http://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/recent/t920694dp1.html
Content reproduced from the Website of the European Patent Office as permitted by their terms of use.
European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1996:T069492.19960508 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 08 Mai 1996 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0694/92 | ||||||||
Anmeldenummer: | 84302533.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | C12N 15/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | – | ||||||||
Name des Anmelders: | Mycogen Plant Science | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Unilever N.V. Centerns Ungdomsförbund Sandoz Ltd. Monsanto Company Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. Koninklijk Kweekbedrijf en Zaadhandel D.J. van der Have B.V. Stichting Oppositie Plantoctrooi p/a Studium Generale Gen-Ethisches Netzwerk Godehard Graf Hoensbroech Die Grüne Alternative (Grüne) |
||||||||
Kammer: | 3.3.04 | ||||||||
Leitsatz: | 1. Ist eine Erfindung auf die tatsächliche Erzielung einer im Stand der Technik in der Theorie vorweggenommenen technischen Wirkung gerichtet, so ist sorgfältig abzuwägen zwischen dem tatsächlichen technischen Beitrag dieser Erfindung zum Stand der Technik einerseits und der Formulierung der Ansprüche andererseits, damit der gegebenenfalls gewährte Patentschutz gerecht und angemessen ist (s. Nr. 3 der Entscheidungsgründe). 2. Falls der Kern der beanspruchten Erfindung in der Erzielung einer bestimmten technischen Wirkung in verschiedenen Anwendungsbereichen mittels bekannter Techniken besteht und ernsthafte Zweifel bestehen, ob diese Wirkung ohne weiteres im gesamten beanspruchten Anwendungsbereich erzielt werden kann, können zur Stützung breiter Ansprüche umfangreiche technische Angaben und mehr als ein Beispiel notwendig sein. Breite Ansprüche sind also nicht zulässig, wenn der Fachmann nach Lektüre der Beschreibung nicht ohne weiteres in der Lage ist, die Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand und ohne erfinderisches Zutun im gesamten beanspruchten Bereich auszuführen (s. Nrn. 5 und 19 der Entscheidungsgründe). |
||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Hauptantrag – Stützung durch die Beschreibung (verneint) Ausreichende Offenbarung (verneint) Hilfsantrag 1 – Stützung durch die Beschreibung (verneint) Ausreichende Offenbarung (verneint) Hilfsantrag 2 – unzulässige Änderung (bejaht) Hilfsantrag 3 – Stützung durch die Beschreibung (bejaht) – angemessene Verallgemeinerung Ausreichende Offenbarung (bejaht) Neuheit (bejaht) Erfinderische Tätigkeit (bejaht) – keine guten Erfolgsaussichten |
||||||||
Orientierungssatz: |
– |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 0 122 791 wurde am 29. März 1989 mit zwanzig Ansprüchen für elf Vertragsstaaten erteilt. Ihm lag die europäische Patentanmeldung Nr. 84 302 533.9 zugrunde, für die die Priorität einer US-Anmeldung vom 15. April 1983 in Anspruch genommen wurde.
II. Gegen die Erteilung des Patents wurde von elf Parteien (den Einsprechenden 1 bis 11) Einspruch eingelegt, die den teilweisen bzw. vollständigen Widerruf des Patents wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und unzureichender Offenbarung sowie wegen Verstoßes gegen die Artikel 52 (2) a) und 53 EPÜ beantragten. Der Einspruch der Einsprechenden 9 galt als nicht eingelegt, weil die Einspruchsgebühr nicht entrichtet wurde. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung führten die Beteiligten zahlreiche Entgegenhaltungen an; insbesondere seien folgende Dokumente (unter Beibehaltung der von der Einspruchsabteilung verwendeten Numerierung) genannt:
III. Am 5. Juni 1992 erließ die Einspruchsabteilung eine Zwischenentscheidung gemäß Artikel 106 (3) EPÜ, mit der das Patent auf der Grundlage der am 31. März 1992 eingereichten Ansprüche 1 bis 11 in geänderter Form aufrechterhalten wurde.
Die Ansprüche 1, 10 und 11 lauteten dabei wie folgt:
“1. Verfahren zur genetischen Modifizierung einer Pflanzenzelle, das folgende Schritte umfaßt:
a) Einsetzen eines einen Pflanzenpromotor und ein pflanzliches Strukturgen umfassenden Pflanzengens in T-DNA, wodurch eine Kombination aus T-DNA und Pflanzengen gebildet wird, wobei der Pflanzenpromotor dem 5′-Ende des pflanzlichen Strukturgens benachbart ist und das pflanzliche Strukturgen in Transkriptionsrichtung stromabwärts des Pflanzenpromotors liegt; und
b) Übertragen der Kombination aus T-DNA und Pflanzengen in eine Pflanzenzelle, so daß Expression des von diesem pflanzlichen Strukturgen codierten Proteins in der genannten Pflanzenzelle feststellbar ist.
