationen der Zinken; und ein weiteres piezoelektrisches Mittel (20 oder 48), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erfassung der Vibrationsfrequenz;

dadurch gekennzeichnet, daß das Erregungsmittel (830; oder 840, 841) unter axialer Kompression in einem abgeschlossenen Hohlraum (831; oder 850, 851) in dem Joch (836 oder 842) in einem Bereich desselben dicht an dem Punkt angebracht ist, wo die innere Seite (832 oder 833; oder 843 oder 844) einer der Zinken (834 oder 835; oder 845 oder 846) auf das Joch trifft.”

Hilfsantrag 4

“1. Ein Fluidwandler, umfassend:

ein Sensorelement (10), das für das Eintauchen in ein Fluid ausgebildet ist und ein Paar Zinken (845, 846) umfaßt, die sich in Axialrichtung von einem gemeinsamen Joch (842) erstrecken, über dieses miteinander gekoppelt sind und zu Resonanzschwingungen bei gleicher Frequenz, jedoch in Gegenphase, anregbar sind;

ein piezoelektrisches Mittel (840, 841), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erregung solcher resonanter gegenphasiger Vibrationen der Zinken; und ein weiteres piezoelektrisches Mittel (20 oder 48), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erfassung der Vibrationsfrequenz;

dadurch gekennzeichnet, daß das Joch zwei Hohlräume (850, 851) aufweist, wobei das Erregungsmittel (840, 841) unter axialer Kompression in mindestens einem der Hohlräume (850, 851) in dem Joch (842) in einem Bereich desselben dicht an dem Punkt montiert ist, wo die innere Seite (843 oder 844) einer der Zinken (845 oder 846) auf das Joch trifft.”

Hilfsantrag 5

“1. Ein Fluidwandler, umfassend:

ein Sensorelement (10), das für das Eintauchen in ein Fluid ausgebildet ist und ein Paar Zinken (845, 846) umfaßt, die sich in Axialrichtung von einem gemeinsamen Joch (836 oder 842) erstrecken, über dieses miteinander gekoppelt sind und zu Resonanzschwingungen bei gleicher Frequenz, jedoch in Gegenphase, anregbar sind;

ein piezoelektrisches Mittel (840, 841), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erregung solcher resonanter gegenphasiger Vibrationen der Zinken; und ein weiteres piezoelektrisches Mittel (20 oder 48), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erfassung der Vibrationsfrequenz;

dadurch gekennzeichnet, daß das Joch zwei Hohlräume aufweist, wobei das Erregungsmittel (840, 841) und das Erfassungsmittel unter axialer Kompression in den Hohlräumen (850, 851) in dem Joch (836 oder 842) in einem Bereich desselben dicht an dem Punkt angebracht sind, wo die innere Seite (843 oder 844) einer der Zinken (845 oder 846) auf das Joch trifft.”

Hilfsantrag 6

“1. Ein Fluidwandler, umfassend:

ein Sensorelement (10), das für das Eintauchen in ein Fluid ausgebildet ist und ein Paar Zinken (845, 846) umfaßt, die sich in Axialrichtung von einem gemeinsamen Joch (842) erstrecken, über dieses miteinander gekoppelt sind und zu Resonanzschwingungen bei gleicher Frequenz, jedoch in Gegenphase, anregbar sind; ein piezoelektrisches Mittel (840, 841), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erregung solcher resonanter gegenphasiger Vibrationen der Zinken; und ein weiteres piezoelektrisches Mittel (20 oder 48), das innerhalb des Sensorelements angebracht ist für die Erfassung der Vibrationsfrequenz;

dadurch gekennzeichnet, daß das Joch zwei Hohlräume hat, wobei das piezoelektrische Erregungsmittel (840, 841) zwei piezoelektrische Elemente aufweist, die unter axialer Kompression in den jeweiligen Hohlräumen (850, 851) in dem Joch (842) in einem Bereich desselben dicht an dem Punkt angebracht sind, wo die innere Seite (843 oder 844) einer der Zinken (845 oder 846) auf das Joch trifft.”

VII. Die Beschwerdeführerin trug zur Stützung ihrer Anträge sinngemäß folgendes vor:

Hauptantrag

Hilfsantrag 3

Die genauere Angabe “abgeschlossener Hohlraum” gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 basiere auf Spalte 10, Zeilen 1 bis 4 der genannten A-Schrift [des Streitpatents] und werde durch die Abbildungen 8 und 9 des Streitpatents veranschaulicht. Sie solle sich auf eine Anordnung beziehen, in der das piezoelektrische Element in dem Hohlraum eingeschlossen sei. Auch wenn einige Passagen der ursprünglichen Beschreibung in der Patentschrift nicht beibehalten worden seien, habe ein Patentinhaber das Recht, ursprünglich offenbarte einschränkende Merkmale nach der Erteilung in die Patentansprüche aufzunehmen. Da elektrische Leitungen durch das beanspruchte Gehäuse geführt werden müßten, ginge der Fachmann davon aus, daß der Hohlraum “im wesentlichen” abgeschlossen sei.

