http://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/recent/g910005dp1.html
Content reproduced from the Website of the European Patent Office as permitted by their terms of use.

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:G000591.19920505
Datum der Entscheidung: 05 Mai 1992
Aktenzeichen: G 0005/91
Vorlageentscheidung: T 0261/88
Anmeldenummer: 81201022.1
IPC-Klasse: G11B 7/00
Verfahrenssprache: EN
Verteilung:
Download und weitere Informationen:
PDF nicht verfügbar
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders: Discovision
Name des Einsprechenden: Philips Gloeilampenfabrieken
Kammer: EBA
Leitsatz: 1. Obwohl sich Artikel 24 EPÜ nur auf die Mitglieder der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer bezieht, gilt das Gebot der Unparteilichkeit grundsätzlich auch für Bedienstete der erstinstanzlichen Organe des EPA, die an Entscheidungen mitwirken, die die Rechte eines Beteiligten berühren.
2. Im EPÜ gibt es keine Rechtsgrundlage für eine gesonderte Beschwerde gegen die Entscheidung eines Direktors eines erstinstanzlichen Organs wie z. B. einer Einspruchsabteilung, mit der die Ablehnung eines Mitglieds dieses Organs wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen wird. Die Zusammensetzung der Einspruchsabteilung kann jedoch mit dieser Begründung im Wege einer Beschwerde gegen deren Endentscheidung oder gegen eine Zwischenentscheidung, in der nach Artikel 106 (3) EPÜ die gesonderte Beschwerde zugelassen ist, angefochten werden.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 19(2)
European Patent Convention 1973 Art 24
Schlagwörter: Besorgnis der Befangenheit eines Mitglieds einer Einspruchsabteilung Beschwerdegrund?
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0004/93
G 0001/05
G 0002/08
J 0009/99
J 0015/08
R 0002/14
T 0261/88
T 0143/91
T 0433/93
T 0850/96
T 1028/96
T 1221/97
T 0954/98
T 0985/01
T 1021/01
T 0068/02
T 0400/02
T 0838/02
T 0900/02
T 1193/02
T 0190/03
T 0281/03
T 0283/03
T 0389/03
T 0572/03
T 0095/04
T 0479/04
T 1178/04
T 1055/05
T 0990/06
T 1020/06
T 0285/11
T 1254/11
T 1677/11
T 0355/13
T 0710/15
T 1647/15

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen das europäische Patent Nr. 45 117 (Gerät und Verfahren zum Schreiben einer Informationsspur auf eine Platte), das Discovision Associates im Jahr 1985 erteilt worden war, legte N.V. Philips’ Gloeilampenfabrieken wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit Einspruch ein.

II. Im Einspruchsverfahren stellte die Patentinhaberin die Frage, ob der beauftragte Prüfer der Einspruchsabteilung dieselbe Person sei, die im Namen der Einsprechenden an einem früheren Einspruch gegen ein anderes europäisches Patent der Patentinhaberin mitgewirkt habe, und beantragte für diesen Fall, daß die Einspruchsabteilung ausschließlich mit Personen neu besetzt werde, die keine frühere Verbindung zu einer der an diesem Verfahren Beteiligten gehabt hätten.

