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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:J001798.19990920
Datum der Entscheidung: 20 September 1999
Aktenzeichen: J 0017/98
Anmeldenummer:
IPC-Klasse:
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders:
Name des Einsprechenden:
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: I. Die Einreichung einer allgemeinen Vollmacht ohne zusätzliche Angaben zu einem bestimmten Fall bedeutet nicht, daß ein zugelassener Vertreter bestellt worden ist.
II. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, dem zufolge Bescheide des Europäischen Patentamts einschließlich amtlicher Formblätter klar und unmißverständlich sein müssen, geht nicht so weit, daß diese Formblätter umfassende Rechtsauskünfte enthalten müssen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 60(3)
European Patent Convention 1973 Art 119
European Patent Convention 1973 Art 133(2)
European Patent Convention 1973 Art 150
European Patent Convention 1973 Art 157(2)
European Patent Convention 1973 R 26(2)
European Patent Convention 1973 R 55
European Patent Convention 1973 R 65(1)
European Patent Convention 1973 R 67
European Patent Convention 1973 R 68(2)
European Patent Convention 1973 R 78(2)
European Patent Convention 1973 R 81
European Patent Convention 1973 R 85a(1)
European Patent Convention 1973 R 85b
European Patent Convention 1973 R 101(1)
European Patent Convention 1973 R 104b
European Patent Convention 1973 R 104c(1)
Schlagwörter: Bestellung eines zugelassenen Vertreters
Allgemeine Vollmacht
Zustellung
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/91
J 0011/93
J 0020/96
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0005/04
J 0016/06
J 0001/09
J 0019/13
T 0778/00
T 1281/01

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Eingangsstelle vom 16. April 1998, wonach die Euro-PCT-Anmeldung 95 … (PCT/US95/…) gemäß Regel 104c (1) und Artikel 157 (2) b) EPÜ als zurückgenommen gilt, weil die für den Eintritt in die regionale Phase vor dem EPA fälligen Gebühren (R. 104b (1) EPÜ) nicht fristgerecht entrichtet wurden.

II. Der angefochtenen Entscheidung lag die Feststellung zugrunde, daß die Mitteilungen nach den Regeln 85a (1) und 85b EPÜ ordnungsgemäß an die Anschrift der nicht in einem Vertragsstaat ansässigen US-amerikanischen Anmelder (Beschwerdeführer) zugestellt worden seien, da diese zur fraglichen Zeit nicht durch einen zugelassenen europäischen Vertreter vertreten gewesen seien. Die Zustellung sei demzufolge nach Regel 78 (2) EPÜ in ihrer damals gültigen Fassung mit der Aufgabe zur Post am 13. November 1997 als bewirkt angesehen worden. Die Gebühren seien innerhalb der Nachfrist von einem Monat nach Zustellung, die am 15. Dezember 1997 geendet habe, nicht entrichtet worden.

III. In der Beschwerdebegründung bestritten die Beschwerdeführer, daß die Mitteilungen gemäß den Regeln 85a (1) und 85b EPÜ ordnungsgemäß zugestellt worden seien. Die Zustellung nach Regel 78 (2) EPÜ (in ihrer damals gültigen Fassung) beschränke sich auf Fälle, in denen ein nicht in einem Vertragsstaat ansässiger Anmelder nicht gemäß Artikel 133 (2) EPÜ vertreten sei. Die Anmelder hätten jedoch vorher allgemeine Vollmachten für eine Reihe zugelassener Vertreter verschiedener Patentanwaltskanzleien eingereicht und damit nicht nur einen, sondern sogar mehrere Vertreter bestellt. Die Mitteilungen nach den Regeln 85a (1) und 85b EPÜ hätten daher an einen dieser Vertreter gerichtet werden müssen (R. 81 EPÜ). Gemäß Regel 82 EPÜ könne die Zustellung somit nicht als am 13. November 1997 bewirkt gelten. Da vom EPA kein Tag des Zugangs nachgewiesen worden sei, seien die Nachfristen gemäß den Regeln 85a (1) und 85b EPÜ bei Entrichtung der entsprechenden Gebühren am 17. Dezember 1997 noch nicht abgelaufen gewesen. Die Beschwerdeführer ersuchten die Kammer zu entscheiden, daß die Anmeldung erfolgreich in die regionale Phase vor dem EPA eingetreten sei und die Beschwerdegebühr zurückgezahlt werden müsse.

