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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:G000593.19940118
Datum der Entscheidung: 18 Januar 1994
Aktenzeichen: G 0005/93
Vorlageentscheidung: J 0004/93
Anmeldenummer: 90914566.6
IPC-Klasse: G01N 21/35
Verfahrenssprache: EN
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders: Nellcor
Name des Einsprechenden:
Kammer: EBA
Leitsatz: Die Bestimmungen des Artikels 122 (5) EPÜ gelten für die Fristen gemäß Regel 104b (1) b) i) und ii) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 157 (2) b) und 158 (2) EPÜ. Dessenungeachtet können Euro-PCT-Anmelder noch in die Frist zur Zahlung der in Regel 104b EPÜ vorgesehenen nationalen Gebühr wiedereingesetzt werden, wenn die Wiedereinsetzung beantragt worden ist, bevor die Entscheidung G 3/91 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 122(5)
European Patent Convention 1973 Art 150
European Patent Convention 1973 Art 157(2)(b)
European Patent Convention 1973 Art 158(2)
European Patent Convention 1973 R 104b(1)(b)
Schlagwörter: Anwendbarkeit des Artikels 122 (5) EPÜ
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0009/93
J 0003/94
J 0027/94
J 0014/95
J 0015/95
J 0016/95
J 0017/95
J 0024/95
J 0025/95
J 0025/96
J 0009/97
J 0006/98
J 0003/01
J 0016/01
J 0014/02
J 0013/03
J 0005/04
T 0740/98
T 0315/03
T 0739/05

Sachverhalt

I. Die Juristische Beschwerdekammer hat der Großen Beschwerdekammer mit Entscheidung J 4/93 vom 24. Mai 1993 nach Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfragen vorgelegt:

1. Sind das EPA und die Beschwerdekammern im Lichte des Artikels 172 EPÜ befugt, durch entsprechende Auslegung des Artikels 122 (5) EPÜ die in Regel 104b (1) b) EPÜ vorgesehene Frist von der Wiedereinsetzung auszunehmen?

2. Wenn diese Frage bejaht (und die Entscheidung G 3/91 hinsichtlich der Frist nach Regel 104b (1) b) EPÜ bestätigt) wird:

Bietet die frühere ständige Praxis des EPA, wonach Artikel 122 EPÜ auf die in Regel 104b (1) b) EPÜ genannte Frist Anwendung fand, eine ausreichende Grundlage dafür, daß ein Beteiligter zu Recht erwarten darf, daß sein Wiedereinsetzungsantrag nach dieser Praxis geprüft wird, sofern er gestellt wurde, bevor der Beteiligte von der Entscheidung G 3/91 ordnungsgemäß in Kenntnis gesetzt wurde?

3. Wenn die Frage unter Nummer 2 bejaht wird:

Ab wann gelten die Benutzer des EPA als von der Entscheidung G 3/91 ordnungsgemäß in Kenntnis gesetzt? II. In der Begründung ihrer Entscheidung vertrat die Juristische Beschwerdekammer die Auffassung, die Große Beschwerdekammer “habe zu berücksichtigen, daß Artikel 122 (5) EPÜ eine Ausnahme von der in Artikel 122 (1) bis (4) EPÜ aufgestellten allgemeinen Regel vorsehe und bei Anwendung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze nicht einfach auf Fälle ausgedehnt werden könne, die nicht in den ausdrücklichen Geltungsbereich der Ausnahmeregelung fielen.”

Die Juristische Kammer wies auch darauf hin, daß die Anwendung des in der Entscheidung G 3/91 aufgestellten Grundsatzes im Fall der “Anspruchsgebühren” ihres Erachtens die Gefahr in sich berge, daß Euro-PCT-Anmelder gegenüber europäischen Direktanmeldern benachteiligt würden, da letzteren das Recht auf Wiedereinsetzung in die für die Anspruchsgebühren geltende Frist zustehe. In diesem Zusammenhang habe sich die Frage gestellt, ob eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der “nationalen” Gebühr gemäß Regel 104b (1) b) EPÜ deswegen gewährt werden könne, weil ein Teil dieser zusammengesetzten Gebühr, nämlich die Anspruchsgebühren, nicht von der Wiedereinsetzung ausgeschlossen sei.