Hilfsanträge 4 und 5

In bezug auf die Zulässigkeit des beanspruchten Gegenstands gemäß der Hilfsanträge 4 und 5 werde auf die Entscheidung T 187/91 verwiesen, derzufolge ein spezifisches Beispiel innerhalb einer generischen Offenbarung in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung enthalten sei, wenn der fachkundige Leser das spezifische Beispiel ernsthaft als mögliche praktische Ausführungsart der beschriebenen Erfindung in Betracht zöge. Im vorliegenden Fall zöge der Fachmann die Erregung nur einer der Zinken ernsthaft in Betracht, weil die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 7 ein Joch mit einem oder mehreren Hohlräumen offenbarten und Spalte 2, Zeilen 13 bis 17 der A-Schrift als mögliche Alternativen ausdrücklich auf die Erregung einer einzigen Zinke und die Erfassung der Vibrationsfrequenz einer einzigen Zinke verweise. Es müsse selbstverständlich zulässig sein, zur weiteren Einschränkung der Ansprüche die ursprüngliche Offenbarung heranzuziehen. Außerdem gehörten solche Alternativen mit einer einzigen Zinke zum allgemeinen Fachwissen auf dem betreffenden technischen Gebiet. Daher müßten die vorläufig vorgenommenen Verallgemeinerungen gemäß den Hilfsanträgen 4 und 5 nach Artikel 123 (2) EPÜ als zulässig gelten.

Hilfsantrag 6

Schließlich sei der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 6 auf das Ausführungsbeispiel der Abbildung 9 des Streitpatents beschränkt und müßte gegenüber dem ermittelten Stand der Technik eindeutig patentfähig sein.

VIII. Die Beschwerdegegnerin brachte folgendes vor:

Hauptantrag

Hilfsantrag 3

Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin bestimmt nach Artikel 123 (2) EPÜ die ursprüngliche Offenbarung das Reservoir der vor der Erteilung möglichen Änderungen. Sei der Gegenstand der Anmeldung jedoch durch Streichen von Passagen aus den Anmeldungsunterlagen in der ursprünglich eingereichten Fassung eingeschränkt worden, so werde das Reservoir möglicher Änderungen nach Artikel 123 (3) EPÜ ebenfalls eingeschränkt. Die Passagen der A-Schrift, auf die sich die Beschwerdeführerin als Grundlage für die Offenbarung des Begriffs “abgeschlossener Hohlraum” gestützt habe, könnten nicht herangezogen werden, wenn versucht werde, die Ansprüche nach der Erteilung zu ändern. Als einzig verfügbare Offenbarungsquelle käme der zu Abbildung 9 des Streitpatents gehörende Text in Frage, demzufolge die Hohlräume durch Stopfen geschlossen seien. Jedoch würde eine Verallgemeinerung dieser konkreten Ausführungsart zu einer Erweiterung des Schutzbereichs über den Umfang der Patentschrift hinaus führen. Da “abgeschlossen” nicht “völlig abgeschlossen” bedeute, könnten die piezoelektrischen Elemente in der Wandlersäule 41 der Druckschrift B ebenfalls als durch die Brücke 44 und die stabförmigen Stützen im Hohlraum 14 abgeschlossen betrachtet werden.

Hilfsanträge 4 und 5

Aus denselben Überlegungen heraus sei auch der beanspruchte Gegenstand der Hilfsanträge 4 bzw. 5 nicht zulässig. Die von der Beschwerdeführerin angezogenen Passagen der A-Schrift seien im Streitpatent ersetzt oder gestrichen worden und kämen für Änderungen der Ansprüche nicht mehr in Betracht. Die Entscheidung T 187/91 beziehe sich auf eine andere Verfahrenssituation und treffe auf den vorliegenden Fall nicht zu, in dem es lediglich in bezug auf den Inhalt des Streitpatents einen Handlungsspielraum gebe. Darüber hinaus sei das Wissen eines Fachmanns für die Zulässigkeit völlig unerheblich. Andernfalls wären alle direkten Äquivalente Teil der ursprünglichen Offenbarung, was jedoch nach der ständigen Auslegung des Artikels 123 (2) EPÜ nicht der Fall sei.

Hilfsantrag 6

Es gebe keine formalen Einwände gegen den Anspruch 1 des Hilfsantrags 6. Jedoch müsse die Beschreibung sorgfältig an den Wortlaut der Ansprüche angepaßt werden, da das Patent auf das Ausführungsbeispiel der Abbildung 9 beschränkt worden sei. Insbesondere müßten die anderen Ausführungsbeispiele aus der Patentschrift gestrichen werden. Daher sollte die Sache an die erste Instanz zurückverwiesen werden, falls dem Hilfsantrag 6 stattgegeben werde.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde genügt den Bestimmungen der Regel 65 EPÜ und ist daher zulässig.

2. Hauptantrag

2.1.5 Folglich ist der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung nicht neu (Art. 54 EPÜ), und der Anspruch kann daher nicht gewährt werden.

3. Hilfsantrag 1

Daher weist der beanspruchte Gegenstand jedenfalls keine erfinderische Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ auf, und folglich kann der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht als gewährbar gelten.

4. Hilfsantrag 2

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 ist deshalb gegenüber der Druckschrift B ebenfalls nicht neu (Art. 54 EPÜ).

5. Hilfsantrag 3

5.1 Zulässigkeit der Änderungen

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich vom Anspruch 1 in der erteilten Fassung dadurch, daß “Hohlraum” durch “abgeschlossenen Hohlraum” ersetzt wurde. Es trifft zu, daß sich die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angezogene Passage der A-Schrift (Spalte 10, Zeilen 1 bis 4) auf die ursprüngliche Abbildung 10 bezieht, die vor der Erteilung gestrichen wurde.

