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European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2005:T003903.20050826 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 26 August 2005 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0039/03 | ||||||||
Entscheidung der Großen Beschwerdekammer: | G 0001/05, G 0001/05 | ||||||||
Anmeldenummer: | 99100131.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | H01L 31/18 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | – | ||||||||
Name des Anmelders: | ASTROPOWER Inc. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | – | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen vorgelegt: 1. Kann eine Teilanmeldung, die den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ nicht genügt, weil sie zum Zeitpunkt ihrer Einreichung über den Inhalt der früheren Anmeldung hinausgeht, später geändert werden, um sie zu einer gültigen Teilanmeldung zu machen? 2. Falls die Frage 1 bejaht wird, ist dies auch dann noch möglich, wenn die frühere Anmeldung nicht mehr anhängig ist? 3. Falls die Frage 2 bejaht wird, unterliegt diese Möglichkeit weiteren sachlichen Einschränkungen, die über die Auflagen der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ hinausgehen? Kann die berichtigte Teilanmeldung insbesondere auf Aspekte der früheren Anmeldung gerichtet werden, die nicht von den Aspekten umfasst werden, auf die die Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gerichtet war? |
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Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Gültigkeit von Teilanmeldungen Vorlage an die Große Beschwerdekammer |
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Orientierungssatz: |
– |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 99 100 131.4 (Veröffentlichungsnr. EP 0 911 885) wurde als Teilanmeldung zu der früheren europäischen Anmeldung Nr. 93 116 174.9 (Veröffentlichungsnr. EP 0 591 949) eingereicht; das auf die frühere Anmeldung erteilte Patent wurde am 28. Juli 1999 bekannt gemacht. Die Anmelderin und Beschwerdeführerin hat Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung eingelegt, in der diese die Teilanmeldung mit der Begründung zurückwies, dass keiner der ihr vorliegenden Anträge den Erfordernissen des EPÜ genüge. Die Prüfungsabteilung hob unter anderem darauf ab, dass die Teilanmeldung gegen Artikel 76 (1) EPÜ verstoße, weil das in mehreren unabhängigen Patentansprüchen enthaltene Merkmal der “Körner mit einer mittleren Ausdehnung im Bereich von 0,002 bis 1 cm” in der früheren Anmeldung nicht offenbart sei.
II. Mit ihrer Beschwerdebegründung vom 12. Dezember 2002 reichte die Beschwerdeführerin ersatzweise neue Ansprüche 1 bis 9 ein und brachte Argumente zur Stützung der Neuheit des beanspruchten Gegenstands und einer erfinderischen Tätigkeit vor. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
III. Mit Bescheid vom 22. Dezember 2004 teilte die Kammer der Beschwerdeführerin mit, dass die Anmeldung weder in der ursprünglichen noch in der vorliegenden Fassung den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ genüge und dass aus ihrer Sicht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären sei, ob eine Teilanmeldung, die in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ genüge, im Laufe des Prüfungsverfahrens zur Erfüllung dieser Erfordernisse noch geändert werden könne. Die Kammer erklärte, dass sie beabsichtige, diese Rechtsfrage der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
IV. In ihrer Erwiderung vom 22. April 2005 auf diesen Bescheid zog die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung für den Fall zurück, dass die Kammer die Große Kammer befasse, behielt sich aber vor, den Antrag zu einem späteren Zeitpunkt im Verfahren wiederaufleben zu lassen, wenn sich die Kammer mit den substanziellen Fragen der Beschwerde befasse.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Inhalt der Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung
2.1 Jeder der Patentansprüche 1, 13 und 15 der vorliegenden Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung enthält das Merkmal “länglicher säulenförmiger Körner mit einer mittleren Ausdehnung im Bereich von 0,002 bis 1 cm”. Dieser Bereich ist in der ursprünglich eingereichten Fassung der entsprechenden früheren Anmeldung nirgendwo erwähnt, wie die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung zu Recht festgestellt hat (vgl. Nr. 1.3.2 der Entscheidungsgründe).
