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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung auf Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 97 306 722.6.
II. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Druckschriften verwiesen:
D2: T. E. Rockoff et al., “Design of an Internet-based system for remote Dutch auctions”, Internet Research: Electronic Networking Applications and Policy, Band 5, Nr. 4, 1995, S. 10 bis 16
D6: EP-A-0 628 920
III. Die Prüfungsabteilung hatte befunden, daß der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag in der ihr vorliegenden Fassung gemäß Artikel 123 (2) und 83 EPÜ nicht zulässig seien. Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags, der diesbezüglich nicht beanstandet wurde, wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß sein Gegenstand – ein Auktionsverfahren – eine Geschäftsmethode als solche sei und daher nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ nicht als Erfindung angesehen werde. Auch die entsprechende Vorrichtung gemäß Anspruch 2 sei nach Ansicht der Prüfungsabteilung vom Patentschutz ausgeschlossen, weil der Anspruch einen Gegenstand definiere, dessen Schutzumfang dem des Verfahrensanspruchs entspreche, und es formalistisch wäre, hier zwischen Ansprüchen unterschiedlicher Kategorien zu unterscheiden. Zudem beruhe der beanspruchte Gegenstand, selbst wenn er als eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ anzusehen wäre, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ.
IV. Die Beschwerdeführerin reichte zusammen mit der Beschwerdebegründung vom 16. Dezember 2002 neue Anspruchssätze gemäß einem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 3 ein. Jeder Antrag enthielt Ansprüche für ein Auktionsverfahren, eine Auktionsvorrichtung und ein Computerprogramm zur Durchführung des Verfahrens. Die entsprechenden Hilfsanträge 4 bis 7 bezogen sich ausschließlich auf den jeweiligen Vorrichtungsanspruch.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:
“Automatisiertes Auktionsverfahren, das auf einem Server- Computer ausgeführt wird und folgende Schritte umfaßt:
a) Übertragung von Informationen über ein zu versteigerndes Produkt an eine Vielzahl von Client-Computern über ein Netz, wobei jeder Client-Computer zu einem Bieter gehört;
b) Empfang einer Vielzahl von Bietinformationen zum Kauf dieses Produkts, die jeweils einen Wunschpreis und einen Höchstpreis für den Konkurrenzfall enthalten und von der Vielzahl der Client-Computer über das Netz eingehen;
c) Speicherung der eingegangenen Bietinformationen der einzelnen Bieter im Server-Computer;
d) Festlegung eines Auktionspreises;
e) Ermittlung des Bieters, dessen Wunschpreis dem Auktionspreis entspricht oder diesen übersteigt, anhand der im Server-Computer gespeicherten Bietinformationen;
f) falls in Schritt e) kein Bieter ermittelt wird: Reduzierung des Auktionspreises und Wiederholung des Schritts e);
g) falls in Schritt e) mehr als ein Bieter ermittelt wird: Feststellung anhand der im Server-Computer gespeicherten Bietinformationen, ob für mehr als einen Bieter der Auktionspreis den Wunschpreis unterschreitet oder diesem entspricht, so daß ein Konkurrenzfall eintritt;
h) falls der Konkurrenzfall eintritt: Erhöhung des Auktionspreises um einen vorgegebenen Betrag;
i) Ausschluß des Bieters, dessen Preisangebot niedriger als der erhöhte Auktionspreis ist, und Feststellung des anderen Bieters bzw. der anderen Bieter anhand der Bietinformationen;
j) Prüfung, ob für den bzw. die in Schritt i) ermittelten Bieter der Konkurrenzfall eintritt;
k) Wiederholung der Schritte h), i) und j) und Ermittlung des verbleibenden Bieters, der den Zuschlag erhält, wenn in Schritt j) kein Konkurrenzfall eintritt; sowie
l) falls in Schritt g) kein Konkurrenzfall eintritt: Ermittlung des verbleibenden Bieters, der den Zuschlag erhält.”