Trotzdem wurde die genannte Passage, wonach das piezoelektrische Element in dem Joch “eingeschlossen” ist, in der Patentschrift (siehe Spalte 9, Zeilen 23 bis 26) zur Beschreibung der Abbildung 8 des Streitpatents (ursprüngliche Abbildung 11) beibehalten. Nach Auffassung der Kammer ist diese Anpassung der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen an den Wortlaut der für die Erteilung vorgesehenen Ansprüche gerechtfertigt, wenn man berücksichtigt, daß der Wandler der ursprünglichen Abbildung 11 in der A-Schrift so beschrieben wird, daß er mit Ausnahme eines ringförmigen piezoelektrischen Elements dem der Abbildung 10 ähnelt (siehe Spalte 10, Zeilen 18 bis 24 der A-Schrift). Da die übrigen Merkmale der beiden Ausführungsarten daher mehr oder weniger identisch sein dürften, ist es im vorliegenden Fall nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig, die eher summarische Beschreibung der ursprünglichen Abbildung 11 (jetzt Abbildung 8 des Streitpatents) durch den zur ursprünglichen Abbildung 10 gehörenden Text in geringfügig angepaßter Form zu ergänzen.

Darüber hinaus zeigen die Abbildungen 8 und 9 des Streitpatents, die die einzigen verbleibenden Ausführungsarten der beanspruchten Erfindung darstellen, eindeutig Anordnungen, in denen der Hohlraum “abgeschlossen” ist.

Daher erfüllt der Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 die Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ.

5.2 Neuheit

Die Tatsache, daß der “Hohlraum” des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung als “abgeschlossen” bezeichnet wird, kann jedoch dem beanspruchten Gegenstand nicht zur Neuheit gegenüber der Druckschrift B verhelfen.

Wie die Kammer den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, offenbart die Druckschrift B (siehe insbesondere Abbildung 2) bereits einen Elektronikkopf 30 mit einem Gehäuse 31, von dem ebenfalls anzunehmen ist, daß es den Hohlraum 14 des Einschraubstücks 10 im weitesten Sinne “abschließt”.

Folglich kann Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 ebenfalls nicht gewährt werden (Art. 54 EPÜ).

6. Hilfsanträge 4 und 5

6.1 Zulässigkeit der Änderungen

6.1.1. Entsprechend den Hilfsanträgen 4 und 5 wurde der Anspruch 1 in der erteilten Fassung durch die genauere Angabe geändert, daß das Joch zwei Hohlräume enthält, wobei das Erregungsmittel in mindestens einem der Hohlräume angebracht ist (Anspruch 1 des Hilfsantrags 4) oder aber das Erregungsmittel und das Erfassungsmittel in den Hohlräumen angebracht sind (Anspruch 1 des Hilfsantrags 5).

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin basieren diese Änderungen auf den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 7, die ein Joch mit mindestens einem Hohlraum offenbaren, d. h. mit einem oder mehreren Hohlräumen, und auf Spalte 2, Zeilen 13 bis 17 der A-Schrift, die die Erregung einer einzigen Zinke und/oder die Erfassung der Vibrationsfrequenz einer einzigen Zinke offenbart.

6.1.2 Die ursprünglichen Ansprüche 1 und 7 sind in der Patentschrift aber durch den Anspruch 1 in der erteilten Fassung ersetzt worden, und die vorgenannte Passage der A-Schrift wurde bei der Anpassung der Beschreibung an die geänderten Ansprüche vor der Erteilung gestrichen.

In der Patentschrift gibt es eine weitere Passage (siehe Spalte 5, Zeile 56 bis Spalte 6, Zeile 20), die so verstanden werden könnnte, daß sie sich auf die Erregung einer einzigen Zinke und/oder die Erfassung der Vibrationsfrequenz einer einzigen Zinke bezieht (siehe insbesondere Spalte 6, Zeilen 17 bis 20 des Streitpatents). Abgesehen davon, daß der Wortlaut der Passage nach Auffassung der Kammer mehrdeutig ist und z. B. auch die Konstruktionsmöglichkeiten für eine von zwei Zinken betreffen könnte, wobei die andere Zinke genauso beschaffen wäre, ist der Patentschrift zu entnehmen, daß sich die genannte Passage nicht auf die beanspruchte Erfindung, sondern auf einen Gegenstand bezieht, der in der Patentschrift ausdrücklich nur aus Gründen der Verständlichkeit des beanspruchten Gegenstands in der erteilten Fassung beibehalten wurde (siehe Spalte 2, Zeile 31 bis Spalte 3, Zeile 1 und Spalte 9, Zeilen 13 bis 18 des Streitpatents: In der ersten Passage wird zum einen zwischen “für das Verständnis der Erfindung nützlichen Beispielen” und “Ausführungsbeispielen der Erfindung” und zum anderen zwischen Vorrichtungen “der Art, auf die sich die Erfindung bezieht”, und “erfindungsgemäßen Vorrichtungen” unterschieden, während sich die letzte Passage auf die “erfindungsgemäßen” Änderungen der bisher beschriebenen Wandler bezieht).

