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European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1998:T117397.19980701 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 01 Juli 1998 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1173/97 | ||||||||
Anmeldenummer: | 91107112.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | G06F 11/14 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Asynchrone Wiedersynchronisierung eines Freigabeverfahrens | ||||||||
Name des Anmelders: | International Business Machines Corporation | ||||||||
Name des Einsprechenden: | – | ||||||||
Kammer: | 3.5.01 | ||||||||
Leitsatz: | Ein Computerprogrammprodukt fällt nicht unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ, wenn es beim Ablauf auf einem Computer einen weiteren technischen Effekt bewirkt, der über die “normale” physikalische Wechselwirkung zwischen dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware) hinausgeht. | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Patentierungsverbot für Computerprogrammprodukte (nicht unter allen Umständen) | ||||||||
Orientierungssatz: |
– |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen eine Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 28. Juli 1997, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 91 107 112.4 (Veröffentlichungsnr. 0 457 112) mit der Begründung, daß der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 20 und 21 ein Computerprogramm als solches und somit nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ nicht patentfähig sei, zurückgewiesen wurde.
Die Beschwerdeführerin beantragt die Erteilung eines Patents mit den von der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Ansprüchen 1 bis 21, die mit Schreiben vom 18. April 1997 eingereicht worden waren.
II. Die unabhängigen Ansprüche lauten wie folgt:
“1. Verfahren zur Ressourcenwiederherstellung in einem Computersystem, auf dem eine Anwendung (56 A) läuft, die einen Arbeitsvorgang unter Beteiligung einer Ressource anfordert, wobei das Verfahren folgende Schritte umfaßt: Durchführung eines Bestätigungsverfahrens für den angeforderten Arbeitsvorgang;
bei störungsbedingt ausbleibendem Abschluß des Bestätigungsverfahrens nach einiger Zeit Abgabe einer Meldung an die Anwendung (56 A), daß sie weiterlaufen kann, so daß die Anwendung (56 A) die Resynchronisation nicht abzuwarten braucht;
bei weiterlaufender Anwendung (56 A) Resynchronisation des nicht abgeschlossenen Bestätigungsverfahrens für die betreffende Ressource asynchron zur Anwendung (56 A).
14. Computersystem mit einer Ausführungsumgebung, in der eine Anwendung (56 A) läuft, und
Mitteln zur Durchführung eines – vorzugsweise zweiphasigen – Bestätigungsverfahrens für diese Anwendung (56 A),
gekennzeichnet durch
Mittel, durch die der betreffenden Anwendung gemeldet wird, daß sie weiterlaufen kann, wenn das Bestätigungsverfahren vor Abschluß gestört wird, so daß die betreffende Anwendung den Abschluß des Bestätigungsverfahrens nicht abzuwarten braucht, und
Mittel zur Resynchronisation des nicht abgeschlossenen Bestätigungsverfahrens asynchron zur betreffenden Anwendung.
20. Computerprogrammprodukt, das direkt in den internen Speicher eines digitalen Computers geladen werden kann und Softwarecodeabschnitte umfaßt, mit denen die Schritte gemäß Anspruch 1 ausgeführt werden, wenn das Produkt auf einem Computer läuft.
21. Computerprogrammprodukt, das auf einem computergeeigneten Medium gespeichert ist und folgendes umfaßt:
computerlesbare Programmittel, die einen Computer veranlassen, die Ausführung einer Anwendung (56 A) zu überwachen; computerlesbare Programmittel, die den Computer zur Durchführung eines – vorzugsweise zweiphasigen – Bestätigungsverfahrens für die Anwendung (56 A) veranlassen;
computerlesbare Programmittel, die den Computer zur Abgabe einer Meldung an die Anwendung (56 A) veranlassen, daß sie weiterlaufen kann, wenn das Bestätigungsverfahren vor Abschluß gestört wird, so daß die Anwendung (56 A) den Abschluß des Bestätigungsverfahrens nicht abzuwarten braucht; computerlesbare Programmittel, die den Computer veranlassen, das nicht abgeschlossene Bestätigungsverfahren asynchron zur Anwendung (56 A) zu resynchronisieren.”
III. In der Entscheidung hieß es ganz allgemein, daß die Ansprüche 1 bis 19 für gewährbar erachtet würden, und im besonderen, daß das Verfahren und das Computersystem gemäß den Ansprüchen 1 und 14 gegenüber dem in der Beschreibung angeführten Stand der Technik neu und erfinderisch seien.
IV. Der Gegenstand der Ansprüche 20 und 21, die auf ein Computerprogrammprodukt gerichtet seien, das direkt in den internen Speicher eines digitalen Computers geladen werden könne (Anspruch 20) bzw. auf einem computergeeigneten Medium gespeichert sei (Anspruch 21), sei hingegen nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ als solcher von der Patentierung ausgeschlossen, da nach den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt C-IV, 2.3 ein allein oder als Aufzeichnung auf einem Datenträger beanspruchtes Computerprogramm ohne Rücksicht auf seinen Inhalt nicht patentfähig sei.
V. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) stützte ihre Argumentation vor der Prüfungsabteilung auf technische Kriterien, wirtschaftliche Überlegungen und die internationale Entwicklung, wobei sie zu letzterem Punkt insbesondere auf Artikel 27 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Übereinkommen) und auf die Richtlinien für die Prüfung beim amerikanischen und beim japanischen Patentamt verwies.
In der angefochtenen Entscheidung hielt die Prüfungsabteilung diesen Argumenten folgendes entgegen:
Technische Kriterien:
Da zwischen dem Datenträger und dem darauf aufgezeichneten Programm kein technischer Zusammenhang bestehe, wenn man einmal von den aus dem Stand der Technik bereits bekannten Merkmalen absehe, könne der technische Charakter des Computerprogramms nicht aus der physischen Beschaffenheit des Speichermediums hergeleitet werden, auf dem es aufgezeichnet sei. Ebensowenig könne der technische Charakter aus dem Verfahren oder dem System hergeleitet werden, bei dem das Computerprogramm zum Einsatz komme.
Wirtschaftliche Überlegungen:
Mögliche wirtschaftliche Gründe für die Patentierung von Computerprogrammen könnten nicht berücksichtigt werden, da die Prüfungsabteilung an die Richtlinien und die darin enthaltene Auslegung des Europäischen Patentübereinkommens gebunden sei.
