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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T001501.20040617
Datum der Entscheidung: 17 Juni 2004
Aktenzeichen: T 0015/01
Anmeldenummer: 92913710.7
IPC-Klasse: A61K 39/12
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders: Stichting Dienst Landbouwkundig Onderzoek
Name des Einsprechenden: Cyanamid Iberica
Akzo Nobel N.V.
Kammer: 3.3.04
Leitsatz: I. Ein und dasselbe Prioritätsrecht kann in mehr als einer europäischen Patentanmeldung wirksam beansprucht werden; eine Erschöpfung von Prioritätsrechten gibt es nicht (siehe Nrn. 25 bis 41 der Entscheidungsgründe).
II. Regel 20 (3) EPÜ findet bei Gesamtrechtsnachfolgen keine Anwendung. Der Gesamtrechtsnachfolger eines Patentanmelders oder -inhabers erwirbt automatisch die Beteiligtenstellung in vor dem Europäischen Patentamt anhängigen Verfahren (siehe Nrn. 4 bis 12 der Entscheidungsgründe).
III. Ein Patentinhaber verstößt weder gegen Regel 57a noch gegen Artikel 123 (3) EPÜ lediglich deshalb, weil er im Einspruchsverfahren einen gesonderten Anspruchssatz für einen bestimmten Vertragsstaat einreicht, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass dort Erzeugnisansprüche in der erteilten Fassung auf Grund eines Vorbehalts nach Artikel 167 (2) a) EPÜ als ungültig gelten würden (siehe Nrn. 17 bis 21 der Entscheidungsgründe).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 76(1)
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 87(1)
European Patent Convention 1973 Art 88
European Patent Convention 1973 Art 100
European Patent Convention 1973 Art 107
European Patent Convention 1973 Art 112
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
European Patent Convention 1973 Art 139(2)
European Patent Convention 1973 Art 167(2)
European Patent Convention 1973 Art 167(5)
European Patent Convention 1973 R 20
European Patent Convention 1973 R 57a
European Patent Convention 1973 R 61
European Patent Convention 1973 R 64(a)
European Patent Convention 1973 R 65(2)
European Patent Convention 1973 R 87
European Patent Convention 1973 R 88
European Patent Convention 1973 R 90(1)
European Patent Convention 1973 R 101(7)
Patent Cooperation Treaty Art 8(2)
Paris Convention Art 4F, 4g
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde (bejaht) – Beteiligtenstellung des Gesamtrechtsnachfolgers des ursprünglichen Patentinhabers (bejaht) – Korrektur einer falschen Benennung des Beschwerdeführers (gestattet)
Gewährbarkeit von Änderungen: neuer Anspruchssatz für ES/GR (bejaht)
Erweiterung des Schutzbereichs (verneint)
Priorität (bejaht) – Doktrin der Erschöpfung von Prioritätsrechten (verneint)
Neuheit und erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/88
G 0003/93
G 0007/93
G 0002/98
G 0002/02
T 0522/94
T 0353/95
T 0001/97
T 0461/97
T 0097/98
T 0656/98
T 0814/98
T 0460/99
T 0998/99
T 0715/01
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0001/12
G 0001/13
T 0005/05
T 0006/05
T 1421/05
T 1476/05
T 1562/06
T 1668/07
T 0501/09
T 1912/09
T 0128/10
T 1551/10
T 1703/10
T 2223/10
T 1222/11
T 0854/12
T 2357/12
T 0557/13
T 0696/16

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 0587780 geht zurück auf die am 5. Juni 1992 im Namen des Stichting Centraal Diergeneeskundig Instituut eingereichte Euro-PCT-Anmeldung PCT/NL92/00096 (europäische Anmeldung Nr. 92913710.7). Darin wird die Priorität von EP 91201398 vom 6. Juni 1991 (Druckschrift (D47)) und EP 92200781 vom 18. März 1992 (Druckschrift (D48)) beansprucht. Das Patent betrifft den Lelystad-Erreger, den Verursacher des Seuchenhaften Spätaborts der Schweine (SSS), und wurde auf der Grundlage von 26 Ansprüchen für die Vertragsstaaten AT, BE, CH, DE, DK, ES, FR, GB, GR, IT, LI, LU, MC, NL und SE erteilt, wobei die Ansprüche 1, 2, 6, 10, 14, 15, 23 und 26 wie folgt lauten:

“1. Stoffzusammensetzung mit isoliertem Lelystad-Erreger, dem Verursacher des Seuchenhaften Spätaborts der Schweine, wobei der Lelystad-Erreger im Wesentlichen dem isolierten Lelystad-Erreger (CDI-NL-2.91) entspricht, der am 5. Juni 1991 im Institut Pasteur, Paris, Frankreich, unter der Nummer I-1102 hinterlegt wurde.

2. Stoffzusammensetzung nach Anspruch 1, die einen abgetöteten isolierten Lelystad-Erreger umfasst.

6. Stoffzusammensetzung mit einem isolierten oder synthetischen Protein oder (Poly-)Peptid oder einer isolierten oder synthetischen Nucleinsäure, das bzw. die von dem Lelystad-Erreger gemäß Anspruch 1 abgeleitet ist.

10. Stoffzusammensetzung, die ein (Poly-)Peptid mit einer von einem Protein des Lelystad-Erregers gemäß Anspruch 1 abgeleiteten Aminosäuresequenz umfasst, wobei das (Poly-)Peptid durch eine Zelle hergestellt worden ist, die in der Lage ist, es durch gentechnische Behandlung mit geeigneter rekombinanter DNA zu produzieren.

14. Impfstoffzusammensetzung zur Impfung von Tieren, insbesondere Säugetieren und speziell Schweinen, um sie gegen den Seuchenhaften Spätabort der Schweine zu schützen, die den Lelystad-Erreger gemäß Anspruch 1 und einen geeigneten Träger oder ein geeignetes Adjuvans umfasst.

15. Impfstoffzusammensetzung nach Anspruch 14, die einen abgetöteten Lelystad-Erreger umfasst.

23. Diagnosekit zum Nachweis eines Antikörpers, der den Lelystad-Erreger gemäß Anspruch 1 in einer Probe spezifisch erkennt, insbesondere einer biologischen Probe wie Blut oder Blutserum, Auswurf, Speichel oder Gewebe, die von einem Tier, insbesondere einem Säugetier und speziell einem Schwein stammt, wobei das Kit einen Antigenteil oder eine Antigenkomponente des Lelystad-Erregers und geeignete Nachweismittel eines Antikörper-Assays enthält.

26. Verfahren zum Diagnostizieren, ob ein Tier, insbesondere ein Säugetier und speziell ein Schwein, mit dem Erreger des Seuchenhaften Spätaborts der Schweine infiziert ist, wobei das Verfahren die Aufbereitung einer Probe, insbesondere einer biologischen Probe, wie Blut oder Blutserum, Auswurf, Speichel oder Gewebe des Tieres, und ihre Untersuchung darauf umfasst, ob sie Nucleinsäure des Lelystad-Erregers, Antigen des Lelystad-Erregers oder den Lelystad-Erreger spezifisch erkennende Antikörper enthält, wobei der Lelystad-Erreger wie in Anspruch 1 definiert ist.”

II. Die Einsprechenden 1 und 2 legten Einspruch gegen dieses Patent ein und beantragten seinen Widerruf aus den in Artikel 100 a) und b) EPÜ genannten Gründen. Mit Zwischenentscheidung vom 16. Oktober 2000 hielt die Einspruchsabteilung das Patent auf der Grundlage des einzigen Anspruchs des damaligen Hilfsantrags aufrecht:

“1. Stoffzusammensetzung mit isoliertem Lelystad-Erreger, dem Verursacher des Seuchenhaften Spätaborts der Schweine, wobei der Lelystad-Erreger im Wesentlichen dem isolierten Lelystad-Erreger (CDI NL-2.91) entspricht, der am 5. Juni 1991 im Institut Pasteur, Paris, Frankreich, unter der Nummer I-1102 hinterlegt wurde.”

Die Patentinhaberin, die ihren Namen bereits 1994 in “Stichting Instituut vor Veehouderij en Diergezondheid” und 1995 in “Stichting Instituut voor Dierhouderij en Diergezondheid” geändert hatte, ging 1998 während des Einspruchsverfahrens in Stichting Dienst Landbouwkundig Onderzoek auf. Das EPA wurde über keine dieser Änderungen unterrichtet.

III. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung wurden zwei Beschwerden eingelegt, die erste den Angaben nach von Stichting Centraal Diergeneeskundig Instituut, die zweite von der Einsprechenden 1 (Beschwerdeführerin II). In einem am 15. Juni 2004 eingegangenen Fax beantragte die Patentinhaberin, ihre Umwandlung in Stichting Dienst Landbouwkundig Onderzoek (Beschwerdeführerin I) einzutragen, entrichtete die Gebühr für die Eintragung des Rechtsübergangs und legte als Beweis für die oben erwähnte Fusion eine vom 11. Juni 2004 datierte Erklärung von Freerk Volders vor, einem Notarvertreter in Rotterdam.

IV. Am 17. Juni 2004 fand eine mündliche Verhandlung statt, an der beide Beschwerdeführerinnen teilnahmen. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 2) blieb der Verhandlung, wie angekündigt, fern. Die Beschwerdeführerin I reichte in der mündlichen Verhandlung einen neuen Hauptantrag ein und beantragte ferner, den Namen der beschwerdeführenden Partei in der Beschwerdeschrift und der

Beschwerdebegründung in “Stichting Dienst Landbouwkundig Onderzoek” zu berichtigen.

Die Ansprüche 1 bis 6 des neuen Hauptantrags für die Vertragsstaaten AT, BE, CH, DE, DK, FR, GB, IT, LI, LU, MC, NL und SE lauten wie folgt:

“1. Stoffzusammensetzung mit isoliertem Lelystad-Erreger, dem Verursacher des Seuchenhaften Spätaborts der Schweine, wobei der Lelystad-Erreger im Wesentlichen dem isolierten Lelystad-Erreger (CDI-NL-2.91) entspricht, der am 5. Juni 1991 im Institut Pasteur, Paris, Frankreich, unter der Nummer I-1102 hinterlegt wurde.

2. Stoffzusammensetzung nach Anspruch 1, die einen abgetöteten isolierten Lelystad-Erreger umfasst.

3. Stoffzusammensetzung mit einer isolierten Komponente des Lelystad-Erregers gemäß Anspruch 1, wobei diese isolierte Komponente ein für den Lelystad-Erreger spezifisches Protein, Polypeptid oder Peptid ist.