2.2 Ein ähnliches Problem stellt sich im Hinblick auf das Merkmal “einer mittleren Korngröße von mindestens 80 Mikrometern” in den Ansprüchen 2 und 14 der Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Die Untergrenze von 80 Mikrometern ist in der früheren Anmeldung nicht angegeben, die lediglich eine “Minoritätsträgerdiffusionslänge von über 40 Mikrometern” und eine “Mindestkorngröße von mindestens zweimal der Minoritätsträgerdiffusionslänge” (vgl. Anspruch 7) offenbart. Diese Definition ist eindeutig enger als jene, die in der ursprünglich eingereichten Fassung der Teilanmeldung beansprucht wurde.
2.3 Anspruch 9 der Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung definiert eine Untergrenze von 10 Mikrometern für die Minoritätsträgerdiffusionslänge, die in der früheren Anmeldung nirgendwo offenbart ist.
2.4 Anspruch 12 der Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung verweist auf “diese Körner”, die Merkmale eines Siliziumnetzes aufweisen, was sich auf die säulenförmigen Körner von Anspruch 1 beziehen würde. In der früheren Anmeldung ist – in Spalte 7, Zeilen 5 bis 8 und Spalte 9, Zeilen 31 bis 36 – aber nur offenbart, dass das teilweise geschmolzene Silizium unter dem geschmolzenen Material als Netz wirkt, auf dem die säulenförmigen Körner wachsen. Die in der früheren Anmeldung ursprünglich offenbarten Körner stellen demnach selbst kein Netz dar.
Dem Anschein nach ist die ursprünglich eingereichte Fassung der Teilanmeldung somit in einer Reihe von Aspekten auf einen Gegenstand gerichtet, der über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, und verstößt damit gegen die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ.
3. Weiteres Vorgehen
3.1 Der Kammer ist vollauf bewusst, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die ursprünglich eingereichte Fassung einer Teilanmeldung hinsichtlich ihres Gegenstands gegen Artikel 76 (1) EPÜ verstößt, die ständige Praxis des EPA darin besteht, dem Anmelder zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt des Prüfungsverfahrens eine Änderung der Teilanmeldung zwecks Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ zu gestatten und die berichtigte Teilanmeldung, sofern sie im Hinblick auf ihre ursprünglich eingereichte Fassung auch dem Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ genügt, als gültige Teilanmeldung zu werten, die als am Anmeldetag der früheren Anmeldung eingereicht gilt und deren Prioritätsrecht genießt, wie es ebenfalls in Artikel 76 (1) EPÜ geregelt ist.
Diese Praxis ist in den Richtlinien für die Prüfung im EPA dargelegt. Die Formerfordernisse für die Einreichung einer Teilanmeldung sind in Kapitel A-IV, 1 beschrieben. Unter Nummer 1.2.1 (zweiter Absatz) heißt es, dass erst im Prüfungsverfahren entschieden wird, ob sich eine Teilanmeldung auf die in der Stammanmeldung enthaltenen Sachverhalte beschränkt. Das Prüfungsverfahren für eine Teilanmeldung wird in Kapitel C-VI, 9.1.4 bis 9.1.6 erläutert. Wie zu verfahren ist, wenn Teilanmeldungen Sachverhalte enthalten, die über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgehen, wird unter Nummer 9.1.4 behandelt.
Dort heißt es, dass die Teilanmeldung nach Artikel 97 (1) EPÜ wegen Verstoßes gegen Artikel 76 (1) EPÜ zurückzuweisen ist, wenn der Anmelder nicht bereit ist, diesen Mangel durch Streichung der zusätzlichen Sachverhalte zu beheben. Aus den Richtlinien ergibt sich damit, dass eine Teilanmeldung, die in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ nicht genügt, durchaus zu irgendeinem späteren Zeitpunkt des Prüfungsverfahrens entsprechend berichtigt werden darf, und zwar insbesondere unabhängig davon, ob die frühere Anmeldung noch anhängig ist.