IV. Gemäß einer Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Juristischen Beschwerdekammer lautete die entscheidende Frage, ob mit der Einreichung allgemeiner Vollmachten die darin genannten Personen als Vertreter für später eingereichte Patentanmeldungen bestellt seien. Offensichtlich werde ein Vertreter bestellt, indem das EPA für jeden Fall davon unterrichtet werde, wer einen Beteiligten in diesem Fall vertreten solle. Daß beim EPA eine allgemeine Vollmacht registriert sei, könne kaum als Unterrichtung in diesem Sinne aufgefaßt werden. Es wurde auf die Entscheidung J 11/93 verwiesen, in der ein ähnlicher Fall behandelt wird.

V. In ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Kammer sowie im Verlauf der mündlichen Verhandlung am 20. September 1999 brachten die Beschwerdeführer außerdem folgendes vor:

i) Selbst wenn man davon ausgehe, daß ein zugelassener Vertreter in jedem einzelnen Fall, auf den Artikel 133 (2) EPÜ zutreffe, zu bestellen sei, so bedeute dies umgekehrt nicht, daß eine wirksame Bestellung nur gesondert für jeden einzelnen Fall vorgenommen werden könne. Ein solches Erfordernis sei weder im EPÜ noch in ergänzenden Auskünften des EPA enthalten.

ii) Anmelder, die nicht in einem EPÜ-Vertragsstaat ansässig seien, müßten natürlich gemäß Artikel 133 (2) EPÜ einen zugelassenen Vertreter bestellen. Für diese Anmelder ergebe es daher keinen Sinn, zwischen Vollmacht und Bestellung eines Vertreters zu unterscheiden. In diesen Fällen sei jede Vollmacht auch als Bestellung eines zugelassenen Vertreters zu verstehen.

iii) Die Anmelder hätten das amtliche EPA-Formblatt “Allgemeine Vollmacht” ausgefüllt und unterzeichnet und damit bestimmte Vertreter bevollmächtigt, sie vor dem EPA zu vertreten. Dieses Formblatt enthalte keinen Hinweis darauf, daß sich die Erteilung einer Vollmacht von der Bestellung eines Vertreters unterscheide. Auch habe das EPA die Anmelder in den Mitteilungen nach den Regeln 85a (1) und 85b EPÜ auf diesen Unterschied nicht aufmerksam gemacht. Sie dürften damit zu Recht annehmen, daß sie durch die Bevollmächtigung europäischer Vertreter alles unternommen hätten, um einen Fehler in diesem Stadium des Verfahrens zu vermeiden. Selbst wenn man rein rechtlich zwischen Vollmacht und Bestellung unterscheiden könne, müsse im vorliegenden Fall der Grundsatz des Vertrauensschutzes gelten.

iv) Der vorliegende Fall unterscheide sich auch von dem Fall J 11/93, in dem keine allgemeine Vollmacht eingereicht worden sei. In der Entscheidung J 11/93 sei folglich nicht berücksichtigt worden, daß die Beschwerdeführer darauf vertraut hätten, allgemeine Vollmachten eingereicht zu haben.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht Regel 65 (1) EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Im vorliegenden Fall wurde das Europäische Patentamt als ausgewähltes Amt nach den Artikeln 39 PCT und 150 (3) EPÜ tätig. In diesem Verfahren sind die Vorschriften des EPÜ maßgebend, sofern sie denen des PCT nicht entgegenstehen (Art. 150 (2) EPÜ). Die Zustellung von Mitteilungen wurde somit gemäß Artikel 119 und den Regeln 77 bis 82 EPÜ in ihrer damals gültigen Fassung ordnungsgemäß bewirkt.

3. Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, daß die für den Eintritt in die regionale Phase vor dem EPA zu entrichtenden Gebühren innerhalb der Frist nach Regel 104b EPÜ nicht gezahlt wurden. Sie machen jedoch geltend, daß die Mitteilungen nach den Regeln 85a (1) und 85b EPÜ nicht ordnungsgemäß zugestellt worden seien, da sie gemäß Regel 78 (2) EPÜ in ihrer damals gültigen Fassung an ihre Anschrift in den USA und nicht an einen der in den allgemeinen Vollmachten vom 29. März 1984 bzw. 5. September 1989 aufgeführten Vertreter versandt worden seien.