Anspruch 3 betrifft eine “computergesteuerte Auktionsvorrichtung zur Durchführung einer automatisierten Auktion über ein Netz mit einer Vielzahl von Bietern, die eine entsprechende Vielzahl von Client-Computern benutzen”, wobei die Vorrichtung mit Mitteln zur Durchführung der in Anspruch 1 genannten Schritte ausgestattet ist.
Anspruch 4 betrifft ein “Computerprogramm, das bei Betrieb in einem Computernetz mit Client-Computern und einem Server” das Verfahren nach Anspruch 1 durchführt.
VI. Anspruch 2 des ersten Hilfsantrags betrifft eine Auktionsvorrichtung, die zusätzlich mit Mitteln zum Empfangen und Speichern einer “Mengenangabe” und eines “Produktmengenstatus” ausgestattet ist, um zu ermitteln, ob “noch Produkte übrig sind”, worauf die Auktion fortgesetzt wird.
Die Ansprüche 1 und 3 sind auf ein entsprechendes Verfahren beziehungsweise Computerprogramm gerichtet.
VII. Anspruch 2 des zweiten Hilfsantrags betrifft eine Auktionsvorrichtung, die zusätzlich zur Vorrichtung des vorhergehenden Antrags “Regeln” zur Ermittlung des Bieters verwendet, der den Zuschlag erhält.
Die Ansprüche 1 und 3 sind auf ein entsprechendes Verfahren beziehungsweise Computerprogramm gerichtet.
VIII. Anspruch 2 des dritten Hilfsantrags betrifft eine Auktionsvorrichtung, die zusätzlich “Mittel zum Empfangen einer Bieterkennung” und eines “Paßworts” aufweist, um “jeden Bieter anhand der Kennung und des Paßworts zu authentifizieren”.
Die Ansprüche 1 und 3 sind auf ein entsprechendes Verfahren beziehungsweise Computerprogramm gerichtet.
IX. Am 21. April 2004 fand eine mündliche Verhandlung statt. Dort argumentierte die Beschwerdeführerin im wesentlichen wie folgt:
Für das automatisierte Auktionsverfahren nach Anspruch 1 sei ein automatisiertes System notwendig, das in einem Netz betrieben werde. Wenn – wie in der Entscheidung T 931/95 (ABl. EPA 2001, 441) dargelegt – ein unter Artikel 52 (2) EPÜ fallender Sachverhalt ohne Würdigung des Standes der Technik beurteilt werden solle, könne als Erfordernis für den technischen Charakter des Verfahrens nicht verlangt werden, daß die Hardware-Komponenten des Anspruchs neu seien. Da eine Vorrichtung der Rechtsprechung zufolge auch patentierbar sein könnte, wenn sie geschäftsbezogene Informationen verarbeite, könne ein entsprechendes Verfahren mit technischen Merkmalen nicht nach Artikel 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen werden. Den Anmeldern sollte es erlaubt sein, die Verwendung einer patentierbaren Vorrichtung zu beanspruchen.
Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit argumentierte die Beschwerdeführerin, daß die Erfindung nicht die bloße Automatisierung einer bekannten Auktion sei, weil die Auktionsprinzipien neu seien. Auf die vorgeschlagene Weise könne eine Auktion durchgeführt werden, ohne daß die Teilnehmer online bieten müßten, was das aus dem Stand der Technik bekannte Problem mangelnder Synchronisation und unterschiedlicher Zeitverzögerungen innerhalb des von den Bietern genutzten Netzes löse. Die Lösung habe technischen Charakter, da sie die Eingabe neuer Daten in den Computer erfordere. Somit unterscheide sich der vorliegende Fall von dem in der Sache T 931/95 dadurch, daß die Auktionsregeln ausschließlich mit dem Ziel entwickelt worden seien, technische Nachteile des bekannten Auktionscomputers auszuräumen.
X. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 16. Dezember 2002 als Hauptantrag beziehungsweise als Hilfsanträge 1 bis 3 eingereichten Anspruchssätze oder auf der Grundlage der in diesem Scheiben enthaltenen Hilfsanträge 4 bis 7.
XI. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde genügt den in der Regel 65 (1) EPÜ aufgeführten Bestimmungen und ist daher zulässig.
