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European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:T030903.20030730 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 Juli 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0309/03 | ||||||||
Anmeldenummer: | 96945229.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | C09J 7/04 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | – | ||||||||
Name des Anmelders: | Minnesota Mining and Manufacturing Company | ||||||||
Name des Einsprechenden: | – | ||||||||
Kammer: | 3.3.07 | ||||||||
Leitsatz: | Die bloße Tatsache, daß ein Vertreter Beschwerde einlegt, bevor er von der gegenteiligen Weisung des Anmelders Kenntnis erhält, rechtfertigt keine Berichtigung, die bewirkt, daß die Beschwerde nicht eingelegt wurde. | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Fehlende Beschwerdebegründung Berichtigung der Beschwerdeschrift – (verneint) Rückzahlung der Beschwerdegebühr – (verneint) |
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Orientierungssatz: |
– |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 96 945 229.1, die auf der unter der Nummer WO 97/94222 veröffentlichten internationalen Patentanmeldung PCT/US 96/20298 basiert, wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 11. Dezember 2002 zurückgewiesen.
II. Am 11. Februar 2003 legte der Vertreter der Anmelderin Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr.
III. Mit Fax vom 13. Februar 2003 beantragte der Vertreter der Anmelderin eine Berichtigung der Beschwerdeschrift nach Regel 88 EPÜ sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Er machte geltend, daß der Schriftsatz fehlerhaft sei, da die wirkliche Absicht der Anmelderin gewesen sei, nicht Beschwerde einzulegen. Als Beweis reichte er ein Schreiben der Anmelderin vom 10. Februar 2003 ein, in dem sie ihren Vertreter anwies, die Anmeldung nicht weiterzuverfolgen und weder weitere Schritte zu veranlassen, noch weitere Kosten zu verursachen. Falls eine Gebührenrückerstattung möglich sei, solle der Vertreter diese beantragen.
IV. In einem innerhalb der Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung ergangenen Bescheid wies die Kammer die Beschwerdeführerin darauf hin, daß ihr Antrag einer rückwirkenden Rücknahme der Beschwerde gleichkomme, die im EPÜ nicht vorgesehen sei. Ausführlichere Einwände gegen den Antrag wurden in einem weiteren Bescheid vom 17. April 2003 erhoben.
V. Die Beschwerdeführerin reichte keine Beschwerdebegründung ein. Sie präzisierte ihren Antrag auf Berichtigung dahingehend, daß in dem Schreiben vom 11. Februar 2003 das Wort “appealed” durch “not appealed” ersetzt werden solle. Zur Begründung brachte sie im wesentlichen folgendes vor:
a) Unter Bezugnahme auf die Entscheidung J 6/91 (ABl. EPA 1994, 349) machte sie geltend, daß die wesentliche Bedingung für die Zulässigkeit einer Berichtigung darin bestehe, daß eine Unterlage nicht die wirkliche Absicht desjenigen wiedergebe, für den sie eingereicht worden sei. Dies habe man anhand des Schreibens mit der entsprechenden Weisung vom 10. Februar 2003 belegt.
b) Der Antrag auf Berichtigung sei nicht die Folge einer Meinungsänderung oder einer weiteren Ausgestaltung von Plänen, da das Schreiben mit der entsprechenden Weisung in der Kanzlei des Vertreters bereits am 10. Februar 2003, d. h. vor Einlegen der Beschwerde, eingegangen sei.
c) Es sei nicht ersichtlich, warum für die Berichtigung von Benennungen oder Prioritätserklärungen einerseits und für die Berichtigung von Beschwerdeschriften andererseits unterschiedliche Voraussetzungen gelten sollten. Generell sei für die Anwendung von Regel 88 Satz 1 EPÜ die Rechtsprechung maßgebend, insbesondere J 8/80 (ABl. EPA 1980, 293).
d) Die Entscheidung des Vertreters, Beschwerde einzulegen, sei in bezug auf eine Berichtigung nach Regel 88 Satz 1 EPÜ nicht relevant, da einzig die Absicht der Anmelderin von Bedeutung sei, wie aus den Entscheidungen J 8/80 und J 6/91 hervorgehe.
e) Das Interesse der Öffentlichkeit spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle, da mangels einer zulässigen Beschwerde kein Patentschutz mehr erlangt werden könne. Gründe der Rechtssicherheit könnten somit nicht angeführt werden, die eine Abweichung von den durch die Rechtsprechung entwickelten Kriterien rechtfertigen würden.