Internationale Entwicklung:
Abgesehen von den in den Vertragsstaaten allgemein anerkannten Grundsätzen des Verfahrensrechts sei für die Prüfung europäischer Patentanmeldungen rechtlich allein das Europäische Patentübereinkommen (einschließlich der Prüfungsrichtlinien) maßgebend.
VI. In ihrer Beschwerdeschrift beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines europäischen Patents sowie hilfsweise eine mündliche Verhandlung, falls die Kammer der Ansicht sei, daß der Beschwerde nicht stattgegeben werden könne.
VII. Am 1. Juli 1998 fand eine mündliche Verhandlung statt. In einer der Ladung beigefügten Mitteilung gemäß Regel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern legte die Kammer zusammenfassend ihre vorläufige Auffassung dar.
Sie verwies auf die Auslegungsregeln nach Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, aufgrund deren Artikel 52 (2) und (3) EPÜ dahingehend verstanden werden könne, daß Computerprogramme, die als solche beansprucht würden, von der Patentierung ausgeschlossen seien, und zwar unabhängig davon, ob ihr Inhalt technischer oder nichttechnischer Natur sei. Der technische Charakter sei erst dann von Belang, wenn ein Computerprogramm im Zusammenhang mit einem Verfahren oder einer Vorrichtung beansprucht werde.
Einem der Ausdrücke des Artikels 52 EPÜ unter Berufung auf Artikel 31 (4) des Wiener Übereinkommens eine besondere Bedeutung beizulegen, sei nicht der richtige Weg zur Überwindung der Ausschlußbestimmungen. Die von der Beschwerdeführerin angezogenen Entscheidungen der Beschwerdekammern beträfen nur Erfindungen, die auf ein Verfahren, Gerät oder System gerichtet seien, zu dem ein Computerprogramm gehöre. In solchen Fällen würden die Computerprogramme als solche nicht als Erfindungen angesehen, wenn zusätzlich zum Computerprogramm technische Merkmale beansprucht würden. Die Kammer gab ferner zu bedenken, daß es den Vertragsstaaten freistehe, einen bestimmten Gegenstand ungeachtet seines technischen Charakters von der Patentierung auszuschließen.
Was das TRIPS-Übereinkommen anbelange, so sei nicht klar, ob dieses internationale Vertragswerk überhaupt auf das EPÜ Anwendung finde. Zudem gebe es keinen Anhalt dafür, daß die Mitgliedstaaten des TRIPS-Übereinkommens Computerprogramme dem Bereich der patentfähigen Gegenstände zurechnen wollten.
VIII. Die Beschwerdeführerin hat schriftlich und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgende Argumente vorgebracht:
In Kapitel IV der Richtlinien, auf das die Prüfungsabteilung Bezug genommen habe, werde das EPÜ zu weit und in sich unstimmig ausgelegt.
Nach früheren Entscheidungen der Beschwerdekammern, z. B. in den Verfahren T 208/84 (ABl. EPA 1987, 14, “computerbezogene Erfindung/VICOM”) und T 6/83 (ABl. EPA 1990, 5, “Datenprozessornetz/IBM”), müsse eine Erfindung, damit sie nach Artikel 52 (1) bis (3) EPÜ patentfähig sei, nur technischen Charakter haben, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und neu und gewerblich anwendbar sein.
Den technischen Charakter der anmeldungsgemäßen Erfindung, die im wesentlichen durch die im gespeicherten Programm spezifizierte Befehlsfolge definiert werde, habe die Prüfungsabteilung für das Verfahren und das System gemäß Anspruch 1 bzw. 14 anerkannt. Er könne nicht einfach abhanden kommen, nur weil die Erfindung in einer anderen Form, etwa derjenigen gemäß Anspruch 20 und 21, beansprucht werde.
Der Begriff “Erfindung”, der im EPÜ nicht definiert sei und unter dem auch nicht alle Vertragsstaaten dasselbe verstünden, solle einzig und allein im Rahmen des EPÜ ausgelegt werden.
In Anbetracht der in den Regeln 27 und 29 EPÜ geforderten Angabe der technischen Aufgabe und der technischen Lösung und des in mehreren Bestimmungen des EPÜ vorkommenden Verweises auf den Fachmann könne nur eine Erfindung mit technischem Charakter als patentfähig gelten.
Artikel 52 (2) c) EPÜ nenne in einem nicht erschöpfenden Negativkatalog unter anderem Computerprogramme. Da daneben auch Tätigkeiten erwähnt seien, die eindeutig außerhalb des Bereichs der Technik lägen, könne der Ausschluß von Computerprogrammen als solchen nur so verstanden werden, daß diese Programme im selben Maße wie diese anderen – allesamt auf einen nichttechnischen Gegenstand gerichteten – Tätigkeiten ausgeschlossen werden sollten. Ein (von der Patentfähigkeit ausgeschlossenes) “Programm als solches” wäre demnach eigentlich ein nichttechnisches Programm.
Eine enge Auslegung der Ausschlußbestimmungen stünde auch in Einklang mit dem TRIPS-Übereinkommen. Dieses sei für die Auslegung des EPÜ zwar nicht direkt maßgebend, habe aber bindende Wirkung für all seine Mitgliedstaaten und verlange nach einer Auslegung des EPÜ, die mit seinen Bestimmungen und insbesondere mit Artikel 27 vereinbar sei.
Die Kammer wurde auch auf Artikel 10 TRIPS hingewiesen, in dem es um den urheberrechtlichen Schutz von Computerprogrammen und Zusammenstellungen von Daten geht. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin kann aus der Tatsache, daß Computerprogramme im TRIPS-Übereinkommen nur in Artikel 10 erwähnt sind und dort als mögliche Schutzform nur das Urheberrecht genannt wird, nicht geschlossen werden, daß ein patentrechtlicher Schutz von Computerprogrammen durch TRIPS ausgeschlossen würde.
Ihres Erachtens kollidierten die Artikel 10 und 27 nicht. Vielmehr könnten für dasselbe Programm beide Schutzrechtsformen nebeneinander bestehen, wobei jede ihren ganz eigenen Zweck erfülle.
