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European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1996:T047292.19961120 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 20 November 1996 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0472/92 | ||||||||
Anmeldenummer: | 83100303.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | B32B 5/18 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Bahn zur Herstellung einer Hülse und Verfahren zu ihrer Herstellung | ||||||||
Name des Anmelders: | SEKISUI | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Owens-Illinois Inc. | ||||||||
Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | 1. Bei allen in Artikel 100 EPÜ aufgeführten Einspruchsgründen gilt zwar dasselbe Beweismaß (vgl. T 270/90, ABl. EPA 1993, 725); dennoch hat der Einsprechende eine offenkundige Vorbenutzung lückenlos nachzuweisen, wenn praktisch alle Beweismittel dafür seiner Verfügungsmacht und seinem Wissen unterliegen (Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe). 2. Die Bedruckbarkeit eines Materials wie auch seine Oberflächenmerkmale nach einem Wärmeschrumpfprozeß sind keine “inhärenten” Eigenschaften, die nach der Entscheidung G 1/92 durch die bloße Auslieferung des Materials an einen Kunden als öffentlich zugänglich gelten (Nr. 7.3.4 bis 7.3.7 der Entscheidungsgründe). |
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Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit (bejaht) – offenkundige Vorbenutzung nicht lückenlos nachgewiesen – Geheimhaltungspflicht aufgrund eines Joint-venture-Vertrags vermutet Erfinderische Tätigkeit (bejaht) – keine Anregung – nicht inhärente Eigenschaften eines offenkundig vorbenutzten Materials durch bloße Auslieferung an den Empfänger nicht öffentlich zugänglich gemacht (s. G 1/92) |
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Orientierungssatz: |
– |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 14. Januar 1983 im Namen von Sekisui Kaseihin Kogyo Kabushiki Kaisha eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 83 100 303.3, für die die Priorität von sechs japanischen Anmeldungen – die früheste vom 14. Januar 1982 – in Anspruch genommen wurde, wurde am 20. Mai 1987 das europäische Patent Nr. 84 360 mit 13 Ansprüchen erteilt.
Die unabhängigen Ansprüche 1, 10 und 11 lauteten wie folgt:
“1. Manschette, umfassend eine laminierte Bahn (S) aus zwei Folien, wobei die laminierte Bahn einen unterschiedlichen Schrumpfungsgrad in unterschiedlichen Richtungen aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß die Folien Polystyrol enthalten, wobei eine der Folien (1) eine höher schrumpfende, geschäumte Folie und eine der Folien eine weniger schrumpfende, nichtgeschäumte Folie (2) darstellt und die geschäumte Folie eine Oberflächenschicht (11) aufweist, die auf der Seite dicker ist, die der mit der nichtgeschäumten Folie laminierten Seite gegenüberliegt,
daß die Fließrichtungsenden der laminierten Bahn (S) so zusammengeklebt sind, daß die dickere Oberflächenschicht der geschäumten Folie (1) dem Manschetteninneren zugewandt ist, und
daß die laminierte Bahn (S) einen Schrumpfungsgrad in Fließrichtung von 60 % oder weniger und einen Schrumpfungsgrad in der Breite von 10 % oder weniger aufweist, wobei die Schrumpfung in Fließrichtung größer als die in der Breite ist und die Schrumpfungsgrade durch Erwärmen bei 130 C während einer Dauer von 12 Sek. in einem Ofen erhalten werden.”
“10. Verfahren zur Herstellung einer Bahn (S) zur Herstellung einer Manschette, bei dem eine geschäumte Folie (1) und eine nichtgeschäumte Folie (2) gleichzeitig extrudiert werden, dadurch gekennzeichnet, daß die geschäumte Folie und die nichtgeschäumte Folie Polystyrolfolien sind, daß die geschäumte Folie (1) schneller als die nichtgeschäumte Folie (2) abgekühlt wird, so daß die geschäumte Folie (1) einen höheren Schrumpfungsgrad als die nichtgeschäumte Folie (2) aufweist und die geschäumte Folie (1) eine Oberflächenschicht (11) hat, die auf der Seite dicker ist, die der mit der nichtgeschäumten Folie (2) laminierten Seite gegenüberliegt,
und wobei durch Dehnen der laminierten Bahn (S) um unterschiedliche Beträge relativ zur Fließrichtung und zur Breite der laminierten Bahn ein in Fließrichtung größerer Schrumpfungsgrad als in Breitenrichtung erreicht wird, der 60 % oder weniger beträgt, während der Schrumpfungsgrad in Breitenrichtung 10 % oder weniger beträgt, und die Schrumpfungsgrade durch Erwärmen bei 130 C während einer Dauer von 12 Sek. in einem Ofen erhalten werden.”
“11. Laminat, umfassend eine Bahn (S) mit einer geschäumten Folie (1) und einer nichtgeschäumten Folie (2), dadurch gekennzeichnet, daß die Folien Polystyrol aufweisen, wobei die geschäumte Folie stärker als die nichtgeschäumte Folie geschrumpft werden kann und die geschäumte Folie eine auf der Seite eine dickere Oberflächenschicht (11) aufweist, die der mit der nichtgeschäumten Folie laminierten Seite gegenüberliegt, und
daß die laminierte Bahn (S) in Fließrichtung einen Schrumpfungsgrad von 60 % oder weniger und in der Breite einen Schrumpfungsgrad von 10 % oder weniger aufweist, wobei der Schrumpfungsgrad in Fließrichtung größer als der in Breitenrichtung ist und die Schrumpfungsgrade durch Erwärmen bei 130 C während einer Dauer von 12 Sek. in einem Ofen erhalten werden.”
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 waren auf bevorzugte Ausführungsarten des Gegenstands des Anspruchs 1 gerichtet; die abhängigen Ansprüche 12 und 13 bezogen sich auf bevorzugte Ausführungsarten des Gegenstands des Anspruchs 11.