4. Impfstoffzusammensetzung zur Impfung von Tieren, insbesondere Säugetieren und speziell Schweinen, um sie gegen den Seuchenhaften Spätabort der Schweine zu schützen, mit dem Lelystad-Erreger gemäß Anspruch 1 und einem geeigneten Träger oder Adjuvans, die den abgetöteten Lelystad-Erreger umfasst.

5. Diagnosekit zum Nachweis eines Antikörpers, der den Lelystad-Erreger gemäß Anspruch 1 in einer Probe spezifisch erkennt, insbesondere einer biologischen Probe wie Blut oder Blutserum, Auswurf, Speichel oder Gewebe, die von einem Tier, insbesondere einem Säugetier und speziell einem Schwein stammt, wobei das Kit eine Antigenkomponente des Lelystad-Erregers und geeignete Nachweismittel eines Antikörper-Assays enthält.

6. Verfahren zum Diagnostizieren, ob ein Tier, insbesondere ein Säugetier und speziell ein Schwein, mit dem Erreger des Seuchenhaften Spätaborts der Schweine kontaminiert ist, wobei das Verfahren die Aufbereitung einer Probe, insbesondere einer biologischen Probe, wie Blut oder Blutserum, Auswurf, Speichel oder Gewebe des Tieres, und ihre Untersuchung darauf umfasst, ob sie Nucleinsäure des Lelystad-Erregers, Antigen des Lelystad-Erregers oder den Lelystad-Erreger spezifisch erkennende Antikörper enthält, wobei der Lelystad-Erreger wie in Anspruch 1 definiert ist.”

Die Ansprüche 1 bis 6 für die Vertragsstaaten ES und GR lauteten wie folgt:

“1. Verfahren zur Herstellung einer Stoffzusammensetzung mit isoliertem Lelystad-Erreger, dem Verursacher des Seuchenhaften Spätaborts der Schweine, wobei der Lelystad-Erreger im Wesentlichen dem isolierten Lelystad-Erreger (CDI-NL-2.91) entspricht, der am 5. Juni 1991 im Institut Pasteur, Paris, Frankreich, unter der Nummer I-1102 hinterlegt wurde, und das Verfahren die Isolierung dieses Lelystad-Erregers aus einer infizierten Ferkeln, infizierten Säuen oder experimentell infizierten SPF-Schweinen entnommenen Probe oder aus mit dieser Probe infizierten Zellen umfasst.

2. Verfahren nach Anspruch 1, das außerdem die Abtötung dieses Lelystad-Erregers umfasst.

3. Verfahren zur Herstellung einer Stoffzusammensetzung mit einer isolierten Komponente des Lelystad-Erregers gemäß Anspruch 1, wobei die isolierte Komponente ein für den Lelystad-Erreger spezifisches Protein, Polypeptid oder Peptid ist und das Verfahren die Herstellung dieses Proteins mittels rekombinanter DNA-Technik oder die Herstellung dieses Peptids durch Peptidsyntheseverfahren umfasst.

4. Verfahren zur Herstellung einer Impfstoffzusammensetzung zur Impfung von Tieren, insbesondere Säugetieren und speziell Schweinen, um sie gegen den Seuchenhaften Spätabort der Schweine zu schützen, umfassend die Bereitstellung des Lelystad-Erregers, der den Seuchenhaften Spätabort der Schweine verursacht und im Wesentlichen dem isolierten Lelystad-Erreger (CDI-NL-2.91) entspricht, der am 5. Juni 1991 im Institut Pasteur, Paris, Frankreich, unter der Nummer I-1102 hinterlegt wurde, sowie das Mischen dieses Lelystad-Erregers mit einem geeigneten Träger oder Adjuvans und als weiteren Schritt die Abtötung dieses Lelystad-Erregers.

5. Verfahren zur Herstellung eines Diagnosekits zur Feststellung eines Antikörpers, der den Lelystad-Erreger gemäß Anspruch 1 in einer Probe spezifisch erkennt, insbesondere einer biologischen Probe, wie Blut oder Blutserum, Auswurf, Speichel oder Gewebe, die von einem Tier, insbesondere einem Säugetier und speziell einem Schwein stammt, wobei das Verfahren die Bereitstellung einer Antigenkomponente des Lelystad-Erregers und ferner die Bereitstellung geeigneter Nachweismittel eines Antikörper-Assays umfasst.

6. Verfahren zum Diagnostizieren, ob ein Tier, insbesondere ein Säugetier und speziell ein Schwein, mit dem Erreger des Seuchenhaften Spätaborts der Schweine infiziert ist, wobei das Verfahren die Aufbereitung einer Probe, insbesondere einer biologischen Probe, wie Blut oder Blutserum, Auswurf, Speichel oder Gewebe des Tieres, und ihre Untersuchung darauf umfasst, ob sie Nucleinsäure des Lelystad-Erregers, Antigen des Lelystad-Erregers oder den Lelystad-Erreger spezifisch erkennende Antikörper enthält, wobei der Lelystad-Erreger wie in Anspruch 1 definiert ist.”

V. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

(D1) Collins, J. E. et al., 71st Conf. Res. Workers in Anim. Dis., Chicago, IL, Zusammenfassung Nr. 2,

(D4) Iglesias, G. et al., Veterinary Bulletin, Bd. 60, Zusammenfassung 1541, S. 255 – 256 (1990),

(D6) Wensvoort, G. et al., Veterinary Quarterly, Bd. 1, S. 121 – 143 (Juli 1991),

(D7) McCullough, S. J. et al. in “The new pig disease”, Kap. 9 des Berichts über das Seminar/den Workshop in Brüssel vom 29. – 30. April 1991,

(D8) Ohlinger, V. F. et al., Tierärztl. Umschau, Bd. 46, S. 703 – 708 (1991),

(D9) Wensvoort, G. et al., Vet. Microbiol., Bd. 33, S. 185 – 193 (1992),

(D22) GB-A-2 282 811,

(D23) EP-B-0610250,

(D24) Terpstra, C. et al. in “The new pig disease: A report”, Seminar/Workshop in Brüssel vom 29. – 30. April 1991, S. 36 – 45,

(D30) Murphy, B. R. et al. in “Fields Virology”, 2. Aufl., Raven Press, New York, S. 469 – 502 (1990),

(D36) WO-A-93/07898,

(D45) Rechtsgutachten von Klaas Bisschop vom 12. Mai 2004,

(D47) Prioritätsunterlage EP 91201398 vom 6. Juni 1991,

(D48) Prioritätsunterlage EP 92200781 vom 18. März 1992.

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

Zulässigkeit der Beschwerde der Beschwerdeführerin I

– Die wichtigsten Voraussetzungen für das Einlegen einer Beschwerde seien, dass ein Verfahrensbeteiligter durch die angefochtene Entscheidung beschwert und dass er zweifelsfrei identifizierbar sei. Beide Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt. Gemäß niederländischem Recht könne nach einer Fusion das übernehmende Unternehmen anhängige Verfahren fortsetzen und im Namen des übernommenen Unternehmens Beschwerde einlegen.

Regel 57a EPÜ

– Das Einreichen gesonderter Ansprüche für ES/GR sei dadurch gerechtfertigt, dass einige Ansprüche in der erteilten Fassung in Spanien und Griechenland unwirksam sein könnten, weil die Vorbehalte dieser beiden Vertragsstaaten nach Artikel 167 (2) a) EPÜ am Anmeldetag noch in Kraft gewesen seien.

– Das Wort “spezifisch” sei in den Anspruch 3 (einschließlich ES/GR) aufgenommen worden, um möglichen Problemen im Hinblick auf Artikel 54 EPÜ vorzubeugen.

Artikel 123 (3) EPÜ

– Die Umwandlung der Erzeugnisansprüche in Verfahrensansprüche für ES/GR erweitere nicht den Schutzbereich der Ansprüche in der erteilten Fassung.

Artikel 123 (2) EPÜ

– Die Formulierung “das Verfahren die Isolierung dieses Lelystad-Erregers aus einer infizierten Ferkeln, infizierten Säuen oder experimentell infizierten SPF-Schweinen entnommenen Probe oder aus mit dieser Probe infizierten Zellen umfasst” in Anspruch 1 des Anspruchssatzes für ES/GR werde durch die Passage auf Seite 24, Zeilen 7 bis 25 der PCT-Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gestützt.

Artikel 83 EPÜ

– Das Streitpatent lehre, wie die Totimpfstoffe anhand herkömmlicher Techniken herzustellen seien (siehe Seite 6, Zeilen 28 – 33).

– Beispiel 3 der Druckschrift (D36), einer Anmeldung der Beschwerdeführerin II (siehe z. B. Seite 33, Zeile 1 bis Seite 35, Zeile 20), belege die Wirksamkeit von Totimpfstoffen, die nach dem im Streitpatent beschriebenen Verfahren hergestellt seien.

Artikel 87 (4) EPÜ (Priorität)

– Den Ansprüchen stehe der Anmeldetag der ersten Prioritätsunterlage (P1) (Dokument (D47)) zu. Die Doktrin der Erschöpfung von Prioritätsrechten sei nicht anzuwenden.

Neuheit

– Die in der Entgegenhaltung (D24) erwähnten “myxo-ähnlichen” Partikel könnten nicht mit dem hier beanspruchten Lelystad-Erreger gleichgesetzt werden, weil diese “myxo-ähnlichen” Partikel mit einer elektronenmikroskopisch bestimmten Größe von 130 – 200 nm (siehe Seite 41, Zeilen 14 – 16) nicht einmal entfernt dem Lelystad-Erreger ähnelten, der mit einer elektronenmikroskopisch bestimmten Größe von 45 – 55 nm mindestens dreimal kleiner sei (siehe Streitpatent, Seite 13, Zeilen 8 – 11). Dass Lungenmakrophagen durch andere Viren infiziert werden könnten, werde durch die Druckschrift (D4) belegt, in der es um den die Aujeszkysche Krankheit verursachenden Virus gehe.

– Was die Entgegenhaltung (D7) angehe, die auf der bereits in (D1) beschriebenen Arbeit basiere, so sei kein Mikroorganismus gefunden worden. Diese Entgegenhaltungen beträfen Homogenate, die eine Vielzahl von Viren und Bakterien enthielten. Offenbar hätten die Autoren von (D1) und (D7) keine weiteren wesentlichen Fortschritte erzielt, was ebenfalls belege, wie schwierig es sei, den SSS-Erreger zu finden. Die Entgegenhaltungen (D1) und (D7) enthielten also keine wie auch immer geartete Lehre, die für den Anspruch 1 neuheitsschädlich sei, da Homogenate von Viren nicht in den Bereich des vorliegenden Anspruchs 1 fielen (siehe das Merkmal “isoliert”).

– Die Druckschriften (D6), (D8) und (D9) gehörten nicht zum Stand der Technik, weil den Ansprüchen der Anmeldetag der ersten Prioritätsunterlage (P1) zustehe.

