http://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/recent/t040474dp1.html
Content reproduced from the Website of the European Patent Office as permitted by their terms of use.

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2005:T047404.20050630
Datum der Entscheidung: 30 Juni 2005
Aktenzeichen: T 0474/04
Anmeldenummer: 94901465.8
IPC-Klasse: B01D 61/32
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 23.815K)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders: ALTHIN MEDICAL, INC.
Name des Einsprechenden: B. Braun Melsungen AG
Fresenius Medical Care Deutschland GmbH
Kammer: 3.3.07
Leitsatz: Werden Behauptungen aus einer eidesstattlichen Versicherung bestritten, so muss dem Antrag eines Beteiligten auf Zeugenvernehmung in der Regel stattgegeben werden, bevor diese Behauptungen einer Entscheidung zu Ungunsten dessen zu Grunde gelegt werden, der sie bestreitet.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 Art 117(1)
European Patent Convention 1973 R 67
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 10
Schlagwörter: eidesstattliche Versicherung
in Erklärung aufgestellte Behauptungen bestritten, angebotener Zeuge aber nicht geladen – wesentlicher Verfahrensmangel
Zurückverweisung (bejaht)
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/97
T 0674/91
T 0472/92
T 0927/98
T 1070/98
T 0838/02
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0190/05
T 0313/05
T 0780/05
T 0716/06
T 1186/06
T 0448/07
T 1100/07
T 1306/07
T 0564/12
T 1363/14

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 6. Februar 2004, das europäische Patent Nr. 0 668 793 zu widerrufen.

II. Der Hinweis auf die Erteilung wurde am 5. April 2000 bekannt gemacht. Gegen das Patent wurde von den beiden Beschwerdegegnerinnen Einspruch eingelegt. Am 24. Juni 2002 erging eine erste Widerrufsentscheidung; da sie jedoch von einer Einspruchsabteilung getroffen wurde, deren Zusammensetzung nicht Artikel 19 (2) EPÜ entsprach, wurde sie auf eine Beschwerde hin aufgehoben (T 838/02 vom 29. Januar 2003). Nach Zurückverweisung der Sache wurde von der Einspruchsabteilung in anderer Zusammensetzung eine zweite, gleich lautende Entscheidung (die angefochtene Entscheidung) getroffen.

III. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Entgegenhaltungen verwiesen:

D12: CMS 08 – Handbuch, Fresenius AG Medizintechnik, 4. Ausgabe 1988

D14: Erklärung (eidesstattliche Versicherung) von Herrn Spickermann vom 27. Dezember 2000 betreffend die angebliche Vorbenutzung einer Hämodialysemaschine durch die Beschwerdegegnerin 2 auf der Tagung EDTA (European Dialysis and Transplant Association), die vom 28. Juni bis 1. Juli 1992 in Paris stattfand.

IV. Die Erfindung betrifft eine Hämodialysemaschine mit einem Anwender/Maschinen-Interface, das als Kontaktbildschirm ausgestaltet ist. Der angefochtenen Entscheidung zufolge war der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber allen schriftlichen Vorveröffentlichungen erfinderisch. Die in D14 beschriebene Vorbenutzung in Kombination mit der Druckschrift D12 ließ den Anspruchsgegenstand jedoch nahe liegend erscheinen. Dieselbe Schlussfolgerung wurde für Anspruch 1 in der gemäß dem Hilfsantrag geänderten Fassung gezogen. Unter Berufung auf die Entscheidung T 674/91 vom 30. November 1994 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) verzichtete die Einspruchsabteilung darauf, den Verfasser von D14 als Zeugen zu laden, weil seine Darlegung “hinsichtlich des Funktionsumfangs der Vorrichtung, die der Öffentlichkeit vorgeführt worden war, eindeutig” sei (Nr. 2.1 bis 2.3 der Entscheidungsgründe).

V. In der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung. Die Einspruchsabteilung habe zu Unrecht entschieden, dass die Vorbenutzung ordnungsgemäß belegt sei. Die Beweismittel bestünden aus einigen Fotografien und der Erklärung D14, doch sei den Fotografien nicht zu entnehmen, ob es sich bei dem Bildschirm um einen Kontaktbildschirm handle. Die Beschwerdegegnerin 2 habe in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zugegeben, dass das ausgestellte System nicht funktionsfähig gewesen sei. Die Ausführungen in der Erklärung seien bloße Behauptungen. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass die Funktionsmerkmale des Kontaktbildschirms als Anwender/Maschinen-Interface tatsächlich vorgeführt und damit der Öffentlichkeit gemäß Artikel 54 (2) EPÜ zugänglich gemacht worden seien. So habe ein anderer Tagungsteilnehmer, Herr Kelly, einen Kontaktbildschirm als Anwender/Maschinen-Interface weder gesehen noch vorgeführt bekommen. Eine eidesstattliche Versicherung von Herrn Kelly sei aktenkundig. Somit habe die Beschwerdegegnerin 2 ihre Behauptungen nicht lückenlos nachgewiesen. Für den Fall, dass die Kammer auf den ordnungsgemäßen Nachweis der Offenbarung erkennen sollte, beantragte die Beschwerdeführerin, Herrn Spickermann zur mündlichen Vernehmung zu laden.