III. Der für die Besetzung der Einspruchsabteilung zuständige Direktor der GD 2 bestätigte daraufhin mit Schreiben vom 19. November 1987, daß der beauftragte Prüfer früher bei der Einsprechenden angestellt gewesen sei und diese öfter in Prüfungs- und Einspruchsverfahren vor dem EPA vertreten habe. Der Direktor wies darauf hin, daß “im EPÜ ein Ausschluß bzw. eine Ablehnung nur in Artikel 24 EPÜ” im Zusammenhang mit den Mitgliedern der Beschwerdekammern vorgesehen sei, und erklärte, daß bei Prüfungs- und Einspruchsverfahren in der ersten Instanz nach Möglichkeit versucht werde, die Prüfer von Fällen ihrer früheren Arbeitgeber auszuschließen. Dies sei jedoch nicht immer möglich. Was den betreffenden Prüfer angehe, so könne er wegen praktischer Schwierigkeiten in den vielen Fällen, in denen sein früherer Arbeitgeber Anmelder oder Einsprechender sei, nicht aus der Prüfungs- oder Einspruchsabteilung ausgeschlossen werden. Der Direktor versicherte ferner, daß der Prüfer im vorliegenden wie auch in ähnlich gelagerten Fällen objektiv handeln werde, und schloß mit der Bemerkung, daß allein schon die Tatsache, daß jede Prüfungs- und Einspruchsabteilung aus drei Mitgliedern bestehe, einen Schutz für die Verfahrensbeteiligten vor dem EPA darstelle.

IV. Am 23. Februar 1988 fand vor der Einspruchsabteilung eine mündliche Verhandlung statt, in der der von der Patentinhaberin abgelehnte Prüfer als beauftragter Prüfer fungierte. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde der Widerruf des Patents verkündet. Eine schriftliche Entscheidung erging am 19. April 1988.

V. Die Patentinhaberin legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. In ihrer Beschwerdebegründung focht sie die Entscheidung der Einspruchsabteilung aus materiellrechtlichen Gründen an und brachte gleichzeitig vor, daß wegen der Mitwirkung des abgelehnten beauftragten Prüfers “bei der Durchführung des Einspruchsverfahrens eine ungebührliche und unfaire (wenn auch unbeabsichtigte) Voreingenommenheit” bestanden habe. Zur Stützung dieser Behauptung wurde u. a. angeführt, daß die frühere Mitwirkung des abgelehnten Prüfers als Vertreter der Einsprechenden an einer Reihe von Verfahren gegen die Patentinhaberin, in denen es um eine nahe verwandte Technologie gegangen sei, seine Haltung in dieser Sache zwangsläufig zugunsten der Einsprechenden beeinflusse. Die Patentinhaberin wandte sich auch gegen die Aussage in dem vorgenannten Schreiben des Direktors der GD 2, daß “Artikel 24 EPÜ die einzigen Umstände darstellt, unter denen für einen Bediensteten des EPA die Mitwirkung an Verfahren einer bestimmten Art unangebracht wäre”, die sie als “ausgemachten Unsinn und dem Grundsatz der natural justice widersprechend” bezeichnete. (Anm. d. Red.: “natural justice” = Begriff des englischen Rechts, der insbesondere zwei Grundsätze des Verfahrensrechts umfaßt, nämlich das Prinzip der Unparteilichkeit des Richters (nemo iudex in causa sua) und den Grundsatz, daß jedem, dessen Rechte durch die Entscheidung berührt werden könnten, ausreichend Gelegenheit gewährt werden muß, seinen Standpunkt vorzutragen (audi et alteram partem). Sie behauptete, es liege ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, und beantragte die Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Die Einsprechende nahm zur Beschwerdebegründung nicht Stellung.

VI. Die Beschwerde wurde der Technischen Beschwerdekammer 3.5.2 zugewiesen. Diese Kammer untersuchte die behauptete Befangenheit des abgelehnten Prüfers unter verschiedenen verfahrensrechtlichen Aspekten und stellte dabei u. a. die Frage nach der Rechtsnatur des Schreibens des Direktors der GD 2, mit dem der Antrag auf Austausch dieses Prüfers zurückgewiesen wurde, und insbesondere die Frage nach der Anwendbarkeit bestimmter allgemeiner Rechtsgrundsätze auf das Verfahren vor der Einspruchsabteilung. Sie gelangte zu dem Schluß, daß das Vorbringen der Patentinhaberin eine grundlegende Rechtsfrage aufwerfe, nämlich, ob die Besorgnis der Befangenheit eines Mitglieds der Einspruchsabteilung ein Beschwerdegrund sein könne. Nach Auffassung der Kammer gibt das EPÜ selbst keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Sie beschloß daher, der Großen Beschwerdekammer folgende Fragen vorzulegen:

1. Ist gegen eine Entscheidung des Direktors einer Direktion, zu der die Einspruchsabteilung verwaltungsmäßig gehört, die Beschwerde zu den Beschwerdekammern gegeben, wenn mit der Entscheidung der Einwand eines Beteiligten am Einspruchsverfahren zurückgewiesen wird, daß ein Mitglied der Einspruchsabteilung, das über einen bestimmten Fall entscheiden soll, wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werde?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird:

a) Sind für die Entscheidung über die Befangenheit eines Mitglieds der Einspruchsabteilung dieselben Erwägungen maßgeblich wie nach Artikel 24 EPÜ im Fall eines Beschwerdekammermitglieds?

b) Welches war im vorliegenden Fall das tatsächliche Datum der Entscheidung, das bei der Berechnung der Frist für die Einlegung einer Beschwerde zugrunde gelegt wird?

3. Ist im vorliegenden Fall die von der Beschwerdeführerin erklärte Ablehnung eines Mitglieds der Einspruchsabteilung wegen Besorgnis der Befangenheit ein rechtsgültiger Beschwerdegrund?

VII. Im Hinblick auf Artikel 11a der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer beschloß die Kammer am 14. Juni 1991, den Präsidenten des EPA aufzufordern, sich in diesem Zusammenhang zu folgenden Fragen von allgemeinem Interesse zu äußern:

1. Gibt es innerhalb der GD 2 irgendwelche internen Anweisungen oder eine sonstige allgemeine Praxis, wonach der früheren Tätigkeit von Prüfern als Vertretern oder Angestellten von Verfahrensbeteiligten vor dem EPA Rechnung getragen werden soll?

2. Wer ist für die Besetzung der Prüfungs- und Einspruchsabteilungen im Einzelfall zuständig?

3. Entscheiden die Mitglieder einer Prüfungs- oder einer Einspruchsabteilung, welche Maßnahmen zu treffen sind, wenn sich nach der Besetzung der Abteilung ein (wie auch immer geartetes) Problem im Zusammenhang mit der Mitwirkung eines Mitglieds der Abteilung an einem Einzelfall ergibt? Wenn nicht, wer entscheidet dann über derartige Fragen?

VIII. Mit Schreiben vom 23. Juli 1991 nahm der Präsident des EPA zu den obigen Fragen Stellung. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die folgenden Punkte seiner Stellungnahme von Interesse.

Die Praxis der GD 2 beruht auf den Internen Instruktionen für die Prüfung in der GD 2 und auf dem Handbuch für Sachprüfer. Daneben gibt es einige entsprechende Bestimmungen in den Richtlinien für die Prüfung im EPA.

In den Instruktionen für die Prüfer wird davon ausgegangen, daß Artikel 24 EPÜ nicht für die erste Instanz gilt. Daß es zu den Bestimmungen des Artikels 24 EPÜ über den Ausschluß und die Ablehnung von Beschwerdekammermitgliedern keine entsprechende Vorschrift für Mitglieder der Prüfungs- und Einspruchsabteilungen gibt, ist beabsichtigt. Aus den Materialien zum EPÜ geht hervor, daß der Ausschluß oder die Ablehnung von Mitgliedern der Prüfungs- und Einspruchsabteilungen erwogen worden war. Derartige Bestimmungen wurden jedoch schließlich mit der Begründung auf die Mitglieder der Beschwerdekammern beschränkt, daß zwischen gerichtlichen Verfahren (Beschwerde) und Verwaltungsverfahren (Prüfung und Einspruch) ein Unterschied bestehe.