Hauptantrag
2. Die Erfindung gemäß Anspruch 1 ist ein “automatisiertes Auktionsverfahren, das auf einem Servercomputer ausgeführt wird”. In Anspruch 3 ist eine “computergesteuerte Auktionsvorrichtung” definiert, die einen Server-Computer umfaßt, und in Anspruch 4 ein Computerprogramm zur Durchführung einer Auktion. Die Merkmale der Ansprüche sind eng miteinander verwandt und basieren im wesentlichen auf denselben Verfahrensschritten.
Das Verfahren läßt sich folgendermaßen beschreiben: Die Auktion beginnt mit einem ersten Datenaustausch zwischen den Client-Computern und dem Server-Computer, um die Gebote der Teilnehmer einzuholen. Jedes Gebot enthält zwei Preise, nämlich einen “Wunschpreis” und einen “Höchstpreis im Konkurrenzfall”. Nach dieser ersten Phase läuft die Auktion automatisch und muß von den Bietern nicht online verfolgt werden. Ein Auktionspreis wird festgelegt und nach und nach gesenkt (ein typischer Vorgang bei sogenannten holländischen Auktionen), bis der Wert des höchsten Gebots bzw. der höchsten Gebote entsprechend dem “Wunschpreis” erreicht ist. Im Falle mehrerer identischer Gebote wird der Preis so lange angehoben, bis nur der Bieter übrig ist, der den höchsten “Höchstpreis” geboten hat. Dieser Bieter erhält den Zuschlag. In Anspruch 1 sind keine näheren Angaben zum genauen Preis oder zu den Regeln und Bedingungen für die Ermittlung der Mengen des zu versteigernden Produkts festgelegt.
3. Nichterfindungen nach Artikel 52 (2) EPÜ: Die Vorrichtung gemäß Anspruch 3
3.1 Nach Artikel 52 (1) EPÜ werden europäische Patente für Erfindungen erteilt, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Absatz 2 des Artikels 52 enthält eine Auflistung von Gegenständen, die nicht als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 angesehen werden. Somit muß ein beanspruchter Gegenstand vier Erfordernisse erfüllen: Er muß eine “Erfindung” sein, und diese Erfindung muß neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar sein. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist der Begriff “Erfindung” zu verstehen als “Gegenstand mit technischem Charakter”. Die Feststellung, daß es sich bei dem beanspruchten Gegenstand um eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ handelt, ist im Prinzip eine Voraussetzung für die Prüfung auf Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit, da diese Erfordernisse nur für Erfindungen definiert sind (vgl. Art. 54 (1), 56 und 57 EPÜ). Der Aufbau des EPÜ legt somit nahe, daß es ohne jede Kenntnis des Standes der Technik (einschließlich des allgemeinen Fachwissens) möglich sein muß festzustellen, ob ein Gegenstand nach Artikel 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist.
3.2 Dem in der früheren Rechtsprechung der Beschwerdekammern verwendeten sogenannten Beitragsansatz liegt der Gedanke zugrunde, daß das EPÜ eine Patentierung nur “in den Fällen [zuläßt], in denen die Erfindung einen Beitrag zum Stand der Technik auf einem vom Patentschutz nicht ausgeschlossenen Gebiet leistet” (T 38/86, ABl. EPA 1990, 384, Leitsatz II). Mit anderen Worten wurde für die Prüfung des ersten Erfordernisses, d. h. für die Prüfung auf Vorliegen einer Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ, ein Kriterium aufgestellt, das auf der Erfüllung weiterer in diesem Artikel erwähnter Erfordernisse, insbesondere Neuheit und/oder erfinderische Tätigkeit, beruhte. Somit wurde bei der Ermittlung, ob ein Gegenstand nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist, der Stand der Technik in einem gewissen Umfang berücksichtigt:
“Bei der vorstehenden Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung einen technischen Beitrag zum Stand der Technik leistet oder ihre Ausführung mit technischen Überlegungen einhergeht, deren Ergebnis als technischer Beitrag zum Stand der Technik gewertet werden kann, sind (außer dem allgemeinen Stand der Computertechnik, s. Nr. 3.4) keine einzelnen Schriften wie beispielsweise die Druckschrift D1 berücksichtigt worden. Aber auch dann wird sich faktisch nichts an der vorstehenden Analyse ändern” (T 769/92, ABl. EPA 1995, 525, Nr. 3.8 der Entscheidungsgründe).