II. Am 19. Februar 1988 wurde von Owens-Illinois Inc. Einspruch eingelegt und der Widerruf des gesamten Patents beantragt, weil der beanspruchte Gegenstand nicht neu bzw. nicht erfinderisch sei.
Im wesentlichen wurde der Einspruch gestützt auf
i) eine behauptete offenkundige Vorbenutzung des Gegenstands des Anspruchs 11 des Streitpatents infolge der Lieferung des Materials “General Purpose Plastishield” der Einsprechenden an die Sun-Lily Company, Japan (nachstehend “Sun-Lily” genannt) sowie an die Gerresheimer Glas AG, Deutschland (nachstehend “Gerresheimer” genannt), nachgewiesen durch
– eine erste eidesstattliche Versicherung von Herrn J. A. Karabedian vom 8. Februar 1988 mit den Anlagen A und B (nachstehend “Kara-1” genannt) und Belegen über die Lieferung von
– 40 Rollen “General Purpose Plastishield” an Sun-Lily, Bestellnummer 69-8452 (nachstehend “Lieferung S3” genannt; siehe Anlage A zu Kara-1),
sowie
– 40 Rollen “General Purpose Plastishield” an Gerresheimer, Bestellnummer 69-8515 (nachstehend “Lieferung G3” genannt; siehe Anlage B zu Kara-1);
diese Nachweise wurden in einem späteren Stadium des erstinstanzlichen Einspruchsverfahrens ergänzt durch
– eine zweite eidesstattliche Versicherung von Herrn J. A. Karabedian vom 13. Dezember 1989 mit den Anlagen C bis Q (nachstehend “Kara-2” genannt) und zusätzlichen Belegen über die Lieferungen S3 und G3 sowie neuen Belegen über die Lieferung an Sun-Lily von
– 6 Rollen “General Purpose Plastishield”, Bestellnummer 69-8464 (nachstehend “Lieferung S1” genannt; siehe Anlagen N, O, P zu Kara-2),
sowie
– 40 Rollen “General Purpose Plastishield”, Bestellnummer 69-8427 (nachstehend “Lieferung S2” genannt; siehe Anlage Q zu Kara-2),
– eine Erklärung von Herrn J. A. Karabedian vom 27. Januar 1992,
– eine erste eidesstattliche Versicherung von Herrn M. Yoshida vom 1. November 1989 (nachstehend “Yoshida-1” genannt) mit den Anlagen SL-1 bis SL-5,
– eine zweite eidesstattliche Versicherung von Herrn M. Yoshida vom 22. Januar 1992 (nachstehend “Yoshida-2” genannt),
– eine erste eidesstattliche Versicherung von Herrn H. Takahashi vom 8. Dezember 1989 (nachstehend “Taka-1” genannt) mit den Anlagen NKG1 und NKG2,
– eine zweite eidesstattliche Versicherung von Herrn H. Takahashi vom 21. Februar 1991 (nachstehend “Taka-2” genannt) mit den Anlagen NKG3 bis NKG7,
– eine dritte eidesstattliche Versicherung von Herrn H. Takahashi vom 22. Januar 1992 (nachstehend “Taka-3” genannt)
und
– eine eidesstattliche Versicherung von Herrn K. Kricheldorf vom 23. Januar 1992 mit den Anlagen 1 bis 3 und Belegen für die in Kara-1 angeführte Lieferung G3 sowie neuen Belegen für die Lieferung an Gerresheimer von
– 3 Rollen “General Purpose Plastishield”, Bestellnummer 69-8393 (nachstehend “Lieferung G1” genannt), sowie
– 40 Rollen “General Purpose Plastishield”, Bestellnummer 69-8414 (nachstehend “Lieferung G2” genannt);
wie auch
ii) auf die Offenbarung unter anderem in den Dokumenten
(1) US-A-3 979 000 und
(4) GB-A-1 383 622.
III. Mit ihrer am 28. Januar 1992 verkündeten und am 29. April 1992 schriftlich ergangenen Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch mit folgender Begründung zurück:
IV. Am 20. Mai 1992 legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. …
V. …
VI. In ihren schriftlichen Ausführungen und in der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vor:
VII. In ihren Schriftsätzen wie auch in der mündlichen Verhandlung argumentierte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) im wesentlichen wie folgt:
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 84 360.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. In der Beschwerdephase vorgelegte Beweismittel
3. Offenkundige Vorbenutzung
3.1 Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern gilt für den Einwand der offenkundigen Vorbenutzung dasselbe Beweismaß wie bei den übrigen in Artikel 100 EPÜ vorgesehenen Einspruchsgründen: das Abwägen der Wahrscheinlichkeit (s. beispielsweise T 270/90, ABl. EPA 1993, 725). Dort wies die Beschwerdekammer ausdrücklich einen Antrag zurück, wonach das wesentlich strengere Kriterium “zweifelsfrei” angelegt werden sollte, obwohl in diesem Fall beide Beteiligten in der Lage waren, Beweismittel hinsichtlich der entscheidenden Frage der Vertraulichkeit der Transaktionen beizubringen, die angeblich eine offenkundige Vorbenutzung darstellten.
Die Kammer bestätigt dieses Konzept mit folgender Einschränkung: Bei der Entscheidung über umstrittene Sachverhalte anhand des obigen Kriteriums muß geklärt werden, welches der beiden von den Beteiligten vertretenen widersprüchlichen Argumente mit größerer Wahrscheinlichkeit richtig ist, weil zwei gegensätzliche Vorbringen logisch und damit auch rechtlich gesehen nicht beide richtig oder beide falsch sein können. Bei der Entscheidung darüber, ob diese Argumente richtig oder falsch sind, sind Art, Inhalt und mögliche Quellen der Beweismittel zu berücksichtigen, die von den Beteiligten beigebracht werden können.
