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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1995:T080393.19950719
Datum der Entscheidung: 19 Juli 1995
Aktenzeichen: T 0803/93
Entscheidung der Großen Beschwerdekammer: G 0004/95
Anmeldenummer: 85304219.0
IPC-Klasse: G07G 1/06
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders: Bogasky
Name des Einsprechenden: Sensormatic Electronics Corp.
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen vorgelegt:
1. Darf im Hinblick auf Artikel 133 EPÜ eine Person, die nicht gemäß Artikel 134 EPÜ zur Vertretung von Verfahrensbeteiligten vor dem EPA zugelassen, aber in Begleitung einer sowohl zugelassenen als auch bevollmächtigten Person ist, in der mündlichen Verhandlung vor dem EPA nach Artikel 116 EPÜ und im Rahmen des Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahrens für einen Beteiligten mündliche Ausführungen zu Rechtsfragen machen, die der Fall aufwirft?
2.Darf im Hinblick auf die Artikel 117 und 133 EPÜ eine Person, die nicht gemäß Artikel 134 EPÜ zur Vertretung von Verfahrensbeteiligten vor dem EPA zugelassen, aber in Begleitung einer sowohl zugelassenen als auch bevollmächtigten Person ist, in der mündlichen Verhandlung vor dem EPA nach Artikel 116 EPÜ und im Rahmen des Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahrens für einen Beteiligten auch außerhalb einer mündlichen Vernehmung nach Artikel 117 (3) EPÜ mündliche Ausführungen zu technischen Fragen machen, die der Fall aufwirft?
3. Die folgenden Zusatzfragen beziehen sich sowohl auf die Rechtsfrage 1 als auch 2:
a) Wenn die Frage bejaht wird, besteht ein Rechtsanspruch, oder dürfen die mündlichen Ausführungen im Namen des Beteiligten nur mit Zustimmung des EPA und nach seinem Ermessen gemacht werden?
b) Wenn die mündlichen Ausführungen nur nach dem Ermessen des EPA gemacht werden dürfen, welche Kriterien gelten dann für die Ausübung dieses Ermessens?
c) Gelten für zugelassene Patentvertreter aus Ländern, die nicht Vertragsstaaten des EPÜ sind, besondere Kriterien?
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 112
European Patent Convention 1973 Art 117
European Patent Convention 1973 Art 133
European Patent Convention 1973 Art 134
Schlagwörter: Mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung
Vortrag des vollständigen Falls des Einsprechenden durch eine nicht nach Artikel 134 EPÜ berechtigte Person
Vom Patentinhaber geltend gemachter wesentlicher Verfahrensmangel
Befassung der Großen Beschwerdekammer
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
J 0011/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0752/93
T 0334/94

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen das europäische Patent Nr. 0 169 649 wurde Einspruch nach Artikel 100 a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit sowie nach Artikel 100 b) EPÜ eingelegt. Der Gegenstand des Patents betrifft eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Verminderung von Diebstählen aus einem Warenhaus.

II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung fand am 20. Juli 1993 eine mündliche Verhandlung statt. Laut Niederschrift über die mündliche Verhandlung waren Herr Skone James (bevollmächtigter zugelassener Vertreter) in Begleitung von Frau Payne auf seiten des Patentinhabers und Herr Hafner (bevollmächtigter zugelassener Vertreter) in Begleitung der Herren Blecker und Engdahl auf seiten des Einsprechenden anwesend.

In der Niederschrift heißt es auch, daß Herr Hafner nach der Eröffnung der mündlichen Verhandlung “den Widerruf des Patents sowohl in der erteilten Fassung als auch in der durch den Hilfsantrag des Patentinhabers geänderten Fassung beantragte” und “die Bitte vortrug, Herrn Herbert Blecker aus New York (USA), einen Sachverständigen für Sicherheit in Ladengeschäften, die technischen Gesichtspunkte des Falles vortragen zu lassen”. Herrn Bleckers Geschäftskarte liegt der Niederschrift bei und weist ihn als Angehörigen der Firma Robin, Blecker, Daley and Driscoll, Madison Avenue, New York, aus.