VI. Mit Bescheid vom 8. Mai 2003 wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, daß keine Beschwerdebegründung eingereicht worden sei und daher davon auszugehen sei, daß die Beschwerde als unzulässig verworfen werde.
VII. Mit Schreiben vom 8. Juli 2003 zog die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.
Entscheidungsgründe
1. Da keine schriftliche Beschwerdebegründung eingereicht wurde, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (Artikel 108 Satz 3 EPÜ in Verbindung mit Regel 65 (1) EPÜ).
2. Der Antrag auf Berichtigung des Schreibens vom 11. Februar 2003 ist unbegründet.
2.1 Berichtigt werden können nach Regel 88 Satz 1 EPÜ “sprachliche Fehler, Schreibfehler und Unrichtigkeiten in den beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlagen”. Diese Aufzählung und die Überschrift der Regel (Berichtigung von Mängeln in den beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlagen) machen deutlich, daß sich die Bestimmung nur auf Fälle bezieht, in denen eine fehlerhafte Ausdrucksweise in einer Erklärung vorliegt oder in denen eine Unrichtigkeit in einer Unterlage auf einen Fehler zurückzuführen ist.
2.2 Die Entscheidung J 8/80 (a. a. O.) bezieht sich auf den Fall, daß ein Vertreter im Namen der Anmelderin eine Erklärung abgegeben hatte, die nicht mit deren Weisungen übereinstimmte. Die Kammer befand, daß eine Unrichtigkeit in einer Unterlage dann vorliegen dürfte, wenn die Unterlage nicht die wirkliche Absicht dessen wiedergibt, für den sie eingereicht worden ist und die Berichtigung in der Weise erfolgen kann, daß die unrichtige Erklärung richtig formuliert wird oder daß das, was ausgelassen wurde, hinzugefügt wird (Nr. 4 der Entscheidungsgründe). In jenem Fall war aufgrund einer Verwechslung der Angelegenheiten verschiedener Mandanten in der entsprechenden Weisung die Benennung eines Staates unterlassen worden (Sachverhalt und Anträge, Nr. V). Wie sich zeigte, war zwischen dem Erteilen der Weisung durch den Mandanten und der Ausführung durch den Vertreter ein Fehler unterlaufen.
2.3 Der vorliegende Fall ist völlig anders gelagert. Als der Vertreter Beschwerde einlegte, hatte er noch keine Kenntnis von dem Schreiben mit der Weisung, die Anmeldung nicht weiterzuverfolgen. Der Vertreter hat nicht erläutert, auf welcher Grundlage er Beschwerde einlegte. Jedoch spielt es keine Rolle, ob er dies auf eine explizite Weisung hin tat oder vorsorglich im Interesse der Anmelderin, ohne eine entsprechende Weisung erhalten zu haben. Jedenfalls machte der Vertreter nicht geltend, daß ihm ein Fehler aufgrund der ihm zum Zeitpunkt des Absendens der Beschwerdeschrift bekannten Sachlage unterlaufen sei.