Wenn es nicht um eine offenkundige Vorbenutzung geht, sind im allgemeinen beide Beteiligten in der Lage, Beweise für ihre Behauptungen beizubringen. Geht es jedoch um eine offenkundige Vorbenutzung, so unterliegen meistens alle Beweismittel dafür der Verfügungsmacht und dem Wissen des Einsprechenden, und der Patentinhaber hat selten ohne weiteres Zugang dazu. In der Praxis kann er lediglich diese Beweisführung angreifen, indem er auf darin enthaltene Widersprüche hinweist, oder Lücken in der Kette geschäftlicher Transaktionen aufzeigen, die der Einsprechende nachweisen muß, wenn er mit diesem Einspruchsgrund Erfolg haben will.
Somit muß ein Einsprechender seine Behauptungen lückenlos nachweisen, weil der Patentinhaber nur wenige oder gar keine Möglichkeiten hat, das Gegenteil zu beweisen, nämlich daß keine offenkundige Vorbenutzung stattgefunden hat.
3.2 Hinsichtlich der Frage, ob eine Erfindung der Öffentlichkeit durch Vorbenutzung zugänglich gemacht wurde, müssen folgende Tatsachen nach dem obigen Kriterium bewiesen werden:
a) das Datum, an dem die Vorbenutzung stattfand (die Frage nach dem “Wann”),
b) was genau vorbenutzt wurde (die Frage nach dem “Was”) sowie
c) die Umstände der Vorbenutzung (die Frage nach der Vertraulichkeit).
Lieferungen an Sun-Lily; Anspruch 11 des Streitpatents
3.3 …
Zunächst ist die Frage der Vertraulichkeit der Materiallieferungen S1, S2 und S3 von Owens-Illinois an Sun-Lily zu entscheiden, die nach Angaben der Beschwerdeführerin für über 10 Millionen Etiketten ausreichten; dieses Material wurde von der Beschwerdeführerin per se als offenkundige Vorbenutzung angeführt. Hinsichtlich der Fragen nach dem Was und Wann sind die schriftlichen Beweismittel komplex und umfangreich. Eher kurz sind sie hingegen bezüglich der vorausgehenden, entscheidenden Frage, ob diese Lieferungen das Ergebnis eines normalen Geschäfts zwischen Owens-Illinois und Sun-Lily oder einer Transaktion im Rahmen eines (wenn auch kommerziellen) Gemeinschaftsunternehmens waren, das Sun-Lily zur Geheimhaltung anhielt oder ausdrücklich verpflichtete. Ist das der Fall, so müssen die Fragen nach dem “Was” und “Wann” bezüglich dieser Lieferungen natürlich gar nicht mehr geklärt werden.
3.4 Gemäß der unbestrittenen Versicherung von Herrn Yoshida (Yoshida-2) war Sun-Lily eine als Joint-venture zwischen Owens-Illinois und Mitsui Toatsu, einem anderen japanischen Unternehmen, gegründete Kapitalgesellschaft. Zur Entkräftung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin, daß die Lieferungen an Sun-Lily ausdrücklich oder kraft Gesetzes der Geheimhaltung unterlägen, was sich direkt oder indirekt aus der Tatsache ergebe, daß Sun-Lily als Joint-venture von der Beschwerdeführerin Owens-Illinois und dem japanischen Unternehmen “abstamme”, versicherte Herr Yoshida lediglich, Sun-Lily sei bezüglich ihrer Geschäftstätigkeit “unabhängig” von Owens-Illinois.
In der mündlichen Verhandlung wurde die Beschwerdeführerin von der Beschwerdekammer aufgefordert, sich zum Inhalt des Joint-venture-Vertrags zu äußern. Wäre dieser Vertrag in einem früheren Verfahrensstadium vorgelegt worden, so hätte man eventuell die Schlüsselfrage klären können, ob eine ausdrückliche Geheimhaltungspflicht zwischen Sun-Lily und einem ihrer Mutterunternehmen bestand; zumindest hätte der Vertrag insgesamt – einschließlich der üblichen Präambel mit der Zielsetzung des Joint-venture – gewisse Rückschlüsse auf implizit enthaltene Geheimhaltungsverpflichtungen zugelassen. Bedauerlicherweise war diese Unterstützung nicht zu erhalten; der Vertreter der Beschwerdeführerin räumte nämlich ein, daß er den Joint-venture-Vertrag nie gesehen habe, versicherte aber, daß die betreffenden Lieferungen einer unter Umständen darin enthaltenen Geheimhaltungspflicht ohnehin nicht unterlegen hätten.
Da keinerlei Nachweise über Art und Inhalt des Vertrags zur Gründung von Sun-Lily vorliegen und es in Anbetracht der Aussage Herrn Yoshidas insgesamt den Anschein hat, daß er im technischen Bereich von Sun-Lily tätig war, muß sein Wissen über Art und Inhalt des Vertrags sowie seiner rechtlichen Auswirkungen als unzuverlässig gelten. Somit sind die vorgelegten Beweismittel insgesamt nicht stichhaltig genug, um den bereits genannten hohen praktischen Anforderungen an das Beweismaß (Nr. 3.1) zu genügen. Diese Beweismittel allein können damit nicht die Vermutung entkräften, daß der Vertrag über die Gründung des Joint-venture Sun-Lily verbindliche Geheimhaltungsverpflichtungen auferlegte, wie das normalerweise geschieht, um die Ergebnisse der Forschungs- und Entwicklungsarbeit der Partner zu schützen, wobei diese Verpflichtungen nach Auffassung der Kammer auch für die strittigen Lieferungen galten, da das Gegenteil nicht hinreichend glaubhaft gemacht wurde.
3.5 Darüber hinaus berief sich die Beschwerdeführerin auf zwei verschiedene Sachverhalte, aus denen der normale Charakter der Lieferungen überzeugend hervorgehe.