In bezug auf die dritte Frage machte die Juristische Beschwerdekammer ferner geltend, daß der Tag der Veröffentlichung der Entscheidung G 3/91 im Amtsblatt der maßgebliche Zeitpunkt sein sollte, ab dem Euro-PCT-Anmelder nicht mehr zu Recht eine Wiedereinsetzung in die in Regel 104b (1) b) EPÜ vorgesehene Frist erwarten dürften.

III. Am 1. Dezember 1993 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Beschwerdeführerin von Herrn Brian Reid vertreten wurde.

IV. Vor der Großen Beschwerdekammer brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vor:

1. Zu Frage 1:

a) Der für Euro-PCT-Anmeldungen relevante Teil der Entscheidung G 3/91 sei lediglich ein “obiter dictum”, da es in der dort behandelten Sache um eine europäische und nicht um eine Euro- PCT-Anmeldung gegangen sei. Daher könne diese Entscheidung für die vorliegenden Fragen nicht als Präzedenzfall angesehen werden.

b) Artikel 122 (5) EPÜ sei ausdrücklich auf die dort aufgezählten Fristen beschränkt und müsse eng ausgelegt werden. Der Ausschluß einer dort nicht erwähnten Frist liefe auf eine Änderung des EPÜ hinaus, die nach Artikel 172 EPÜ nur von einer Konferenz der Vertragsstaaten beschlossen werden könne. Dieselbe Argumentation gelte (entsprechend) für die Ausführungsordnung, die nur vom Verwaltungsrat und nicht von der Großen Beschwerdekammer geändert werden dürfe. Daher seien die in Artikel 122 (5) EPÜ nicht ausdrücklich genannten Fristen, darunter insbesondere die Frist nach Regel 104b (1) b) EPÜ, stillschweigend von der Anwendung des Artikels 122 (5) EPÜ ausgenommen. Die Große Beschwerdekammer sei nicht befugt, Euro-PCT-Anmeldern die Wiedereinsetzung zu verwehren, sondern habe das EPÜ in seiner geltenden Fassung anzuwenden.

c) Nach Artikel 150 (2) EPÜ seien, wenn die Vorschriften des EPÜ denen des PCT entgegenstünden, die Vorschriften des PCT maßgebend. Artikel 150 (2) EPÜ insgesamt lasse in Verbindung mit Artikel 48 (2) PCT klar erkennen, daß ein Euro-PCT-Anmelder bezüglich der Einhaltung von Fristen eigene – und andere – Rechte genießen solle als ein europäischer Direktanmelder. Daher könne Artikel 122 (5) EPÜ nicht als auf Euro-PCT-Anmeldungen anwendbar angesehen werden.

d) Die in den Artikeln 78 (2) und 79 (2) EPÜ angesprochenen Fristen stünden im Zusammenhang mit der Erfüllung der bei der Einreichung einer europäischen Patentanmeldung zu beachtenden Anmeldeerfordernisse. Die für die Einreichung internationaler Anmeldungen geltenden Erfordernisse seien dagegen in Artikel 11 PCT festgelegt. Sobald diese erfüllt seien, gelte die internationale Anmeldung als europäische Anmeldung (Art. 11 (3) PCT). Die Fristen für die Zahlung der Recherchengebühr (Art. 157 (2) EPÜ) und der nationalen Gebühr (Art. 158 (2) EPÜ) kämen lange nach dem Zeitpunkt zum Tragen, zu dem die Anmeldeerfordernisse für die danach als europäische Anmeldung geltende Anmeldung erfüllt worden seien. Somit stellten diese Gebühren keine “Anmeldegebühr” dar, da die Anmeldung bereits erfolgt sei. Deshalb bestehe keine echte Analogie zwischen der “nationalen Gebühr” und der für europäische Anmeldungen vorgesehenen Anmeldegebühr.

e) Nach Artikel 48 (2) b) PCT könne ein Vertragsstaat eine Fristüberschreitung bei einer internationalen Anmeldung aber auch dann als entschuldigt ansehen, wenn sie bei einer nationalen Anmeldung unter entsprechenden Umständen nach nationalem Recht nicht entschuldigt werde. Insofern bestehe eine konkrete Rechtsgrundlage für eine unterschiedliche Behandlung internationaler und nationaler Anmeldungen.

f) Die Entscheidung G 3/91 stehe nicht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung, wonach eine Wiedereinsetzung in die Fristen gemäß Artikel 157 (2) und 158 (2) EPÜ möglich sei. Sie stehe überdies im Widerspruch zu den vom EPA selbst veröffentlichten Bekanntmachungen wie dem “Hinweis für PCT-Anmelder” (ABl. EPA 1991, 333).