Der technische Charakter einer Erfindung könne sich aus ihrem Anwendungsbereich ergeben, ebensogut aber auch aus dem Einsatz der Informationstechnik zur Lösung einer Aufgabe auf einem nichttechnischen Gebiet. Vergleichbar dem Zusammenspiel von Stecker und Steckdose gewährleiste die technische Schnittstelle zwischen Computer und Programm, so wie sie beispielsweise in den vorliegenden Ansprüchen 20 und 21 definiert werde, daß der technische Charakter des Verfahrens oder Systems erhalten bleibe, wenn das Computerprogramm selbst als Produkt beansprucht werde.
Entscheidungsgründe
1. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragt die Erteilung eines Patents mit den am 18. April 1997 eingereichten Ansprüchen 1 bis 21. Der angefochtenen Entscheidung lag derselbe Antrag zugrunde. Ihr zufolge wurde die Patentanmeldung nur deshalb zurückgewiesen, weil der Gegenstand der Ansprüche 20 und 21 nach Ansicht der Prüfungsabteilung unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ fällt.
Die Kammer hat demnach im vorliegenden Fall lediglich darüber zu befinden, ob die Begründung der Prüfungsabteilung richtig ist.
2.TRIPS
2.1 Die Kammer teilt weitgehend die Auffassung der Beschwerdeführerin bezüglich der Bedeutung von TRIPS für die vorliegende Sache.
Von der direkten Anwendbarkeit des TRIPS-Übereinkommens auf das EPÜ ist sie allerdings bislang nicht überzeugt. Denn TRIPS ist – ungeachtet aller sonstigen Überlegungen – nur für seine Mitgliedstaaten verbindlich. Die Europäische Patentorganisation selbst ist nicht Mitglied der WTO und hat das TRIPS-Übereinkommen nicht unterzeichnet.
2.2 Auch im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vermag die Kammer keine Legitimation für die direkte Anwendung von TRIPS auf das EPÜ zu finden.
Obwohl das Wiener Übereinkommen, das am 23. Mai 1969 unterzeichnet wurde, aber erst am 27. Januar 1980 in Kraft getreten ist, nach Artikel 4 auf das EPÜ keine Anwendung findet, hat es großes Gewicht und ist von den Beschwerdekammern oft zitiert worden, wenn dort verankerte Grundsätze angewandt wurden. Nach Ansicht der Kammer berechtigt Artikel 30, der die “Anwendung aufeinanderfolgender Verträge über denselben Gegenstand” regelt, jedoch nicht zur Anwendung von TRIPS auf das EPÜ. Hiergegen spricht beispielsweise, daß sich der Kreis der Vertragsstaaten des EPÜ nicht einmal ganz mit dem Kreis der TRIPS-Mitgliedstaaten deckt, da nicht alle Vertragsstaaten des EPÜ auch Mitglied von TRIPS sind.
2.3 Auch wenn TRIPS nicht direkt auf das EPÜ anwendbar ist, hält es die Kammer jedoch für angezeigt, TRIPS in die Überlegungen einzubeziehen, da es darauf abzielt, allgemeine Normen und Grundsätze in bezug auf die Verfügbarkeit, den Umfang und die Ausübung handelsbezogener Rechte des geistigen Eigentums aufzustellen, worunter auch Patentrechte fallen. Auf diese Weise zeigt TRIPS klar auf, wohin die Entwicklung geht.
In Artikel 27 (1) TRIPS heißt es, daß “Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erhältlich sind, sowohl für Erzeugnisse als auch für Verfahren, vorausgesetzt, daß sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind”. Aus diesem allgemeinen Grundsatz läßt sich nach Auffassung der Kammer im Lichte der in Artikel 27 (2) und (3) enthaltenen Bestimmungen über Ausnahmen von der Patentierbarkeit (die allerdings keinen der in Artikel 52 (2) EPÜ genannten Gegenstände umfassen) mit Fug und Recht herauslesen, daß hinter TRIPS die unverkennbare Absicht steht, Erfindungen, gleich auf welchem technischen Gebiet, von der Patentierung nicht auszuschließen, also insbesondere auch nicht Computerprogramme, die in Artikel 52 (2) c) EPÜ erwähnt und ausgeschlossen sind.
2.4 Der Kammer ist vollauf bewußt, daß nach Artikel 10 (1) TRIPS “Computerprogramme, gleichviel, ob sie in Quellcode oder in Maschinenprogrammcode ausgedrückt sind, als Werke der Literatur nach der Berner Übereinkunft (1971) geschützt” werden. Diese Bestimmung tut jedoch der vorstehenden Schlußfolgerung keinen Abbruch, wonach Computerprogramme gemäß TRIPS nach Maßgabe von Artikel 27 patentierbar sind. Wie die Beschwerdeführerin richtig geltend macht, ergibt sich aus dem Umstand, daß Computerprogramme in TRIPS nur in Artikel 10 ausdrücklich erwähnt werden und dort als Schutzform das Urheberrecht vorgesehen ist, keinerlei Widerspruch zwischen den Artikeln 10 und 27 TRIPS. Urheberrechte und Patentrechte sind zwei verschiedene Instrumente zur Sicherung von Rechtsschutz, die aber durchaus denselben Gegenstand (z. B. Computerprogramme) abdecken können, da jedes dieser Instrumente einem eigenen Zweck dient.
2.5 Die Beschwerdeführerin hat auch auf die gegenwärtige Praxis beim amerikanischen und beim japanischen Patentamt verwiesen und hervorgehoben, daß Ansprüche für Computerprogrammprodukte nach den jüngst geänderten Prüfungsrichtlinien beider Ämter nunmehr gewährbar sind. Auf die genaue Formulierung solcher Ansprüche ist sie nicht näher eingegangen.
Die Kammer hat diese Entwicklungen gebührend zur Kenntnis genommen, möchte jedoch betonen, daß sich die Rechtslage in den USA und Japan ganz anders darstellt als im Rechtssystem des EPÜ, da nur das EPÜ eine Ausschlußbestimmung in Form des Artikels 52 (2) und (3) enthält.
2.6 Ungeachtet dessen geben diese Entwicklungen, wie die Beschwerdeführerin vorgebracht hat, hilfreiche Hinweise auf die Trends der Zeit und können nach Auffassung der Kammer (weltweit) zur weiteren, in höchstem Maße wünschenswerten Harmonisierung des Patentrechts beitragen.
3. Maßgebende Quelle für das materielle Patentrecht
Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß die allein maßgebende Quelle für das materielle Patentrecht, nach dem europäische Patentanmeldungen zu prüfen sind, derzeit das Europäische Patentübereinkommen ist. Die Prüfungsabteilung hat demnach in der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt, daß als maßgebendes Regelwerk für das materielle Patentrecht nur das EPÜ zu berücksichtigen ist.