3.5.1 Zum einen deute die große Menge des gelieferten Materials, die für über 10 Millionen Etiketten ausreiche, auf ein normales Verkäufer-Käufer-Verhältnis hin. Die Beschwerdegegnerin trat dem mit dem Hinweis entgegen, daß das gelieferte Material zunächst von Sun-Lily und dann von NKG laufend getestet worden sei, wobei NKG vertraglich ausdrücklich zur Geheimhaltung bezüglich “des Einsatzes der Maschine” verpflichtet worden sei, die sie verwendet habe. Somit habe das an Sun-Lily gelieferte Material das Entwicklungsstadium nicht verlassen, und die große Menge von Etiketten sei mit einem umfangreichen Testprogramm ebenso vereinbar wie mit einem normalen Verkauf, so daß die Beschwerdeführerin den Anforderungen an das Beweismaß nicht genügt habe, das an den Nachweis der offenkundigen Vorbenutzung anzulegen sei, wie unter der Nummer 3.1 dargelegt.
Die Kammer akzeptiert diese Argumentation der Beschwerdegegnerin insofern, als ausreichende und begründete Zweifel bestehen bleiben, welche rechtlichen Schlüsse aus der großen Zahl von Etiketten abzuleiten sind – falls 10 Millionen Etiketten angesichts der Größe des potentiellen/tatsächlichen Markts für Flaschen tatsächlich eine große Menge darstellen.
Für diese Zweifel spricht, daß die Geheimhaltungsverpflichtung bezüglich des Gebrauchs der Maschine durch NKG gerade die Natur dessen umfaßt haben muß, wofür die Maschine eingesetzt werden sollte, weil dieser Einsatz ohne die genaue Kenntnis der Eigenschaften des Materials selbst gar nicht möglich gewesen wäre.
3.5.2 Zum anderen berief sich die Beschwerdeführerin darauf, daß die Firma Sun-Lily zur fraglichen Zeit auch Materialien anderer Hersteller, zweifellos Wettbewerber von Owens-Illinois, getestet habe, die sie in der Hoffnung auf spätere Bestellungen zu Testzwecken erhalten habe.
Diese Verfahrensweise ist durchaus üblich. In der Hoffnung auf Bestellungen stellen die Hersteller potentiellen Kunden routinemäßig Muster ihrer Waren zur Verfügung; umgekehrt sind auch die Benutzer an der Prüfung von Mustern vergleichbarer Produkte interessiert.
Ebenso routinemäßig schützen die Hersteller ihre Forschungs- und Entwicklungsergebnisse vor den Auswirkungen der im angelsächsischen Recht – so auch in den USA, wo die Beschwerdeführerin ihren Sitz hat – üblichen “springboard doctrine” durch Geheimhaltungsvereinbarungen. Daß Sun-Lily unter solchen Routinebedingungen, die von der Beschwerdeführerin im gesamten Einspruchs- und Beschwerdeverfahren nicht bestritten wurden, Etiketten, die von Wettbewerbern der Beschwerdeführerin hergestellt worden waren, “unabhängig” geprüft hat, spricht also eher für die Existenz entsprechender Geheimhaltungsvereinbarungen zwischen Owens-Illinois und Sun-Lily als gegen sie. Mit Sicherheit ist das Argument nicht glaubhaft, das Verhältnis zwischen diesen beiden Unternehmen sei ein normales Verkäufer-Käufer-Verhältnis gewesen, denn sie waren durch einen Joint-venture-Vertrag verbunden. Somit stand es Sun-Lily zwar frei, verschiedene Etiketten miteinander zu vergleichen, nicht aber, deren Zusammensetzung jedermann preiszugeben.
Somit greift auch diese Argumentation der Beschwerdeführerin nicht.
3.6 Daher stellt die Kammer fest, daß die Beschwerdeführerin nicht zweifelsfrei nachgewiesen hat, daß Sun-Lily die Lieferungen S1, S2 oder S3 als Ergebnis eines normalen Verkaufs von der Beschwerdeführerin erhalten hat. Der Einwand der offenkundigen Vorbenutzung ist somit in diesem Punkt nicht stichhaltig.
Lieferungen an Gerresheimer; Anspruch 11 des Streitpatents
3.7 Während zwischen Owens-Illinois und Sun-Lily aufgrund des Joint-venture-Vertrags ein besonderes Verhältnis bestand, ergaben die für die Lieferungen G1, G2 und G3 von Owens-Illinois an Gerresheimer beigebrachten Beweismittel eindeutig, daß diese unter den Bedingungen eines normalen Verkaufs erfolgt waren, bei dem die Waren nach Erhalt vollständig in das Eigentum des Käufers übergehen, und zwar ohne Einschränkung durch vorher entstandene Rechte, z. B. eine Geheimhaltungspflicht. Damit ging das Material in den Stand der Technik ein, der der Öffentlichkeit im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ zugänglich war.
3.8 Hinsichtlich der Frage, wann die Lieferungen G1, G2 und G3 bei Gerresheimer eintrafen, wurden keine Unterlagen mit genauen Daten vorgelegt. Die mit der Erklärung von Herrn Kricheldorf (Anlagen 1 bis 3) eingereichten Unterlagen lassen aber den Schluß zu, daß das gelieferte Material mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor dem 14. Januar 1982 im Besitz von Gerresheimer war.
Insbesondere:
Bei Berücksichtigung all dieser Beweismittel gelangt die Kammer zu dem Schluß, daß Gerresheimer das einschlägige Material vor dem 14. Januar 1982 erhalten hat.
3.9 Schließlich ist bezüglich der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung des Materials aus den Lieferungen G1, G2 und G3 noch zu klären, was das gelieferte Material eigentlich war.