Aus der Niederschrift geht hervor, daß im Anschluß daran im wesentlichen der vollständige Fall des Einsprechenden von Herrn Blecker, der des Patentinhabers hingegen von Herrn Skone James vorgetragen wurde. Kurz bevor sich die Einspruchsabteilung zur Beratung zurückzog, bekräftigte Herr Hafner laut Niederschrift den Antrag des Einsprechenden, das Patent zu widerrufen.

Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet, daß das Patent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit widerrufen werde.

In einer schriftlichen Entscheidung vom 2. August 1993 wurde im einzelnen begründet, warum dem Anspruch 1 in der erteilten Fassung und dem Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag keine erfinderische Tätigkeit zugebilligt werden könne.

III. Laut einer in der Akte befindlichen Notiz über ein Telefongespräch zwischen Herrn Skone James und einem Prüfer, der nicht Mitglied der Einspruchsabteilung war, habe Herr Skone James am 3. August 1993 Fragen in bezug auf Herrn Bleckers Anwesenheit sowie sein Auftreten in der mündlichen Verhandlung am 20. Juli 1993 gestellt. Der Notiz zufolge erteilte der Prüfer Herrn Skone James unter Bezugnahme auf die Richtlinien für die Prüfung sowie auf ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Einspruchsabteilung folgende Auskunft:

“Europäische Patentvertreter können sich von einem technischen Sachverständigen begleiten lassen, der die technischen Argumente vorträgt; sie machen von dieser Möglichkeit auch häufig Gebrauch.

Theoretisch kann sich der Vortrag des Sachverständigen auf alle oder nur auf einige der technischen Gesichtspunkte erstrecken.

Die patentrechtlichen Fragen, z. B. das Einbringen von Anträgen, … sollten dem europäischen Patentvertreter vorbehalten sein.

Ob der “Sachverständige” Patentvertreter ist, hat keine Bedeutung, denn er hat sich auf technische Fragen zu beschränken und trägt nicht die “patentrechtlichen” Gesichtspunkte vor.

Die Entscheidung bleibt bestehen. Fühlt sich ein Beteiligter beschwert, so bleibt ihm nur die Möglichkeit, Beschwerde einzulegen.”

IV. Der Patentinhaber legte ordnungsgemäß Beschwerde ein. In der Beschwerdeschrift beantragte er die Aufhebung der Entscheidung, die Ansprüche 1 bis 12 in der erteilten Fassung zurückzuweisen. In der Beschwerdebegründung wurde im wesentlichen folgendes vorgetragen:

1. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 20. Juli 1993 habe aus den folgenden Gründen ein wesentlicher Verfahrensmangel vorgelegen:

a) Herr Dr. Hafner und Herr Blecker hätten den Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vertreten. Der Einsprechende habe seinen Wohn- und Geschäftssitz in den USA, aber keinen Sitz in einem der Vertragsstaaten. Herr Blecker sei US-Patentvertreter, aber kein europäischer Patentvertreter. Nach Artikel 133 und 134 EPÜ sei er nicht berechtigt gewesen, als Vertreter des Einsprechenden das Wort zu ergreifen. Insbesondere heiße es in Artikel 133 (2) EPÜ wie folgt: “Natürliche oder juristische Personen, die weder Wohnsitz noch Sitz in einem Vertragsstaat haben, müssen in jedem durch” das EPÜ “geschaffenen Verfahren durch einen zugelassenen Vertreter vertreten sein und Handlungen … durch ihn vornehmen …” Artikel 134 (1) EPÜ laute wie folgt: “Die Vertretung natürlicher oder juristischer Personen … kann nur durch zugelassene Vertreter wahrgenommen werden …” und Artikel 134 (7) EPÜ stelle fest: “Die Vertretung … kann wie von einem zugelassenen Vertreter auch von jedem Rechtsanwalt, der in einem Vertragsstaat zugelassen ist … wahrgenommen werden …” usw. Herr Blecker erfülle keine dieser Bedingungen.