3.3 In jüngeren Entscheidungen der Kammern wurde jedoch befunden, daß bei der Prüfung auf Vorliegen einer Erfindung jeglicher Vergleich mit dem Stand der Technik unangemessen ist:
“Die Ermittlung des technischen Beitrags, den eine Erfindung zum Stand der Technik leistet, ist daher eher ein probates Mittel zur Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit als zur Entscheidung der Frage, ob das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ greift” (T 1173/97, ABl. EPA 1999, 609, Nr. 8 der Entscheidungsgründe).
“Das EPÜ entbehrt jeder Grundlage, bei der Prüfung, ob die fragliche Erfindung als eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ anzusehen ist, zwischen “neuen Merkmalen” und Merkmalen der Erfindung, die aus dem Stand der Technik bekannt sind, zu unterscheiden. Daher fehlt auch die Rechtsgrundlage, hierbei den sogenannten Beitragsansatz anzuwenden” (T 931/95, a. a. O., Leitsatz IV).
Diese Ansicht wird von der Kammer in der jetzigen Besetzung geteilt.
3.4 Zudem sind gemäß Artikel 52 (3) EPÜ die in Absatz 2 dieses Artikels aufgeführten Gegenstände nur als solche vom Patentschutz ausgeschlossen. Schon lange gilt, daß aufgrund dieser Vorschrift eine Mischung aus technischen und nichttechnischen Merkmalen patentierbar sein kann:
“Durch den Einsatz technischer Mittel kann ein Verfahren für gedankliche Tätigkeiten ganz oder teilweise ohne menschliche Eingriffe durchgeführt werden und dadurch im Hinblick auf Artikel 52 (3) EPÜ zu einem technischen Vorgang oder Verfahren werden, so daß eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ vorliegt” (T 38/86, a. a. O., Leitsatz III).
“Die Bejahung der Patentfähigkeit kann nicht durch ein zusätzliches Merkmal zunichte gemacht werden, das als solches selbst dem Patentierungsverbot unterliegen würde …” (T 769/92, a. a. O., Leitsatz II).
3.5 Unter Berücksichtigung der Feststellungen, daß eine Mischung aus technischen und nichttechnischen Merkmalen als Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ angesehen werden kann und der Stand der Technik bei der Entscheidung, ob es sich beim beanspruchten Gegenstand um eine solche Erfindung handelt, nicht zu berücksichtigen ist, besteht also ein zwingender Grund dafür, einen technische und nichttechnische Merkmale aufweisenden Gegenstand nicht nach Artikel 52 (2) EPÜ zurückzuweisen, ganz einfach darin, daß sich herausstellen könnte, daß die technischen Merkmale selbst allen Erfordernissen des Artikels 52 (1) EPÜ genügen.
3.6 Darüber hinaus ist es oft schwer, einen Anspruch in technische und nichttechnische Merkmale zu unterteilen, und eine Erfindung kann technische Aspekte aufweisen, die in einem weitgehend nichttechnischen Kontext verborgen sind (s. Nr. 5.8 weiter unten). Solche technischen Aspekte sind im Rahmen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit unter Umständen leichter auszumachen, die nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern den technischen Aspekten einer Erfindung gilt (s. Nr. 5.3 weiter unten). So kann es neben dem restriktiven Wortlaut des Artikels 52 (3) EPÜ, mit dem der Anwendungsbereich des Artikels 52 (2) EPÜ eingeschränkt wird, praktische Gründe dafür geben, Mischungen aus technischen und nichttechnischen Merkmalen generell als Erfindungen im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ anzusehen.
3.7 Daher befindet die Kammer, daß die Vorrichtung des Anspruchs 3 entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ ist, weil sie eindeutig technische Merkmale wie “Server-Computer”, “Client-Computer” und ein “Netz” aufweist.