VI. In Erwiderung auf die Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdegegnerin 1 die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung. Sie brachte vor, dass die Erfindung gegenüber dem schriftlichen Stand der Technik nahe liegend sei, und führte ein weiteres Schriftstück aus dem Stand der Technik an. Die angebliche Vorbenutzung blieb unerwähnt.

VII. Die Beschwerdegegnerin 2 beantragte in ihrer Erwiderung die Zurückweisung der Beschwerde. Sie ging sowohl auf die angebliche Vorbenutzung als auch auf den schriftlichen Stand der Technik ein. Eine weitere Erklärung von Herrn Spickermann wurde eingereicht, und es wurden drei weitere Zeugen benannt. Mehrere neue Entgegenhaltungen wurden angeführt, von denen einige die Vorbenutzung betrafen.

VIII. In einem Bescheid vom 3. Februar 2005 äußerte die Kammer die Ansicht, dass die Einspruchsabteilung Herrn Spickermann als Zeugen hätte laden sollen, zumal er zur Verfügung gestanden und seine Aussage sich als entscheidungsrelevant erwiesen habe. Nach Artikel 111 (1) EPÜ stünden der Kammer zwei Möglichkeiten offen. Sie könne entweder die Entscheidung aufheben und die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung, einschließlich der Vernehmung erforderlicher Zeugen, an die Einspruchsabteilung zurückverweisen oder selbst die Prüfung des Falls fortsetzen, um unverzüglich zu einer rechtskräftigen Entscheidung zu gelangen. Die Beteiligten wurden zur Stellungnahme aufgefordert.

IX. Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin 2 beantragten daraufhin, die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass eine Zurückverweisung in Anbetracht der von den Beschwerdegegnerinnen im Beschwerdeverfahren angeführten und von der Einspruchsabteilung noch nicht geprüften neuen Entgegenhaltungen mehr als angebracht sei.

X. Die Beschwerdegegnerin 1 hob hervor, dass bei einer Zurückverweisung die Angelegenheit bereits zum dritten Mal von der Einspruchsabteilung behandelt würde. Dies würde den Beteiligten erhebliche Zusatzkosten verursachen, wobei für die Zurückverweisungen alleine das EPA verantwortlich sei. Der Einspruchsabteilung sei kein wesentlicher Verfahrensmangel anzulasten, der die Zurückverweisung rechtfertigen würde.

XI. In einem zweiten Bescheid vom 15. April 2005 kündigte die Kammer unter Angabe von Gründen an, dass sie die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückverweisen wolle. Der Beschwerdegegnerin 1 wurde eine Frist zum 29. April 2005 gesetzt, innerhalb derer sie angeben sollte, ob sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zu dieser Frage aufrechterhalten wolle.

XII. Mit Schreiben vom 28. April 2005 nahm die Beschwerdegegnerin 1 ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Grund für den Widerruf des Streitpatents war, dass die Erfindung gegenüber der durch D14 nachgewiesenen Vorbenutzung nicht erfinderisch war. Für sich genommen legte nach Auffassung der Einspruchsabteilung der schriftliche Stand der Technik die Erfindung noch nicht nahe. Somit war die Beweiskraft von D14 entscheidend für die Schlussfolgerungen in der angefochtenen Entscheidung.

3. D14 ist eine eidesstattliche Versicherung, mithin eine Erklärung, die an Eides statt, d. h. nicht unter Eid, abgegeben wurde. Ihr Verfasser, Herr Spickermann, ist bei der Beschwerdegegnerin 2 angestellt. Gegenstand ist die angebliche Ausstellung einer Hämodialysemaschine durch die Beschwerdegegnerin 2 auf einer Tagung, die vom 28. Juni bis 1. Juli 1992 in Paris stattfand. Zwei Fotografien der Vorrichtung sind als Anlage beigefügt. Es wird versichert, dass die Maschine, deren Merkmale aufgezählt werden, und ihre Funktionsweise interessierten Personen ohne Geheimhaltungsverpflichtung dargelegt worden sei.