Diese Praxis ist von den Beschwerdekammern bisher offenbar nicht in Frage gestellt worden, denn sie gestatteten in vielen Fällen eine spätere Änderung von Teilanmeldungen, die in der ursprünglich eingereichten Fassung gegen Artikel 76 (1) EPÜ verstießen (vgl. z. B. die Entscheidungen T 1074/97 und T 1092/04, nicht im ABl. EPA veröffentlicht).
3.2 Die Kammer hat jedoch aus folgenden Gründen starke Bedenken, ob diese Praxis richtig ist. Ausschlaggebend für ihre Zweifel sind in erster Linie eine Reihe augenscheinlicher Unvereinbarkeiten der bestehenden Praxis zum einen mit der neueren Entwicklung der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zur Behandlung von Teilanmeldungen, die als Teilanmeldungen zu früheren Teilanmeldungen eingereicht wurden, und zum anderen mit Regel 25 (1) EPÜ, in der eine Frist für die Einreichung von Teilanmeldungen gesetzt wird. Untermauert zu werden scheinen diese Bedenken auch durch den ausdrücklichen Wortlaut des Artikels 76 EPÜ, wie durch die Rechtsprechung und die rechtlichen Entwicklungen in einem Vertragsstaat (Großbritannien) bestätigt wird und auch die Materialien zum EPÜ (“Travaux Préparatoires”) belegen.
3.3 Ein mit der derzeitigen Praxis verbundenes Problem trat im Gefolge der neueren Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu Tage, wonach die Einreichung von Teilanmeldungen zu früheren Teilanmeldungen zulässig ist (vgl. insbesondere die Entscheidung T 1158/01, veröffentlicht im ABl. EPA 2005, 110).
In der obigen Sache entschied die jetzt zuständige Kammer in anderer Zusammensetzung, dass bei der Prüfung der Gültigkeit der Teilanmeldung zweiter Generation auch die Gültigkeit der Teilanmeldung erster Generation zu prüfen ist. Ist die Teilanmeldung erster Generation ungültig, weil ihr Gegenstand nicht den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ genügt, so ist auch die daraus entstandene Teilanmeldung zweiter Generation ungültig (vgl. Nummer 3.2 der Entscheidungsgründe).
In der Sache T 1158/01 ging die Teilanmeldung erster Generation in der ursprünglich eingereichten Fassung über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus. Sie wurde jedoch nicht hierauf geprüft, und die unzulässigen Erweiterungen blieben in der Anmeldung, bis diese schließlich fallen gelassen wurde. Die Teilanmeldung erster Generation entsprach mithin zu keiner Zeit den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ.
Würde aber eine ungültige Teilanmeldung erster Generation, deren ursprünglich eingereichte Fassung unzulässige Erweiterungen enthielt, im Zuge ihrer Prüfung durch Streichung all dieser Erweiterungen geändert und damit nachträglich gültig gemacht, so wäre die Teilanmeldung zweiter Generation – und jedes weitere Glied einer nachfolgenden Kette von Teilanmeldungen – folglich ebenfalls gültig. Im Umkehrschluss würde, sobald die anfänglich ungültige Teilanmeldung durch Streichung der von Anfang an unzulässigen Erweiterungen gültig geworden ist, jede spätere teilweise oder vollständige Wiedereinführung solcher ursprünglichen Erweiterungen im Rahmen einer Änderung dazu führen, dass die Teilanmeldung und mit ihr die gesamte Abfolge weiterer Anmeldungsgenerationen gemäß Artikel 76 (1) EPÜ wieder ungültig wird.