Die Beschwerdeführerin räumte in der mündlichen Verhandlung ein, daß keine Versuchsberichte vorgelegt worden seien, die sich direkt auf die einzelnen gelieferten Materialien bezögen; statt dessen verwies sie auf die bloße Behauptung in Kara-3, Abschnitt 2, wonach alle diese Materialien auf derselben Maschine in Toledo, Ohio, gemäß dem “Handbuch” hergestellt worden seien.
Aus folgenden Gründen sind die von der Beschwerdeführerin als Beweismittel vorgelegten Unterlagen nicht schlüssig und beweiskräftig genug, um ihre Behauptung zu stützen, daß das gelieferte Material sämtliche Erfordernisse des Anspruchs 11 des Streitpatents erfüllt habe.
3.9.1 Relative Schrumpffähigkeit der geschäumten und der nichtgeschäumten Folie
3.9.2 Schrumpffähigkeit in Fließ(= Maschinen)richtung
3.9.3 Schrumpffähigkeit in der Breite (Querrichtung)
3.9.4 Somit gelang es der Beschwerdeführerin nicht, zweifelsfrei (s. Nr. 3.1) nachzuweisen, daß das von Owens-Illinois am 9. September 1981 getestete Material die Erfordernisse des Anspruchs 11 in bezug auf die Schrumpfung erfüllte.
3.10 Damit greift auch der Einwand nicht, der Gegenstand des Anspruchs 11 sei wegen offenkundiger Vorbenutzung durch die Materiallieferungen G1, G2 und G3 nicht neu.
Lieferungen an das Laboratory of Forming Plastics, Furubayashi Shiko, NKG und Tokyo Canada Dry; Anspruch 11 des Streitpatents (siehe Kara-2, Anlage L, Yoshida-1, Anlage SL-5, Yoshida-1, Anlage SL-4 sowie eidesstattliche Versicherungen Taka-1 und Taka-2)
3.11 Aus den vorstehenden Gründen stellten diese Lieferungen keine offenkundige Vorbenutzung der Laminate gemäß Anspruch 11 des Streitpatents dar, wobei hier alle sonstigen Überlegungen außer Betracht bleiben können, die zum selben Schluß führen könnten (Geheimhaltung, Möglichkeit der Ermittlung der Schrumpfeigenschaften des Laminats vor dem Schrumpfen anhand der geschrumpften Etiketten).
Lieferungen innerhalb der USA; Anspruch 11 des Streitpatents
3.12 Die Beweismittel für diese Lieferungen wurden in einem späten Stadium des Beschwerdeverfahrens vorgelegt.
3.12.1 Die Kammer schließt sich der Feststellung in der Sache T 1002/92 (Nr. 3.4 der Entscheidungsgründe, Absatz 7) an, wonach im Verfahren vor den Beschwerdekammern neue Tatsachen, Beweismittel und diesbezügliche Argumente, die über die gemäß Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift zur Stützung der geltend gemachten Einspruchsgründe angegebenen “Tatsachen und Beweismittel” hinausgehen, nur in ausgesprochenen Ausnahmefällen und nur dann zum Verfahren zugelassen werden, wenn die neuen Unterlagen prima facie insofern hochrelevant sind, als sie mit gutem Grund eine Änderung des Verfahrensausgangs erwarten lassen, also höchstwahrscheinlich der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen.
3.12.2 Während in den eidesstattlichen Versicherungen der Herren Blackwelder, Syperski, Hinckley und Karabedian (= Kara-4) und den Anlagen dazu sehr ausführlich auf die Entwicklung des coextrudierten Plastishield-Materials durch Owens-Illinois eingegangen wird, bestehen die einzigen konkreten Beweismittel für die behauptete Lieferung von Etikettenmaterial aus coextrudiertem Polystyrol in Fotokopien von Rechnungen der “Lily Ol, Division of Owens-Illinois” an die Laurens Glass Co. und die Brockway Glass Co. (eidesstattliche Versicherung von Herrn Hinckley, Anlagen A1 bis A3, B1 bis B3 und C1 bis C3 bzw. D1 bis D3 und E1 bis E3).
Die in diesen Rechnungen enthaltenen Informationen über das, was verkauft wurde, beschränken sich jedoch auf einige ausgesprochen dürftige Angaben wie “CO-EXT REX RT BR”, “CO-EXT SPRITE” oder “CO-EXT MELLO YELLO”.
3.12.3 Diese Beweismittel sind viel zu vage und belanglos, als daß die Beschwerdekammer daraus schließen könnte, daß das gelieferte Material tatsächlich entsprechend den Spezifikationen des “Handbuchs” oder auch gemäß den Erfordernissen des Anspruchs 11 des Streitpatents hergestellt wurde.
3.12.4 Die Beschwerdeführerin konnte somit nicht nachweisen, daß ihre verspätet eingereichten Beweismittel für die Frage, ob der Gegenstand des Anspruchs 11 des Streitpatents neu ist, hinreichend relevant waren, d. h. so relevant, daß sie wahrscheinlich oder sogar höchstwahrscheinlich der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstanden (vgl. T 1002/92, s. o.).
3.12.5 Daher werden diese verspätet vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und diesbezüglichen Argumente gemäß Artikel 114 (2) EPÜ aus dem Beschwerdeverfahren ausgeschlossen.
3.13 Somit greift der gesamte, auf die offenkundige Vorbenutzung des Gegenstands des Anspruchs 11 des Streitpatents gestützte Einwand gegen die Neuheit nicht.
Unabhängige Ansprüche 1 und 10
3.14 Die obigen Ausführungen beziehen sich zwar nur auf den Gegenstand des Anspruchs 11 des Streitpatents, sie treffen aber auch auf den Gegenstand der anderen unabhängigen Ansprüche 1 und 10 zu. Diese Ansprüche enthalten dieselben Merkmale in bezug auf Struktur und Schrumpfeigenschaften wie der Anspruch 11, deren Existenz maßgeblich für die Entscheidung der Kammer über die Neuheit des Gegenstands dieses Anspruchs angesichts der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung war.