Die Entscheidung T 80/84 (ABl. EPA 1985, 269) sei für diesen Fall unmittelbar rechtserheblich.

Ferner sei Herr Blecker gar kein “Sachverständiger für Sicherheit in Ladengeschäften”. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei zwar auf der Grundlage von Erklärungen und Argumenten zustandegekommen, die von Herrn Blecker vorgetragen worden seien, aber da dieser weder bevollmächtigter Vertreter noch technischer Sachverständiger sei, könne man in seine Aussagen kein Vertrauen setzen.

b) Auch wenn man Herrn Blecker – entgegen dem vorstehend Gesagten – als technischen Sachverständigen betrachten wolle, so seien die Erfordernisse der Regel 72 EPÜ bezüglich der Vernehmung von Sachverständigen nicht erfüllt worden. Der Patentinhaber sei nämlich vom Einsprechenden nicht davon unterrichtet worden, daß ein Sachverständiger als Zeuge aussagen werde.

Ferner habe Herr Blecker nicht einfach die Entgegenhaltungen in technischer Hinsicht beurteilt, sondern den vollständigen Fall des Einsprechenden vorgetragen.

2. In Anbetracht der vorstehend genannten wesentlichen Verfahrensmängel, die vor der Einspruchsabteilung zutage getreten seien, solle für den Fall, daß das Patent nicht auf der Grundlage des derzeitigen Hauptantrags des Patentinhabers aufrechterhalten werden könne, die Sache an die Einspruchsabteilung zur erneuten Verhandlung in neuer Besetzung zurückverwiesen und die vorherige Entscheidung aufgehoben werden.

In jedem Fall sollten die dem Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung am 20. Juli 1993 entstandenen Kosten vom Einsprechenden getragen und die Beschwerdegebühr zurückgezahlt werden.

V. In seiner Erwiderung behauptete der Einsprechende unter anderem, aus den nachstehenden Gründen habe in der mündlichen Verhandlung kein wesentlicher Verfahrensmangel vorgelegen:

1. Die Einspruchsabteilung habe auf Anfrage zugestimmt, daß Herr Blecker das Wort ergreifen dürfe. Der Patentinhaber habe keine Einwände dagegen erhoben.

2. Herr Blecker sei US-Patentvertreter und als solcher seit mehr als 20 Jahren für den Einsprechenden tätig; deshalb sei er mit Systemen zur Diebstahlabschreckung sehr vertraut. In dieser Eigenschaft sei er der Einspruchsabteilung vorgestellt worden.

3. Die Entscheidung T 80/84 sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Insbesondere habe die Einspruchsabteilung Herrn Blecker gestattet, das Wort zu ergreifen, und der Patentinhaber habe keine Einwände dagegen erhoben.

VI. In einer Erwiderung vom 15. September 1994 erklärte der Patentinhaber unter anderem folgendes:

1. Der Patentinhaber habe keine Gelegenheit gehabt, Einwände zu erheben. Falls die Einspruchsabteilung ihm die Gelegenheit hätte geben müssen, Einwände zu erheben, liege schon aus diesem Grund ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

2. Der Patentinhaber könne sich nicht daran erinnern, daß Herr Blecker der Einspruchsabteilung als US-Patentvertreter des Einsprechenden vorgestellt worden sei. Aus der Niederschrift gehe hervor, daß er lediglich als “Sachverständiger für Sicherheit in Ladengeschäften” vorgestellt worden sei.