Der Nachteil einer solchen Praxis für die Rechtssicherheit der Öffentlichkeit liegt auf der Hand und ließe sich nach Auffassung der Kammer nur vermeiden, wenn die Gültigkeit der Teilanmeldung erster Generation gemäß Artikel 76 (1) EPÜ nur einmal zu prüfen wäre, und zwar auf der alleinigen Grundlage der ursprünglich eingereichten Fassung.
3.4 Dass das EPA im Rahmen seiner jetzigen Praxis zu einem späten Zeitpunkt des Prüfungsverfahrens noch Änderungen gestattet, die der Streichung unzulässiger Erweiterungen aus der ursprünglich eingereichten Fassung von Teilanmeldungen, also der Ausräumung von Einwänden gemäß Artikel 76 (1) EPÜ dienen, und zwar unabhängig davon, ob die frühere Patentanmeldung noch anhängig ist, sowie ohne eine andere Einschränkung als die in Artikel 123 (2) EPÜ verankerte, bedeutet nach Auffassung der Kammer zudem, dass den Anmeldern letztlich gestattet wird, entgegen den Bestimmungen der Regel 25 (1) EPÜ gültige Teilanmeldungen zu formulieren.
In den Bestimmungen der Regel 25 (1) EPÜ wird eigentlich ein Zeitpunkt festgelegt, nach dem der Anmelder keinen Schutz mehr für einen Gegenstand beantragen kann, den er in seiner Patentanmeldung zwar offenbart, aber nicht beansprucht hat; diese Bestimmungen sind daher im Hinblick auf die Rechtssicherheit für die Öffentlichkeit von größter Bedeutung.
Wenn nun dem Anmelder einer ungültigen Teilanmeldung, deren Gegenstand über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, gestattet wird, lange nach Ablauf der in Regel 25 (1) EPÜ festgelegten Frist eine geänderte Teilanmeldung zu formulieren, deren Gegenstand sowohl in der früheren Anmeldung als auch in der ursprünglich eingereichten Fassung der Teilanmeldung offenbart war und die damit den Erfordernissen der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ genügt, die aber nicht auf die gleichen Aspekte der früheren Anmeldung wie die ursprünglich eingereichte Teilanmeldung oder möglicherweise sogar auf Aspekte der früheren Anmeldung gerichtet ist, die die ursprüngliche Teilanmeldung nicht umfasste, kann sich die Öffentlichkeit nach Auffassung der Kammer in ihrer berechtigten Erwartung getäuscht sehen, dass sich ausschließliche Rechte auf den Gegenstand der nach Prüfung der früheren Anmeldung erteilten Ansprüche sowie auf den Gegenstand beschränken, der mit der ursprünglichen Teilanmeldung gezielt aus der früheren Anmeldung ausgeschieden wurde.
Die bestehende Praxis, die über die Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ hinaus keine weiteren Einschränkungen vorsieht, und zwar weder in Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem eine gegen Artikel 76 (1) EPÜ verstoßende Teilanmeldung berichtigt wird, noch in Bezug auf den Gegenstand, auf den die berichtigte Anmeldung gerichtet werden darf, kann daher als Praxis gewertet werden, die dem potenziellen Missbrauch der im EPÜ vorgesehenen Möglichkeit zur Einreichung von Teilanmeldungen Tür und Tor öffnet. Die bloße Einreichung einer Teilanmeldung, die sich auf eine anhängige frühere Anmeldung bezieht, die gemäß Artikel 76 (1) EPÜ aber ungültig ist, verschafft einem Anmelder derzeit de facto die Möglichkeit, den Zeitpunkt hinauszuzögern, zu dem er – im Rahmen von Änderungen zur Ausräumung eines Einwands gemäß Artikel 76 (1) EPÜ – frei wählen kann, welcher Aspekt der früheren Anmeldung ausgeschieden werden soll. Unter der Voraussetzung, dass die Beschreibung der ungültigen Teilanmeldung mit derjenigen der ursprünglich eingereichten früheren Anmeldung identisch ist, ist der Anmelder nach der bestehenden Praxis zum Zeitpunkt der Berichtigung genauso frei bei der Formulierung der geänderten Teilanmeldung, als hätte er die Teilanmeldung noch nicht eingereicht und als wäre die frühere Anmeldung noch anhängig.