Auf die Fachliteratur gestützte Einwände
4. …
4.1 Entgegenhaltung 5
5. Neuheit
Auf der Grundlage des vorstehend dargelegten Sachverhalts gelangt die Beschwerdekammer zu dem Schluß, daß der Gegenstand aller unabhängigen Ansprüche des Streitpatents gegenüber der Offenbarung im nächstliegenden Stand der Technik (Entgegenhaltung 5) neu ist.
6. Aufgabe und Lösung
6.1 Die Aufgabe, die mit dem Gegenstand der Erzeugnisansprüche 1 und 11 des Streitpatents gegenüber der Entgegenhaltung 5 gelöst werden sollte, war die Bereitstellung eines ähnlichen Verbundlaminats, das zur Herstellung von Manschetten, die unter Wärmeeinwirkung auf Flaschen aufgeschrumpft werden können, geeignet ist und eine wärmeschrumpffähige geschäumte Polystyrolschicht umfaßt, wobei nach dem Aufschrumpfen der Manschette auf ein Gefäß (z. B. eine Flasche) die Außenseite des Laminats, d. h. die der Gefäßwand abgewandte Seite, gut bedruckbar und glatt und eben ist.
Ein weiterer Aspekt der Aufgabe bestand im Hinblick auf den Verfahrensanspruch 10 darin, ein Verfahren zur Herstellung eines solchen Laminats zu entwickeln.
6.2 Gelöst wird diese Aufgabe nach dem Streitpatent – soweit es die Erzeugnisansprüche 1 und 11 betrifft – dadurch, daß als Material für die nichtgeschäumte Schicht Polystyrol verwendet und dieser Schicht eine bestimmte (geringe) Schrumpffähigkeit verliehen wird; was den Verfahrensanspruch 10 angeht, so besteht ein weiteres Element der Lösung in der Herstellung des zweischichtigen Laminats durch Coextrusion.
6.3 Der Beschreibung des Streitpatents ist zu entnehmen, daß die gemäß den unabhängigen Ansprüchen des Streitpatents produzierten Laminate sehr gut bedruckbar sind und die daraus hergestellten Manschetten eine glatte und ebene Außenseite aufweisen (Seite 7, Zeile 51; Seite 10, Tabelle II, Versuch 1; Seite 15, Zeilen 44 bis 46). Offensichtlich ist das Coextrusionsverfahren in Verbindung mit den anderen Maßnahmen geeignet, diese vorteilhaften Eigenschaften der Laminate zu bewirken.
In der mündlichen Verhandlung räumte die Beschwerdeführerin ein, daß die nichtgeschäumte Polystyrolschicht der Laminate des Streitpatents besser bedruckbar sei, was dem Inhalt der Entgegenhaltung 5 widerspreche, denn diese rate eher von einem direkten Bedrucken der Außenseite der Laminate ab, wenn sie empfehle, den Aufdruck durch einen Schutzfilm über der nichtgeschäumten Schicht abzudecken. Ebenso leuchte es ein und werde von der Beschwerdeführerin auch nicht angefochten, daß die Schrumpffähigkeit der nichtgeschäumten Schicht aufgrund der durch den Schrumpfvorgang erzeugten Spannung dazu beitrage, Unebenheiten der Oberfläche zu vermeiden, die durch ein unausgewogenes Verhältnis zwischen der Schrumpffähigkeit der geschäumten und der nichtgeschäumten Schicht hervorgerufen werden könnten.
In Ermangelung eines Gegenbeweises befindet die Beschwerdekammer, daß die oben genannte technische Aufgabe durch die in den Ansprüchen 1, 10 und 11 des Streitpatents dargelegten Maßnahmen in allen ihren Aspekten tatsächlich gelöst wird.
7. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands der unabhängigen Ansprüche 1, 10 und 11
7.1 Die Entgegenhaltung 5 selbst enthält nichts, was einen Fachmann dazu hätte anregen können, die nichtgeschäumte Schicht auf Basis eines Ethylenpolymergemischs durch eine nichtgeschäumte Polystyrolschicht zu ersetzen.
7.2 Im schriftlichen Verfahren hatte die Beschwerdeführerin die Entgegenhaltung 4 angeführt, um zu demonstrieren, daß ein Fachmann auf dem Gebiet der Verpackungstechnik mit Laminaten vertraut sei, die aus einer zellulären und einer nichtzellulären Polystyrolschicht bestünden.
Zwar offenbart die Entgegenhaltung 4 ein Verpackungsmaterial aus einem Laminat mit einer Innenschicht aus geschäumtem Polystyrol und zwei nichtgeschäumten (äußeren) Deckschichten, die ein Copolymer aus Styrol und Butadien umfassen (Ansprüche 1 und 4 bis 6; Seite 2, Zeilen 16 bis 47); dieses Material soll fest sein wie die kaschierte Pappe, die es ersetzt, aber nicht deren Neigung zur Flüssigkeitsabsorption aufweisen (Seite 1, Zeilen 18 bis 37; Seite 2, Zeilen 114 bis 122).
Die Entgegenhaltung 4 enthält keinerlei Angaben zu den Schrumpfeigenschaften der Laminate und damit zur Aufgabe, nach dem Schrumpfvorgang eine glatte und ebene Oberfläche bereitzustellen; sie sagt auch nichts über die Bedruckbarkeit der nichtgeschäumten Schichten aus.
Diese Entgegenhaltung hätte den Fachmann also nicht dazu anregen können, als Material für die nichtgeschäumte Schicht der in der Entgegenhaltung 5 offenbarten Laminate Polystyrol anstelle des Ethylenpolymergemischs zu verwenden.
Aus diesem Grund greift der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen die Ansprüche 1 und 11 nicht, soweit er auf die Kombination der Entgegenhaltungen 4 und 5 gestützt ist.