Bei der Anwendung des EPÜ hat sich die Prüfungsabteilung auf die Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt gestützt, sich also nur an die Auslegung des EPÜ gehalten, die darin zum Ausdruck kommt.
Für die Beschwerdekammern sind die Richtlinien jedoch nicht verbindlich. In Artikel 23 (3) EPÜ heißt es hierzu ganz konkret: “Die Mitglieder der Kammern sind für ihre Entscheidungen an Weisungen nicht gebunden und nur diesem Übereinkommen unterworfen.”
Die Kammer wird deshalb nun untersuchen, wie das Patentierungsverbot für Computerprogramme in Artikel 52 (2) und (3) EPÜ ihres Erachtens richtig auszulegen wäre.
4. Patentierungsverbot gemäß Artikel 52 (2) und (3) EPÜ
4.1 Zur Ausschlußbestimmung selbst sei zunächst folgendes angemerkt:
Artikel 52 (2) c) EPÜ besagt, daß Computerprogramme nicht als Erfindungen im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ angesehen werden und mithin nicht patentfähig sind.
In Artikel 52 (3) EPÜ wird der Umfang dieses Patentierungsverbots dann durch einen wichtigen Zusatz eingeschränkt. Danach gilt das Patentierungsverbot nur insoweit, als sich die europäische Patentanmeldung oder das europäische Patent auf Computerprogramme “als solche” bezieht.
In Verbindung miteinander zeigen die beiden Bestimmungen (Art. 52 (2) und (3) EPÜ), daß der Gesetzgeber nicht alle Computerprogramme von der Patentierung ausschließen wollte. Daß nur Patentanmeldungen für Computerprogramme als solche ausgeschlossen werden, bedeutet anders ausgedrückt, daß die Patentfähigkeit bejaht werden kann, wenn das Computerprogramm, auf das sich die Patentanmeldung bezieht, nicht als Computerprogramm als solches angesehen wird.
4.2 Zur Abgrenzung des Umfangs des Patentierungsverbots für Computerprogramme muß ermittelt werden, was der Ausdruck “als solche” genau bedeutet. Auf diese Weise dürften sich dann diejenigen Computerprogramme ausmachen lassen, deren Patentierung statthaft ist, weil sie nicht als Computerprogramme als solche gelten.
5. Auslegung des Ausdrucks “als solche”
5.1 Bei der Anwendung des EPÜ wird der technische Charakter einer Erfindung durchweg als wesentliche Voraussetzung für ihre Patentierbarkeit anerkannt, wie beispielsweise die Regeln 27 und 29 EPÜ anschaulich belegen.
5.2 Das Patentierungsverbot für Computerprogramme als solche (Art. 52 (2) und (3) EPÜ) kann dahingehend ausgelegt werden, daß solche Programme als rein abstraktes Werk ohne technischen Charakter gelten. Die Formulierung “werden nicht als Erfindungen angesehen” scheint diese Auslegung zu bestätigen.
5.3 Dies bedeutet, daß Computerprogramme dann als patentfähige Erfindungen anzusehen sind, wenn sie technischen Charakter aufweisen.
5.4 Diese Schlußfolgerung steht allem Anschein nach in Einklang mit den drei hier maßgebenden Bestimmungen, nämlich
a) dem Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) EPÜ,
b) der allgemeinen Bestimmung des Artikels 52 (1) EPÜ, wonach europäische Patente für Erfindungen (d. h. etwas, das technische Merkmale aufweist) erteilt werden, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind, und
c) der Bestimmung des Artikels 52 (3) EPÜ, die eine breite Auslegung des Patentierungsverbots nicht gestattet.
5.5 Das Hauptproblem bei der Auslegung dieses Verbots besteht mithin darin, begrifflich zu klären, was “technischer Charakter” bedeutet, wobei im vorliegenden Fall gezielt auf Computerprogramme abzustellen ist.
6. Technischer Charakter von Computerprogrammen
6.1 Zum Zwecke der Auslegung des in Artikel 52 (2) und (3) EPÜ verankerten Patentierungsverbots für Computerprogramme wird davon ausgegangen, daß Computerprogrammen nicht allein deshalb ein technischer Charakter zugesprochen werden kann, weil sie Computerprogramme sind.
6.2 Dies bedeutet, daß die bei Ausführung von Programmbefehlen auftretenden physikalischen Veränderungen bei der Hardware (die beispielsweise elektrische Ströme fließen lassen) nicht per se den technischen Charakter ausmachen können, durch den das Patentierungsverbot für ein solches Programm gegenstandslos würde.
6.3 Solche Veränderungen können zwar als etwas Technisches angesehen werden, sind aber ein gemeinsames Merkmal aller auf einem Computer lauffähigen Computerprogramme und eignen sich daher nicht zur Unterscheidung von Computerprogrammen mit technischem Charakter einerseits und Computerprogrammen als solchen andererseits.
6.4 Daher muß anderswo nach einem technischen Charakter im vorstehend angesprochenen Sinne gesucht werden: Er könnte in den weiteren Effekten liegen, die mit der Ausführung der Programmbefehle (durch die Hardware) einhergehen. Wenn diese weiteren Effekte technischer Art sind oder dazu führen, daß mit der Software eine technische Aufgabe gelöst wird, kann eine Erfindung, die einen solchen Effekt bewirkt, als Erfindung angesehen werden, die grundsätzlich Gegenstand eines Patents sein kann.
6.5 Dementsprechend kann nicht nur dann ein Patent erteilt werden, wenn eine Erfindung vorliegt, bei der eine Software mittels eines Computers ein gewerbliches Verfahren oder die Arbeitsweise eines Geräts steuert, sondern auch dann, wenn ein Computerprogramm das einzige Mittel oder eines von mehreren notwendigen Mitteln zur Erzielung eines technischen Effekts im obigen Sinne ist, wenn also beispielsweise ein derartiger technischer Effekt durch die interne Funktionsweise zustande kommt, die ein Computer selbst unter der Einwirkung des betreffenden Programms zeigt.
Anders gesagt: Sofern sie einen technischen Effekt der beschriebenen Art bewirken können, müssen alle Computerprogramme als Erfindungen im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ angesehen werden und können dann auch patentiert werden, wenn die anderen Erfordernisse des EPÜ erfüllt sind.