Erfinderische Tätigkeit

– Die Entgegenhaltung (D24) allein gebe dem Fachmann keinen Hinweis, wie er die Aufgabe, den SSS-Erreger zu finden, lösen könne. Sie lehre (siehe Seite 43, dritter Absatz, Zeilen 1 – 3), dass sich bei an SSS erkrankten Tieren eine Vielzahl verschiedener Mikroorganismen isolieren lasse, liefere aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass einige davon die gesuchte Lösung sein könnten, und der Lelystad-Erreger sei nicht unter den identifizierten Erregern. Die Autoren dieses Dokuments räumten ein, dass ihre Ergebnisse “genauso unschlüssig” seien wie die anderer Forscher (siehe Seite 44, zweiter Absatz).

– Aus einer Kombination der Entgegenhaltung (D24) mit dem allgemeinen Fachwissen oder mit der Entgegenhaltung (D1) hätten sich auch nicht mehr Hinweise ergeben als aus (D24) allein.

– Die wichtigste Lehre, die ein den SSS-Erreger suchender Fachmann der Entgegenhaltung (D7) entnehmen könne, sei, dass die Autoren dieses Dokuments ihre Homogenate vorzugsweise nicht filtriert hätten, um die klinischen Symptome von SSS reproduzieren zu können, denn nach der Filtrierung ließen sich die klinischen Symptome der Krankheit nicht mehr reproduzieren. Daher würde der Fachmann aus den Versuchsergebnissen von (D7) schließen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach Bakterien oder sogar größere Mikroorganismen aus dem unfiltrierten Homogenat notwendig seien, um bei experimentellen Infektionen die typischen klinischen Symptome von SSS zu reproduzieren. In dem Glauben, dass Bakterien eine maßgebliche Rolle spielten, hätte der Fachmann Techniken aus dem Bereich der Bakteriologie angewendet und den gesuchten Erreger nicht gefunden.

– Die Druckschriften (D6), (D8) und (D9) gehörten nicht zum Stand der Technik, weil den Ansprüchen der Anmeldetag der ersten Prioritätsunterlage (P1) zustehe.

VII. Die schriftlich und in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin II (Einsprechende 1) lassen sich, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, wie folgt zusammenfassen: Zulässigkeit der Beschwerde der Beschwerdeführerin I

– Die von der Beschwerdeführerin I eingelegte Beschwerde sei als unzulässig zu verwerfen.

– Die Beschwerde der Beschwerdeführerin I sei im Namen des Stichting Centraal Diergeneeskundig Instituut eingelegt worden. Seit September 1998 gebe es eine juristische Person mit dem Namen Stichting Centraal Diergeneeskundig Instituut nicht mehr. Eine nicht existierende juristische Person könne nicht wirksam Beschwerde einlegen. Nach niederländischem Recht dürfe ein Unternehmen, das infolge einer Fusion erloschen sei, nicht mehr in seinem Namen Beschwerde einlegen. Die Beschwerde erfülle also nicht die Erfordernisse des Artikels 108 und der Regel 64 EPÜ.

– Aus der Entscheidung T 656/98 (ABl. EPA 2003, 385) ergebe sich, dass die Identität eines Beschwerdeführers nicht rückwirkend geändert werden dürfe.

Regel 57a und Artikel 123 (3) EPÜ

– Das Einreichen eines gesonderten Anspruchssatzes für ES und GR sei weder nach Regel 57a EPÜ gerechtfertigt noch nach Artikel 123 (3) EPÜ zulässig, weil sie den durch die gewährten Ansprüche bestimmten Schutzbereich erweitere.

Artikel 123 (2) EPÜ

– Die Formulierung “das Verfahren die Isolierung dieses Lelystad-Erregers aus einer infizierten Ferkeln, infizierten Säuen oder experimentell infizierten SPF-Schweinen entnommenen Probe oder aus mit dieser Probe infizierten Zellen umfasst” in Anspruch 1 des Anspruchssatzes für ES/GR sei eine unzulässige Verallgemeinerung eines spezifischen Beispiels aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.

Artikel 83 EPÜ

– Die Herstellung eines Impfstoffs mit einem inaktivierten (abgetöteten) Lelystad-Erreger gemäß Anspruch 4 sei im Patent unzureichend offenbart, weil sich im Patent kein Beleg dafür finde, dass die zu schützenden Tiere erfolgreich immunisiert wurden.

Artikel 87 (4) EPÜ (Priorität)

– Die Priorität der früheren Prioritätsunterlage (D47) sei bereits in der späteren Prioritätsunterlage (D48) beansprucht worden. Nach der jüngsten Rechtsprechung zur Doktrin der Erschöpfung von Prioritätsrechten (s. T 998/99 vom 15. September 2003) stehe daher keinem der Ansprüche der Anmeldetag der ersten Prioritätsunterlage (P1) zu, was zur Folge habe, dass die zwischenveröffentlichten Entgegenhaltungen (D6), (D8) und (D9) zum Stand der Technik gehörten.

Artikel 54 EPÜ (Neuheit)

– Anspruch 1 erstrecke sich wegen der Formulierung “im Wesentlichen … entspricht” nicht nur auf das von der Patentinhaberin konkret hinterlegte Isolat, sondern auch auf andere Isolate, die immunologisch kreuzreagierten oder eine mit dem hinterlegten Lelystad-Erreger hybridisierende DNA-Sequenz enthielten.

– Die Entgegenhaltungen (D1) und (D7) lehrten, dass sich nach einer Infizierung von Schweinen mit filtrierten Homogenaten die Symptome von SSS beobachten ließen. Diese Filtrate enthielten zwangsläufig das beanspruchte Virus.

– Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber dem “myxo-ähnlichen” Virus, dessen Isolierung aus Lungenmakrophagen von mit SSS infizierten Schweinen in der Entgegenhaltung (D24) beschrieben sei. Nicht nur werde im Streitpatent und in der Entgegenhaltung (D24) genau dasselbe Verfahren zur Isolierung des SSS-Erregers verwendet (man vergleiche in (D24) den zweiten Absatz unter “Methods” auf Seite 38 und den Abschnitt “Virus and mycoplasma isolation” auf Seite 41 mit dem im Streitpatent beschriebenen Verfahren zur Isolierung des Lelystad-Erregers auf Seite 11, Zeilen 44 – 47 und Zeilen 55 – 58, Seite 12, Zeilen 16 – 20 sowie Seiten 14 und 15 der Prioritätsunterlage (D47)), der Lelystad-Erreger habe auch noch dieselben Eigenschaften wie das in (D24) isolierte “myxo-ähnliche” Virus.

– Daher hätten das in der Entgegenhaltung (D24) und das im Streitpatent verwendete Verfahren zur Isolierung des SSS-Erregers nur zu ein und demselben Virus führen können, ganz gleich, ob man dieses nun als “myxo-ähnliches” Virus oder als Lelystad-Erreger bezeichne. Das werde durch die Druckschrift (D23) belegt, ein als Gutachten angezogenes nachveröffentlichtes Dokument, in dem andere mit Hilfe desselben Isolierungsverfahrens wie in (D24) dasselbe (als “PRRS-Virus” bezeichnete) Virus isoliert hätten.

– Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber den Druckschriften (D6) und (D9), in denen die erfolgreiche Isolierung und Charakterisierung von LV beschrieben sei, sowie gegenüber der Druckschrift (D8), die eine Wiederholung derselben Versuche wie in (D6) offenbare.

Artikel 56 EPÜ (erfinderische Tätigkeit)

– Von keinem der in der Entgegenhaltung (D24) beschriebenen Isolate sei bekannt, dass es Symptome verursache, die sich auf SSS zurückführen ließen, nur bei dem “myxo-ähnlichen” Isolat sei ein zytopathischer Effekt in Lungenmakrophagen beobachtet worden, d. h. in Zellen, die bekanntermaßen durch die Krankheit angegriffen würden. Ausgehend von der Entgegenhaltung (D24) wäre der Fachmann also unweigerlich zu dem Schluss gekommen, dass das neue “myxo-ähnliche” Virus höchstwahrscheinlich der Erreger von SSS sei. Um diese Hypothese zu überprüfen, hätte man das neue “Myxovirus” in einem Verfahren zur experimentellen Infektion verwenden können, das seit Jahren zum allgemeinen Fachwissen gehöre (siehe z. B. Entgegenhaltung (D1)). Ein solcher Versuch hätte gezeigt, dass sich die klinischen Symptome der Krankheit durch eine experimentelle Infektion mit dem Isolat reproduzieren ließen.

– Andere Forschungsgruppen seien in der Lage gewesen, die Lehre der Entgegenhaltung (D24) nachzuarbeiten, und hätten problemlos das SSS verursachende Virus isoliert (siehe z. B. Druckschriften (D6) und (D8)).

– Da den Ansprüchen nicht der Anmeldetag der ersten Prioritätsunterlage (D47) zustehe, gehörten die Druckschriften (D6), (D8) und (D9) zum Stand der Technik, weswegen der Gegenstand der Ansprüche nahe liegend sei.

VIII. Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Hauptantrags. Die Beschwerdeführerin II (Einsprechende 1) beantragte, die Beschwerde der Beschwerdeführerin I als unzulässig zu verwerfen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent Nr. 0587780 zu widerrufen.

Entscheidungsgründe

Beteiligtenstellung von Stichting Dienst Landbouwkundig Onderzoek (SDLO) und Zulässigkeit der Beschwerde der Beschwerdeführerin I

1. Die Zulässigkeit der Beschwerde der Beschwerdeführerin I wurde von der Beschwerdeführerin II mit dem Argument in Frage gestellt, dass die Beschwerde am 14. Dezember 2000 im Namen einer juristischen Person eingelegt worden sei, die auf Grund einer Fusion schon seit 1998 nicht mehr existierte. Da dieses Argument erst reichlich spät im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurde, wandte sich die Beschwerdeführerin I gegen dessen Einführung in das Verfahren. Fragen der Zulässigkeit können und müssen jedoch in jedem Stadium des Beschwerdeverfahrens behandelt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung ist die Zulässigkeit des Einspruchs in jedem Stadium des Einspruchs- und des anschließenden Einspruchsbeschwerdeverfahrens von Amts wegen zu prüfen (T 522/94, ABl. EPA 1998, 421, Nr. 3 der Entscheidungsgründe). Dieselben Grundsätze gelten erst recht, wenn es um die Prüfung der Zulässigkeit einer Beschwerde geht. Der Verfahrenseinwand der Beschwerdeführerin I gegen die verspätete Einführung dieses Punkts greift somit nicht.