Des weiteren hat das einzige Ausführungsbeispiel des Streitpatents, das zwei Hohlräume aufweist, d. h. das Ausführungsbeispiel der Abbildung 9, die der Abbildung 12 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen entspricht, ein piezoelektrisches Erregungselement in jedem Hohlraum, wobei das Erfassungsmittel an jeder geeigneten Stelle der Zinken oder des Jochs positioniert ist, wo es durch die Vibration der Zinken hin und her gebogen wird (siehe Spalte 9, Zeilen 40 bis 56 des Streitpatents).

6.1.3 Angesichts der Änderungen gemäß den Hilfsanträgen 4 und 5 und unter Berücksichtigung der Argumente der Beteiligten konzentriert sich die Frage der Zulässigkeit nach Artikel 123 EPÜ daher auf zwei Aspekte:

– Erstens ist zu klären, ob als Offenbarungsgrundlage für die Änderung der Ansprüche nach der Erteilung der Volltext der ursprünglichen Offenbarung gelten kann, auch wenn die angezogenen Passagen vor der Erteilung gestrichen wurden oder in der Patentschrift als nicht zur beanspruchten Erfindung gehörend dargestellt werden, und

– zweitens, ob die Ausführungsart der Abbildung 9 des Streitpatents als eine solche Grundlage dienen kann.

6.1.4 Gemäß Artikel 123 EPÜ hängt das Recht eines Patentinhabers, nach der Erteilung Änderungen vorzunehmen, von zwei Voraussetzungen ab:

– Ein europäisches Patent darf nicht in der Weise geändert werden, daß sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Art. 123 (2) EPÜ).

– Im Einspruchsverfahren dürfen die Patentansprüche des europäischen Patents nicht in der Weise geändert werden, daß der Schutzbereich erweitert wird (Art. 123 (3) EPÜ).

Die Beschwerdeführerin hat behauptet, daß beide Voraussetzungen durch die Änderungen gemäß den Hilfsanträgen 4 und 5 insoweit erfüllt seien, als in den Anspruch 1 in der erteilten Fassung weitere einschränkende Merkmale aufgenommen worden seien und diese Merkmale in den Anmeldungsunterlagen in der ursprünglich eingereichten Fassung eindeutig offenbart worden seien. Daher sei der Schutzbereich nicht erweitert und kein Gegenstand hinzugefügt worden, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.

Bei diesem formalen Argument läßt die Beschwerdeführerin außer acht, daß im vorliegenden Fall den neuen einschränkenden Merkmalen ein Gegenstand zugrunde liegt, der vor der Erteilung aus der Beschreibung gestrichen wurde oder von dem es in der Beschreibung heißt, daß er nicht mehr zu der vor der Erteilung beanspruchten Erfindung gehört; sie bestreitet also, daß solche vor der Erteilung vorgenommenen Streichungen oder Angaben sich auf die Zulässigkeit von Änderungen nach der Erteilung materiellrechtlich auswirken.

Gegen die Auffassung der Beschwerdeführerin macht die Beschwerdegegnerin geltend, daß solche Streichungen oder Angaben generell insofern materiellrechtlichen Charakter haben, als sie die ursprüngliche Offenbarung auf den in der Patentschrift beibehaltenen Gegenstand reduzieren, d. h. die Erteilung eines Patents stellt eine Zäsur dar, weil dadurch eine Wiederaufnahme des vor der Erteilung “fallengelassenen” Gegenstands verhindert wird.

6.1.5 Die Kammer kennt keine Entscheidung, die sich ausdrücklich mit der vorliegenden Frage befaßt, obwohl es sich hier nicht um einen seltenen Ausnahmefall handeln dürfte. Ihrer Ansicht nach sollte deshalb im vorliegenden Fall genauer geprüft werden, ob die Erteilung eines Patents eine Zäsurwirkung hat.

6.1.6 Es existieren nur wenige Entscheidungen über den Verzicht auf einen Gegenstand mit materiellrechtlicher Wirkung (siehe Beispiele in “Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts”, dritte Auflage, Europäisches Patentamt 1999, Kapitel VI, I-3.1.1). In diesen Entscheidungen ist es offenbar unstrittig, daß ein Verzicht in der Regel materiellrechtliche Wirkung hat, wenn ein bestimmter Gegenstand ausdrücklich aufgegeben wurde und der ursprüngliche Anspruch und dessen Grundlage in der Patentschrift vollständig gestrichen wurden (siehe z. B. T 61/85, Nr. 11 der Entscheidungsgründe und T 64/85, Nrn. 2.1 bis 2.3 der Entscheidungsgründe; beide Entscheidungen nicht im ABl. EPA veröffentlicht). In diesem Fall ist eine Wiederaufnahme des aufgegebenen Gegenstands nicht mehr möglich.

Da bei einer angeblich durch die Patenterteilung generell herbeigeführten Zäsurwirkung nicht notwendigerweise derartige ausdrückliche Verzichterklärungen auf Gegenstände vor der Erteilung abgegeben worden sind, entstünde nach Auffassung der Kammer eine Zäsur nicht unmittelbar aus einem “Verzicht” im engeren Sinne, d. h. dadurch, daß er ausdrücklich erklärt wurde, sondern nur mittelbar aufgrund der Aktenlage.