4. Zunächst ist daher zu untersuchen, ob die Einreichung der oben erwähnten allgemeinen Vollmachten dazu führte, daß die darin genannten Personen als zugelassene Vertreter für die streitige Patentanmeldung bestellt wurden.

4.1 Wie aus Regel 100 bzw. Regel 101 EPÜ ersichtlich, wird im Übereinkommen zwischen der Bestellung eines Vertreters und der Einreichung einer Vollmacht unterschieden.

4.2 Wünscht ein Beteiligter, sich in einem Verfahren vor dem Europäischen Patentamt durch einen zugelassenen Vertreter vertreten zu lassen, so hat er dies dem Amt anzuzeigen und ihm die Personen (Name, Anschrift) zu nennen, die er als Vertreter für diesen Fall bestellt. Diese Angaben sind sowohl nach Regel 26 (2) d) EPÜ über den Erteilungsantrag als auch nach Regel 55 d) EPÜ über die Einspruchsschrift für jeden einzelnen Fall erforderlich. Dasselbe gilt analog für internationale Anmeldungen, die in die regionale Phase vor dem EPA eintreten, da dies eine Verfahrenshandlung ist, die der direkten Einreichung einer europäischen Patentanmeldung entspricht (siehe G 3/91, ABl. EPA 1993, 8, Nr. 1.8 der Entscheidungsgründe). Wird dem Europäischen Patentamt nicht angezeigt, daß und durch wen sich der Anmelder in einem bestimmten Fall vertreten lassen will, d. h. daß ein Vertreter bestellt wurde, so ist allein der Anmelder berechtigt, die Verfahrensrechte im Zusammenhang mit dieser Anmeldung geltend zu machen (siehe auch Art. 60 (3) EPÜ).

4.3 Dagegen dient die Einreichung einer Vollmacht gemäß Regel 101 EPÜ dazu festzustellen, ob ein Vertreter, der vor dem Europäischen Patentamt für einen Beteiligten auftritt, von diesem tatsächlich entsprechend bevollmächtigt wurde. Aus Regel 101 (1) EPÜ letzter Satz ergibt sich ferner, daß die Einreichung einer Vollmacht und die Anzeige über die Bestellung eines Vertreters grundsätzlich zwei gesonderte Verfahrenshandlungen sind.

Mit Bezug auf allgemeine Vollmachten besagt Regel 101 (2) EPÜ, daß die Beteiligten durch sie “einen Vertreter zur Vertretung in allen ihren Patentangelegenheiten” bevollmächtigen können. Damit beziehen sich allgemeine Vollmachten definitionsgemäß nicht auf einen bestimmten Fall. Das Europäische Patentamt kann ohne zusätzliche Angaben auch nicht davon ausgehen, daß eine in der allgemeinen Vollmacht genannte Person in einem bestimmten Fall als Vertreter bestellt werden soll. Der Beteiligte, der die allgemeine Vollmacht erteilt, ist keineswegs verpflichtet, einen der dort aufgeführten Vertreter oder überhaupt einen Vertreter zu bestellen.

4.4 In dem der Entscheidung J 11/93 der Juristischen Beschwerdekammer zugrunde liegenden Fall war die Vollmacht zwar nicht als allgemeine Vollmacht registriert. In dieser Entscheidung wurde jedoch beiläufig festgestellt, daß der Anmelder, wäre sie als allgemeine Vollmacht registriert gewesen, “die ihr zugeteilte Nummer hätte mitteilen müssen, damit die Eingangsstelle sie vor der Absendung der Mitteilung nach Regel 85a (1) EPÜ an den Anmelder … hätte berücksichtigen können”. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an, wonach die Einreichung einer allgemeinen Vollmacht ohne zusätzliche Angaben nicht bedeutet, daß ein zugelassener Vertreter bestellt worden ist (siehe auch J 20/96, Nr. 3.6 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall wurden dem Europäischen Patentamt keine Angaben übermittelt, die die registrierten allgemeinen Vollmachten mit einem bestimmten Fall und/oder der Bestellung eines Vertreters in Verbindung brachten.