2. Nach Artikel 107 EPÜ kann eine Beschwerde nur von einem beschwerten Verfahrensbeteiligten eingelegt werden. Die Kammer hat somit erstens festzustellen, wer dieser Beteiligte war, als die Beschwerde eingelegt wurde, und zweitens, ob die Beschwerde im Namen dieses Beteiligten eingelegt wurde.

3. Die dem Streitpatent zu Grunde liegende Anmeldung war von der niederländischen Stiftung Stichting Centraal Diergeneeskundig Instituut eingereicht worden. Wie die Erklärung des Notarvertreters Volders vom 11. Juni 2004 hinreichend belegt, hat diese juristische Person 1994, also vor der Erteilung des Patents, ihren Namen zunächst in “Stichting Instituut voor Veehouderij en Diergezondheid” und laut einer weiteren, am 19. September 1995 ausgestellten Änderungsurkunde in “Stichting Instituut voor Dierhouderij en Diergezondheid” (SIDD) geändert. Folglich war, als am 15. November 1995 die beiden Einsprüche eingelegt wurden und das Einspruchsverfahren begann, SIDD die Patentinhaberin und somit Verfahrensbeteiligte. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Patentinhaberin dem EPA oder den Einsprechenden nicht ihren neuen Namen mitgeteilt hat. Wie die Beschwerdekammern in mehreren früheren Entscheidungen festgestellt haben, ist – solange die Identität einer juristischen Person zweifelsfrei feststeht – die Verwendung eines früheren und damit falschen Namens zwar unglücklich, hat aber nicht zur Folge, dass dem Betreffenden die Beteiligtenstellung abzuerkennen oder die jeweilige Verfahrenshandlung als unwirksam anzusehen ist (siehe z. B. T 1/97 vom 30. März 1999, Nr. 1 der Entscheidungsgründe; T 461/97 vom 26. Oktober 1999, Nr. 1 der Entscheidungsgründe).

4. Im September 1998, also während des Einspruchsverfahrens vor der ersten Instanz, fand eine Fusion zwischen SIDD und einer anderen niederländischen Stiftung, Stichting Dienst Landbouwkundig Onderzoek (SDLO), statt. Wie durch die Erklärung des Notarvertreters Volders belegt, war SDLO gemäß dem Übernahmevertrag die übernehmende Stiftung und SIDD die erlöschende Stiftung. Infolgedessen wurde SDLO mit Wirkung vom 4. September 1998 Gesamtrechtsnachfolgerin von SIDD und somit materiellrechtlich Inhaberin des Streitpatents. SDLO versäumte es jedoch mehr als fünf Jahre lang, dies dem EPA mitzuteilen. Erst als die Beschwerdeführerin II in ihrem Schreiben vom 12. Mai 2004 die Kammer auf diese Fusion aufmerksam machte, beantragte die Beschwerdeführerin I die Eintragung der Änderung, entrichtete die entsprechende Gebühr und legte mit Fax vom 15. Juni 2004 Beweisunterlagen vor. Es stellt sich daher die Frage, ob SDLO die Beteiligtenstellung der Patentinhaberin im vorliegenden Verfahren erst an dem Tag erworben hat, als sie die Eintragung der Änderung beantragte, oder “automatisch” bereits am Tag der Fusion.

5. Nach Regel 20 (1) EPÜ wird ein Rechtsübergang der europäischen Patentanmeldung auf Antrag eines Beteiligten in das europäische Patentregister eingetragen, wenn er dem Europäischen Patentamt durch Vorlage von Urkunden nachgewiesen wird. Nach Regel 20 (3) EPÜ wird ein Rechtsübergang dem EPA gegenüber erst und nur insoweit wirksam, als er ihm durch Vorlage von Urkunden nachgewiesen wird. Regel 20 EPÜ ist auf einen Rechtsübergang des europäischen Patents während der Dauer des Einspruchsverfahrens entsprechend anzuwenden (siehe R. 61 EPÜ).

6. In der Sache T 656/98 (ABl. EPA 2003, 385) hat sich die hier entscheidende Kammer in anderer Zusammensetzung mit den Auswirkungen der Regel 20 (3) EPÜ auf die Beteiligtenstellung des Patentinhabers im Einspruchsverfahren befasst. Im damaligen Fall hatte die Patentinhaberin, ein Unternehmen, ihr Patent im Einspruchsverfahren einem anderen Unternehmen (Übertragungsempfängerin) übertragen. Die Übertragungsempfängerin hatte dann, ohne die Eintragung des Rechtsübergangs nach Regel 20 EPÜ beantragt zu haben, Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt. Die Kammer hielt die Beschwerde für unzulässig und vertrat die Auffassung, dass der Übertragungsempfänger eines Patents nur dann beschwerdeberechtigt sei, wenn vor Ablauf der Beschwerdefrist die Erfordernisse der Regel 20 EPÜ (Antrag auf Eintragung des Rechtsübergangs, Vorlage von Urkunden und Entrichtung der Verwaltungsgebühr) erfüllt seien. Der Begriff “Verfahrensbeteiligter” in Artikel 107 EPÜ sei so auszulegen, dass er sich auf Beteiligte und deren ordnungsgemäß eingetragene Rechtsnachfolger sowie die Personen beschränke, die alle notwendigen Formerfordernisse erfüllt hätten, um als Rechtsnachfolger anerkannt zu werden (siehe Nrn. 1.1 und 1.2 der Entscheidungsgründe). Aus Regel 20 (3) EPÜ gehe hervor, dass eine spätere Eintragung des Rechtsübergangs die Beschwerde nicht rückwirkend zulässig mache.

7. Die Sachlage, mit der sich die Kammer in der Entscheidung T 656/98 zu befassen hatte, war nicht dieselbe wie im vorliegenden Fall. Damals hatte die Beschwerdeführerin geltend gemacht, das Patent im Wege einer rechtsgeschäftlichen Übertragung seitens der eingetragenen Patentinhaberin erworben zu haben. Im vorliegenden Fall ist SDLO durch eine Fusion zur Gesamtrechtsnachfolgerin der ursprünglichen Patentinhaberin geworden. Dieser Unterschied ist aus folgenden Gründen von Bedeutung:

8. Regel 20 EPÜ behandelt die Eintragung von Rechtsübergängen (in der englischen Fassung “transfer” und in der französischen “transferts”) von Patentanmeldungen und – laut Regel 61 EPÜ – von Patenten. Ihr Wortlaut schließt, zumindest in der englischen und der französischen Fassung, nicht ausdrücklich Fälle ein, in denen die Patentanmeldung oder das Patent auf anderem Wege als durch eine Übertragung von Rechten (einen Transfer) auf den neuen Patentinhaber übergeht, d. h. insbesondere nicht Fälle, in denen der Wechsel des Patentinhabers durch eine Gesamtrechtsnachfolge bedingt ist. In der Sache T 656/89 (siehe Nr. 9 der Entscheidungsgründe) wurde implizit anerkannt, dass solche Fälle möglicherweise anders zu behandeln seien.

9. Wäre die Regel 20 (3) EPÜ bei Gesamtrechtsnachfolgen anzuwenden, so hätte dies verfahrensrechtlich unerwünschte Folgen. Zum einen würde der Rechtsnachfolger die Beteiligtenstellung erst erlangen, wenn er die Erfordernisse der Regel 20 (1) und (2) EPÜ erfüllt hat. Zum anderen würde der eingetragene Anmelder oder Patentinhaber, dessen Existenz erlischt, seine Beteiligtenstellung automatisch verlieren. Nach dem Verfahrensrecht des EPÜ kann eine Person, die nicht mehr existiert, auch nicht mehr am Verfahren beteiligt sein (siehe T 353/95 vom 25. Juli 2000, Nr. 2 der Entscheidungsgründe). Beide Beteiligten haben sich zu der Frage geäußert, ob nach niederländischem Zivilprozessrecht im Namen einer Partei, die auf Grund einer Fusion erloschen ist, Beschwerde eingelegt werden kann. Dies ist jedoch nach Auffassung der Kammer nur von untergeordneter Bedeutung für das vorliegende Verfahren: Der Status einer juristischen Person als solcher ist zwar nach dem einschlägigen nationalen Recht zu bestimmen, die Frage aber, ob eine nicht mehr existierende Person am Verfahren vor dem EPA beteiligt bleiben kann, ist einzig und allein nach dem Verfahrensrecht des EPÜ zu beantworten.

10. Aus dem oben Gesagten folgt, dass die Anwendung der Regel 20 (3) EPÜ bei Gesamtrechtsnachfolgen vorübergehend zu einer verfahrensrechtlichen “Vakanz” in der Person des Anmelders bzw. Patentinhabers führen würde. Eine solche Vakanz würde an sich schon eine reichlich unglückliche Verfahrenssituation hervorrufen, wäre zudem aber nur schwer mit anderen Vorschriften des EPÜ vereinbar.

11. Nach Regel 90 (1) a) EPÜ wird das Verfahren vor dem EPA unter anderem im Fall des Todes des Anmelders oder Patentinhabers unterbrochen. Solange dies die Vertretungsbefugnis eines nach Artikel 134 EPÜ bestellten Vertreters nicht berührt, tritt eine Unterbrechung des Verfahrens jedoch nur auf Antrag dieses Vertreters ein. In diesem Zusammenhang sieht Regel 101 (7) EPÜ vor, dass die Vertretungsvollmacht, sofern darin nichts anderes bestimmt ist, gegenüber dem EPA nicht mit dem Tod des Vollmachtgebers erlischt.

Aus diesen Bestimmungen – die nach Ansicht der Kammer analog auf Situationen anzuwenden sind, in denen eine juristische Person auf Grund einer Fusion aufhört zu existieren – ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber die verfahrenstechnischen Folgen einer Gesamtrechtsnachfolge für den Anmelder oder Patentinhaber im Erteilungs- oder Einspruchsverfahren in Betracht gezogen hat. Der in den Regeln 90 (1) a) und 101 (7) EPÜ verankerte Rechtsmechanismus erlaubt es, das Verfahren unter diesen Umständen ohne Unterbrechung fortzusetzen: Auch wenn der eingetragene Anmelder oder Patentinhaber aufhört zu existieren und infolgedessen seine Beteiligtenstellung verliert, erlischt nicht die Vollmacht des Vertreters, der somit unmittelbar den Rechtsnachfolger vertritt und im Verfahren rechtswirksam handeln kann. Dieser Mechanismus würde ernsthaft unterminiert, wenn Regel 20 (3) EPÜ auch bei Gesamtrechtsnachfolgen anzuwenden wäre.