6.1.7 In der Entscheidung T 420/86 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht; siehe Nr. 4 der Entscheidungsgründe) wird unter anderem kurz der Antrag der Patentinhaberin in dem Inter-partes-Verfahren behandelt, die Streichung eines Merkmals aus dem ursprünglichen Hauptanspruch rückgängig zu machen; diese Streichung war mit Zustimmung der Prüfungsabteilung vor der Erteilung vorgenommen worden. Die Kammer befand, daß eine solche Streichung nach der Erteilung des Patents nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, weil sie einem Verzicht gleichkomme. Eine Wiederaufnahme des gestrichenen Merkmals in diesem Stadium verbiete sich demzufolge. Der Antrag müsse daher schon aus rein formalen Gründen scheitern.

Aus dieser Entscheidung läßt sich der Schluß ziehen, daß durch die Erteilung eines Patents ein Verzicht vor der Erteilung in der Regel materiellrechtliche Wirkung erlangt.

Jedoch sind in der Entscheidung T 420/86 keine Rechtsgründe für die Feststellung angegeben, daß die Streichung einem Verzicht gleichkommt, und da diese Entscheidung vor der Entscheidung G 7/93 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 1994, 775) erging, ist nicht klar, ob die damalige Feststellung auf der Annahme beruhte, daß die Zustimmung des Anmelders zu der mitgeteilten Fassung nach Regel 51 (4) EPÜ bindende Wirkung hat. In ihrer späteren Entscheidung hat die Große Beschwerdekammer eine solche Annahme mit folgender Feststellung zurückgewiesen: “Weder das Einverständnis des Anmelders mit der mitgeteilten Fassung noch der Erlaß einer Mitteilung des EPA nach Regel 51 (6) EPÜ ‘binden’ den Anmelder oder das EPA im eigentlichen Sinne des Wortes, d. h. in der Weise, daß jede spätere Änderung der Anmeldung von vornherein ausgeschlossen wäre. Entgegen der Rechtsauffassung, die der Präsident in seiner Stellungnahme vor der Großen Beschwerdekammer vertreten hat, liegt es vor Erlaß eines Erteilungsbeschlusses im Ermessen der Prüfungsabteilung, Änderungen auf Antrag des Anmelders oder von sich aus vorzunehmen” (siehe Nr. 2.1 der Entscheidungsgründe, Hervorhebung durch die Kammer).

6.1.8 Obwohl man den normalen Verfahrenserklärungen eines Anmelders nach Regel 51 EPÜ vor der Erteilung keine allgemeine Zäsurwirkung zuschreiben kann, weist die obengenannte Passage aus G 7/93 darauf hin, daß es eine verfahrenstechnische Zäsur gibt, die durch den Erlaß eines Erteilungsbeschlusses als letzter Schritt des europäischen Verfahrens zustande kommt.

Diese Schlußfolgerung steht im Einklang mit der Feststellung der Großen Beschwerdekammer in ihrer früheren Entscheidung G 1/84 (ABl. EPA 1985, 299; siehe Nr. 1 der Entscheidungsgründe) und ist in der Fachliteratur umfassend belegt (siehe M. van Empel: “The Granting of European Patents”, A. W. Sijthoff, Leyden 1975, Nr. 542; R. Schulte: “Patentgesetz”, 5. Auflage, Carl Heymanns Verlag KG, Köln 1994, § 49, Nr. 16; F. Blumer: “Formulierung und Änderung der Patentansprüche im europäischen Patentrecht”, Carl Heymanns Verlag KG, Köln 1998, Nr. 17.1.1, letzter Absatz). Sie beruht auf dem formalen Aspekt, daß die Erteilung eines Patents eine Amtshandlung darstellt, die das Ende eines Verwaltungsverfahrens bezeichnet. Diese Amtshandlung ist für die Behörde und den Anmelder bindend, der damit die Folgen akzeptiert, “d. h. er verzichtet auf weitere Ansprüche aus dieser Amtshandlung” (siehe M. van Empel, loc. cit.).

Sobald ein Erteilungsbeschluß ergangen ist, ist das europäische Prüfungsverfahren daher abgeschlossen, und seine Ergebnisse sind für den Anmelder und das EPA insoweit bindend, als keine weiteren Änderungen (abgesehen von Berichtigungen nach R. 89 EPÜ) zulässig sind. Wird kein Einspruch eingelegt, so tritt das europäische Patent normalerweise in dieser Fassung in die nationale Phase ein.

6.1.9 Wird jedoch beim EPA Einspruch eingelegt, so können am Streitpatent weitere Änderungen vorgenommen werden. Obwohl solche Änderungen nicht im allgemeinen Ermessen des Patentinhabers liegen, weil das Einspruchsverfahren keine Fortsetzung des Prüfungsverfahrens ist (siehe G 1/84, loc. cit.; Nr. 9 der Entscheidungsgründe), kann der Patentinhaber nach Regel 57a EPÜ auf die Einwände des Einsprechenden mit Änderungen der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen reagieren, sofern die Änderungen durch die in Artikel 100 EPÜ genannten Einspruchsgründe veranlaßt werden, auch wenn der Einsprechende den betreffenden Grund nicht geltend gemacht hat. Zusätzlich sind nach Regel 87 EPÜ durch ältere nationale Rechte verursachte Änderungen zulässig.