Ferner “hänge es von der korrekten Auslegung der Artikel 133, 134 und 117 EPÜ ab, ob ein wesentlicher Verfahrensmangel vorgelegen habe”. Abgesehen von der bereits genannten Entscheidung T 80/84 seien auch die Entscheidungen T 598/91 vom 3. Juni 1993, T 227/92 vom 1. Juli 1993 und T 451/89 vom 1. April 1993 von Belang. Hinsichtlich der richtigen Verfahrensweise gingen die Meinungen auseinander; als Beispiele hierfür seien die Entscheidung T 80/84, in der ein relativ strenger Maßstab angelegt worden sei, und die Entscheidung T 598/91 angeführt, der ein sehr liberaler Maßstab zugrunde gelegt worden sei. In anderen Entscheidungen habe man eine Art Mittelweg gefunden.

Der Patentinhaber brachte folgendes vor:

a) Herr Blecker sei nicht vertretungsberechtigt, da er keines der Erfordernisse des Artikels 134 EPÜ erfülle.

b) Herr Blecker sei nach den einschlägigen Bestimmungen des Artikels 117 EPÜ auch nicht berechtigt gewesen, als Zeuge auszusagen, da er weder Beteiligter noch Tatzeuge sei, und auch kein Sachverständiger auf dem einschlägigen Gebiet der Technik.

Herrn Bleckers Ausführungen in der mündlichen Verhandlung sollten gestrichen und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen werden.

Sollte in der Tat entschieden werden, daß es Ermessenssache sei, jemanden wie Herrn Blecker anzuhören, so sei bei der Ausübung dieses Ermessens zwischen den Interessen der Beteiligten einerseits und der Absicht des EPÜ andererseits abzuwägen, wobei das Ermessen in diesem Fall unter anderem aus den folgenden Gründen nicht zugunsten Herrn Bleckers ausgeübt werden dürfte:

a) Einem nicht zugelassenen Vertreter würde das uneingeschränkte Recht eingeräumt, als Vertreter und nicht als Sachverständiger aufzutreten. Ein solches Recht bestehe vermutlich in keinem anderen Land der Welt.

b) Der Einsprechende habe Herrn Bleckers Stellung und/oder Fachkenntnis in unzutreffender Weise dargestellt.

c) Dem Patentinhaber sei keine Gelegenheit gegeben worden, Einwände gegen die Darlegung des Falls aus der Sicht des Einsprechenden durch Herrn Blecker zu erheben.

Schließlich beantragte der Patentinhaber für den Fall, daß die Beschwerdekammer diese Angelegenheit nicht entscheiden könne, der Großen Beschwerdekammer folgende Frage vorzulegen:

“Steht es im Einklang mit den Artikeln 133 und 134 EPÜ, wenn einer Person, die die Bedingungen des Artikels 134 EPÜ nicht erfüllt, gestattet wird, in einer mündlichen Verhandlung vor einer Einspruchsabteilung oder in schriftlicher Form rechtliche Argumente vorzutragen und rechtliche Ausführungen zu machen?”

VII. In seiner Erwiderung machte der Einsprechende geltend, daß ein Verfahrensmangel unter anderem deshalb nicht vorgelegen habe, weil allen bei der Verhandlung Anwesenden Herrn Bleckers Stellung und Erfahrung bekannt gewesen sei und es dem Patentinhaber freigestanden habe, jederzeit während der Verhandlung Einwände zu erheben.

VIII. Der Patentinhaber reichte am 1. Juni 1995 Abschriften seiner Stellungnahme ein, die er – in diesem Fall als Stellungnahme eines Dritten – zu der Sache G 2/94 an die Große Beschwerdekammer gerichtet hatte, und äußerte die Vermutung, daß die in der Sache G 2/94 aufgeworfenen Fragen unmittelbar von Belang seien für die Fragen im vorliegenden Fall. Er beantragte, weitere Maßnahmen im vorliegenden Fall bis zur Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 2/94 zurückzustellen.