12. Die Kammer schließt daraus, dass, wenn ein Anmelder oder Patentinhaber aufhört zu existieren, die Beteiligtenstellung in anhängigen Verfahren vor dem EPA unmittelbar und automatisch auf seinen Gesamtrechtsnachfolger übergeht. Da SDLO ab dem 4. September 1998 die Gesamtrechtsnachfolgerin von SIDD war, wurde sie mit diesem Tag automatisch zur Beteiligten am Einspruchsverfahren. Es trat keine Verfahrensunterbrechung ein (R. 90 (1) a) Satz 2 und R. 101 (7) EPÜ). Da die Einspruchsabteilung nicht über die Änderung informiert wurde, verwendete sie – ebenso wie die Vertreter – zur Bezeichnung der Patentinhaberin weiterhin den alten Namen der Rechtsvorgängerin von SDLO. Dies bedeutet aber lediglich, dass die tatsächliche Verfahrensbeteiligte falsch bezeichnet wurde, und hat nicht zur Folge, dass nach dieser Änderung vorgenommene Verfahrenshandlungen im Namen einer nicht mehr existierenden juristischen Person oder gegen diese durchgeführt wurden. SDLO war somit die tatsächliche Verfahrensbeteiligte, als die angefochtene Entscheidung erging, und war durch sie beschwert.

13. Daraus folgt, dass die Beschwerde der Beschwerdeführerin I nur dann als zulässig gelten kann, wenn sie von SDLO eingelegt wurde. In der Beschwerdeschrift und der Beschwerdebegründung war der Name der Beschwerdeführerin mit Stichting Centraal Diergeneeskundig Instituut angegeben. Die Beschwerdeführerin wurde also mit dem alten Namen der Rechtsvorgängerin von SDLO bezeichnet, der bereits im Einspruchsverfahren vor der ersten Instanz fälschlicherweise als Name der Patentinhaberin verwendet worden war.

14. Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann eine falsche Bezeichnung des Beschwerdeführers in der Beschwerdeschrift oder der Beschwerdebegründung entweder nach Regel 65 (2) EPÜ (siehe T 97/98, ABl. EPA 2002, 183, Nr. 1.3 der Entscheidungsgründe; T 715/01 vom 24. September 2002, Nrn. 1 – 11 der Entscheidungsgründe) oder nach Regel 88 EPÜ (siehe T 814/98 vom 8. November 2000, Nr. 1 der Entscheidungsgründe; T 460/99 vom 30. August 2001, Nr. 1 der Entscheidungsgründe) berichtigt werden. In der Entscheidung T 97/98 vertrat die damals zuständige Kammer die Ansicht, dass bei der Angabe des Namens und der Anschrift des Beschwerdeführers auch dann ein Mangel im Sinne der Regel 65 (2) in Verbindung mit Regel 64 a) EPÜ vorliege, wenn unrichtige Angaben gemacht wurden. Nach ihrer Auffassung gestatteten es diese Regeln nicht, sie nur auf bestimmte Arten von Mängeln und grundsätzlich nicht dann anzuwenden, wenn die Berichtigung einer falschen Angabe dazu führe, dass eine andere als die ursprünglich ausdrücklich in der Beschwerdeschrift genannte Person als Beschwerdeführer anzusehen sei. Die Regeln 64 a) und 65 (2) EPÜ verlangten nur, dass tatsächlich ein Mangel vorliege, d. h., dass die Angabe falsch war, so dass ihre Berichtigung nur zum Ausdruck bringe, was beim Einlegen der Beschwerde beabsichtigt war.

15. Im vorliegenden Fall ist die Kammer davon überzeugt, dass der Vertreter der Beschwerdeführerin I die Absicht hatte, die Beschwerdeschrift und die Begründung im Namen der Person einzureichen, die als Patentinhaberin die Beteiligtenstellung im Einspruchsverfahren innehatte und durch die angefochtene Entscheidung beschwert war. Die Verwendung des alten Namens der Rechtsvorgängerin von SDLO war somit eine objektiv unrichtige Bezeichnung der Patentinhaberin, die sich aber ganz leicht dadurch erklären lässt, dass dieselbe unrichtige Bezeichnung schon im Einspruchsverfahren vor der ersten Instanz und in der angefochtenen Entscheidung selbst verwendet worden war. Unter diesen Umständen kann die Berichtigung des Namens der Beschwerdeführerin I in der Beschwerdeschrift und der Beschwerdebegründung zugelassen werden. Anders zu entscheiden, wäre nicht nur übertrieben formalistisch, sondern würde zudem den in Regel 90 (1) a) Satz 2 und Regel 101 (7) EPÜ verankerten Verfahrensmechanismus unterminieren. Wie vorstehend erläutert, stellt dieser Mechanismus sicher, dass ein Vertreter im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge weiterhin in vor dem EPA anhängigen Verfahren tätig werden kann. Er greift selbst dann, wenn der Vertreter noch nicht weiß, wer der Rechtsnachfolger ist (was nach dem Tod einer natürlichen Person eine gewisse Zeit dauern kann), und sogar, wenn dem Vertreter gar nicht mitgeteilt wurde, dass eine Rechtsnachfolge eingetreten ist. Dies verbessert die Verfahrensökonomie auch insofern, als sich ein Vertreter nicht vor jeder Verfahrenshandlung vergewissern muss, ob eine Rechtsnachfolge stattgefunden hat. Dieser Mechanismus würde ernsthaft beschädigt, wenn ein Vertreter, der den Beschwerdeführer statt mit dem Namen des Rechtsnachfolgers mit dem des eingetragenen, aber schon nicht mehr existierenden Anmelders oder Patentinhabers angegeben hat, diese objektiv unrichtige Angabe nicht korrigieren könnte.

16. Die Kammer kommt zu dem Schluss, dass die beantragte Berichtigung zuzulassen ist. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin I wurde somit im Namen von SDLO eingelegt, die durch die angefochtene Entscheidung beschwert war. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin I ist folglich zulässig.

Regel 57a EPÜ

17. Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin I enthält einen gesonderten Anspruchssatz für ES/GR. Die Beschwerdeführerin II hat vorgebracht, dass er deswegen gegen Regel 57a EPÜ verstoße.

18. Regel 57a EPÜ besagt, dass unbeschadet der Regel 87 EPÜ die Beschreibung, die Patentansprüche und die Zeichnungen im Einspruchsverfahren geändert werden können, soweit die Änderungen durch Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ veranlasst sind, auch wenn der betreffende Grund vom Einsprechenden nicht geltend gemacht worden ist. Die Beschwerdeführerin I hat das Einreichen gesonderter Ansprüche für ES/GR damit gerechtfertigt, dass einige Ansprüche in der erteilten Fassung in Spanien und Griechenland unwirksam sein könnten, weil die Vorbehalte dieser beiden Vertragsstaaten nach Artikel 167 (2) a) EPÜ am Anmeldetag noch in Kraft waren. In der Tat wurde die dem Streitpatent zu Grunde liegende Anmeldung am 5. Juni 1992 eingereicht, während die betreffenden Vorbehalte erst nach dem 7. Oktober 1992 unwirksam wurden. Nach Artikel 167 (5) EPÜ erstrecken sich die Vorbehalte auf europäische Patentanmeldungen, die während der Wirksamkeit der Vorbehalte eingereicht worden sind, und bleiben während der gesamten Geltungsdauer dieser Patente wirksam.

19. Die etwaige Unwirksamkeit eines europäischen Patents in einem Vertragsstaat ist als solches kein Grund für einen Einspruch nach Artikel 100 EPÜ. Regel 57a EPÜ ist jedoch nicht auf Einspruchsgründe im engeren Sinne begrenzt. Das ergibt sich aus dem ausdrücklichen Verweis auf Regel 87 EPÜ, nach der das europäische Patent einen gesonderten Anspruchssatz für einen Vertragsstaat enthalten kann, etwa wenn dort ein älteres nationales Recht besteht. Somit kann der Anmelder oder Patentinhaber älteren nationalen Rechten, obwohl sie nicht als Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ gelten und nicht als Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ herangezogen werden können, durch einen gesonderten Anspruchssatz für den jeweiligen Vertragsstaat Rechnung tragen.

20. Das EPÜ enthält keine ausdrückliche Bestimmung für die entsprechende Situation, wenn ein Anmelder oder Patentinhaber den Vorbehalt eines EPÜ-Vertragsstaats nach Artikel 167 (2) EPÜ berücksichtigen will. Dennoch gehörte es von Anfang an zur ständigen Praxis des EPA, das Einreichen gesonderter Anspruchssätze für solche Vertragsstaaten zuzulassen (siehe Mitteilung in Bezug auf Österreich, ABl. EPA 1979, 289 und Rechtsauskunft Nr. 9/81, ABl. EPA 1981, 68, Nr. 9). Diese Praxis wurde von der Großen Beschwerdekammer in der Entscheidung G 7/93 (ABl. EPA 1994, 775) bestätigt, in der es um die Frage ging, ob Änderungen in einem sehr späten Stadium des Prüfungsverfahrens zugelassen werden können. Unter Nummer 2.5 der Entscheidungsgründe heißt es dort: “Ein klares Beispiel für einen solchen Ausnahmefall, in dem die Zulassung einer Änderung angezeigt sein kann, liegt nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer aber dann vor, wenn der Anmelder für benannte Staaten, die Vorbehalte nach Artikel 167 (2) EPÜ gemacht haben, die ersatzweise Aufnahme gesonderter Anspruchssätze beantragt. In einem solchen Fall erübrigt sich möglicherweise jede weitere sachliche Prüfung, so dass eine etwaige kurze Verzögerung, die sich durch die Vornahme der erforderlichen Änderungen ergibt, angesichts der Bedeutung, die die Erteilung eines in diesen benannten Staaten rechtsbeständigen Patents für den Anmelder hat, kaum ins Gewicht fällt.” (Hervorhebung durch die Kammer)

21. Der allgemeine Zweck der Regel 57a EPÜ besteht darin, Änderungen nur dann zuzulassen, wenn damit ein Einwand gegen die Rechtsgültigkeit des europäischen Patents entkräftet werden soll. Aus dem Verweis auf Regel 87 EPÜ folgt, dass im Rahmen des zentralisierten Einspruchsverfahrens vor dem EPA Änderungen auch dann zuzulassen sind, wenn der Patentinhaber einen möglichen Grund für die Nichtigerklärung ausräumen will, der nur in einem bestimmten Vertragsstaat besteht. Somit verstößt es nicht gegen Regel 57a EPÜ, einen gesonderten Anspruchssatz für einen Vertragsstaat zu formulieren, in dem bestimmte Erzeugnisansprüche in der erteilten Fassung wegen eines Vorbehalts nach Artikel 167 (2) a) EPÜ als nichtig oder ungültig gelten würden. Dieselbe Auffassung wird in den Richtlinien für die Prüfung im EPA vertreten (siehe D-VII, 4.4). Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass der Hauptantrag die Erfordernisse der Regel 57a EPÜ erfüllt.