4. Die Beschwerdeführerin bestreitet die in D14 aufgestellten Behauptungen. Bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung beantragte sie, Herrn Spickermann als Zeugen zu laden (Schreiben vom 21. Oktober 2002, S. 8), und in der Beschwerdebegründung erneuerte sie diesen Antrag. Die Beschwerdegegnerin 2 war zu jeder Zeit bereit, Herrn Spickermann als Zeugen aussagen zu lassen (siehe z. B. Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, S. 4). Die Einspruchsabteilung lud Herrn Spickermann nicht als Zeugen, weil seine Erklärung “hinsichtlich des Funktionsumfangs der Vorrichtung, die der Öffentlichkeit vorgeführt worden war, eindeutig” sei, und berief sich dabei auf die Entscheidung T 674/91 (s. o.), wonach eine Erklärung u. a. den Zweck habe, dass ihr Verfasser nicht geladen werden müsse.

5. So wurde das Patent auf Grund des bestrittenen Vorbringens in der Erklärung D14 widerrufen, obwohl die Beschwerdegegnerin 2 ausdrücklich angeboten und die Beschwerdeführerin ausdrücklich beantragt hatte, deren Verfasser zu vernehmen.

6. Das EPA lässt eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel zu (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 4. Auflage 2001, VI.J.2). Nach deutschem Recht ist die eidesstattliche Versicherung jedoch kein übliches Beweismittel. Sie ist nur in bestimmten Fällen zulässig und hat eine geringere Beweiskraft als die üblichen Beweismittel. Insbesondere hat sie eine geringere Beweiskraft als eine Zeugenaussage. Das Bundespatentgericht kam daher zu dem Schluss, dass dem Antrag eines Beteiligten auf Zeugenvernehmung stattgegeben werden muss, wenn unter eidesstattlicher Versicherung aufgestellte Behauptungen bestritten werden (siehe Beschluss des Bundespatentgerichts 6 W (pat) 21/89 BPatGE 32, 11). Ob das EPA eine zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung zuständige Behörde ist, was eine falsche Versicherung zu einem Straftatbestand im Sinne von § 156 Strafgesetzbuch (StGB) machen würde, ist in der bisherigen Rechtsprechung offenbar noch nicht untersucht worden. Die Kammer stellt fest, dass nach § 27 (1) Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nur solche Behörden eidesstattliche Versicherungen abnehmen dürfen, die durch Rechtsvorschrift für zuständig erklärt worden sind. Im Hinblick auf die vorliegende Entscheidung muss dieser Aspekt nicht eingehender geklärt werden, da bereits eine einfache Erklärung ein Beweismittel im Sinne des Artikels 117 (1) EPÜ sein kann.

7. Nach den “Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt” sollte die Einspruchsabteilung dies generell so handhaben (sogar bei unter Eid abgegebenen Erklärungen), denn eine Erklärung “erlaubt der Einspruchsabteilung keine Beurteilung der Faktoren, die damit zusammenhängen oder dazu den Hintergrund bilden” (Kapitel E-IV, 1.2). Hierzu wird empfohlen: “Werden die Tatsachenbehauptungen von der Gegenseite bestritten, so legt die Einspruchsabteilung ihrer Entscheidung in der Regel eine solche Erklärung nicht zu Grunde, sondern lädt die Person, die die Erklärung abgibt, als Zeugen, wenn der Beteiligte dies anbietet.”

8. Das Vorgehen nach BPatGE 32, 11, das auch in den Richtlinien (s. o.) empfohlen wird, ist deshalb gerechtfertigt, weil eine schriftliche Erklärung als solche nicht weiter hinterfragt werden kann. Es gibt keine Möglichkeit zu überprüfen, ob sie den tatsächlichen Sachverhalt wiedergibt oder nicht. Bei einer Zeugenvernehmung kann die Glaubwürdigkeit der Aussage unter verschiedenen Aspekten geprüft werden. Dabei kann es u. a. um das Gedächtnis des Zeugen gehen oder darum, ob seine Aussage auf eigenen Beobachtungen, auf Schlussfolgerungen oder auf Auskünften Dritter beruht, ob seine Aussage durch andere Beweismittel erhärtet wird oder ob der Zeuge überhaupt beobachten konnte, was er beobachtet haben will. Es kann auch um den Zeugen selbst bzw. um Anhaltspunkte dafür gehen, dass er die Wahrheit sagt oder dass seine Aussage im Gegenteil auf einem Wahrnehmungs- oder Gedächtnisfehler beruht oder er nicht gewillt ist, die reine Wahrheit zu sagen und nichts zu verschweigen. Somit ist das Angebot, den Verfasser einer Erklärung als Zeugen aussagen zu lassen, ein relevantes und angemessenes Angebot eines Beweismittels, das den Inhalt der Erklärung möglicherweise widerlegt.