10. Pflanzenzelle, hergestellt nach dem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 9.
11. Pflanze oder pflanzliches Gewebe, gezüchtet aus einer Pflanzenzelle nach Anspruch 10.”
Die abhängigen Ansprüche betrafen bestimmte Ausführungsarten des Verfahrens gemäß Anspruch 1.
IV. Nach Auffassung der Einspruchsabteilung war die Entgegenhaltung 5a für diese Ansprüche nicht neuheitsschädlich. … Hinsichtlich der weiteren Einspruchsgründe (Einwände nach Artikel 52 (2) a), 53 und 83 EPÜ) sah die Einspruchsabteilung keine Kollision mit den Erfordernissen des EPÜ.
V. Gegen diese Entscheidung wurde von sechs Parteien (den Einsprechenden 1 bis 4, 6 und 8) Beschwerde eingereicht. Die Einsprechende 6 nahm ihre Beschwerde später zurück. Die Einsprechenden 1 bis 4 und 8 sind die Beschwerdeführer I bis IV und V.
VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) reichte eine Stellungnahme zur Beschwerdebegründung der Beschwerdeführer ein, der die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Ansprüche zugrunde lagen.
VIII. Am 7. und 8. Mai 1996 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Beschwerdegegnerin die vier zuvor eingereichten Hilfsanträge durch drei neue Hilfsanträge ersetzte. Darüber hinaus reichte sie in Zusammenhang mit dem neuen Hilfsantrag 3 eine geänderte Seite 9 der Beschreibung ein.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet wie folgt:
“Verfahren zur genetischen Modifizierung einer dikotylen Pflanzenzelle, das folgende Schritte umfaßt:
a) Einsetzen eines einen dikotylen Pflanzenpromotor und ein dikotyles pflanzliches Strukturgen umfassenden Pflanzengens in T-DNA, wodurch eine Kombination aus T-DNA und Pflanzengen gebildet wird, wobei der Pflanzenpromotor dem 5′-Ende des pflanzlichen Strukturgens benachbart ist und das pflanzliche Strukturgen in Transkriptionsrichtung stromabwärts des Pflanzenpromotors liegt; und
b) Übertragen der Kombination aus T-DNA und Pflanzengen in eine Pflanzenzelle, so daß Expression des von diesem pflanzlichen Strukturgen codierten Proteins in der genannten Pflanzenzelle feststellbar ist.”
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 lautet wie folgt:
“Verfahren zur genetischen Modifizierung einer dikotylen Pflanzenzelle, das folgende Schritte umfaßt:
a) Einsetzen eines einen Phaseolin-Promotor und ein pflanzliches Strukturgen umfassenden Pflanzengens in T-DNA, wodurch eine Kombination aus T-DNA und Pflanzengen gebildet wird, wobei der Promotor dem 5′-Ende des pflanzlichen Strukturgens benachbart ist und das pflanzliche Strukturgen in Transkriptionsrichtung stromabwärts des Pflanzenpromotors liegt; und
b) Übertragen der Kombination aus T-DNA und Pflanzengen in eine dikotyle Pflanzenzelle, so daß Expression des von diesem pflanzlichen Strukturgen codierten Proteins in der genannten Pflanzenzelle feststellbar ist.”
Die Ansprüche 1 und 7 gemäß Hilfsantrag 3 lauten wie folgt:
“Verfahren zur genetischen Modifizierung einer dikotylen Pflanzenzelle, das folgende Schritte umfaßt:
a) Einsetzen eines einen Phaseolin-Promotor und ein Phaseolin-Strukturgen umfass enden Pflanzengens in T-DNA, wodurch eine Kombination aus T-DNA und Pflanzengen gebildet wird, wobei der Promotor dem 5′-Ende des Strukturgens benachbart ist und das Strukturgen in Transkriptionsrichtung stromabwärts des Pflanzenpromotors liegt; und
b) Übertragen der Kombination aus T-DNA und Pflanzengen in eine dikotyle Pflanzenzelle, so daß Expression des von diesem pflanzlichen Strukturgen codierten Proteins in der genannten Pflanzenzelle feststellbar ist.
7. Pflanzenzelle, hergestellt nach dem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6.”
Dieser Antrag enthält keinen auf eine Pflanze gerichteten Anspruch mehr (s. Anspruch 11 unter Nr. III).