6.6 Wie bereits in Nummer 6.5 erwähnt, kann dieser technische Effekt auch durch die Funktionsweise des Computers, auf dem das Programm läuft, also durch die Funktionsweise der Hardware dieses Computers bewirkt werden. Selbstverständlich können auch in diesem Fall die bei der Hardware durch die Ausführung der Programmbefehle eintretenden physikalischen Veränderungen im Sinne der vorstehenden Nummern 6.2 und 6.3 nicht per se den technischen Charakter ausmachen, durch den das Patentierungsverbot gegenstandslos wird.
Bei der Beurteilung der Patentierungsvoraussetzungen kommt es hier nur auf den besagten weiteren technischen Effekt an; der konkreten weiteren Nutzung des Systems insgesamt sollte keine Bedeutung beigemessen werden.
Mit dem “System insgesamt” ist die Hardware samt Software gemeint, d. h. die Hardware in der mit dem betreffenden Programm programmierten Form (Hardware + Software).
7. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA
7.1 Die vorstehenden Überlegungen unter den Nummern 4, 5 und 6 stehen in Einklang mit dem Tenor der Rechtsprechung der EPA-Beschwerdekammern.
Als Voraussetzung für die Patentfähigkeit haben die Kammern bisher verlangt, daß die Erfindung technischen Charakter hat. Die Kammer kennt keine Entscheidung, in der eine Beschwerdekammer einem Computerprogramm schon allein deshalb einen technischen Charakter zuerkannt hätte, weil das Programm für den Einsatz in einer technischen Vorrichtung in Gestalt eines Computers gedacht gewesen wäre.
Ein anschauliches Beispiel ist eine der ersten einschlägigen Entscheidungen der Kammern, die eingangs genannte Sache T 208/84 (ABl. EPA 1987, 14), “computerbezogene Erfindung/VICOM”. Die Erfindung war ein “Verfahren zur digitalen Verarbeitung von Bildern in Form zweidimensionaler Datenfelder bzw. Daten-Arrays …”, das sich einer mathematischen Methode als Bestandteil eines Computerprogramms bediente, das auf einem geeigneten Rechner ablief und so für die Bildverarbeitung sorgte.
In diesem Fall wurde entschieden, daß das erfindungsgemäße Verfahren nicht von der Patentierbarkeit ausgenommen war, weil es ein auf eine physikalische Erscheinung angewandtes technisches Verfahren war, wobei die physikalische Erscheinung ein materielles Objekt, aber auch ein als elektrisches Signal gespeichertes Bild sein konnte. Somit war dieses Verfahren weder eine mathematische Methode als solche noch ein Computerprogramm als solches.
7.2 Daß die physikalischen Veränderungen, die sich bei der Hardware durch die Ausführung der Programmbefehle ergeben, nicht per se den technischen Charakter ausmachen können, der das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ für ein Computerprogramm gegenstandslos machen würde, zeigt beispielsweise die Entscheidung T 22/85 (ABl. EPA 1990, 12), “Zusammenfassen und Wiederauffinden von Dokumenten/IBM”, der zufolge die physikalischen Veränderungen bei der Hardware elektrische Ströme fließen lassen.
7.3 Ein typisches Beispiel für eine einen Computer betreffende Erfindung, dessen interne Funktionsweise durch die auf ihm laufenden Programme bewirkt wird, war Gegenstand der Entscheidung T 769/92 (ABl. EPA 1995, 525), “universelles Verwaltungssystem/SOHEI”. Ihr zufolge gewann die beanspruchte Erfindung dadurch, daß technische Überlegungen notwendig waren, um zu ihr zu gelangen, den technischen Charakter, den sie aufweisen mußte, um das Patentierungsverbot gemäß Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ zu überwinden; der spezifischen Verwendung des Systems insgesamt wurde hingegen keine Bedeutung beigemessen.
7.4 Der Grundgedanke der Erfindung besteht im Computerprogramm.
Von besonderer Bedeutung für den vorliegenden Fall ist der Umstand, daß nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein Anspruch, der auf die Verwendung eines Computerprogramms zur Lösung einer technischen Aufgabe gerichtet ist, nicht als Schutzbegehren für das Programm als solches im Sinne des Artikels 52 (2) c) und (3) EPÜ angesehen werden kann, selbst wenn die der Erfindung zugrunde liegende Idee im Computerprogramm selbst besteht. Beispiele hierfür sind die genannte Entscheidung T 208/84 (ABl. EPA 1987, 14), “computerbezogene Erfindung/VICOM”, und die Entscheidung T 115/85 (ABl. EPA 1990, 30), “computerbezogene Erfindung/IBM”.
Die Rechtsprechung bejaht also die Patentfähigkeit einer Erfindung, wenn ihr Grundgedanke im Computerprogramm selbst besteht.
8. Bei dieser Gelegenheit weist die Kammer darauf hin, daß der angesprochene “weitere” technische Effekt ihres Erachtens aus dem Stand der Technik bekannt sein kann, solange es darum geht, den Umfang des Patentierungsverbots gemäß Artikel 52 (2) und (3) EPÜ abzustecken.
Die Ermittlung des technischen Beitrags, den eine Erfindung zum Stand der Technik leistet, ist daher eher ein probates Mittel zur Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit als zur Entscheidung der Frage, ob das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ greift.
9. Anspruch für ein Computerprogrammprodukt
9.1 Wie bereits unter Nummer 1 der Entscheidungsgründe erwähnt, gilt es in diesem Beschwerdeverfahren einzig und allein darüber zu entscheiden, ob der Gegenstand der Ansprüche 20 und 21 nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen ist. Diese Ansprüche sind auf ein Computerprogrammprodukt gerichtet und müssen auf einen sog. “weiteren technischen Effekt” geprüft werden, der, wenn vorhanden, dem Anspruchsgegenstand über das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ hinweghelfen kann.
9.2 Computerprogrammprodukte umfassen in der Regel eine Folge von Befehlen, durch die die Hardware bei geladenem Programm veranlaßt wird, ein bestimmtes Verfahren durchzuführen, das zu einem bestimmten Ergebnis führt.
9.3 Es liegt auf der Hand, daß der grundlegende Erfindungsgedanke hier im Computerprogramm besteht. Ebenso klar ist, daß die Hardware, auf der das Programm laufen soll, in einem solchen Fall keinen Bezug zu der Erfindung hat, also nicht zu ihr gehört. Sie ist das materielle Objekt, bei dem sich die bei Ablauf des Programms eintretenden physikalischen Veränderungen manifestieren.