3.8 Diese Schlußfolgerung steht in Einklang mit der Entscheidung T 931/95, wo es in Leitsatz III heißt:
“Eine Vorrichtung, die als eine physikalische Entität oder ein konkretes Erzeugnis anzusehen ist, ist – auch wenn sie sich zur Ausführung oder Unterstützung einer wirtschaftlichen Tätigkeit eignet – eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ.”
3.9 Teil C Kapitel IV Abschnitt 2.3.6 (vorletzter Absatz, dritter Satz) der “Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt”, Dezember 2003, stimmt mit der Beurteilung der Kammer überein. Allerdings stellt die Kammer fest, daß sich die Richtlinien insofern selbst zu widersprechen scheinen, als visuelle Anzeigevorrichtungen, Bücher, Schallplatten, Verkehrszeichen und Vorrichtungen zur Wiedergabe von Informationen als nicht patentierbar eingestuft werden, also nach Artikel 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen sind, wenn sie lediglich durch den Inhalt der Informationen definiert werden (s. C-IV, 2.3.7).
4. Nichterfindungen nach Artikel 52 (2) EPÜ: Das Verfahren gemäß Anspruch 1
4.1 Die vorangegangene Begründung (Nr. 3.5) ist von der Anspruchskategorie unabhängig. Somit ist im vorliegenden Fall auch das Verfahren gemäß Anspruch 1 nicht nach Artikel 52 (2) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen.
4.2 Diese Schlußfolgerung steht nicht in Einklang mit dem Leitsatz II der Entscheidung T 931/95, in dem es heißt: “Ein Verfahrensmerkmal, das die Verwendung technischer Mittel für einen rein nichttechnischen Zweck und/oder zur Verarbeitung rein nichttechnischer Informationen betrifft, verleiht einem solchen Verfahren nicht zwangsläufig technischen Charakter” (vgl. auch Richtlinien C-IV, 2.3.6, vorletzter Absatz, zweiter Satz).
4.3 Angesichts der Feststellung, daß sich der sogenannte “Beitragsansatz”, der die Bewertung unterschiedlicher Patentierbarkeitserfordernisse wie Neuheit oder erfinderische Tätigkeit mit einbezieht, nicht für die Prüfung der Frage eignet, ob der beanspruchte Gegenstand eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ ist, sollte es allerdings nicht erforderlich sein, näher auf die Relevanz technischer Aspekte eines Verfahrensanspruchs einzugehen, um den technischen Charakter dieses Verfahrens zu bestimmen. Die Kammer ist der Auffassung, daß die Prüfung des technischen Charakters eines Verfahrens anhand des Banalitätsgrads der technischen Merkmale des Anspruchs nach wie vor Elemente des Beitragsansatzes enthalten würde, da sie eine Bewertung im Lichte des verfügbaren Stands der Technik oder des allgemeinen Fachwissens impliziert.
4.4 In der Praxis wird diese Widersprüchlichkeit ganz deutlich bei der Prüfung der Frage, ob ein Verfahren, bei dem technische Mittel für einen rein nichttechnischen Zweck verwendet werden, technischen Charakter aufweist. In diesem Fall wäre nach dem Ansatz von T 931/95 das bloße Vorliegen solcher Mittel nicht unbedingt ausreichend, um dem Verfahren technischen Charakter zu verleihen. Nach Auffassung der Kammer würde eine praktische Beantwortung dieser Frage eine gewisse Gewichtung der Merkmale nach ihrer Bedeutung umfassen, um den “Kern” der Erfindung zu bestimmen, und zwangsläufig auch Erwägungen über deren technische Relevanz einschließen, insbesondere über einen möglichen neuen oder erfinderischen Beitrag zum Stand der Technik. Die Kammer möchte hinzufügen, daß eine solche Gewichtung bereits in der frühen Rechtsprechung der Beschwerdekammern abgelehnt wurde (s. T 26/86, ABl. EPA 1988, 19, Leitsatz II).