4.5 Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Anmelder als nicht in einem EPÜ-Vertragsstaat ansässige Personen gemäß Artikel 133 (2) EPÜ verpflichtet waren, für die regionale Phase vor dem Europäischen Patentamt einen Vertreter zu bestellen. In Regel 101 (1) EPÜ letzter Satz wird für die Anwendung des Artikels 133 (2) EPÜ eindeutig zwischen der Einreichung einer Vollmacht und der Anzeige über die Bestellung eines Vertreters unterschieden. Die Einreichung einer allgemeinen Vollmacht bedeutet damit auch in Fällen nach Artikel 133 (2) EPÜ nicht, daß ein zugelassener Vertreter bestellt worden ist.

4.6 Aus diesen Ausführungen folgt, daß Mängel bei der Zustellung der Mitteilungen nach den Regeln 85a (1) und 85b EPÜ nicht erkennbar sind, da sie gemäß Regel 78 (2) EPÜ in ihrer damals gültigen Fassung ordnungsgemäß an die Anmelder selbst gerichtet wurden, die zum damaligen Zeitpunkt keinen Vertreter vor dem Europäischen Patentamt bestellt hatten.

5. Die Beschwerdeführer berufen sich ferner auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes, der das Verfahren zwischen EPA und Anmelder beherrscht (siehe Nr. V iii). Sie machen insbesondere geltend, daß weder aus dem EPA-Formblatt 1004 (Allgemeine Vollmacht) noch aus einer anderen Mitteilung hervorgehe, daß für jeden Fall eine gesonderte Bestellung eines zugelassenen Vertreters erforderlich sei.

5.1 Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern erfordert der Grundsatz des Vertrauensschutzes, daß Bescheide an die Verfahrensbeteiligten klar und unmißverständlich sind. Insbesondere darf ihnen daraus, daß sie einem mißverständlichen Bescheid vertrauen, kein Nachteil erwachsen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 3. Auflage 1998, S. 277 ff.).

Nach Auffassung der Kammer geht dieser Grundsatz jedoch nicht so weit, daß das Europäische Patentamt in seinen Formblättern umfassende Rechtsauskünfte erteilen muß. Die Formblätter müssen zwar klar und unmißverständlich sein, brauchen jedoch keine detaillierten rechtlichen Erläuterungen zu enthalten. Dies gilt insbesondere für Rechtsfragen, die sich unmittelbar aus den Vorschriften des Übereinkommens ergeben. In diesen Fällen sind in den Formblättern enthaltene Rechtsauskünfte als freiwillige Serviceleistung des EPA anzusehen (siehe beispielsweise R. 68 (2) EPÜ, wonach die Beteiligten aus der Unterlassung einer Rechtsmittelbelehrung keine Ansprüche herleiten können).

5.2 Die Kammer teilt daher nicht die von den Beschwerdeführern vertretene Meinung, daß die Benutzer im EPA-Formblatt 1004 (Allgemeine Vollmacht) auf den Unterschied zwischen der Einreichung einer allgemeinen Vollmacht und der Bestellung eines Vertreters hinzuweisen seien. Wie vorstehend ausgeführt, ergibt sich dieser Unterschied unmittelbar aus dem Übereinkommen selbst. Die Tatsache, daß das EPA-Formblatt 1004 keine diesbezüglichen Angaben enthält, macht es somit nicht unklar oder mißverständlich.

Dieselben Überlegungen gelten für den Inhalt der Mitteilungen nach den Regeln 85a (1) und 85b EPÜ, zumal die zweite Mitteilung den folgenden “wichtigen Hinweis” enthielt: “Da bisher kein beim EPA zugelassener Vertreter bestellt wurde (Art. 133 (2) EPÜ), wird diese Mitteilung unmittelbar an den ANMELDER versandt.” Aus diesem Hinweis ging eindeutig hervor, daß die allgemeinen Vollmachten der Anmelder, auch wenn sie beim Europäischen Patentamt registriert waren, nicht als Bestellung eines zugelassenen Vertreters für die streitige Anmeldung betrachtet werden konnten.

6. Da somit nicht erkennbar ist, daß das Vorgehen des Europäischen Patentamts mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist, besteht kein Grund zur Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.