Klar ist ferner, daß ein gegebenenfalls zum Computerprogrammprodukt gehöriges computerlesbares Medium, auf dem das Programm gespeichert ist, nur das physische Trägermaterial für die Archivierung des Programms und damit Hardware darstellt.
9.4 Jedes Computerprogrammprodukt ruft einen Effekt hervor, wenn das betreffende Programm auf einem Computer zum Einsatz kommt. Dieser Effekt manifestiert sich in der physischen Realität nur dann, wenn das Programm abläuft. Das Computerprogrammprodukt selbst zeigt den betreffenden Effekt mithin in der physischen Realität nicht direkt, sondern nur im Zuge des Programmablaufs und besitzt demnach nur das “Potential” zur Erzeugung dieses Effekts.
Dieser Effekt kann auch technischer Art in dem unter Nummer 6 erläuterten Sinne sein und bildet dann den dort angesprochenen “weiteren technischen Effekt”. Ein Computerprogrammprodukt kann also das Potential zur Erzeugung eines “weiteren” technischen Effekts besitzen.
Sobald eindeutig erwiesen ist, daß ein bestimmtes Computerprogrammprodukt beim Ablauf auf einem Computer einen technischen Effekt im vorstehenden Sinne bewirkt, sieht die Kammer keinen triftigen Grund, zwischen einem direkten technischen Effekt und dem Potential zur Erzeugung eines technischen Effekts, also gewissermaßen einem indirekten technischen Effekt, zu unterscheiden.
Ein Computerprogrammprodukt kann daher insofern technischen Charakter aufweisen, als es potentiell einen vorgegebenen weiteren technischen Effekt im angesprochenen Sinne erzeugen kann. Entsprechend den vorstehenden Ausführungen fällt etwas, was technischen Charakter hat, nicht unter das in Artikel 52 (3) EPÜ mit der näheren Spezifizierung “als solche” verknüpfte Patentierungsverbot.
Somit ist ein Computerprogrammprodukt mit dem Potential zur Erzeugung eines vorgegebenen weiteren technischen Effekts grundsätzlich nicht nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen.
Computerprogrammprodukte sind demnach nicht unter allen Umständen von der Patentierung ausgenommen.
9.5 Im Gegensatz zur Begründung der angefochtenen Entscheidung hat die Kammer den technischen Charakter des Computerprogrammprodukts aus dem potentiellen technischen Effekt hergeleitet, den das Programm besitzt und der realisiert wird und sich manifestieren kann, wenn das Programm auf einem Computer läuft.
9.6 Ein Computerprogrammprodukt, das (implizit) alle Merkmale eines patentfähigen Verfahrens (z. B. zum Betrieb eines Computers) aufweist, gilt daher grundsätzlich nicht als nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen.
Es versteht sich von selbst, daß ein Anspruch für ein solches Computerprogrammprodukt alle Merkmale enthalten muß, die die Patentfähigkeit des Verfahrens gewährleisten, das das Produkt ausführen soll, wenn es auf einem Computer läuft. Durch Laden des Computerprogrammprodukts wird aus dem programmierten Computer eine Vorrichtung, die ihrerseits das betreffende Verfahren ausführen kann.
Eine entsprechende Formulierung des Anspruchs für ein Computerprogrammprodukt stellt auch sicher, daß die internen physikalischen Veränderungen, die das Programm bei der Hardware hervorruft, wenn diese entsprechend ihren vorgegebenen Verfahren arbeitet, per se ohne Belang für die Beantwortung der Frage sind, ob eine Erfindung (in der beanspruchten Form) patentfähig ist (s. beispielsweise die Entscheidung T 22/85, ABl. EPA 1990, 12, “Zusammenfassen und Wiederauffinden von Dokumenten/IBM”, die bereits unter Nummer 7.2 der Entscheidungsgründe aufgegriffen und erörtert wurde).
9.7 Bei einer solcher Formulierung des Anspruchs ist das von der Kammer vorstehend aufgestellte Erfordernis erfüllt, daß ein weiterer technischer Effekt gegeben sein muß, der sich aus der Ausführung des Programms ergibt.
Ein solcher Anspruch enthält funktionelle Merkmale; sein Schutzumfang wird durch die Funktion definiert, die das Computerprogramm laut Aussage des Anspruchs erfüllt.
9.8 Weiter untermauert wird die vorliegende Entscheidung durch die Begründung in der VICOM-Sache, in der die Kammer unter Nummer 16 im dritten und letzten Absatz folgendes festgestellt hat: “Schließlich erscheint es unlogisch, wenn einem durch einen entsprechend programmierten Computer gesteuerten technischen Verfahren Schutz gewährt würde, nicht aber dem zur Steuerung vorbereiteten Computer selbst.” Allgemeiner gesagt wäre es also logisch nicht nachvollziehbar, ein Verfahren zu patentieren, die entsprechend angepaßte Vorrichtung zur Durchführung ebendieses Verfahrens hingegen nicht. Analog dazu hält es die mit dem vorliegenden Fall befaßte Kammer für unlogisch, ein Verfahren sowie die entsprechend angepaßte Vorrichtung zu seiner Durchführung zu patentieren, nicht aber das Computerprogrammprodukt, das alle für die Umsetzung des Verfahrens notwendigen Merkmale umfaßt und das, wenn es auf einem Computer geladen wird, dieses Verfahren auch tatsächlich durchführen kann.
10. Auslegung nach dem Wiener Übereinkommen
10.1 Die Kammer hat den Ausdruck “Computerprogramme als solche” von verschiedenen Seiten auf seine Bedeutung geprüft und dabei besonders auf die Worte “as solche” abgehoben. Sie ist dabei zu dem Schluß gelangt, daß ein Computerprogrammprodukt nicht vom Patentschutz ausgeschlossen ist, wenn es das Potential zur Erzeugung eines “weiteren” technischen Effekts besitzt.
Im Wiener Übereinkommen heißt es in Artikel 31 – “Allgemeine Auslegungsregel” unter Absatz 1: “Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.” Absatz 4 sagt: “Eine besondere Bedeutung ist einem Ausdruck beizulegen, wenn feststeht, daß die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben.”