Sachlich bedeutet das Fehlen einer Ausschluß- und Ablehnungsbestimmung nicht, daß die Beteiligten an Verfahren vor dem EPA mit Entscheidungen rechnen müssen, die durch persönliche Interessen oder Befangenheit beeinflußt sind. Dies geht aus Artikel 17 des Beamtenstatuts hervor, wonach ein Prüfer dem Präsidenten des EPA davon Kenntnis geben muß, wenn er in einer Angelegenheit Stellung nehmen muß, an deren Behandlung oder Erledigung er ein persönliches Interesse hat, das seine Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte. Die den Prüfern und ihren Vorgesetzten erteilten Richtlinien sollen verhindern, daß Prüfer in Situationen geraten, in denen sie durch persönliche Interessen beeinflußt sein könnten. Auch ohne eingehendere Prüfung kann von dem allgemeinen Rechtsgrundsatz ausgegangen werden, daß niemand über eine Angelegenheit entscheiden darf, in der ihn ein Verfahrensbeteiligter aus guten Gründen der Befangenheit verdächtigen kann.

Die Direktoren müssen bei der Ausübung des ihnen übertragenen Ermessens bei der Besetzung einer Abteilung folgendes berücksichtigen.

Da die Prüfer im allgemeinen früher in das Amt eintreten als die Mitglieder der Beschwerdekammern, ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, daß ein Prüfer wegen des Wissens abgelehnt wird, das er sich während seiner Tätigkeit in der Industrie bei einem Verfahrensbeteiligten angeeignet hat. Dies trifft besonders auf technische Gebiete zu, in denen nur eine kleine Zahl von Unternehmen besteht.

Prüfer, die wegen ihrer Sachkenntnisse auf diesen Gebieten eingestellt worden sind, könnten möglicherweise nicht auf diesen Gebieten arbeiten, weil sie von den Beteiligten abgelehnt werden. Die bloße Tatsache, daß ein Prüfer vor seinem Eintritt in das EPA für einen Konkurrenten eines Beteiligten an einem bestimmten Fall gearbeitet hat, ist noch kein triftiger Grund für die Annahme, daß er voreingenommen ist. Im allgemeinen hat sich ein Beamter des EPA bei der Ausübung seines Amtes und in seinem Verhalten ausschließlich von den Interessen der Europäischen Patentorganisation leiten zu lassen (Art. 14 des Beamtenstatuts). Es gibt keinen Grund, generell anzunehmen, daß ein Prüfer zugunsten (oder zuungunsten) seines früheren Arbeitgebers handelt. Ein Beteiligter hat nur dann einen berechtigten Grund, den Austausch eines Prüfers zu verlangen, wenn dieser durch sein Verhalten gezeigt hat, daß es ihm an der erforderlichen Unparteilichkeit mangelt. Andernfalls ist davon auszugehen, daß die Bediensteten des Amts die ihnen vom Beamtenstatut auferlegten Pflichten ernst nehmen.

In der GD 2 hat es Fälle gegeben, in denen Vertreter den Ausschluß von Prüfern aus der Prüfungsabteilung wegen Besorgnis der Befangenheit verlangt haben. In mindestens einem Fall änderte der zuständige Direktor die Besetzung der Prüfungsabteilung entgegen dem Wunsch des betreffenden Prüfers, während in mindestens einem anderen Fall der zuständige Direktor eine Umbesetzung ablehnte.

Entsprechend den vorgenannten Internen Instruktionen und dem Handbuch wählt in der Regel der Direktor der für das betreffende technische Gebiet zuständigen Direktion aufgrund der ihm vom Präsidenten des EPA gemäß Artikel 10 (2) a) und i) EPÜ übertragenen Befugnis die Mitglieder der Prüfungs- und der Einspruchsabteilungen aus, wobei im Fall der Einspruchsabteilung diese gemäß Artikel 19 (2) EPÜ den vorgeschlagenen beauftragten Prüfer selbst bestätigen muß. In diesem Fall ist der Vorsitzende der Einspruchsabteilung auch angewiesen, die Besetzung im Hinblick auf die im selben Artikel erhobene Forderung zu überprüfen, daß höchstens ein Mitglied in dem Erteilungsverfahren mitgewirkt habe und dieses nicht den Vorsitz führen darf.