7.3 Außer auf die in der Offenbarung der Entgegenhaltung 5 fehlenden Merkmale berief sich die Beschwerdeführerin aber auch auf die behauptete offenkundige Vorbenutzung, um die mangelnde erfinderische Tätigkeit nachzuweisen. So stehe zweifelsfrei fest, daß Laminate aus coextrudiertem Polystyrol mit einer geschäumten und einer nichtgeschäumten Polystyrolschicht ohne jede Geheimhaltungsverpflichtung vor dem 14. Januar 1982 (Datum der frühesten Priorität des Streitpatents) an Gerresheimer geliefert worden seien. Da diese Laminate somit gemäß Artikel 54 (2) EPÜ zum Stand der Technik gehörten, wäre ein Fachmann über ihre gute Bedruckbarkeit informiert gewesen und somit dazu angeregt worden, bei den aus der Entgegenhaltung 5 bekannten Laminaten die nichtzelluläre Schicht auf Basis eines Ethylenpolymergemischs durch eine nichtgeschäumte Polystyrolschicht zu ersetzen.
Dieses auf den ersten Blick einleuchtende Argument ist aber aus folgenden Gründen nicht stichhaltig.
7.3.1 Bei dem Material aus den Lieferungen G1, G2 und G3, das anerkanntermaßen im Besitz von Gerresheimer war und dessen Zusammensetzung und innere Struktur somit der Öffentlichkeit im Sinne der Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 1/92 (ABl. EPA 1993, 277) zugänglich waren, handelt es sich um Laminate aus einer nichtgeschäumten und einer geschäumten Polystyrolfolie, wobei die Oberflächenschicht der geschäumten Folie auf der Seite dicker ist, die der mit der nichtgeschäumten Folie laminierten Seite gegenüberliegt, und die beiden Laminatfolien bestimmte Schrumpfmerkmale aufweisen, die unter Umständen unter die Definitionen der Ansprüche 1, 10 und 11 des Streitpatents fallen könnten.
7.3.2 Für die Behauptungen in Teil C der Erklärung von Herrn Kricheldorf,
– daß die Folien von der Cito Kunststoff und Verpackung GmbH bedruckt wurden und als Rundum-Etiketten für Glasflaschen verwendet werden sollten,
– daß Flaschen unter seiner Aufsicht im Düsseldorfer Werk von Gerresheimer mit Etiketten versehen wurden und
– daß ein Teil dieser mit Etiketten versehenen Flaschen 1981 an Teutoburger Mineralbrunnen geliefert wurde,
wurden keinerlei Dokumente vorgelegt, die sie untermauern oder ihre Richtigkeit belegen könnten, obwohl für solche Erklärungen angesichts ihres subjektiven Charakters stichhaltige Belege erforderlich sind, zumal wenn – wie in diesem Fall – zwischen den behaupteten Ereignissen und der Vorlage der entsprechenden Beweismittel zehn Jahre vergangen sind.
Somit konnte die Beschwerdeführerin nicht nachweisen, daß die coextrudierten Polystyrol-Laminate aus den Lieferungen G1, G2 und G3 vor dem 14. Januar 1982 an die Cito Kunststoff und Verpackung GmbH geliefert worden waren. Auch konnte sie nicht belegen, daß die mit Etiketten versehenen Flaschen vor diesem Zeitpunkt an Teutoburger Mineralbrunnen geliefert worden waren. Da die Cito Kunststoff und Verpackung GmbH ein Vertragspartner von Gerresheimer war, was das Bedrucken der Etiketten betraf, ist logischerweise auch davon auszugehen, daß sie das im Rahmen der von Gerresheimer in Auftrag gegebenen und bezahlten Arbeiten erworbene Wissen nicht weitergeben durfte, sondern an explizite oder implizite Geheimhaltungsverpflichtungen gebunden war, wie sie bei derartigen Geschäftsvorgängen üblich sind.
7.3.3 Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, daß die von der Beschwerdeführerin beigebrachten Beweismittel nicht belegen, daß die aus den Materiallieferungen G1, G2 und G3 hergestellten bedruckten Etiketten vor dem 14. Januar 1982 gemeinfrei waren.
7.3.4 In der Entscheidung G 1/92 stellte die Große Beschwerdekammer unter der Nummer 1.4 fest:
“Ein wesentlicher Zweck jeder technischen Lehre besteht darin, daß der Fachmann in die Lage versetzt werden soll, ein bestimmtes Erzeugnis durch Anwendung dieser Lehre herzustellen oder zu benutzen. Ergibt sich eine solche Lehre aus einem Erzeugnis, das auf den Markt gebracht wird, so muß der Fachmann auf sein allgemeines Fachwissen zurückgreifen, um Aufschluß über alle zur Herstellung dieses Erzeugnisses benötigten Informationen zu gewinnen. Wenn der Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand die Zusammensetzung oder innere Struktur des Erzeugnisses erschließen und dieses reproduzieren kann, gehören sowohl das Erzeugnis als auch seine Zusammensetzung oder innere Struktur zum Stand der Technik.”
Unter der Nummer 3 führte sie weiter aus:
“Ergänzend sei angemerkt, daß ein Handelsprodukt als solches implizit nichts offenbart, was über seine Zusammensetzung oder innere Struktur hinausgeht. Andere Merkmale, die sich nur zeigen, wenn das Erzeugnis in Wechselwirkung mit gezielt gewählten äußeren Bedingungen, z. B. Reaktanten oder ähnlichem, gebracht wird, um eine bestimmte Wirkung oder ein bestimmtes Ergebnis herbeizuführen oder mögliche Ergebnisse oder Fähigkeiten zu entdecken, weisen daher über das Erzeugnis als solches hinaus, weil sie von bewußten Auswahlentscheidungen abhängen. Typische Beispiele hierfür sind die Anwendung eines bekannten Stoffes oder Stoffgemisches als Arzneimittel (vgl. Art. 54 (5) EPÜ) und die auf einer neuen technischen Wirkung beruhende Verwendung eines bekannten Stoffes für einen bestimmten Zweck (vgl. G 2/88, ABl. EPA 1990, 93 und 469). Demnach können solche Merkmale nicht als der Öffentlichkeit bereits zugänglich gemacht gelten.”