4.5 Schließlich ist die Kammer in der jetzigen Besetzung nicht davon überzeugt, daß der Wortlaut des Artikels 52 (2) c) EPÜ, wonach “Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten” nicht als Erfindungen im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ angesehen werden, eine unterschiedliche Behandlung von Ansprüchen erfordert, je nachdem, ob diese auf Tätigkeiten oder auf Gegenstände zur Durchführung dieser Tätigkeiten gerichtet sind. Von Bedeutung ist hinsichtlich des Erfindungsbegriffs im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ das Vorliegen eines technischen Charakters, der durch die physikalischen Merkmale eines Gegenstands oder die Natur einer Tätigkeit impliziert oder einer nichttechnischen Tätigkeit durch die Verwendung technischer Mittel verliehen werden kann. Insbesondere ist die Kammer der Auffassung, daß der letzte Fall nicht als Nichterfindung “als solche” im Sinne des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ angesehen werden kann. Nach Ansicht der Kammer wären somit Aktivitäten, die unter den Begriff einer Nichterfindung “als solcher” fallen, typischerweise rein abstrakte Konzepte ohne jeglichen technischen Bezug.
4.6 Der Kammer ist bewußt, daß ihre vergleichsweise breite Auslegung des Begriffs “Erfindung” in Artikel 52 (1) EPÜ auch Tätigkeiten einschließt, die so vertraut sind, daß ihr technischer Charakter leicht übersehen wird, wie etwa das Schreiben mit Stift und Papier. Natürlich bedeutet dies aber nicht, daß alle Verfahren, bei denen technische Mittel verwendet werden, patentierbar sind. Auch sie müssen neu sein, eine nicht naheliegende technische Lösung einer technischen Aufgabe darstellen und gewerblich anwendbar sein.
4.7 Somit ist ein Verfahren, bei dem technische Mittel verwendet werden, im allgemeinen eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ.
5. Erfinderische Tätigkeit: Anspruch 1
5.1 Nachdem die Neuheit im vorliegenden Verfahren außer Frage steht, geht die Kammer im folgenden auf die erfinderische Tätigkeit ein.
5.2 Die Druckschrift D6 offenbart ein Auktionssystem, bei dem eine Bedienerstation des Auktionators mit Bedienerstationen der Bieter verbunden ist (vgl. die Zusammenfassung). Es handelt sich um eine holländische Auktion, bei der der Auktionspreis, der auf einer “Auktionsuhr” überwacht wird, mit der Zeit abnimmt. Die Bieter müssen die Auktion an ihren Bedienerstationen verfolgen. Ein Bieter kann die Uhr durch Betätigung einer Taste an seiner Station stoppen (Spalte 2, Zeilen 37 bis 39). Den Zuschlag erhält der Bieter, der die Uhr als erster stoppt (Spalte 1, Zeilen 27 bis 32). Da das Echtzeitverhalten bei einer holländischen Auktion sehr wichtig ist (Spalte 3, Zeilen 31 bis 35), werden mit den Mitteilungen auch Zeitinformationen übertragen, damit die Reihenfolge der Stopbefehle ermittelt werden kann (Spalte 4, Zeilen 16 bis 36).
D2 ähnelt D6. Hier wird das Problem der Übertragungsverzögerung durch eine programmierte Phasenregelschleife (Abbildung 6) gelöst, die eine zeitliche Synchronisation zwischen der Auktionsuhr und den Bedienerstationen der Bieter bewirkt.
5.3 Entsprechend den in der Entscheidung T 641/00 (ABl. EPA 2003, 352, vgl. Leitsatz I) dargelegten Grundsätzen wird die Erfindung im Hinblick auf das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit geprüft, indem nur diejenigen Merkmale berücksichtigt werden, die zum technischen Charakter beitragen. Daher gilt es, die Merkmale zu ermitteln, die einen technischen Beitrag leisten.
5.4 Das Ziel des beanspruchten Verfahrens besteht darin, den Bieter zu ermitteln, dem für ein per Auktion versteigertes Produkt der Zuschlag erteilt wird. Diesem Ziel kann kein technischer Charakter zugesprochen werden, was von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet wurde.