10.2 Nach Ansicht der Kammer steht die obige Auslegung des in Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ verankerten Patentierungsverbots für Computerprogramme als solche in vollem Einklang mit diesen Bestimmungen des Wiener Übereinkommens.
Ziel und Zweck des EPÜ ist es ja, Patente für Erfindungen zu erteilen und durch einen angemessenen Schutz dieser Erfindungen den technischen Fortschritt zu fördern. Vor diesem Hintergrund ist die Kammer im Lichte der Entwicklung in der Informationstechnik zu ihrer vorstehenden Auslegung gelangt, zumal die Informationstechnik zunehmend fast alle Bereiche der Gesellschaft durchdringt und überaus wertvolle Erfindungen liefert. Mit ihrer Auslegung ist die Kammer nach eigener Einschätzung nicht über die gewöhnliche Bedeutung der Bestimmungen des EPÜ hinausgegangen. Ihre Deutung legt dem in Artikel 52 (3) EPÜ verwendeten Ausdruck “als solche” ihres Erachtens keine besondere Bedeutung im Sinne des Artikels 31 (4) des Wiener Übereinkommens bei, die an die Zustimmung der EPÜ-Vertragsstaaten gebunden wäre.
11. Weitere Entscheidungen der Beschwerdekammern
11.1 Der Kammer ist durchaus bewußt, daß in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern und insbesondere auch in früheren Entscheidungen, die sie selbst – wenn auch in anderer Besetzung – getroffen hat, mehrmals die Auffassung vertreten wurde, daß das Patentierungsverbot gemäß Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ für alle Computerprogramme jedweden Inhalts gelte, daß es also keine Rolle spiele, was das Programm tun oder leisten könne, wenn es auf einen geeigneten Computer geladen werde. Eine Differenzierung zwischen Programmen mit und solchen ohne technischen Charakter, wie sie im vorliegenden Fall vorgenommen wird, wäre im Rahmen dieser Argumentation nicht zulässig.
11.2 Beispiele für eine solche Argumentation finden sich unter anderem in den Entscheidungen T 26/86 (ABl. EPA 1988, 19, “Röntgeneinrichtung/KOCH & STERZEL”, Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe), T 110/90 (ABl. EPA 1994, 557, “editierbare Dokumentenform/IBM”, Nr. 5 der Entscheidungsgründe), T 164/92 (ABl. EPA 1995, 305, “elektronische Rechenbausteine/ROBERT BOSCH”, Nr. 4 der Entscheidungsgründe) und T 204/93 (unveröffentlicht, “System zur Erzeugung eines Softwarequellcodes/ATT”, Nr. 3.13 der Entscheidungsgründe).
11.3 Dabei gilt es aber auch zu bedenken, daß es in keiner der angeführten Entscheidungen und, soweit die Kammer weiß, auch in keiner anderen Entscheidung der Beschwerdekammern um einen Anspruch geht, der wie die vorliegenden Ansprüche 20 und 21 auf ein Computerprogrammprodukt gerichtet wäre.
Dies bedeutet, daß die in der vorliegenden Beschwerdesache zu entscheidende Frage von den Beschwerdekammern bisher noch nicht beantwortet worden ist. Streng genommen können die genannten Argumente bzw. Entscheidungsgründe daher als obiter dicta und nicht als ratio decidendi angesehen werden.
11.4 In einigen Fällen waren allerdings Argumente der genannten Art zumindest auf den ersten Blick ausschlaggebend für die Entscheidungsfindung (s. beispielsweise die bereits erwähnte unveröffentlichte Entscheidung T 204/93, “System zur Erzeugung eines Softwarequellcodes/ATT”, Nr. 3.13 der Entscheidungsgründe).
Infolgedessen sieht sich die Kammer veranlaßt, zu diesem Fall Stellung zu nehmen.
11.4.1 Unter Nummer 3.13 der Entscheidungsgründe heißt es, daß Computerprogramme einen Nutzen oder praktischen Verwendungszweck haben könnten und beispielsweise ein Computer programmgesteuert ein technisches Verfahren steuern könne, das der Rechtsprechung zufolge seinerseits patentierbar sein könne. Gleichzeitig wird aber auch festgestellt, daß Computerprogramme als solche ungeachtet einer solchen Verwendung und unabhängig von ihrem Inhalt nicht patentfähig seien, also auch dann nicht patentiert werden könnten, wenn ihr Inhalt die ablaufenden Programme zur Steuerung eines technischen Verfahrens nutzbar mache.
11.4.2 Die Kammer führte weiter aus, “ebensowenig” sei die Programmierarbeit eines Programmierers “als gedankliche Tätigkeit” patentierbar, selbst wenn das daraus resultierende Programm zur Steuerung eines technischen Verfahrens verwendet werden könnte; auch eine Automatisierung dieser Tätigkeit, bei der nur die üblichen Mittel zum Einsatz kämen, verhelfe der betreffenden Programmiermethode unabhängig vom Inhalt des daraus resultierenden Programms nicht zur Patentfähigkeit.
11.4.3 Unter Nummer 4.4 der Entscheidungsgründe heißt es schließlich: “Es kann auch dahingestellt bleiben, ob Anspruch 5 allein schon deshalb nicht gewährbar wäre, weil sich der durch diesen Verfahrensanspruch gewährte Schutz nach Artikel 64 (2) EPÜ auch auf das durch das Verfahren unmittelbar hergestellte Erzeugnis, also auf Computerprogramme, erstrecken würde und diese Ausdehnung des Schutzes offenbar im Widerspruch zu dem in Artikel 52 (2) und (3) EPÜ verankerten ausdrücklichen Patentierungsverbot für Computerprogramme als solche stünde.”
11.4.4 Aus dieser Zusammenfassung schließt die mit dem vorliegenden Fall befaßte Kammer, daß sich die damalige Entscheidung objektiv gesehen eigentlich darauf stützt, daß die Programmierarbeit eines Programmierers eine nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ als solche nicht patentfähige gedankliche Tätigkeit darstellt, das Wort “ebensowenig” aber eindeutig impliziert, daß die Programmierarbeit auch wegen des Patentierungsverbots für Computerprogramme nicht patentiert werden kann und bei der Automatisierung dieser Tätigkeit (z. B. mittels eines Computerprogramms) keine unüblichen Mittel zum Einsatz kommen, durch die das Patentierungsverbot überwunden werden könnte. Somit liegt der Verweigerung der Patentierung letzten Endes eine Kombination der Ausschlußbestimmungen für Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten als solche sowie für Computerprogramme als solche gemäß Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ zugrunde.