2.4 Zwar hätte der Vertreter nicht Beschwerde eingelegt, wenn er vom Schreiben der Beschwerdeführerin vom 10. Februar 2003 Kenntnis gehabt hätte, doch ist die Tatsache, daß er keine Kenntnis von diesem Schreiben hatte, nicht als relevanter Fehler im Sinne von Regel 88 Satz 1 EPÜ anzusehen. Eine Weisung, die dem Vertreter noch nicht bekannt war, kann für ihn nicht die Grundlage für Handlungen vor dem EPA sein. Soll der Vertreter eines Verfahrensbeteiligten in bestimmter Weise handeln, so hat der Beteiligte dafür zu sorgen, daß der Vertreter die entsprechenden Weisungen so rechtzeitig erhält, daß er sie ausführen kann. Will ein Vertreter umgekehrt sicherstellen, daß ein bestimmtes Vorgehen der Absicht des Beteiligten entspricht, muß er sich mit dem Beteiligten abstimmen, bevor er tätig wird. Beteiligte und ihre Vertreter können nicht davon ausgehen, daß zu spät erteilte Weisungen keine rechtlichen Folgen haben. Auch die von der Beschwerdeführerin angezogene Entscheidung J 6/91 besagt ausdrücklich, daß die Möglichkeit der Berichtigung nicht dazu benutzt werden darf, einem Beteiligten, der seine Meinung geändert oder seine Pläne weiter ausgestaltet hat, die Durchsetzung seiner neuen Vorstellungen zu ermöglichen (a. a. O., Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe, unter Bezugnahme auf J 8/80, a. a. O.). In bezug auf die Rechtsgültigkeit und den Inhalt einer Erklärung ist deren Eingang beim EPA maßgebend. Die Beteiligten müssen ihre Entscheidungen früh genug treffen, damit ihre Verfahrenserklärungen nicht nur fristgerecht, sondern auch mit dem ihren Absichten entsprechenden Inhalt beim EPA eingehen. Werden Weisungen zu spät erteilt, so liegt kein Fehler im Sinne von Regel 88 Satz 1 EPÜ vor. Im vorliegenden Fall hätte sichergestellt werden müssen, daß der Vertreter so rechtzeitig über die Meinungsänderung oder die weitere Ausgestaltung der Pläne der Anmelderin informiert wird, daß er entsprechend reagieren kann.
2.5 In verschiedenen Entscheidungen wurde hervorgehoben, daß bei der Anwendung von Regel 88 Satz 1 EPÜ übergeordnete Rechtsgrundsätze zu berücksichtigen sind. Schon in J 8/80 wird erwähnt, daß Regel 88 nicht benutzt werden kann, um die Erfordernisse von Artikel 79 EPÜ zu umgehen (a. a. O., Nr. 7 der Entscheidungsgründe). Unlängst wurde in der Entscheidung J 3/01 vom 17. Juni 2002 (Nr. 7 der Entscheidungsgründe, nicht im ABl. EPA veröffentlicht) auf den der Bestimmung zugrunde liegenden Ermessensspielraum hingewiesen und festgestellt, daß Berichtigungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden oder aufgrund anderer zwingender Vorschriften des Übereinkommens abgelehnt werden können. Gemäß der Entscheidung T 824/00 vom 24. März 2003 schließlich [erkennt] “Regel 88 EPÜ als verfahrensrechtliche Maxime an, daß … die wirkliche – im Gegensatz zu der in Erscheinung getretenen – Absicht eines Beteiligten zu berücksichtigen ist.” Der Umstand, daß diese Bestimmung als Ermessensbefugnis in einer Regel und nicht in einem Artikel niedergelegt ist, wurde jedoch so verstanden, daß diese Maxime im Fall eines gravierenden Konflikts mit übergeordneten Werten wie der Rechtssicherheit des Verfahrens keinen Vorrang haben sollte (zur Veröffentlichung im ABl. EPA vorgesehen, Nr. 6 der Entscheidungsgründe).
2.6 Es liegt im allgemeinen Interesse, daß man sich auf die Verfahrenserklärungen der Beteiligten verlassen kann. Dies gilt insbesondere für Erklärungen, durch die ein neues Verfahren eröffnet wird. Nimmt jemand die vorgeschriebenen Verfahrenshandlungen vor, so erwirbt er die Stellung und die Verfahrensrechte eines Beteiligten, z. B. als Anmelder, Einsprechender oder Beschwerdeführer. Dies geschieht an dem Tag, an dem die notwendigen Erfordernisse erfüllt werden. Würde im Anschluß daran immer noch Unklarheit darüber bestehen, ob das Verfahren nun eingeleitet ist oder nicht, so stünde dies dem Erfordernis der Rechtssicherheit entgegen. Die Bedeutung der betreffenden im EPÜ festgelegten Fristen würde geschwächt, wenn Verfahrenserklärungen aufgrund von Weisungen wieder rückgängig gemacht werden könnten, von denen der Vertreter, als er vor dem EPA auftrat, noch keine Kenntnis hatte.
2.7 Da aus den genannten Gründen die Beschwerdeschrift nicht berichtigt werden kann, wurde die Beschwerdegebühr fällig und kann nicht zurückgezahlt werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
2. Der Antrag auf Berichtigung der Beschwerdeschrift wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.