g) In den meisten Vertragsstaaten, die in einer internationalen Patentanmeldung benannt werden könnten, um dieser – als Alternative zur europäischen Anmeldung – die Wirkung einer nationalen Anmeldung zu verleihen, sei aus ganz ähnlichen oder denselben Gründen wie in Artikel 122 EPÜ eine Wiedereinsetzung zugelassen, wenn Fristen für den Eintritt in die nationale Phase überschritten worden seien. In Anbetracht dieser klaren Aussage der Vertragsstaaten, deren Rechtsvorschriften auf das EPÜ abgestimmt worden seien, müsse das EPÜ vom EPA dahingehend ausgelegt werden, daß auch eine Überschreitung der Fristen für den Eintritt in die regionale Phase beim Europäischen Patentamt als entschuldigt angesehen werden könne.

h) Bei Anwendung der Entscheidung G 3/91 auf Euro-PCT-Anmeldungen würden PCT-Anmelder schlechter gestellt, da ihnen danach anders als europäischen Anmeldern die Wiedereinsetzung im Zusammenhang mit der Zahlung der Anspruchsgebühren verwehrt sei. Die beiden Anmeldergruppen müßten aber, gemäß allgemeinen Rechtsgrundsätzen, gleich behandelt werden.

2. Zu Frage 2:

Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wonach das EPA die berechtigten Erwartungen seiner Benutzer nicht mißachten dürfe, müsse im vorliegenden Fall angewandt werden, da das EPA bis zur Entscheidung G 3/91 bei Euro-PCT-Anmeldungen Wiedereinsetzung gewährt habe.

3. Zu Frage 3:

Die frühere Praxis des EPA müsse zumindest in den Fällen angewandt werden, in denen vor Veröffentlichung der Entscheidung G 3/91 im Amtsblatt des EPA ein entsprechender Antrag gestellt worden sei. Da aber nach der Veröffentlichung zwangsläufig noch geraume Zeit vergehe, bis das Amtsblatt den europäischen Vertretern zugestellt werde und diese ihre Mandanten entsprechend beraten könnten, sei eine ab dem Veröffentlichungsdatum des Amtsblatts laufende zweimonatige Nachfrist (die sich an der Frist gemäß Artikel 122 (2) EPÜ orientiere) angezeigt, damit unnötige Kosten für die Stellung letztlich nutzloser Wiedereinsetzungsanträge vermieden würden.

Entscheidungsgründe

1. Frage 1

1.1 Auslegung des Artikels 122 EPÜ

1.1.1 Nach den Artikeln 11 (3) und 45 (1) PCT sowie den Artikeln 153 und 156 EPÜ hat eine internationale Anmeldung, für die das Europäische Patentamt Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt ist, in den EPÜ-Vertragsstaaten ab dem internationalen Anmeldedatum die Wirkung einer “nationalen” (europäischen) Anmeldung. Der Anmelder hat spätestens mit dem Ablauf von 20 Monaten (Art. 22 (1) PCT) bzw. von 30 Monaten (Art. 39 (1) a) PCT) seit dem Prioritätsdatum eine “nationale” Gebühr (falls eine solche erhoben wird) zu zahlen.

1.1.2 Allerdings kann im “nationalen” Recht oder im “regionalen Patentvertrag” (Art. 45 (1) PCT) eine Frist gesetzt werden, die später abläuft (Art. 22 (3) bzw. Art. 39 (1) b) PCT). Dies ist im EPÜ geschehen, dem zufolge diese Fristen 21 bzw. 31 Monate nach dem Prioritätstag ablaufen (R. 104b (1) EPÜ), während bei einer europäischen Direktanmeldung die Frist für die Entrichtung der Anmelde- und der Recherchengebühr (sowie der Benennungsgebühren in dem in Artikel 79 (2) EPÜ vorgesehenen Fall) einen Monat nach dem Anmeldetag endet (Art. 78 (2) EPÜ).