Ähnliche Bedenken wegen der Auswirkungen, die die späte Formulierung von Teilanmeldungen auf die Rechtssicherheit für die Öffentlichkeit haben könnte, hat die jetzige Kammer in anderer Zusammensetzung in ihren Entscheidungen T 720/02 und T 797/02 zum Ausdruck gebracht (nicht im ABl. EPA veröffentlicht; vgl. Nummer 2.2 der Entscheidungsgründe), wo es um die richtige Behandlung mehrerer aufeinander folgender Teilanmeldungen geht.
3.5 Argumente für die Vorbehalte der Kammer gegen die bestehende Praxis des EPA bei der Behandlung von Teilanmeldungen, die gegen Artikel 76 (1) EPÜ verstoßen, lassen sich auch im konkreten Wortlaut dieses Artikels finden.
Artikel 76 (1) EPÜ bezieht sich ausdrücklich auf die Einreichung von Teilanmeldungen. Er regelt, welchen Erfordernissen eine Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung genügen muss und welche Folgen sich ergeben, wenn eine Teilanmeldung diesen Erfordernissen entspricht:
“Eine europäische Teilanmeldung ist unmittelbar beim Europäischen Patentamt in München oder seiner Zweigstelle in Den Haag einzureichen. Sie kann nur für einen Gegenstand eingereicht werden, der nicht über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht; soweit diesem Erfordernis entsprochen wird, gilt die Teilanmeldung als an dem Anmeldetag der früheren Anmeldung eingereicht und genießt deren Prioritätsrecht” (Hervorhebung durch die Kammer).
Aus Artikel 76 (1) EPÜ lässt sich demnach herauslesen, dass eine Teilanmeldung nur dann den Anmelde- und Prioritätstag der früheren Anmeldung in Anspruch nehmen kann, wenn sie tatsächlich für einen Gegenstand eingereicht wurde, der nicht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinausgeht.
Die Frage der richtigen Auslegung sehr ähnlicher Rechtsvorschriften für Teilanmeldungen, die in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unzulässige Erweiterungen enthalten, wurde vom britischen Patentgericht eingehend geprüft, das in seiner Entscheidung “Hydroacoustics …” (vgl. Fleet Street Reports [1981], Seiten 538 bis 550) Artikel 76 (1) des britischen Patentgesetzes von 1977 anzuwenden hatte, in dem es heißt:
“76 (1). Eine Patentanmeldung (die jüngere Anmeldung) kann nicht … in Bezug auf Material eingereicht werden, das bereits in einer älteren Anmeldung … offenbart ist, wenn die jüngere Anmeldung Material offenbart, das über das in der eingereichten älteren Anmeldung … Offenbarte hinausgeht.”
Aus diesem Wortlaut, der offensichtlich als Pendant zu den entsprechenden Bestimmungen des Artikels 76 (1) EPÜ gedacht war, folgerte das Gericht (vgl. Seite 548, zweiter Absatz), dass die Einreichung einer Teilanmeldung zwingend unzulässig sei, wenn diese einen in der Stammanmeldung nicht offenbarten Gegenstand enthalte. Das Gericht verwarf das Argument der Anmelderin (vgl. Seite 548, dritter Absatz), dass der Wortlaut “kann nicht … eingereicht werden” nicht so zu verstehen sei, dass eine unzulässig erweiterte Teilanmeldung nicht eingereicht werden dürfe, sondern vielmehr bedeute, dass sie “nicht weiter bearbeitet werden” dürfe, es dem Anmelder also gestattet sein sollte, die unzulässigen Erweiterungen zu streichen und dann den in der Stammanmeldung offenbarten Gegenstand weiter zu verfolgen. Das Gericht erachtete den Wortlaut “kann nicht … eingereicht werden” für vollkommen eindeutig und sah keinen Grund, warum er nicht in diesem eindeutigen Sinne hätte verstanden werden sollen.