In Übereinstimmung mit diesen Feststellungen in der Entscheidung G 1/92 gelangt die Kammer zu dem Schluß, daß die Bedruckbarkeit des Materials aus den Lieferungen G1, G2 und G3 keine Eigenschaft ist, die durch die bloße Auslieferung an Gerresheimer der Öffentlichkeit zugänglich wurde, weil es sich dabei eindeutig um ein nicht inhärentes Merkmal handelt, das eine Wechselwirkung mit gezielt gewählten äußeren Bedingungen erfordert.
In diesem Zusammenhang wird auch auf die Entscheidung T 267/92 vom 4. Juni 1996 (im ABl. EPA nicht veröffentlicht) verwiesen, in der festgestellt wurde, daß die Scherfestigkeit (SBSS – short-beam shear strength) eines faserverstärkten Verbundstoffs und die Zugfestigkeit sowie die Streckgrenze seines Matrixmaterials als nicht inhärente Eigenschaften anzusehen sind, weil sie von der Wechselwirkung mit einer äußeren Umgebung abhängen. Somit wurde befunden, daß ein Parameter, der ein Verhältnis der Werte dieser beiden Eigenschaften umfaßt, nicht unter die implizite Offenbarung einer Vorveröffentlichung fällt, die ansonsten die wesentlichen Merkmale des betreffenden Gegenstands offenbart (Nrn. 4.6.2 bis 4.7 der Entscheidungsgründe).
7.3.5 Aus der Schlußfolgerung unter der Nummer 7.3.3, wonach die bedruckten Etiketten aus den Materiallieferungen G1, G2 oder G3 nicht zu dem vor dem 14. Januar 1982 öffentlich zugänglichen Stand der Technik gehörten, und aus dem unter der Nummer 7.3.4 erörterten Sachverhalt, daß die Bedruckbarkeit dieses Materials vor diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht gemeinfrei war, folgt, daß einem Fachmann zum fraglichen Zeitpunkt keine Angaben über die Bedruckbarkeit des Materials aus den Lieferungen G1, G2 und G3 vorlagen.
7.3.6 Somit konnte das an Gerresheimer gelieferte Material den Fachmann, der die Bedruckbarkeit des aus der Entgegenhaltung 5 bekannten Laminats verbessern wollte, was auch zur Aufgabe der vorliegenden Erfindung gehörte (s. Nr. 6.1), nicht dazu anregen, das Ethylenpolymergemisch der nichtgeschäumten Schicht des Laminats gemäß der Entgegenhaltung 5 durch Polystyrol zu ersetzen oder dies zu versuchen.
7.3.7 Der weitere Aspekt der dem Gegenstand des Streitpatents zugrunde liegenden Aufgabe, nämlich die Bereitstellung einer glatten und ebenen Oberfläche der nichtzellulären Schicht des auf die Flaschen aufgeschrumpften Materials (s. wiederum Nr. 5.1), ist ebenfalls als nicht inhärentes Merkmal anzusehen, weil es nur in Wechselwirkung mit äußeren Bedingungen (Wärmeschrumpfen) ermittelt werden kann. Darüber hinaus bestehen – wie oben dargelegt – nach wie vor erhebliche Zweifel daran, daß Gerresheimer tatsächlich vor dem 14. Januar 1982 im Besitz von Etikettenmaterial war, das auf Flaschen aufgeschrumpft war.
Anhand des an die Beweisführung anzulegenden Kriteriums (Nr. 3.1) kommt die Kammer zu dem Schluß, daß die Oberflächeneigenschaften des auf Flaschen aufgeschrumpften Etikettenmaterials vor diesem Zeitpunkt nicht gemeinfrei waren.
Ein Fachmann wäre daher vor dem 14. Januar 1982 nicht in der Lage gewesen, dem Material aus den Lieferungen G1, G2 oder G3 irgendeinen Hinweis auf dessen mögliche Glätte und Ebenheit nach dem Aufschrumpfen auf Flaschen zu entnehmen.
7.3.8 Daraus folgt, daß das angeblich offenkundig vorbenutzte Material einen Fachmann, der alle produktbezogenen Aspekte der bestehenden Aufgabe lösen wollte, nicht dazu angeregt haben könnte, als Material für die nichtgeschäumten Schichten des betreffenden Laminats Polystyrol anstelle der aus der Entgegenhaltung 5 bekannten Ethylenpolymergemische zu verwenden.
Somit legt eine Kombination der Angaben zu diesen Merkmalen der Materiallieferungen G1, G2 und G3, die dem Fachmann gemäß Artikel 54 (2) EPÜ zugänglich waren, mit der Offenbarung im nächstliegenden Stand der Technik (Entgegenhaltung 5) den Gegenstand der unabhängigen Erzeugnisansprüche 1 und 11 des Streitpatents nicht nahe.
7.3.9 Dasselbe gilt auch für den unabhängigen Verfahrensanspruch 10, der – in Form von zweckgerichteten bzw. funktionellen Definitionen – dieselben wesentlichen Merkmale umfaßt wie die Ansprüche 1 und 11.
7.4 Damit ist keiner der oben dargelegten Einwände haltbar begründet, die die Beschwerdeführerin gegen die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 erhoben hat.
7.5 Dasselbe gilt für die Einwände gegen die Ansprüche 2 bis 10, 12 und 13, weil sie von den unabhängigen Ansprüchen 1 und 11 abhängen.
8. Insgesamt steht keiner der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten und durch Beweismittel gestützten Einwände der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form entgegen.
Somit ist die Beschwerde zurückzuweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.