Nach Ansicht der Kammer schlagen sich in diesen Bestimmungen des EPÜ allenfalls die formalen Aspekte einer verfahrenstechnischen Zäsur nieder, die in der Einspruchsphase mit der Erteilung eines Patents einhergeht. Hier bildet die Erteilung eines Patents insoweit keine generelle Zäsur, als das Patent in unveränderter Form verteidigt werden muß. Es sind jedoch nur Änderungen als Reaktion auf tatsächliche oder mögliche Einspruchsgründe oder auf kollidierende ältere nationale Rechte zulässig. Bevor man über eine mögliche materiellrechtliche Zäsur im Einspruchsverfahren für Änderungen nach der Erteilung nachdenkt, muß man sich daher vergewissern, daß die durch die Regeln 57a und 87 EPÜ auferlegten Beschränkungen beachtet worden sind.

6.1.10 Eine solche materiellrechtliche Zäsurwirkung könnte nach Auffassung der Kammer nur auf Artikel 123 (3) EPÜ gestützt werden.

Artikel 123 (3) EPÜ bezieht sich ausdrücklich nur auf die Patentansprüche eines europäischen Patents, und diese Wortwahl könnte möglicherweise so verstanden werden, daß Änderungen an der Beschreibung und den Zeichnungen nach der Erteilung eines europäischen Patents keinerlei Einschränkungen unterliegen.

Jedoch scheint in der Fachliteratur Einvernehmen darüber zu bestehen, daß diese Vorschrift angesichts ihrer Zielsetzung und des Zusammenhangs mit Artikel 69 und 138 EPÜ breit ausgelegt werden sollte (siehe z. B. G. Paterson: “The European Patent System”, Sweet and Maxwell, London 1992, Absatz 5-40; R. Schulte: “Patentgesetz”, 5. Auflage, Carl Heymanns Verlag KG, Köln 1994, § 22, Nrn. 4 bis 9; R. Singer et al.: “The European Patent Convention”, Revised English (1995) edition, Sweet & Maxwell, London 1995, Artikel 123.10D; F. Blumer: “Formulierung und Änderung der Patentansprüche im europäischen Patentrecht”, Carl Heymanns Verlag KG, Köln 1998, Nr. 17.1.5.1).

Im Einklang mit der allgemeinen Intention des Artikels 123 (3) EPÜ sollte für Dritte, die darauf vertrauen, daß der durch ein Patent gewährte Schutz nur eingeschränkt und nicht erweitert werden kann, Rechtssicherheit bestehen. Da darüber hinaus nach Artikel 69 (1) EPÜ der Schutzbereich durch den Inhalt der Patentansprüche unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Zeichnungen bestimmt wird, ist dafür Sorge zu tragen, daß Änderungen der Beschreibung und der Zeichnungen den Schutzbereich nicht erweitern. Diese Grundsätze sind durch die Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer bestätigt worden (siehe G 2/88, ABl. EPA 1990, 93, Nr. 4 der Entscheidungsgründe und G 1/93, ABl. EPA 1994, 541, Nr. 11 der Entscheidungsgründe). Außerdem kann nach Artikel 138 (1) d) EPÜ eine Erweiterung des Schutzbereichs eines europäischen Patents nach nationalem Recht einen Nichtigkeitsgrund darstellen.

Der in Artikel 123 (3) EPÜ enthaltene Grundsatz läßt sich daher wie folgt zusammenfassen: “Wenn ein europäisches Patent erteilt worden ist, darf die Handlung eines Dritten, die das Patent in der erteilten Fassung nicht verletzen würde, infolge einer Änderung nach der Erteilung nicht zu einer Verletzungshandlung werden können” (siehe G. Paterson, loc. cit.).

6.1.11 Die Anpassung der Beschreibung und der Zeichnungen an die zu erteilende Fassung der geänderten Patentansprüche ist daher nach Artikel 84 und 69 EPÜ unbedingt notwendig, damit zwischen der beanspruchten Erfindung und ihrer Beschreibung im Hinblick auf die Stützung und den Schutzbereich Übereinstimmung hergestellt wird (siehe z. B. die Entscheidung T 977/94, nicht im ABl. EPA veröffentlicht; Nr. 6.1 der Entscheidungsgründe).

Im Verfahren vor der Erteilung werden Streichungen in der Regel deshalb vorgenommen, weil sich die gestrichenen Passagen der ursprünglichen Offenbarung auf Gegenstände beziehen, die nicht mehr der zu erteilenden Fassung der Ansprüche entsprechen, d. h. weil diese Passagen unter anderem mit dem in den Ansprüchen begehrten Schutz kollidieren würden. Ebenso wird Schutz nicht für abweichende Gegenstände begehrt, die in der Patentschrift eindeutig als nicht zur Erfindung gehörend bezeichnet sind. Eine entsprechende Anpassung der Beschreibung ist eine Alternative zu Streichungen, falls die Verständlichkeit der übrigen Gegenstände unter solchen Streichungen litte.