Artikel 123 (3) EPÜ

22. Die Beschwerdeführerin II hat vorgebracht, dass das Einreichen eines gesonderten Anspruchssatzes für ES/GR gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstoße, weil die Erzeugnisansprüche in der erteilten Fassung in Spanien und Griechenland angesichts der Vorbehalte nach Artikel 167 (2) a) EPÜ unwirksam seien.

Nach Artikel 123 (3) EPÜ dürfen die Ansprüche eines europäischen Patents im Einspruchsverfahren nicht in der Weise geändert werden, dass der Schutzbereich erweitert wird. Mit dem gesonderten Anspruchssatz hat die Beschwerdeführerin I mehrere Erzeugnisansprüche der erteilten Fassung für die Vertragsstaaten ES und GR in Verfahrensansprüche umgewandelt. Durch die Umwandlung eines Erzeugnisanspruchs in einen Verfahrensanspruch zur Herstellung oder Verwendung des Erzeugnisses wird der Schutzbereich im Allgemeinen nicht erweitert (siehe G 2/88, ABl. EPA 1990, 93, Nr. 5 der Entscheidungsgründe). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin II, Wettbewerber hätten davon ausgehen können, dass die Erzeugnisansprüche in den Vertragsstaaten ES und GR für nicht rechtsgültig und nicht durchsetzbar befunden würden, ist für die Belange des Artikels 123 (3) EPÜ irrelevant, denn beim Vergleich der Ansprüche in der erteilten Fassung mit den geänderten Ansprüchen ist eine etwaige Ungültigkeit der Ansprüche in der erteilten Fassung stets außer Acht zu lassen. Die Kammer gelangt daher zu dem Schluss, dass der Hauptantrag die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ erfüllt.

Artikel 123 (2) EPÜ

23. Die Formulierung “das Verfahren die Isolierung dieses Lelystad-Erregers aus einer infizierten Ferkeln, infizierten Säuen oder experimentell infizierten SPF-Schweinen entnommenen Probe oder aus mit dieser Probe infizierten Zellen umfasst” in Anspruch 1 für ES/GR wird durch die PCT-Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung, Seite 5, Zeilen 5 – 8 und Zeilen 30 – 31; Seite 12, Zeilen 13 – 31; Seite 13, Zeilen 22 – 32; Seite 14, Zeilen 13 – 15; Seite 22, Zeile 23 bis Seite 24, Zeile 25, gestützt. Der Fachmann würde alle diese Passagen als allgemeine Anweisungen zur Isolierung des Lelystad-Erregers aus unterschiedlichen Proben verstehen. Dem Anspruch 1 für die benannten Staaten ES und GR wurde also kein Gegenstand hinzugefügt.

Artikel 83 EPÜ

24. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin II ist die Herstellung eines Impfstoffs mit inaktivierten (abgetöteten) Lelystad-Erregern gemäß Anspruch 4 unzureichend offenbart.

Das Streitpatent lehrt jedoch, wie die abgetöteten Lelystad-Erreger anhand herkömmlicher Techniken herzustellen sind (siehe z. B. Seite 6, Zeilen 28 – 33). Dass die beanspruchten Totimpfstoffe einen ausreichenden Schutz oder zumindest ein gewisses Maß an aktiver Immunität bieten, wird durch Beispiel 3 der Druckschrift (D36), einer Anmeldung der Beschwerdeführerin II, belegt (siehe z. B. Seite 33, Zeile 1 bis Seite 35, Zeile 20). Diese Totimpfstoffe werden ebenfalls mit herkömmlichen Techniken hergestellt, wie sie im Streitpatent beschrieben sind.

Der Gegenstand des Anspruchs 4 ist demnach ausreichend offenbart und verletzt nicht die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.

Artikel 87 (1) EPÜ – Priorität

25. Das Streitpatent geht auf die Euro-PCT-Anmeldung PCT/NL92/00096 zurück, in der eine erste Priorität vom 6. Juni 1991 aus der europäischen Patentanmeldung Nr. 91201398 beansprucht wurde. Laut Artikel 8 (2) a) PCT richten sich Voraussetzungen und Wirkung einer in einer internationalen Patentanmeldung abgegebenen Prioritätserklärung nach Artikel 4 der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (Stockholmer Fassung). Da die Pariser Verbandsübereinkunft jedoch nicht auf die Frage so genannter “innerer Prioritäten” eingeht (siehe nachstehend Nr. 26), unterliegt der oben genannte Grundsatz den Bestimmungen von Buchstabe b des Artikels 8 (2) PCT, wo es im zweiten Satz heißt: “Wird für die internationale Anmeldung die Priorität einer oder mehrerer früherer in einem oder für einen Bestimmungsstaat eingereichter nationaler Anmeldungen beansprucht …, so richten sich Voraussetzungen und Wirkung des Prioritätsanspruchs in diesem Staat nach dessen nationalem Recht.” Der Begriff “nationale Anmeldung” schließt auch Anmeldungen für die Erteilung regionaler Patente ein, und der Begriff “nationales Recht” ist, wenn es sich um eine regionale Anmeldung oder ein regionales Patent handelt, als Bezugnahme auf den betreffenden regionalen Vertrag zu verstehen (siehe Artikel 2 vi) und x) PCT). Somit werden im vorliegenden Fall, wo in einer Euro-PCT-Anmeldung die Priorität einer europäischen Patentanmeldung beansprucht wurde, Voraussetzungen und Wirkung des Prioritätsanspruchs durch die Artikel 87 bis 89 EPÜ geregelt.

26. Nach der in Artikel 87 (1) EPÜ verankerten Grundregel genießt jedermann, der in einem oder mit Wirkung für einen Vertragsstaat der Pariser Verbandsübereinkunft eine Anmeldung für ein Patent vorschriftsmäßig eingereicht hat, für die Anmeldung derselben Erfindung zum europäischen Patent ein Prioritätsrecht. In Anbetracht dieses breit gefassten Wortlauts und des Artikels 87 (2) EPÜ, dem zufolge Anmeldungen nach dem EPÜ als prioritätsbegründend anerkannt werden, gilt diese Bestimmung auch dann, wenn die Priorität einer früheren nationalen Anmeldung in einem benannten EPÜ-Vertragsstaat oder die einer früheren europäischen Anmeldung in Anspruch genommen wird (siehe Richtlinien für die Prüfung im EPA, C-V, 1.3; BGH GRUR 1982, 31 = ABl. EPA 1982, 66, Nr. II.3). Der europäische Gesetzgeber hat somit ein Prioritätssystem geschaffen, in dem auch “innere Prioritäten” anerkannt werden und das dadurch über die Mindeststandards der Pariser Verbandsübereinkunft hinausgeht, in der nur “äußere Prioritäten” geregelt sind.

27. Die Beschwerdeführerin II hat die Wirksamkeit des ersten Prioritätsanspruchs des Streitpatents bestritten. Sie argumentierte, dass das Prioritätsrecht am Anmeldetag der Euro-PCT-Anmeldung PCT/NL92/00096 (5. Juni 1992) erschöpft gewesen sei, weil dieselbe Priorität bereits in der am 18. März 1992 eingereichten europäischen Patentanmeldung Nr. 92200781 beansprucht worden sei, d. h. in der Anmeldung, die im Streitpatent als zweite Priorität beansprucht wird.

28. Die Argumentation der Beschwerdeführerin II basiert auf der “Doktrin der Erschöpfung von Prioritätsrechten”, also der Rechtsmeinung, dass eine Priorität, die in einer Patentanmeldung beansprucht wurde, danach erschöpft ist und in einer späteren Anmeldung in demselben oder für dasselbe Hoheitsgebiet nicht mehr in Anspruch genommen werden kann. Auch wenn sich für diese Doktrin in der nationalen Rechtsprechung (siehe Cour de Montpellier vom 20. Dezember 1966, Ann. 1967, S. 7 ff. = GRUR Int. 1969, 198) und in der Rechtsliteratur (Mathély, Le nouveau droit français des brevets d’invention, 1991, S. 597 ff.; Mousseron, Traité des brevets, 1984, S. 327; Wieczorek, Die Unionspriorität im Patentrecht, 1975, S. 183 ff.) eine gewisse Unterstützung finden lässt, kann sie nicht als einhellig oder auch nur weithin anerkannt gelten. Die meisten Rechtskommentatoren hegen, sofern sie überhaupt auf die Doktrin eingehen, klare Vorbehalte dagegen (siehe z. B. Busse, Patentgesetz, 6. Aufl. 2003, § 41, Rdn. 23 mit weiteren Verweisen; Goebel, GRUR 1988, 243, 244; Gramm, GRUR 1980, 954, 957; Ruhl, Unionspriorität, 2000, S. 96; Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 6. Aufl. 2001, § 40, Nr. 19).

29. Bis vor Kurzem ist die Doktrin der Erschöpfung von Prioritätsrechten, soweit die Kammer weiß, weder in der Praxis der Prüfungs- oder Einspruchsabteilungen des EPA noch in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern angewendet oder ausdrücklich erwähnt worden. In den einschlägigen Passagen der Richtlinien für die Prüfung im EPA (A-III, 6 und C-V) wird sie gar nicht erwähnt. Hingegen vertrat in der Entscheidung T 998/99 vom 15. September 2003 (Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe) die zuständige Beschwerdekammer die Auffassung, dass die Doktrin anzuwenden und es nicht zulässig sei, die Priorität einer Erstanmeldung für dieselbe Erfindung und im selben Land für mehr als eine Anmeldung in Anspruch zu nehmen. Die Entscheidung hat zu kontroversen Reaktionen geführt, wie sich in der Rechtsliteratur zeigt (siehe z. B. dagegen: Bremi/Liebetanz, Mitt. 2004, 148 ff., und dafür: Vigand, Prop.ind. 2004, 16).

30. Wie von der Kammer in T 998/99 eingeräumt wird, sagt das EPÜ nichts darüber aus, ob es möglich ist, ein und dieselbe Priorität für mehr als eine für denselben Staat eingereichte Anmeldung in Anspruch zu nehmen. Nach Artikel 87 (1) EPÜ genießt der Anmelder ein Prioritätsrecht für die Anmeldung derselben Erfindung zum europäischen Patent (in der englischen Fassung: “for the purpose of filing a European patent application in respect of the same invention” und in der französischen: “pour effectuer le dépôt d’une demande de brevet européen pour la même invention”). Was die Erschöpfung des Prioritätsrechts angeht, scheint diese Formulierung verschiedene Interpretationen zuzulassen. Die Kammer muss also prüfen, welche Interpretation mit dem Prioritätssystem des EPÜ insgesamt besser vereinbar ist, und dabei den jeweiligen Interessen gebührend Rechnung tragen.