Die Kammer merkt hierzu am Rande an, dass Artikel 76 des britischen Patentgesetzes mit Wirkung vom 7. Januar 1991 geändert wurde, um die spätere Streichung unzulässiger Erweiterungen ausdrücklich zu gestatten. Die Vorschrift lautet nun: “Eine Patentanmeldung, die in Bezug auf Material vorgenommen wird, das bereits in einer älteren Anmeldung … offenbart ist, und zusätzliches Material offenbart, d.h. Material, das über das in der eingereichten älteren Anmeldung … offenbarte Material hinausgeht, kann … eingereicht werden, jedoch darf sie nicht weiter bearbeitet werden, wenn sie nicht so geändert wird, dass das zusätzliche Material ausgeschlossen wird” (Hervorhebung durch die Kammer); vgl. “Terrell on the Law of Patents”, Hrsg. S. Thorley et al., 15. Auflage, London, Sweet & Maxwell, 2000.
Artikel 76 (1) des Übereinkommens ist jedoch unverändert geblieben.
3.6 Entgegen der bestehenden Praxis des EPA, in Teilanmeldungen die Streichung unzulässiger Erweiterungen, die über den Inhalt der früheren Anmeldung hinausgehen, zu gestatten, damit die Erfordernisse des Artikels 76 EPÜ erfüllt sind, fand die Kammer auch in den Materialien zum EPÜ (“Travaux Préparatoires”) Hinweise darauf, dass die Schaffung einer solchen Streichungsmöglichkeit im Übereinkommen nicht gewollt war. Aus den Berichten der Münchner Diplomatischen Konferenz von 1973 (vgl. Seite 37) geht hervor, dass Artikel 74 (jetzt Artikel 76, Teilanmeldungen) Anlass zu einer eingehenden Erörterung insbesondere der Frage gab, ob unzulässige Erweiterungen in Teilanmeldungen zum Stand der Technik gemäß Artikel 52 (jetzt Artikel 54) Absatz 3 EPÜ gehören. Diese Erörterungen sind unter Nummer 210 zusammengefasst. Dort heißt es: “Enthält eine Teilanmeldung neue Beispiele, die über den Inhalt der früheren Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinausgehen, so sind diese unzulässig; sie werden aber nicht gestrichen …” (Hervorhebung durch die Kammer).
4. Die Fragen, ob Teilanmeldungen, die gegen die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ verstoßen, durch spätere Änderungen gültig gemacht werden können und unter welchen Bedingungen solche Berichtigungen zulässig sein können, sind demnach Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung.
Die Kammer hat starke Vorbehalte gegen die Möglichkeit zur Berichtigung solcher Teilanmeldungen, steht mit ihrer Auffassung jedoch eindeutig nicht in Einklang mit der einschlägigen Praxis des EPA und hält es unter den gegebenen Umständen daher für angebracht, die Frage gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen vorgelegt:
1. Kann eine Teilanmeldung, die den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ nicht genügt, weil sie zum Zeitpunkt ihrer Einreichung über den Inhalt der früheren Anmeldung hinausgeht, später geändert werden, um sie zu einer gültigen Teilanmeldung zu machen?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird, ist dies auch dann noch möglich, wenn die frühere Anmeldung nicht mehr anhängig ist?
3. Falls die Frage 2 bejaht wird, unterliegt diese Möglichkeit weiteren sachlichen Einschränkungen, die über die Auflagen der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ hinausgehen? Kann die berichtigte Teilanmeldung insbesondere auf Aspekte der früheren Anmeldung gerichtet werden, die nicht von den Aspekten umfasst werden, auf die die Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gerichtet war?