Andererseits sind Merkmale, die die Datenübertragung und – speicherung betreffen, insbesondere die Merkmale a) bis c) des Anspruchs, als solche technisch. Allerdings handelt es sich dabei eindeutig um Standardmerkmale, die beispielsweise aus der Druckschrift D6 bekannt sind.
Die Merkmale d) bis l) sind Bedingungen, um anhand der gespeicherten Informationen zu ermitteln, welcher Bieter den Zuschlag erhält. Die Bedingungen betreffen nur Preise und haben – vielleicht mit Ausnahme von Merkmal h) (s. Nr. 5.8) – keinen technischen Charakter. Zwar werden sie auf einem Computer ausgeführt, und der Gesamtstatus des Computers ändert sich mit jeder ausgeführten Instruktion; dies gilt aber nicht als technische Wirkung, sondern vielmehr als bloßer Ausdruck der in den Preisen und Bedingungen enthaltenen Informationen. Die Art von Ausdruck könnte als technisch angesehen werden, ist auf dem Gebiet der Datenverarbeitung aber bekannt.
5.5 Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, daß die technische Wirkung darin bestehe, das im Stand der Technik bestehende Problem der Verzögerung der Informationsweitergabe zwischen den Bietern und dem Server zu lösen. Werde die Auktion – wie in den Druckschriften D6 oder D2 vorgeschlagen – online durchgeführt, so beeinflußten solche Verzögerungen das Ergebnis der Auktion.
5.6 Die Lösung dieses Problems bestehe darin, das bekannte Auktionsverfahren so anzupassen, daß es sich automatisch durchführen lasse. Dadurch würden Verzögerungen bei der Datenübertragung irrelevant.
5.7 Nach Auffassung der Kammer trägt diese Lösung jedoch nicht zu einem technischen Charakter bei und kann daher bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht in Betracht gezogen werden, weil sie sich auf die Regeln der Auktion bezieht, d. h. keine technische Lösung für das in den Druckschriften D2 und D6 beschriebene (und mit technischen Mitteln gelöste) Verzögerungsproblem darstellt, sondern eine Lösung, die ausschließlich auf einer Abänderung des Auktionsverfahrens basiert. Verfahrensschritte, die in der Änderung einer Geschäftsidee bestehen und dazu dienen, eine technische Aufgabe zu umgehen, anstatt sie mit technischen Mitteln zu lösen, können nicht zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beitragen.
Zudem besteht, wie die Beschwerdeführerin auch einräumt, ein hervorstechendes Merkmal der Erfindung darin, daß im Falle mehrerer Bieter, die denselben “Wunschpreis” angegeben haben, der Auktionspreis angehoben wird, um die niedrigeren Angebote auszusortieren. Dafür sind bestimmte Bietinformationen – ein “Wunschpreis” und ein “Höchstpreis” – sowie die Überprüfung verschiedener Bedingungen erforderlich. Dieses Merkmal ist jedoch völlig unabhängig von der Computeranordnung für die Durchführung der Auktion und könnte ebensogut im Rahmen einer holländischen Auktion ohne Computerunterstützung verwendet werden, indem beispielsweise schriftliche Gebote über ein Ausschreibungsverfahren eingeholt werden, so daß die Teilnehmer nicht bei der Auktion anwesend sein müssen. Das Ergebnis einer solchen hypothetischen Auktion wäre dasselbe.
Daher ist die Erfindung als bloße Automatisierung der nichttechnischen Tätigkeit der Durchführung einer holländischen Auktion in Abwesenheit der Bieter zu betrachten. Eine für die Entwicklung der Regeln der hypothetischen Auktion etwa erforderliche Kreativität kann gemäß den in der Entscheidung T 641/00 dargelegten Grundsätzen nicht bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden. Der technische Teil der Erfindung beschränkt sich somit im wesentlichen darauf, dem Server-Computer die Anweisungen zur Anwendung der vorgegebenen Bedingungen zu erteilen und bei Bedarf die erforderlichen Berechnungen durchzuführen.