31. Die Artikel 87 bis 89 EPÜ bilden eine vollständige und eigenständige Regelung des Rechts, das bei der Beanspruchung von Prioritäten für europäische Patentanmeldungen anzuwenden ist (G 3/93, ABl. EPA 1995, 18, Nr. 4 der Entscheidungsgründe; G 2/98, ABl. EPA 2001, 413, Nr. 3 der Entscheidungsgründe; G 2/02, ABl. EPA 2004, 483, Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe). Da das EPÜ laut seiner Präambel ein Sonderabkommen im Sinne des Artikels 19 der Pariser Verbandsübereinkunft darstellt, sollen diese Regeln den in der Pariser Verbandsübereinkunft festgelegten Prioritätsgrundsätzen nicht entgegenstehen.

32. Das Prioritätsrecht gilt generell als einer der Eckpfeiler der Pariser Verbandsübereinkunft und war bereits Bestandteil der Urfassung von 1883 (siehe Bodenhausen, Guide to the Application of the Paris Convention for the Protection of Industrial Property as Revised at Stockholm in 1967, 1969, Artikel 4, Abschnitt A. (1), Buchstabe a; Ladas, Patents, Trademarks, and Related Rights, Bd. I, 1975, S. 456). Sein Hauptzweck besteht darin, für begrenzte Zeit die Interessen eines Patentanmelders, der internationalen Schutz für seine Erfindung erlangen will, zu wahren und so die negativen Auswirkungen des Territorialitätsprinzips im Patentrecht zu mildern.

33. Im Zuge der Revisionen der Pariser Verbandsübereinkunft hat man die Prioritätsvorschriften mehrfach geändert, um ihre Flexibilität zu erhöhen und dadurch die Rechtsstellung der Patentanmelder zu verbessern. Man ging davon aus, dass übermäßig strenge Regelungen kaum dem Geist der Verbandsübereinkunft entsprächen, deren Ziel es ist, den erfinderischen Schöpfergeist zu fördern und zu ermutigen (siehe Actes de la Conférence réunie à Washington du 15 mai au 2 juin 1911, Bern 1911, S. 45). Die aktuelle Fassung der Pariser Verbandsübereinkunft (Stockholmer Fassung) sieht insbesondere ausdrücklich die Möglichkeit vor, Mehrfach- und Teilprioritäten in Anspruch zu nehmen (Art. 4F PVÜ), und garantiert das Recht, Anmeldungen zu teilen, wobei auch für die Teilanmeldung das Prioritätsrecht der ursprünglichen Anmeldung erhalten bleibt (Art. 4G PVÜ). Dieselben Grundsätze spiegeln sich in den entsprechenden Bestimmungen des EPÜ wider, d. h. in Artikel 76 (1) Satz 2 und Artikel 88 (2) und (3).

34. In Anbetracht des oben Gesagten kann sich die Kammer nicht dem in der Entscheidung T 998/99 (Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe) vertretenen Standpunkt anschließen, wonach die internationalen Prioritätsvorschriften der Pariser Verbandsübereinkunft als Ausnahmeregelungen anzusehen sind, die eng ausgelegt werden sollten. Sie sind vielmehr auf eine Art und Weise auszulegen, die gewährleistet, dass der generelle Zweck, nämlich dem Anmelder die Erlangung internationalen Schutzes für seine Erfindung zu erleichtern, so weit wie möglich erfüllt wird. Das gilt erst recht für das eigenständige Prioritätssystem des EPÜ, das mit den durch die Pariser Verbandsübereinkunft gesetzten Normen insofern vereinbar sein muss, als es keinen geringeren Schutz bieten sollte, aber zu Gunsten des Anmelders durchaus über diese Normen hinausgehen darf. Das wird unter anderem in der Anerkennung innerer Prioritäten nach dem EPÜ deutlich (siehe vorstehend Nr. 26), was auch für die Lösung der hier vorliegenden Frage von Belang ist.

35. Um festzustellen, ob ein praktisches Bedürfnis besteht, den Anmeldern die Möglichkeit zu geben, ein und dasselbe Prioritätsrecht in mehr als einer europäischen Patentanmeldung in Anspruch zu nehmen, hält die Kammer eine genauere Untersuchung der Umstände für angebracht, unter denen sich diese Frage stellen kann. Folgende Situationen sind denkbar:

36. Erstens kann ein Anmelder den Gegenstand der prioritätsbegründenden Anmeldung in zwei europäische Nachanmeldungen teilen, z. B. um im europäischen Prüfungsverfahren einen Einwand wegen mangelnder Einheitlichkeit zu vermeiden. Dürfte sich der Anmelder in einem solchen Fall nur bei seiner ersten Nachanmeldung auf die Priorität stützen, würde er die Priorität für den in der zweiten Nachanmeldung enthaltenen Teil des Erfindungsgegenstands verlieren. Ein ganz anderes Ergebnis hätte der Anmelder dagegen erzielt, wenn er zunächst eine europäische Anmeldung für den gesamten Gegenstand der prioritätsbegründenden Anmeldung und später eine Teilanmeldung für einen Teil des Gegenstands eingereicht hätte. Da sowohl in Artikel 4G PVÜ als auch in Artikel 76 (1) Satz 2 EPÜ ausdrücklich vorgesehen ist, dass einer Teilanmeldung nicht nur der Anmeldetag der Stammanmeldung zusteht, sondern sie auch deren Prioritätsrecht genießt (siehe vorstehend Nr. 33), würden dann sowohl die Stamm- als auch die Teilanmeldung rechtsgültig das Prioritätsrecht beanspruchen. Die Kammer sieht keinen triftigen Grund, warum es dem Anmelder nicht gestattet sein sollte, dasselbe Ergebnis zu erreichen, indem er den Gegenstand der prioritätsbegründenden Anmeldung sofort in zwei getrennte europäische Anmeldungen aufteilt und für beide das Prioritätsrecht für den betreffenden Teil des Erfindungsgegenstands beansprucht. Das spricht gegen eine Anwendung der Erschöpfungsdoktrin im Falle einer “Prioritätsaufteilung”. Selbst in der Entscheidung T 998/99 verzichtete die zuständige Kammer ausdrücklich darauf, sich zur Frage der Teilprioritäten zu äußern (siehe Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe).

37. Zweitens kann es vorkommen, dass ein Patentanmelder, der eine Priorität beansprucht hat, vor Ablauf der Prioritätsfrist bemerkt, dass seine Anmeldung einen gravierenden Mangel aufweist. Wenn er sich bei einer zweiten europäischen Anmeldung auf dieselbe Priorität stützen darf, könnte er die Situation noch durch eine zweite Anmeldung retten, wobei davon ausgegangen wird, dass er die mit dem Mangel behaftete Anmeldung im Normalfall zurücknimmt oder fallen lässt. Wäre jedoch die Erschöpfungsdoktrin anzuwenden, gäbe es diese Möglichkeit nicht mehr.

38. Drittens, und vor allem aber, ist die technische Entwicklung durch einen Innovations- und Forschungsprozess gekennzeichnet, der mit der Einreichung einer ersten Anmeldung in aller Regel nicht beendet ist. Es kann durchaus sein, dass Patentanmelder den ursprünglich offenbarten Gegenstand in ein und derselben Anmeldung mit weiteren Verbesserungen und zusätzlichen Ausführungsformen kombinieren wollen, die sie während der Prioritätsfrist entwickelt haben. Das Patentsystem des EPÜ unterstützt eine solche Anmeldestrategie, indem es innere Prioritäten anerkennt: Ein Anmelder kann eine zweite europäische Anmeldung einreichen, die sowohl den Gegenstand der ersten europäischen Anmeldung (für den er die Priorität beanspruchen und genießen kann) als auch neue, verwandte Gegenstände offenbart. Gerade in technischen Bereichen mit hohem Innovationstempo kann es auch gute Gründe dafür geben, diese Strategie mehr als einmal anzuwenden und innerhalb der Prioritätsfrist eine dritte oder noch weitere europäische Anmeldungen einzureichen und dabei stets die Priorität aller vorangegangenen Anmeldungen zu beanspruchen. Es ist schwer nachvollziehbar, warum das EPÜ eine solche “Kombinationsstrategie” – wenn der Anmelder nur einmal Gebrauch davon macht – durch Anerkennung von inneren Prioritäten einerseits fördern sollte, um sie andererseits – bei zwei- oder mehrmaligem Gebrauch – durch die Erschöpfungsdoktrin wieder zu beschränken.

39. Es ließe sich einwenden, dass die Doktrin der Erschöpfung von Prioritätsrechten ungeachtet der obigen Ausführungen aus dem Grund angewendet werden sollte, weil sie hilft, Doppelpatentierungen zu vermeiden. Bei einer genaueren Analyse zeigt sich jedoch, dass die Doktrin hierfür kein geeignetes Rechtsinstrument ist. Zum einen kann sich die Möglichkeit einer Doppelpatentierung auch in Situationen ergeben, in denen keine Prioritäten beansprucht werden oder in denen Rechtsvorschriften wie Artikel 76 (1) Satz 2 EPÜ einer Anwendung der Doktrin der Erschöpfung von Prioritätsrechten entgegenstehen. Zum anderen ist die Doktrin für Patentanmelder auch von Nachteil, wenn die Gefahr einer Doppelpatentierung gar nicht besteht, etwa weil nur noch eine Anmeldung anhängig ist und die andere bzw. jede weitere schon zurückgenommen wurde oder als zurückgenommen gilt.

40. Obwohl keine der Beteiligten beantragt hat, die Große Beschwerdekammer mit der Frage der Erschöpfung von Prioritätsrechten zu befassen, hat die Kammer erwogen, dies nach Artikel 112 (1) a) EPÜ von Amts wegen zu tun. Eine solche Befassung sollte jedoch nur erfolgen, wenn sie erforderlich ist, um eine einheitliche Rechtsanwendung zu sichern oder eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden. Wie bereits weiter oben ausgeführt (Nr. 29), ist die Doktrin der Erschöpfung von Prioritätsrechten, soweit die Kammer weiß, weder in der erstinstanzlichen Praxis des EPA noch – wenn man von T 998/99 absieht – in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern jemals angewendet oder ausdrücklich erwähnt worden. Unter diesen Umständen ist eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer zu den in Artikel 112 EPÜ genannten Zwecken vorerst nicht erforderlich.

41. Die Kammer kommt zu dem Schluss, dass das Prioritätssystem des EPA es den Anmeldern erlaubt, ein und dasselbe Prioritätsrecht in mehr als einer europäischen Patentanmeldung zu beanspruchen und zu genießen. Die Doktrin der Erschöpfung von Prioritätsrechten ist abzulehnen. Dem Streitpatent steht somit die erste der beanspruchten Prioritäten zu. Daraus folgt, dass die Druckschriften (D6), (D8) und (D9) nicht zum Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ gehören.