IX. Die Beteiligten am Beschwerdeverfahren wurden aufgefordert, sich zur Stellungnahme des Präsidenten des EPA zu äußern.

Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) reichte am 21. September 1991 eine Stellungnahme ein, in der sie grundsätzlich an ihrem Standpunkt festhielt und ferner u. a. folgendes vorbrachte:

Was die Bezugnahme des Präsidenten auf Artikel 17 des Beamtenstatuts anbelange, so könne diese Vorschrift einen Verfahrensbeteiligten in keiner Weise schützen, wenn der Prüfer unbewußt befangen sei. Eben dieser Fall sei hier gegeben. Es sei nicht behauptet worden, daß der Prüfer bei der Behandlung des Einspruchs bewußt voreingenommen gewesen sei. Es sei lediglich gesagt worden, daß er wegen seiner früheren Verbindung zur Einsprechenden die in deren Patentabteilung herrschenden Vorurteile unwissentlich übernommen habe und deshalb möglicherweise unbewußt voreingenommen gewesen sei.

Die Patentinhaberin bestreite nicht, daß Artikel 24 EPÜ nur auf die Beschwerdekammern und nicht auf die erstinstanzlichen Organe Anwendung finde. Es sei jedoch “unsinnig”, davon auszugehen, daß ein Direktor der GD 2 bei der Bestimmung von Mitgliedern, die “offenkundig voreingenommen” seien, “freie Hand” habe, nur weil Artikel 24 EPÜ selbst nicht für diese Organe gelte. Eine solche Auslegung stehe eindeutig im Widerspruch zum Prinzip der “natural justice”. Es sei zu bedenken, daß der Anspruch der Beteiligten an Verfahren jeglicher Art, von einem unparteiischen Entscheidungsgremium gehört zu werden, nicht allein von Artikel 24 EPÜ abhänge.

Ein so komplizierter Fall wie der hier vorliegende müsse unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände geprüft werden. Der abgelehnte Prüfer sei nicht einfach ein beliebiger Angestellter eines Konkurrenten der Patentinhaberin, sondern ein leitendes Mitglied der Patentabteilung der Einsprechenden gewesen und habe in deren Namen an europäischen Einspruchsverfahren gegen die Patentinhaberin mitgewirkt, in denen es um eine sehr nahe verwandte Technologie gegangen sei. In zweiseitigen Verfahren dieser Art sei es um so wichtiger, daß alle am Entscheidungsprozeß Beteiligten nicht nur unparteiisch seien, sondern auch als unparteiisch gälten.

Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) nahm hierzu nicht Stellung.

Entscheidungsgründe

1. Obwohl sich die der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Fragen nur auf das Verfahren vor den Einspruchsabteilungen beziehen, sind die zugrundeliegenden Probleme allgemeiner Art und wirken sich auch auf die Tätigkeit anderer erstinstanzlicher Organe wie z. B. der Prüfungsabteilungen aus, die mit der Durchführung des Verfahrens befaßt sind (vgl. Art. 15 EPÜ). Beim Einspruchsverfahren, dessen Besonderheit darin liegt, daß die gegnerischen Parteien in bestimmten Fragen gegensätzlicher Auffassung sind und die Einspruchsabteilung zugunsten der einen und zuungunsten der anderen Partei entscheiden muß, treten diese Probleme natürlich eher auf als in anderen erstinstanzlichen Verfahren.