1.1.3 Der PCT (Art. 48 (2) a)) bestimmt folgendes: “Jeder Vertragsstaat (worunter im vorliegenden Fall das Europäische Patentübereinkommen zu verstehen ist) sieht … eine Fristüberschreitung als entschuldigt an, wenn Gründe vorliegen, die nach seinem nationalen (europäischen) Recht zugelassen sind.” Aus diesem Grund sollten die Bestimmungen des Artikels 122 EPÜ betreffend die mögliche Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist für Euro-PCT-Anmelder im selben Umfang gelten wie für europäische Direktanmelder. Da europäischen Direktanmeldern die Wiedereinsetzung verwehrt ist, wenn die in den Artikeln 78 (2) und 79 (2) EPÜ vorgesehenen Fristen für die Zahlung der Anmeldegebühr, der Recherchengebühr und der Benennungsgebühren versäumt wurden, bringt diese Bestimmung des PCT für das EPÜ keine Verpflichtung mit sich, dem Euro-PCT-Anmelder eine Wiedereinsetzung in die Fristen zur Zahlung der entsprechenden Euro-PCT-Gebühren, d. h. der nationalen Grundgebühr und der Benennungsgebühren gemäß Regel 104b (1) b) i) und ii) EPÜ, zuzugestehen.

1.1.4 Jedoch gilt Artikel 48 (2) a) PCT sehr wohl für die Fristen zur Zahlung der Anspruchsgebühren gemäß Regel 104b (1) b) iii) EPÜ, da nach Artikel 122 (5) EPÜ dem europäischen Direktanmelder die Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der entsprechenden, in Regel 31 EPÜ vorgesehenen Gebühren nicht versagt ist. Daher kann ein Euro-PCT-Anmelder nach Artikel 122 EPÜ in Verbindung mit Artikel 48 (2) a) PCT wieder in die Frist zur Zahlung der Anspruchsgebühren eingesetzt werden.

1.1.5 Auch wenn im EPÜ mithin keinerlei Verpflichtung besteht, dem Euro-PCT-Anmelder die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in die Fristen zur Zahlung der nationalen Gebühr (mit Ausnahme der Anspruchsgebühren) zu bieten, könnte Euro-PCT-Anmeldern diese Möglichkeit doch aus anderen Gründen eröffnet werden (Art. 48 (2) b) PCT). Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, genau das sei im EPÜ der Fall, da durch die ausdrückliche Erwähnung bestimmter Fristen in Artikel 122 (5) stillschweigend alle anderen, nicht ausdrücklich erwähnten Fristen und damit auch die Fristen für die Zahlung der “nationalen Gebühr” gemäß Regel 104b (1) EPÜ unberührt blieben.

1.1.6 In diesem Zusammenhang hat die vorlegende Beschwerdekammer auch vorgebracht, daß es sich bei der in Artikel 158 (2) EPÜ genannten “nationalen Gebühr” um eine einzige zusammengesetzte Gebühr handle, die, wie Regel 104b (1) b) EPÜ zu entnehmen sei, aus einer nationalen Grundgebühr, Benennungsgebühren und gegebenenfalls Anspruchsgebühren bestehe. Die vorlegende Kammer hat darauf hingewiesen, daß diese zusammengesetzte Gebühr nicht mit der Summe der Teilgebühren, aus denen sie bestehe, gleichgesetzt werden dürfe. Die Frist für die Zahlung der zusammengesetzten Gebühr könne daher als eigenständige, nach Artikel 122 (5) EPÜ nicht von der Wiedereinsetzung ausgeschlossene Frist angesehen werden.

1.1.7 Dies setzt jedoch voraus, daß die Frist zur Zahlung der “nationalen Gebühr” eine andere Rechtsnatur hat als die Fristen für die Zahlung der europäischen Anmelde-, Benennungs- und Anspruchsgebühren.

Die Große Beschwerdekammer sieht aber, was die Rechtsnatur angeht, keinen Unterschied zwischen den Fristen für Euro-PCT-Anmelder und denjenigen für europäische Direktanmelder, da sie gleichwertig in ihrer Funktion sind. Aufgrund dieser Funktion sind die beiden Fristen als im wesentlichen identisch anzusehen. Ihre Rechtsnatur bleibt die gleiche, auch wenn sie unterschiedliche Laufzeiten haben.

Durch die in Regel 104b (1) b) EPÜ vorgenommene Aufgliederung der “nationalen” Gebühr in verschiedene Teile wird keineswegs ein Unterschied zwischen der Frist zur Zahlung der europäischen Gebühren und der Frist für die Entrichtung der “nationalen” Gebühr hergestellt, sondern vielmehr bestätigt, daß diese Fristen gleichsam identisch sind.