Neuheit Entgegenhaltung (D24)

42. Die Beschwerdeführerin II hat vorgebracht, dass das in der Entgegenhaltung (D24) und das im Streitpatent verwendete Verfahren zur Isolierung des SSS-Erregers nur zu ein und demselben Virus hätten führen können, ganz gleich, ob man dieses nun als “myxo-ähnliches” Virus oder als Lelystad-Erreger bezeichne. Die “myxo-ähnlichen” Partikel der Entgegenhaltung (D24) haben jedoch eine elektronenmikroskopisch bestimmte Größe von 130 – 200 nm (s. Seite 41, Zeilen 14 – 16), während der beanspruchte Lelystad-Erreger mindestens dreimal kleiner ist, d. h. eine elektronenmikroskopisch bestimmte Größe von 45 – 55 nm hat (s. Streitpatent, Seite 13, Zeilen 8 – 11). Zudem gehört der beanspruchte Lelystad-Erreger zur Gattung der Arteriviren (siehe Druckschrift (D22), Seite 3, Zeilen 15 – 16), also zu einer anderen Gattung als die Myxoviren.

43. Es trifft zu, dass als Virenquelle in beiden Verfahren (Entgegenhaltung (D24) und Streitpatent) Lungenmakrophagen von an SSS erkrankten Schweinen verwendet werden. Die Tatsache aber, dass sowohl die “myxo-ähnlichen” Partikel der Entgegenhaltung (D24) als auch der im Streitpatent beanspruchte Lelystad-Erreger einen Trophismus für Lungenmakrophagen aufweisen, kann nicht als Nachweis dafür gelten, dass die beiden Viren identisch sind, denn es gibt zahlreiche Viren, die Lungenmakrophagen befallen, so z. B. das in der Druckschrift (D4) behandelte Virus der Aujeszkyschen Krankheit, das völlig andere klinische Symptome verursacht. Der als Gutachten angezogenen nachveröffentlichten Druckschrift (D6) schließlich ist zu entnehmen, dass viele Virusisolate von an SSS erkrankten Schweinen in der Lage waren, Makrophagen zu infizieren, aber nur eines, nämlich der beanspruchte Lelystad-Erreger, empfindlich auf Chloroform reagierte (siehe S. 125, Abschnitt “Virus isolation”). Das belegt, dass der Fachmann, wenn er das in der Entgegenhaltung (D24) beschriebene Verfahren anwenden würde, entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin II nicht zwangsläufig zu einem Virus gelangen würde, das unter die Definition des strittigen Anspruchs 1 fällt.

Entgegenhaltungen (D1) und (D7)

44. Die Autoren dieser Entgegenhaltungen haben gezeigt, dass sich beim Infizieren von Schweinen mit den filtrierten Homogenaten Anzeichen von SSS (z. B. mikroskopische Läsionen) beobachten lassen. Das pathologische Vollbild von SSS, einschließlich Atemwegserkrankungen und Fertilitätsstörungen, ließ sich jedoch nur mit dem unfiltrierten Homogenat (das wesentlich größere Mikroorganismen als Viren, wie z. B. Bakterien enthielt) erreichen (siehe Entgegenhaltung (D7), Seite 47, unter Nr. 2 und Abb. 5). Alles, was diese Entgegenhaltungen belegen, ist also, dass sich das klinische Vollbild von SSS durch experimentelle Infektionen mit Homogenaten, die eine Vielzahl von Mikroorganismen enthalten, reproduzieren lässt. Sie lehren den Fachmann nicht, wie der SSS-Erreger zu identifizieren und zu isolieren ist. Ein entscheidendes Merkmal des strittigen Anspruchs 1 ist aber gerade, dass das Virus in isolierter Form vorliegt (siehe Nr. IV des Sachverhalts). Daher sind die Entgegenhaltungen (D1) und (D7) nicht neuheitsschädlich für den strittigen Anspruch 1.

45. Anspruch 1 und alle anderen Ansprüche des neuen Hauptantrags, einschließlich der für die Vertragsstaaten ES und GR, die von dem isolierten Lelystad-Erreger ausgehen, erfüllen somit die Erfordernisse des Artikels 54 (1) EPÜ.

Erfinderische Tätigkeit

46. In Anbetracht der Ausführungen der Kammer unter der vorstehenden Nummer 41 bilden die Entgegenhaltungen (D24), (D7) und (D1) den zu berücksichtigenden Stand der Technik. Die Beschwerdeführerin II argumentiert, dass der Fachmann, der den Erreger von SSS finden will, ausgehend von den Entgegenhaltungen (D24), (D7) und (D1) allein oder in Kombination miteinander in nahe liegender Weise zu dem beanspruchten Gegenstand gelangen würde. Die Entgegenhaltung (D24) lehrt (siehe Seite 43, Zeilen 1 – 3 des dritten Absatzes), dass sich bei mit SSS infizierten Tieren eine Fülle von Mikroorganismen isolieren lässt (die unter der Überschrift “Virus and mycoplasma isolation” aufgelistet sind): Schweineenterovirus Serotyp 7 (PEV), Encephalomyokarditisvirus (EMCV), “myxo-ähnliche” Partikel mit einem Durchmesser von 130 – 200 nm, Mycoplasma hyosynoviae, Acholeplasma laidlawii und wahrscheinlich Mycoplasma hyopneumoniae. Der Lelystad-Erreger ist nicht unter den identifizierten Ätiologien. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass einer von ihnen, geschweige denn das “myxo-ähnliche” Virus, als Erreger der Krankheit in Frage kommt. Vielmehr hätte der Fachmann das “myxo-ähnliche” Virus auf Grund der enttäuschenden Serokonversionsdaten als möglichen SSS-Erreger ausgeschlossen. Die Autoren dieser Entgegenhaltung räumen zudem ein, dass ihre Ergebnisse “genauso unschlüssig” sind wie die anderer Forscher (siehe Seite 44, zweiter Absatz). Die Entgegenhaltung (D24) hilft dem Fachmann also nicht bei der Lösung der Aufgabe, den SSS-Erreger zu finden.

47. Die Kammer geht davon aus, dass sich der Fachmann der negativen Schlussfolgerung der Autoren von (D24) anschließen würde. Doch selbst wenn er – rein theoretisch – zu dem Ergebnis gelangen würde, dass das neue “myxo-ähnliche” Virus am ehesten als SSS-Ätiologie in Frage kommt, wie von der Beschwerdeführerin II vorgebracht, wurde der Kammer kein Beweis vorgelegt, dass sich das klinische Vollbild von SSS durch eine experimentelle Infektion mit dem “myxo-ähnlichen” Isolat hervorrufen lässt. Außerdem würde der Fachmann, wie vorstehend unter Nummer 43 betont, wenn er den “myxo-ähnlichen” Weg einschlägt, nicht zwangsläufig zu etwas gelangen, dass unter die Definition des Anspruchs 1 fällt.

48. Die Wahl der Entgegenhaltung (D1) als Ausgangspunkt oder die Kombination der Lehre von (D24) mit der von (D1) würde nicht den in der Entgegenhaltung (D24) fehlenden Hinweis auf den beanspruchten Lelystad-Erreger liefern, denn der Fachmann wird einerseits mit einer Liste zahlreicher SSS-Verursacher konfrontiert, unter denen der gesuchte Erreger fehlt (Entgegenhaltung (D24)), und andererseits mit den Homogenaten der Entgegenhaltung (D1), die nicht weniger Mikroorganismen enthalten.

49. Wäre der nach dem SSS-Erreger suchende Fachmann auf die Entgegenhaltung (D7) gestoßen, hätte er ihr entnommen, dass die Autoren dieses Dokuments auf die Filtrierung ihrer Homogenate verzichten mussten, um die klinischen Symptome von SSS zu reproduzieren. Wie bereits betont (siehe vorstehend Nr. 43), machte es eine Filtrierung unmöglich, das pathologische Vollbild von SSS, einschließlich Atemwegserkrankungen und Fertilitätsstörungen, zu reproduzieren (siehe Entgegenhaltung (D7), Seite 47, unter Nr. 2 und Abb. 5). Der Fachmann, der weiß, dass Bakterien Filter mit einer Porengröße von 0,45, 0,22 oder 0,1 mym, wie in (D7) auf Seite 47 im zweiten Absatz angegeben, nicht passieren können, hätte aus den Versuchsergebnissen der Entgegenhaltung (D7) geschlossen, dass vielleicht Bakterien oder noch größere Mikroorganismen aus dem unfiltrierten Homogenat notwendig sind, um bei experimentellen Infektionen die typischen klinischen Symptome von SSS zu reproduzieren. In dem Glauben, dass Bakterien eine maßgebliche Rolle spielten, hätte der Fachmann Techniken aus dem Bereich der Bakteriologie angewendet und so den filtrierbaren SSS-Erreger (siehe Streitpatent, Seite 13, Zeilen 2 – 4) übersehen.

50. Die Beschwerdeführerin II brachte vor, andere (siehe z. B. die Druckschrift (D6) oder (D8)) seien durchaus in der Lage gewesen, die Lehre der Entgegenhaltung (D24) nachzuarbeiten und das SSS verursachende Virus ohne weiteres zu isolieren. Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin II ist jedoch nicht stichhaltig, denn die Entgegenhaltung (D24) offenbart keines der entscheidenden Merkmale des gesuchten Virus, z. B. seine Schwimmdichte von 1,19 g/cm3 in CsCl oder seine Empfindlichkeit gegenüber Chloroform (siehe Druckschrift (D6), Seite 125), deren Kenntnis die Isolierung des Lelystad-Erregers in der Tat wesentlich vereinfacht hätte. So machen sich die Autoren der Druckschrift (D8) unter anderem diese Eigenschaften zu Nutze (die ihnen aus dem Literaturverweis 14, also (D6) bekannt waren), um das Virus zu isolieren (siehe Druckschrift (D8), Seite 707, Ende der mittleren Spalte). Die Kammer muss deshalb zu dem Schluss kommen, dass in Anbetracht der (D24) zu entnehmenden Informationen mehr als Routinearbeit erforderlich war, um den Erreger zu finden.

51. Demzufolge lässt sich der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ableiten. Diese Schlussfolgerung gilt auch für alle anderen Ansprüche des neuen Hauptantrags, einschließlich der für die Vertragsstaaten ES und GR, da sie sich alle auf den erfinderischen Lelystad-Erreger nach Anspruch 1 beziehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin I ist zulässig.

2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

3. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche des in der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Hauptantrags und einer entsprechend angepassten Beschreibung aufrechtzuerhalten.