11.5 Die Kammer folgert daraus insgesamt, daß die vorliegende Entscheidung zwar auf einem etwas anderen Denk- und Argumentationsansatz basieren mag als die bisherige Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, dieser bei genauerer Betrachtung der betreffenden Entscheidungen aber nicht direkt widerspricht.
Die angeführte Entscheidung T 204/93 möchte die Kammer allerdings insofern hiervon abgrenzen, als sie allen Computerprogrammen als solchen ohne Rücksicht auf ihren Inhalt die Patentfähigkeit abspricht.
12. Genaue Formulierung der Ansprüche
12.1 Nach Ansicht der Prüfungsabteilung entsprechen die Ansprüche 1 bis 19 den Bestimmungen des EPÜ.
Unter den gegebenen Umständen besteht für die Kammer, wie schon gesagt, keine Notwendigkeit, diese Feststellung zu überprüfen, da diese Ansprüche nicht Gegenstand der Beschwerde sind. Dennoch möchte die Kammer kurz auf ihren Wortlaut eingehen.
Die Ansprüche 1 und 14 sind die unabhängigen Ansprüche dieses Anspruchssatzes. Sie sind funktionell abgefaßt und fallen in verschiedene Anspruchskategorien. Anspruch 1 ist ein Anspruch für ein Verfahren zur Ressourcenwiederherstellung in einem Computersystem (Verfahrensanspruch). Anspruch 14 ist ein Anspruch für ein Computersystem (Vorrichtungsanspruch) und betrifft wohl ein System (eine Vorrichtung) zur Durchführung des Verfahrens gemäß Anspruch 1.
Wenn die Annahmen der Kammer stimmen, wäre trotz der Zugehörigkeit der beiden Ansprüche zu verschiedenen Anspruchskategorien die Einheitlichkeit der Erfindung nach Artikel 82 EPÜ gewahrt und stünde die von der Prüfungsabteilung bejahte Gewährbarkeit eines Anspruchs für ein Verfahren und eines Anspruchs für eine entsprechend angepaßte Vorrichtung zu dessen Durchführung in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern, da es, wie bereits dargelegt, der VICOM-Entscheidung zufolge unlogisch wäre, das Verfahren zu patentieren, nicht aber die entsprechend angepaßte Vorrichtung zu seiner Durchführung.
12.2 In der vorliegenden Beschwerde geht es darum, ob der Gegenstand der Ansprüche 20 und 21 nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen ist. Die Prüfungsabteilung hat dies bejaht. Die Kammer hat, wie sie ausdrücklich hervorheben möchte, nur entschieden, daß ein Computerprogrammprodukt nicht unter allen Umständen von der Patentierung ausgeschlossen ist.
So kommt es für die Kammer z. B. auf die genaue Formulierung der strittigen Ansprüche an. Wie der Wortlaut der vorliegenden Ansprüche 20 und 21 zeigt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, einen Anspruch für ein Computerprogrammprodukt zu formulieren.
Da die Prüfungsabteilung die Zurückweisung dieser Ansprüche auf die von ihr genannte Textstelle der Richtlinien gestützt hat, geht die Kammer davon aus, daß die Prüfungsabteilung den genauen Wortlaut dieser Ansprüche nicht näher geprüft hat, wozu sie, wie die Kammer einräumt, aus ihrer Sicht auch kaum Veranlassung hatte.
Angesichts der Entscheidung der Kammer, daß nicht alle Computerprogrammprodukte von vornherein von der Patentierung auszuschließen sind, müssen die Ansprüche nun aber eingehend auf ihren genauen Wortlaut geprüft werden.
Um das Recht der Beschwerdeführerin auf Klärung dieser Frage in zwei Instanzen zu wahren, wird die Sache zur weiteren Prüfung dieses Punkts an die erste Instanz zurückverwiesen.
12.3 Die Kammer gibt noch zu bedenken, daß sich gemäß der unveröffentlichten Entscheidung T 410/96 (vom 25. Juli 1997) eine knappere Formulierung der Ansprüche u. U. erreichen läßt, indem in einen Anspruch eine Bezugnahme auf einen anderen Anspruch einer anderen Kategorie aufgenommen wird.
13. Der von der Prüfungsabteilung vertretenen, auf die Richtlinien C-IV, 2.3 (Fassung Dezember 1994, Seite 44) gestützten Auslegung des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ, wonach ein allein oder als Aufzeichnung auf einem Datenträger beanspruchtes Computerprogramm nicht patentfähig ist, kann sich die Kammer, wie bereits deutlich geworden ist, nicht anschließen.
Nach Auffassung der Kammer ist ein allein beanspruchtes Computerprogramm nicht von der Patentierung ausgeschlossen, wenn das auf einem Computer laufende oder in einen Computer geladene Programm einen technischen Effekt bewirkt oder bewirken kann, der über die “normale” physikalische Wechselwirkung zwischen dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware), auf dem es läuft, hinausgeht.
“Auf einem Computer laufend” bedeutet, daß das aus Computerprogramm samt Computer bestehende System ein Verfahren durchführt, das so geartet sein kann wie dasjenige gemäß Anspruch 1.
“In einen Computer geladen” bedeutet, daß der so programmierte Computer zur Durchführung eines Verfahrens, das so geartet sein kann wie dasjenige gemäß Anspruch 1, fähig oder hierfür entsprechend angepaßt ist und somit ein System (oder eine Vorrichtung bzw. ein Gerät) verkörpert, das so geartet sein kann wie dasjenige gemäß Anspruch 14.
Darüber hinaus ist die Kammer der Ansicht, daß es im Hinblick auf das Patentierungsverbot gemäß Artikel 52 (2) und (3) EPÜ keinen Unterschied macht, ob ein Computerprogramm allein beansprucht wird oder als Aufzeichnung auf einem Datenträger (in Anlehnung an die Entscheidung T 163/85, ABl. EPA 1990, 379, “Farbfernsehsignal/BBC”).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin an die erste Instanz zurückverwiesen, die insbesondere auch zu prüfen hat, ob die Ansprüche im vorliegenden Wortlaut unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ fallen, wenn man berücksichtigt, daß ein Computerprogrammprodukt nicht unter allen Umständen von der Patentierung ausgeschlossen ist.