Entscheidungsgründe

1. In der Entscheidung J 11/94 (ABl. EPA 1995, 596) ging es um die Frage, ob in einer mündlichen Verhandlung vor der Juristischen Beschwerdekammer nach Artikel 116 EPÜ ein ehemaliges Mitglied der Beschwerdekammern, das den zugelassenen Vertreter eines Beteiligten begleitet, ohne selbst nach Artikel 134 EPÜ zur Vertretung von Verfahrensbeteiligten zugelassen zu sein, – d. h. eine “nicht zugelassene Begleitperson” – für den am Beschwerdeverfahren Beteiligten mündliche Ausführungen zu den Rechtsfragen des Falls machen darf. In der schriftlichen Entscheidung wird auf die in den Entscheidungen T 80/84 (ABl. EPA 1985, 269) und T 598/91 (ABl. EPA 1994, 912) geäußerten unterschiedlichen Ansichten zu dieser Frage wie auch auf die Aussage in der Entscheidung T 843/91 (ABl. EPA 1994, 818) verwiesen. In ihrer Entscheidung legte die Juristische Beschwerdekammer der Großen Beschwerdekammer folgende Fragen vor:

“1. Steht es im Ermessen einer Beschwerdekammer, einer Person, die nicht nach Artikel 134 (1) und (7) EPÜ berechtigt ist, Beteiligte im Verfahren vor dem EPA zu vertreten, in einer mündlichen Verhandlung in Ergänzung des Vortrags des zugelassenen Vertreters Ausführungen zu gestatten?

2. Wird die Frage zu 1 bejaht:

a) Welche Kriterien sind bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen?

b) Gelten Besonderheiten für ehemalige Mitglieder der Beschwerdekammern?”

Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen G 2/94 anhängig.

Die Frage 1 weist offensichtliche inhaltliche Ähnlichkeiten mit der Frage auf, die im vorliegenden Fall auf Vorschlag des Patentinhabers der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden soll; siehe vorstehende Nummer VI.

Bei der Entscheidung J 11/94 handelt es sich zwar um einen Fall, in dem nur über Rechtsfragen zu befinden ist, aber die obige Frage 1 ist so umfassend formuliert, daß sie auch auf einen Fall wie den vorliegenden zutrifft, in dem eine “nicht zugelassene Begleitperson” mündliche Ausführungen sowohl zu rechtlichen wie auch zu technischen Fragen macht, die sich im Rahmen dieses Falls stellen. Somit findet die obige Frage 1 auch auf den vorliegenden Fall Anwendung.

2. In diesem Beschwerdeverfahren wird das Streitpatent wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit angegriffen. Im Zusammenhang mit diesen Einspruchsgründen stellen sich sowohl rechtliche als auch technische Fragen. In der unter Nummer VI genannten Frage, die der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden soll, geht es nur um “rechtliche Ausführungen”. In den Ausführungen, die im vorliegenden Fall seitens des Patentinhabers gemacht wurden und die unter den Nummern IV und VI zusammengefaßt sind, wird jedoch nicht nur in Frage gestellt, ob eine “nicht zugelassene Begleitperson” in einer mündlichen Verhandlung vor dem EPA rechtliche Ausführungen machen darf, sondern auch, ob eine solche Person in einer solchen Verhandlung technische Ausführungen mündlich vortragen darf. In diesem Zusammenhang ist auf die Erfordernisse des Artikels 117 EPÜ bezüglich der “Beweisaufnahme” in Verfahren vor dem EPA verwiesen worden.

In den unter Nummer VI zusammengefaßten Ausführungen des Patentinhabers kommt implizit die Auffassung zum Ausdruck, daß eine “nicht zugelassene Begleitperson” (die nicht als Vertreter handeln dürfe) nur dann berechtigt sei, nach Artikel 117 EPÜ als Zeuge auszusagen, wenn der Betreffende Beteiligter, Tatzeuge oder Sachverständiger sei; sei er weder das eine noch das andere, so sei er nicht berechtigt, mündliche Ausführungen zu machen, und zwar weder zu rechtlichen noch zu technischen Fragen.