Wenn der europäische Direktanmelder die Anmeldegebühr (Art. 90 (3) EPÜ), die Benennungsgebühren (Art. 91 (4) EPÜ) und die Anspruchsgebühren (R. 31 (2) EPÜ) nicht fristgerecht entrichtet, ergeben sich daraus also dieselben Rechtsfolgen, die Regel 104c EPÜ für den Fall der nicht fristgerechten Zahlung der entsprechenden Teile der “nationalen” Gebühr vorsieht: Die europäische Patentanmeldung gilt als zurückgenommen, wenn nicht fristgerecht die Anmeldegebühr bzw. die nationale Grundgebühr und mindestens eine Benennungsgebühr gezahlt worden sind. Unterbleibt die Zahlung einer Benennungsgebühr, so gilt die Benennung als zurückgenommen. Dagegen wird die Nichtentrichtung einer Anspruchsgebühr als Verzicht auf den entsprechenden Patentanspruch gewertet. Dies zeigt ganz klar, daß es sich bei dieser “nationalen” Gebühr nicht um eine einzige zusammengesetzte Gebühr handelt, sondern um einen Verbund eigenständiger Gebühren, die sich jeweils mit der Anmeldegebühr, den Benennungsgebühren bzw. den Anspruchsgebühren für die europäische Patentanmeldung decken, wie Regel 104b (1) b) ii) EPÜ im Hinblick auf die Benennungsgebühren zu entnehmen ist.

1.1.8 Vor diesem Hintergrund beschränkt sich der in Artikel 122 (5) EPÜ enthaltene Hinweis auf die Artikel 78 (2) und 79 (2) EPÜ nicht allein auf europäische Direktanmeldungen, sondern gilt auch für Euro-PCT-Anmeldungen, die nach Artikel 11 (3) PCT ab dem internationalen Anmeldedatum die Wirkung einer nationalen (europäischen) Anmeldung haben und nach Artikel 150 EPÜ den Bestimmungen des EPÜ unterliegen, soweit diese den Vorschriften des PCT nicht entgegenstehen.

1.1.9 Aus den vorstehenden Überlegungen und den bereits in der Entscheidung G 3/91 dargelegten Gründen folgt, daß die Bestimmungen des Artikels 122 (5) EPÜ auf die Fristen gemäß Regel 104b (1) b) i) und ii) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 157 (2) b) und 158 (2) EPÜ anwendbar sind.

2. Fragen 2 und 3

2.1 Im “Hinweis für PCT-Anmelder (Stand 1. Juni 1991) betreffend Fristen und Verfahrenshandlungen vor dem EPA als Bestimmungsamt nach dem PCT (Art. 150, 153, R. 104b EPÜ)” (ABl. EPA 1991, 328), Nrn. B.II.6 und 7 (S. 333) ist folgendes ausgeführt: “Tritt (wegen Nichtzahlung der nationalen Grundgebühr, der Benennungsgebühren, der Recherchengebühr oder der Anspruchsgebühren) ein Rechtsverlust ein, so kann der Anmelder nach Artikel 122 EPÜ wieder in den vorigen Stand eingesetzt werden.”

2.2 Das Europäische Patentamt war daher aufgrund seiner eigenen Auslegung verpflichtet, Euro-PCT-Anmeldern die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in die Fristen zur Zahlung der obengenannten Gebühren einzuräumen.

2.3 Euro-PCT-Anmelder durften deshalb zu Recht erwarten, daß sich das Europäische Patentamt bis zu dem Zeitpunkt an seine eigene Auslegung halten würde, zu dem die Entscheidung G 3/91, in der die Große Beschwerdekammer diese Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des EPÜ und die entsprechende Praxis für nicht haltbar befand, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden, daß die der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Rechtsfragen wie folgt zu beantworten sind:

Die Bestimmungen des Artikels 122 (5) EPÜ gelten für die Fristen gemäß Regel 104b (1) b) i) und ii) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 157 (2) b) und 158 (2) EPÜ. Dessenungeachtet können Euro-PCT-Anmelder noch in die Frist zur Zahlung der in Regel 104b EPÜ vorgesehenen nationalen Gebühr wiedereingesetzt werden, wenn die Wiedereinsetzung beantragt worden ist, bevor die Entscheidung G 3/91 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.