6.1.12 Die Wiederaufnahme von Merkmalen, die zur Vermeidung von Übereinstimmungsmängeln in der Patentschrift vor der Erteilung entweder aus den Unterlagen gestrichen oder mit dem deutlichen Hinweis versehen wurden, daß sie sich nicht mehr auf die beanspruchte Erfindung beziehen, berührt folglich in der Regel den Schutzbereich des Patents, und zwar unabhängig davon, ob diese Merkmale in die Ansprüche aufgenommen oder wieder in die Patentschrift eingeführt werden. Nach dem vorstehenden Grundsatz ist diese Folge unvermeidlich, weil ein Dritter, der sich auf den nicht unter den Schutzbereich des erteilten Patents fallenden abweichenden Gegenstand stützt, mit einer Erweiterung des Schutzbereichs infolge der Wiederaufnahme dieses Gegenstands konfrontiert und damit die Möglichkeit einer bis dahin ausgeschlossenen Patentverletzung eröffnet würde.

Daher ist eine solche Wiederaufnahme eines Gegenstands, der im Hinblick auf die Artikel 84 und 69 EPÜ zur Vermeidung von Übereinstimmungsmängeln in der Patentschrift vor der Erteilung gestrichen oder mit dem Hinweis versehen wurde, daß er sich nicht mehr auf die Erfindung bezieht, in der Regel nach Artikel 123 (3) EPÜ nach der Erteilung nicht zulässig. Infolgedessen gelangt die Kammer zu dem Schluß, daß für solche Streichungen und Hinweise vor der Erteilung insoweit von einer Zäsurwirkung ausgegangen werden muß, als sie aufgrund von Artikel 123 (3) EPÜ nach der Erteilung materiellrechtliche Wirkung erlangen.

6.1.13 Im vorliegenden Fall wurde die Anmeldung vor der Erteilung auf ein in einem Hohlraum im Joch angeordnetes Erregungsmittel beschränkt, und alle widersprüchlichen Passagen betreffend die ursprünglich offenbarte Alternative, wonach die Erregungsmittel in Hohlräumen in den Zinken angeordnet sind, wurden zu Recht aus den für die Erteilung bestimmten Unterlagen gestrichen oder – wenn die Streichung aus Gründen der Verständlichkeit nicht angebracht war – in der Patentschrift mit dem Hinweis versehen, daß sie sich nicht mehr auf die beanspruchte Erfindung beziehen. Diese Feststellung trifft insbesondere auf die Passagen zu, auf die sich die Änderungen gemäß den Hilfsanträgen 4 und 5 nach Auffassung der Beschwerdeführerin stützen müßten.

Daher ist die Kammer der Ansicht, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung – wenn er anhand der Patentschrift und der Zeichnungen ausgelegt wird (siehe Abbildungen 8 und 9, die die einzigen im erteilten Patent beibehaltenen Ausführungsarten darstellen) – vor der Erteilung auf die symmetrische Erregung beider Zinken durch das im Joch angebrachte Erregungsmittel beschränkt worden ist. Ein Fachmann würde daher nicht erwarten, daß die Erregung einer einzigen Zinke, die in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen im Zusammenhang mit in den Zinken angeordneten piezoelektrischen Elementen als eine allgemeine Möglichkeit erwähnt worden war, weiterhin durch das Streitpatent geschützt würde.

6.1.14 Obwohl der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen 4 und 5 aus Gründen der Patentfähigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ durch die Aufnahme von Merkmalen, die zwei Hohlräume in dem Joch betreffen, formal beschränkt worden ist, erweitert die Tatsache, daß die betreffenden Ansprüche die Möglichkeit der Erregung einer einzigen Zinke wiedereröffnen, gleichzeitig den Schutzbereich des angefochtenen Patents, da das erteilte Patent insgesamt eine solche Möglichkeit nicht mehr zuließ.

Der vorliegende Fall ist daher anders gelagert als die Sache T 673/89 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht; siehe Nr. 3.1.2 der Entscheidungsgründe), wo es in der Akte keinen Hinweis darauf gab, daß beabsichtigt war, eine in der Patentschrift noch enthaltene weitere Ausführungsmöglichkeit vom Schutzbereich auszuschließen.

Infolgedessen vertritt die Kammer unter Berücksichtigung der rechtlichen Wirkungen der Erteilung eines europäischen Patents nach Artikel 123 (3) EPÜ die Auffassung, daß der ursprüngliche Gegenstand, der im vorliegenden Fall in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen entweder durch Streichung oder durch eine ausdrückliche Erklärung vor der Erteilung “fallengelassen” wurde, keine Grundlage für zulässige Änderungen nach der Erteilung bietet.

6.1.15 Eine solche Grundlage ließe sich im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch nicht aus den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen ableiten. Die einzige Ausführungsart, die zwei Hohlräume im Joch offenbart, ist die in Abbildung 12 der A-Schrift dargestellte, die der Abbildung 9 des Streitpatents entspricht. In jedem der Hohlräume ist ein piezoelektrisches Erregungselement 840, 841 vorgesehen. Nach Auffassung der Kammer enthält die ursprüngliche Offenbarung keinen eindeutigen Hinweis darauf, daß bei dieser speziellen Ausführungsart ein Hohlraum leer sein oder ein piezoelektrisches Sensorelement enthalten könnte, und auch die beanspruchten Verallgemeinerungen lassen sich aus der genannten Abbildung und der dazugehörigen Beschreibung nicht herleiten.

Dies hatte selbst die Beschwerdeführerin nicht behauptet, die in diesem Zusammenhang von alternativen Konstruktionen gesprochen hatte, die für einen Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens naheliegend wären. Nach der ständigen Praxis der Beschwerdekammern ist das Naheliegen eines Merkmals aber kein Ersatz für die ursprüngliche Offenbarung.