Mithin stellt sich im vorliegenden Fall speziell die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen eine “nicht zugelassene Begleitperson” im Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahren auch außerhalb des Rahmens von Artikel 117 EPÜ mündliche Ausführungen zu technischen Fragen machen darf. Diese Frage geht somit über den der Entscheidung J 11/94 zugrunde liegenden Sachverhalt hinaus, bei der es in einem einseitigen Verfahren nur um Rechtsfragen ging.

Im vorliegenden Fall wird vom Patentinhaber des weiteren die Frage aufgeworfen, ob insbesondere im Hinblick auf die Artikel 133 und 134 EPÜ eine nicht nach Artikel 134 EPÜ berechtigte Person, bei der es sich aber um einen in einem Nichtvertragsstaat des EPÜ zugelassenen Patentvertreter handelt, den Fall eines Beteiligten teilweise oder vollständig so vortragen könne, als ob sie nach Artikel 134 EPÜ berechtigt wäre.

3. Da der Patentinhaber im vorliegenden Fall, wie unter Nummer VIII ausgeführt, nach Artikel 11 b) der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer eine “Stellungnahme eines Dritten” bei der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 2/94 eingereicht hat, erscheint es sinnvoll, die nachstehenden Rechtsfragen im Zusammenhang mit diesem Fall der Großen Beschwerdekammer vorzulegen, damit sich beide an diesem Verfahren Beteiligte unmittelbar vor der Großen Beschwerdekammer äußern können.

Nach Auffassung der Kammer ist es wünschenswert, daß Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung von der Großen Beschwerdekammer nach Möglichkeit stets im Zusammenhang mit einem Verfahren geprüft werden, an dem Parteien mit gegensätzlichen Interessen in bezug auf diese Rechtsfragen beteiligt sind, damit die Große Beschwerdekammer Argumente zum Für und Wider der Fragen hören kann, bevor sie über sie entscheidet.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Der Großen Beschwerdekammer werden nach Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgelegt:

I. Darf im Hinblick auf Artikel 133 EPÜ eine Person, die nicht gemäß Artikel 134 EPÜ zur Vertretung von Verfahrensbeteiligten vor dem EPA zugelassen, aber in Begleitung einer sowohl zugelassenen als auch bevollmächtigten Person ist, in der mündlichen Verhandlung vor dem EPA nach Artikel 116 EPÜ und im Rahmen des Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahrens für einen Beteiligten mündliche Ausführungen zu Rechtsfragen machen, die der Fall aufwirft?

II. Darf im Hinblick auf die Artikel 117 und 133 EPÜ eine Person, die nicht gemäß Artikel 134 EPÜ zur Vertretung von Verfahrensbeteiligten vor dem EPA zugelassen, aber in Begleitung einer sowohl zugelassenen als auch bevollmächtigten Person ist, in der mündlichen Verhandlung vor dem EPA nach Artikel 116 EPÜ und im Rahmen des Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahrens für einen Beteiligten auch außerhalb einer mündlichen Vernehmung nach Artikel 117 (3) EPÜ mündliche Ausführungen zu technischen Fragen machen, die der Fall aufwirft?

III. Die folgenden Zusatzfragen beziehen sich sowohl auf die Rechtsfrage I als auch II:

a) Wenn die Frage bejaht wird, besteht ein Rechtsanspruch, oder dürfen die mündlichen Ausführungen im Namen des Beteiligten nur mit Zustimmung des EPA und nach seinem Ermessen gemacht werden?

b) Wenn die mündlichen Ausführungen nur nach dem Ermessen des EPA gemacht werden dürfen, welche Kriterien gelten dann für die Ausübung dieses Ermessens?

c) Gelten für zugelassene Patentvertreter aus Ländern, die nicht Vertragsstaaten des EPÜ sind, besondere Kriterien?