2. Es liegt auf der Hand und wird von der Beschwerdeführerin in dem bei der vorlegenden Kammer anhängigen Fall auch nicht bestritten, daß die Bestimmungen des Artikels 24 EPÜ über den Ausschluß und die Ablehnung nur für Mitglieder der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer, nicht jedoch für Bedienstete der erstinstanzlichen Organe des EPA, mithin auch der Einspruchsabteilungen, gelten. Wie vom Präsidenten des EPA dargelegt, wurde diese Unterscheidung bewußt vorgenommen. So geht aus dem Bericht über die 5. Tagung der Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens (BR/168 d/72 ert/R:li.bm, S. 55) hervor, daß die Konferenz den Vorschlag einer Organisation, “das Verfahren (Hervorhebung durch die Kammer) zur Ausschließung und zur Ablehnung auf alle Organe des Patentamts auszudehnen”, mit der Begründung nicht annahm, “lediglich die Beschwerdekammern und die Große Beschwerdekammer hätten einen gerichtlichen Charakter, der eine solche Bestimmung rechtfertige.”

3. Daß die besonderen Bestimmungen des Artikels 24 EPÜ nicht für Bedienstete der erstinstanzlichen Organe des EPA gelten, läßt jedoch nicht den Schluß zu, daß diese das Gebot der Unparteilichkeit nicht zu erfüllen brauchen. Auch wenn eine äußerst strenge Einhaltung dieses Gebots für die Verfahren vor den Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer wegen ihrer richterlichen Funktion als oberste Instanz im europäischen Patentrechtssystem besonders wichtig ist, so ist es doch – wie auch der Präsident des EPA festgestellt hat – als allgemeiner Rechtsgrundsatz anzusehen, daß niemand über eine Angelegenheit entscheiden darf, in der er von einem Beteiligten aus guten Gründen der Befangenheit verdächtigt werden kann. Das grundlegende Gebot der Unparteilichkeit gilt also auch für Bedienstete der erstinstanzlichen Organe des EPA, die an Entscheidungen mitwirken, die die Rechte eines Beteiligten berühren können. Es ist jedoch festzuhalten, daß Artikel 24 (1) EPÜ einige spezifische Vorschriften enthält, die die Unparteilichkeit und Objektivität der Mitglieder der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer gewährleisten sollen und zu denen es keine Entsprechungen für die Mitglieder der erstinstanzlichen Organe gibt. So kann z. B. ein Mitglied einer Beschwerdekammer nicht an einer Beschwerdesache mitwirken, wenn es an der angefochtenen Entscheidung beteiligt war, während in Artikel 19 (2) EPÜ eindeutig vorgesehen ist, daß eines der Mitglieder einer Einspruchsabteilung in dem Verfahren zur Erteilung des Patents, gegen das sich der Einspruch richtet, mitgewirkt haben darf. Somit sieht das EPÜ bei den Bediensteten der ersten Instanz eine gewisse Flexibilität vor, die bei den Mitgliedern der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer nicht gegeben ist, auch wenn das grundlegende Gebot der Unparteilichkeit grundsätzlich dasselbe ist.

4. Wird ein Bediensteter eines erstinstanzlichen Organs wie z. B. einer Einspruchsabteilung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so wird – wie der Stellungnahme des Präsidenten des EPA zu entnehmen ist – nach der bisherigen Praxis so verfahren, daß der Direktor der für dieses Organ zuständigen Direktion die Ablehnung prüft und darüber entscheidet. Dies ist auch im bei der vorlegenden Kammer anhängigen Fall geschehen. Beim Einspruchsverfahren spricht manches dafür, daß es der Einspruchsabteilung überlassen sein sollte, diese Angelegenheiten im Wege einer Zwischenentscheidung, in der die gesonderte Beschwerde zugelassen wird, selbst zu prüfen und zu entscheiden. Dies hätte den Vorteil, daß diese Verfahrensfrage geregelt werden könnte, bevor eine Entscheidung in der Sache getroffen wird. Die derzeitige Praxis kann jedoch nicht als unrechtmäßig angesehen werden, da die erstinstanzlichen Organe wegen ihres Verwaltungscharakters gemäß Artikel 10 (2) a) EPÜ den internen Vorschriften des Präsidenten unterliegen. Es sei hinzugefügt, daß es trotz der Beschränkung der Anwendbarkeit des Artikels 24 EPÜ auf das Beschwerdeverfahren gerechtfertigt erscheint, die dem Artikel 24 (3) Satz 2 und 3 EPÜ zugrunde liegenden Rechtsgrundsätze dahingehend anzuwenden, daß eine in der ersten Instanz erklärte Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nicht berücksichtigt zu werden braucht, wenn die Erklärung nicht sofort, nachdem den Beteiligten der Ablehnungsgrund bewußt geworden ist, abgegeben wird oder wenn die Ablehnung aus Gründen der Nationalität erfolgt. Sonst würde nämlich Mißbräuchen Tür und Tor geöffnet. In dem bei der vorlegenden Kammer anhängigen Fall dürfte diese Gefahr jedoch nicht bestehen.