Schließlich ist die von der Beschwerdeführerin angezogene Entscheidung T 187/91 (ABl. EPA 1994, 572) auf die hier vorliegende Situation nicht anwendbar, da sie die Zulässigkeit eines speziellen Beispiels, das unter den geoffenbarten allgemeineren Begriff fällt, behandelt, während es im vorliegenden Fall um die Zulässigkeit einer Verallgemeinerung des in den Abbildungen 12 bzw. 9 geoffenbarten speziellen Begriffs geht.

6.1.16 Daher kann den Hilfsanträgen 4 und 5 nicht stattgegeben werden (Art. 123 EPÜ).

7. Hilfsantrag 6

7.1 Zulässigkeit und Klarheit der Änderungen

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 6 wurde in bezug auf den Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung insoweit weiter eingeschränkt, als das Joch zwei Hohlräume hat und das piezoelektrische Erregungsmittel zwei in den jeweiligen Hohlräumen angebrachte piezoelektrische Elemente aufweist.

Wie vorstehend ausgeführt (siehe Nr. 6.1.2), wird ein Flüssigkeitswandler dieses Typs in Abbildung 9 und Spalte 9, Zeilen 40 bis 51 des Streitpatents offenbart, die Abbildung 12 und Spalte 10, Zeilen 32 bis 43 der Anmeldungsunterlagen in der ursprünglich eingereichten Fassung entsprechen.

Daher hat die Kammer gegen Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 keine Einwände nach den Artikeln 123 und 84 EPÜ; auch die Beschwerdegegnerin hat keine solchen Einwände erhoben.

7.2 Patentierbarkeit

7.2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 6 unterscheidet sich vom relevantesten Dokument, d. h. der Druckschrift B, durch die neu eingeführten Merkmale: Im nächstliegenden Stand der Technik gibt es nur einen “Hohlraum” 14 im “Joch” 10 (siehe Druckschrift B, Abbildung 3), in dem das piezoelektrische Erregungsmittel 65 angebracht ist (siehe Druckschrift B, Abbildung 6). Obwohl das Erregungsmittel aus zwei piezoelektrischen Elementen 59, 61 bestehen kann, sind diese elektrisch parallel und mechanisch in Reihe geschaltet, um die mechanische Verformung des freien Teils der Membran 21, die zwischen den Endflächen der Zinken 22 und 23 angeordnet ist, zu verstärken.

Auch die übrigen, weniger relevanten Dokumente des Stands der Technik offenbaren die obengenannten Merkmale nicht. Daher erfüllt der beanspruchte Gegenstand das Erfordernis der Neuheit (Art. 54 EPÜ).

7.2.2 Wie aus Abbildung 9 des Streitpatents zu ersehen ist und wie die Beschwerdeführerin dargelegt hat, ermöglicht das Vorhandensein von zwei Hohlräumen im Joch nahe bei den Zinken eine ganz andere Konstruktion des Vibrationssystems: Jede Zinke wird getrennt erregt, und es kann auf eine flexible Membran verzichtet werden, die dazu tendiert, auf Schwankungen des Außendrucks zu reagieren. Daher kann man davon ausgehen, daß die durch den beanspruchten Gegenstand gelöste technische Aufgabe in bezug auf den nächstliegenden Stand der Technik darin besteht, daß die Wirkung des Außendrucks auf die Meßgenauigkeit des Wandlers aufgehoben wird (siehe in diesem Zusammenhang auch Spalte 7, Zeilen 21 bis 30 des Streitpatents).

7.2.3 Da der verfügbare Stand der Technik über diese Aufgabe nichts aussagt und keinerlei Hinweise auf ihre Lösung gibt, ist die Kammer davon überzeugt, daß der beanspruchte Gegenstand eine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ aufweist.

7.2.4 Daher muß der gemäß Hilfsantrag 6 geänderte Anspruch 1 als gewährbar betrachtet werden.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8, die an den Wortlaut des Anspruchs 1 angepaßt worden sind und sich auf die bevorzugten Ausführungsarten des beanspruchten Gegenstands beziehen, sind ebenfalls gewährbar.

7.3 Beschreibung und Zeichnungen

Obwohl die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung auch Änderungen an der Beschreibung vorgelegt hat, hält es die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 111 (1) EPÜ bei dieser Sachlage für angebracht, den Fall zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen. Angesichts der Feststellungen unter Nummer 6 muß die Anpassung der Beschreibung und der Zeichnungen an den nunmehr beanspruchten, stärker eingeschränkten Gegenstand sorgfältig geprüft werden, damit die völlige Übereinstimmung mit dem geänderten Anspruch 1 gewährleistet ist.

In diesem Zusammenhang sollte sich die erste Instanz insbesondere mit der Frage befassen, ob die Ausführungsart der Abbildung 8 des angefochtenen Patents, die nicht mehr unter den geänderten Anspruch 1 fällt, aus der Patentschrift zu streichen oder in geänderter Form als nicht zur Erfindung gehörend beizubehalten ist.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit den folgenden Ansprüchen aufrechtzuerhalten und die Beschreibung und die Zeichnungen anzupassen:

Ansprüche 1 bis 8 gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrag 6.