5.8 Ist ein Verfahrensschritt aber so konzipiert, daß er sich besonders für die Durchführung auf einem Computer eignet, hat er unter Umständen dennoch technischen Charakter. Für einen solchen Schritt könnten technische Überlegungen zu den Funktionsprinzipien eines Computers erforderlich sein (vgl. T 769/92, a. a. O., Leitsatz I). Dieser Standpunkt wurde auch in der Sache T 52/85 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) vertreten, wo ein Verfahren zur Anzeige einer Liste von Ausdrücken, die mit einem anderen sprachlichen Ausdruck semantisch verwandt sind, genau deshalb für nichttechnisch befunden wurde, weil keine derartigen technischen Überlegungen erforderlich waren: Das Verfahren war “nichts anderes als das, was ein Mensch, der nach semantisch verwandten Wörtern sucht, auch tun würde” (s. Nr. 5.8 der Entscheidungsgründe).
Die zu prüfende Erfindung könnte ein solches Merkmal aufweisen, das nicht der Vorgehensweise eines Menschen entspricht, der die Auktion ohne Computerunterstützung durchführt. Dafür kommt die sukzessive Erhöhung des Auktionspreises in Frage, um unter den Höchstpreisen der Bieter, die denselben Wunschpreis angegeben haben, den höchsten zu ermitteln (Schritt h)). Ein Auktionator würde dazu vermutlich lediglich einen Blick auf die Gebote werfen. Die Kammer ist aber der Auffassung, daß ein solches Ordnen der Gebote eine Routineprogrammierung darstellt, die dem Fachmann durchaus zu Gebote steht. Auch wenn dieses Merkmal also möglicherweise eine technische Lösung für eine Aufgabe darstellt, wäre es somit für den Fachmann auf dem Gebiet der Datenverarbeitung naheliegend gewesen.
5.9 Daraus folgt, daß das automatisierte Auktionsverfahren gemäß Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ).
6. Erfinderische Tätigkeit: Anspruch 3
Aus denselben Gründen beruht auch die computergestützte Auktionsvorrichtung gemäß Anspruch 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
7. Anspruch 4
Das Computerprogramm gemäß Anspruch 4 ist durch dieselben Schritte wie das Verfahren gemäß Anspruch 1 definiert und daher ebenfalls nicht patentierbar, weil es nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Daher muß nicht geprüft werden, ob es nach Artikel 52 (2) c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 52 (3) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist.
8. Da keiner der unabhängigen Ansprüche zulässig ist, wird der Hauptantrag der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.
Hilfsantrag 1
9. Der Vorrichtungsanspruch 2 unterscheidet sich von Anspruch 3 des Hauptantrags darin, daß neben dem Preis auch Mengenangaben festgelegt werden. Die Beschwerdeführerin hat erläutert, daß mit diesen Änderungen die Einwände der Prüfungsabteilung nach Artikel 123 (2) EPÜ ausgeräumt werden sollten. Die Kammer befindet, daß diese Mengenangaben Teil der Auktionsprinzipien sind und daher nicht zu einer erfinderischen Tätigkeit beitragen können.
Hilfsantrag 2
10. In Vorrichtungsanspruch 2 wird die Auktionsvorrichtung anhand von Regeln definiert, die “gefeuert” werden, d. h. von Bedingungen, die erfüllt werden. Auch dieser geänderte Wortlaut hat keine Auswirkungen auf die erfinderische Tätigkeit.
Hilfsantrag 3
11. Die Vorrichtung gemäß Anspruch 2 kann zusätzlich die Bieter anhand ihrer Paßwörter authentifizieren. Dies ist jedoch ein allgemein bekanntes Merkmal von Computernetzen, das im vorliegenden Kontext nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Hilfsanträge 4 bis 7
12. Die Hilfsanträge 4 bis 7 entsprechen dem Hauptantrag beziehungsweise den Hilfsanträgen 1 bis 3 und enthalten jeweils einen einzigen Anspruch, der mit dem Vorrichtungsanspruch des betreffenden Antrags identisch ist. Aus den bereits genannten Gründen sind sie daher nicht gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.