5. Im EPÜ gibt es keine Rechtsgrundlage für eine gesonderte Beschwerde gegen die Entscheidung eines für ein erstinstanzliches Organ wie die Einspruchsabteilung zuständigen Direktors, mit der eine wegen Besorgnis der Befangenheit erklärte Ablehnung eines Mitglieds dieses Organs zurückgewiesen wird.

Die Zusammensetzung der Einspruchsabteilung kann jedoch mit dieser Begründung im Wege einer Beschwerde gegen ihre Endentscheidung oder gegen eine Zwischenentscheidung, in der nach Artikel 106 (3) EPÜ die gesonderte Beschwerde zugelassen ist, angefochten werden. Erfüllen nicht alle Mitglieder einer Abteilung das Erfordernis der Unparteilichkeit, so ist bei der Besetzung der Abteilung ein Verfahrensfehler begangen worden, der die Entscheidung in der Regel nichtig macht. Es fällt eindeutig in die Zuständigkeit der Beschwerdekammern, zu prüfen und zu entscheiden, ob die Anforderungen an die Zusammensetzung einer Einspruchsabteilung erfüllt worden sind. Dies wird in der Praxis auch getan (vgl. z. B. die Entscheidung in der Sache T 251/88 vom

14. November 1989, in der zwei Mitglieder der Einspruchsabteilung in dem Verfahren zur Erteilung des Patents mitgewirkt hatten, auf das sich der Einspruch bezog, sowie ferner Artikel 10 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern). Diese Prüfung kann die Kammer von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten am Beschwerdeverfahren vornehmen.

6. Die Frage, ob die Ablehnung eines Mitglieds einer Einspruchsabteilung wegen Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt ist, läßt sich nur unter Berücksichtigung der Sachlage im Einzelfall beantworten. Wie die Vorlageentscheidung feststellt (s. Nr. 5 der Entscheidungsgründe), handelt es sich bei diesen Erwägungen um Tat- und nicht um Rechtsfragen, über die die Große Beschwerdekammer deshalb in diesem Zusammenhang nicht zu befinden hat.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die der Großen Beschwerdekammer im vorliegenden Fall vorgelegten Fragen sind wie folgt zu beantworten:

1. Obwohl sich Artikel 24 EPÜ nur auf die Mitglieder der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer bezieht, gilt das Gebot der Unparteilichkeit grundsätzlich auch für Bedienstete der erstinstanzlichen Organe des EPA, die an Entscheidungen mitwirken, die die Rechte eines Beteiligten berühren.

2. Es gibt im EPÜ keine Rechtsgrundlage für eine gesonderte Beschwerde gegen die Entscheidung eines Direktors eines erstinstanzlichen Organs wie der Einspruchsabteilung, mit der eine Ablehnung eines Mitglieds dieses Organs wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen wird. Die Zusammensetzung der Einspruchsabteilung kann jedoch mit dieser Begründung im Wege einer Beschwerde gegen deren Endentscheidung oder gegen eine Zwischenentscheidung, in der nach Artikel 106 (3) EPÜ die gesonderte Beschwerde zugelassen ist, angefochten werden.