Der im Verfahren vor dem EPA geltende Grundsatz der freien Beweiswürdigung rechtfertigt nicht die Ablehnung eines solchen Angebots. Freie Beweiswürdigung bedeutet, dass es keine festen Regeln gibt, nach denen bestimmten Beweismitteln eine bestimmte Überzeugungskraft beigemessen oder abgesprochen wird. Es bedeutet nicht, dass der Spruchkörper das Beweismittel auswählen kann, das er zur Wahrheitsfindung für ausreichend hält. Vielmehr ist unter Berücksichtigung aller relevanten Beweismittel zu prüfen, ob eine Tatsache als bewiesen angesehen werden kann (G 3/97, ABl. EPA 1999, 245, Nr. 5 der Entscheidungsgründe). Anzunehmen, dass der Inhalt einer schriftlichen Erklärung durch die Vernehmung ihres Verfassers als Zeuge nicht widerlegt werden kann, käme einer vorweggenommenen Beweiswürdigung ohne Beweisaufnahme gleich (vgl. T 927/98 vom 9. Juli 1999, nicht im ABl. EPA veröffentlicht, Nr. 2.3.5 der Entscheidungsgründe), sofern nicht der Spruchkörper im Einzelfall konkrete Tatsachen ermittelt, die eine solche Schlussfolgerung rechtfertigen.

9. Die Einspruchsabteilung verwies auf die Entscheidung T 674/91 (s. o.), in der es heißt:

“Mit dieser Art von Beweismittel wird u. a. bezweckt, dass der Unterzeichner nicht als Zeuge vernommen werden muss, deshalb erscheint es überflüssig, den Kontext solcher Erklärungen durch eine Vernehmung der betreffenden Personen bestätigen zu lassen, wie von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen (Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe).

Dort ging es im Wesentlichen darum, ob eine Kopie der Erklärung statt eines Originaldokuments als Beweismittel verwendet werden kann und ob dem Unterzeichner möglicherweise Suggestivfragen gestellt wurden. Dreh- und Angelpunkt war, wie es in der Entscheidung heißt, der Kontext, in dem die Erklärungen abgegeben wurden. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon insoweit, als grundlegende, in der Erklärung aufgestellte Behauptungen bestritten werden, der Verfasser als Zeuge angeboten wurde und die Beschwerdeführerin beharrlich dessen Vernehmung gefordert hat.

10. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, Herrn Spickermann nicht als Zeugen zu laden, obwohl er zur Verfügung stand, behinderte die Beschwerdeführerin bei der Entkräftung des letztlich entscheidenden Beweismittels. Die Beschwerdeführerin wurde faktisch daran gehindert, ihre Beweismittel dafür würdigen zu lassen, dass die Vorbenutzung nicht in der Art und Weise stattgefunden hat, wie von der Beschwerdegegnerin 2 behauptet (siehe auch T 1070/98 vom 4. Juli 2000, nicht im ABl. EPA veröffentlicht, Nr. 5 der Entscheidungsgründe). Dies war umso gravierender, als die Vorbenutzung durch ebendiese Beschwerdegegnerin erfolgte und die Beweismittel dafür somit weitgehend “der Verfügungsmacht und dem Wissen des Einsprechenden” unterlagen (T 472/92, ABl. EPA 1998, 161). Mithin hat die Einspruchsabteilung den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Artikel 113 (3) EPÜ) verletzt. Das stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz rechtfertigt, sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen (Artikel 10 Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, ABl. EPA 2003, 89).

11. Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin 2 waren damit einverstanden, dass die Kammer die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückverweist. Die Beschwerdegegnerin 1 argumentierte hingegen, dass es im Ermessen der Einspruchsabteilung gelegen habe, den Zeugen zu vernehmen. Deshalb sei kein wesentlicher Verfahrensmangel und auch kein Grund für eine Zurückverweisung gegeben. Zudem sei eine Zurückverweisung wegen der vom EPA alleine verursachten Zusatzkosten für die Beteiligten unakzeptabel.

12. Die Verärgerung der Beschwerdegegnerin 1 über eine zweite Zurückverweisung aus formalen Gründen mag verständlich sein. Da jedoch die Beschwerdeführerin die Hauptbetroffene des der Einspruchsabteilung anzulastenden wesentlichen Verfahrensmangels war, verdient ihr Antrag auf Zurückverweisung besondere Berücksichtigung. Dass im Beschwerdeverfahren weitere Entgegenhaltungen eingereicht und weitere Zeugen angeboten wurden, ist ein weiterer Grund dafür, dass die Kammer die Beschwerde nicht in der Sache prüfen sollte. Da die Kammer diesen Fall vorrangig behandelt hat und dies auch von der Einspruchsabteilung zu erwarten ist, lässt sich die Verzögerung auf ein Minimum reduzieren. Die Angelegenheit wird daher zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

13. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ entspricht der Billigkeit auf Grund der Verletzung des Artikels 113 (1) EPÜ, die ursächlich für die Zurückverweisung ist.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.