IX. Die Beschwerdeführerin V wandte sich speziell gegen die Zulässigkeit der drei Hilfsanträge nach Artikel 123 (2) EPÜ …
Bezüglich der Erfordernisse Deutlichkeit, Stützung durch die Beschreibung und ausreichende Offenbarung (Artikel 83 und 84 EPÜ) führten die Beschwerdeführerinnen im wesentlichen folgendes an:
Hinsichtlich der Neuheit trugen die Beschwerdeführerinnen vor, daß …
Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit brachten die Beschwerdeführerinnen im wesentlichen vor, daß …
X. In bezug auf die Zulässigkeit der Hilfsanträge nach Artikel 123 (2) EPÜ erklärte die Beschwerdegegnerin …
Hinsichtlich der Erfordernisse Deutlichkeit, Stützung durch die Beschreibung und ausreichende Offenbarung (Artikel 83 und 84 EPÜ) argumentierte die Beschwerdegegnerin im wesentlichen wie folgt:
Hinsichtlich der Neuheit brachte die Beschwerdegegnerin vor, daß …
Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit argumentierte die Beschwerdegegnerin, daß …
XI. Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerden oder hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents a) mit den Ansprüchen 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag 1 oder b) mit den Ansprüchen 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag 2 oder c) mit den Ansprüchen 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 3 sowie mit der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten geänderten Seite 9 der Beschreibung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden sind zulässig.
Hauptantrag
2. Gegen diesen Antrag wurden von den Beschwerdeführerinnen keine Einwände nach Artikel 123 (2) und (3) EPÜ vorgebracht. …
3. Der vorliegende Fall ist ein typisches Beispiel für den – speziell bei biotechnologischen Erfindungen – nicht ungewöhnlichen Fall, daß der Beitrag der in einem Patent oder einer Patentanmeldung offenbarten Erfindung zum Stand der Technik in der tatsächlichen Erzielung einer im Stand der Technik in der Theorie vorweggenommenen technischen Wirkung besteht. In einem solchen Fall ist sorgfältig abzuwägen zwischen dem tatsächlichen technischen Beitrag der im Patent bzw. der Patentanmeldung offenbarten Erfindung zum Stand der Technik einerseits und der Formulierung der Ansprüche andererseits, damit der gegebenenfalls gewährte Patentschutz gerecht und angemessen ist. Auf diese Notwendigkeit eines gerechten und angemessenen Schutzes wurde bereits in mehreren Entscheidungen der Beschwerdekammern hingewiesen (s. beispielsweise T 292/85 und T 301/87, ABl. EPA 1990, 335). Der Beschwerdekammer erscheint eine Betrachtung der Korrelation zwischen den Erfordernissen der Artikel 84, 83 und 56 EPÜ angebracht, um im vorliegenden Fall zu einem ausgewogenen Verhältnis zu gelangen.
4. Nach Artikel 84 EPÜ ist der Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, in den Patentansprüchen anzugeben, wobei die Ansprüche deutlich, knapp gefaßt und von der Beschreibung gestützt sein müssen. Damit muß ein Anspruch nicht nur eindeutig und verständlich sein, sondern auch alle wesentlichen Merkmale der beanspruchten Erfindung enthalten, die ja zur Erzielung der gewünschten Wirkung erforderlich sind (s. beispielsweise T 32/82, ABl. EPA 1984, 354 und T 1055/92, ABl. EPA 1995, 214). Die wesentlichen technischen Merkmale können auch funktionell definiert werden, wenn sie ohne Einschränkung des Schutzumfanges des Anspruchs anders nicht objektiv präziser umschrieben werden können und wenn sie dem Fachmann eine ausreichend klare technische Lehre offenbaren, die er ohne unzumutbaren Aufwand, d. h. ohne Durchführung von Versuchen über das übliche Maß hinaus, und ohne erfinderisches Zutun umsetzen kann (s. beispielsweise T 68/85). Zwar kann Artikel 84 EPÜ nicht als Einspruchsgrund im Sinne von Artikel 100 EPÜ geltend gemacht werden; dennoch kann er eine geeignete Handhabe für den Widerruf eines Patents bieten, wenn Einwände in bezug auf Deutlichkeit oder Stützung durch die Beschreibung auf Änderungen des erteilten Patents zurückgehen (s. G 10/91, ABl. EPA 1993, 420, Nr. 19 der Entscheidungsgründe). Fragen der Deutlichkeit oder der Stützung durch die Beschreibung können zudem auch bei der Entscheidung über die Erfordernisse des Artikels 100 EPÜ wie Neuheit (Artikel 54 EPÜ), erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) und ausreichende Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) eine Rolle spielen (s. beispielsweise T 435/91, ABl. EPA 1995, 188 und T 626/91 vom 5. April 1995).
5. Nach Artikel 83 EPÜ muß eine Erfindung so deutlich und vollständig offenbart werden, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Wie aus der Entscheidung T 409/91 (ABl. EPA 1994, 653, s. insbesondere Nrn. 3.3 bis 3.5 der Entscheidungsgründe) hervorgeht, ist der Umfang der ausreichenden Offenbarung einer Erfindung für die Frage der Stützung durch die Beschreibung im Sinne von Artikel 84 EPÜ von entscheidender Bedeutung, weil beide Erfordernisse denselben allgemeinen Grundsatz widerspiegeln, wonach der Umfang eines erteilten Patents seinem technischen Beitrag zum Stand der Technik entsprechen muß.
Somit können Ansprüche, die zwar in rein formaler Hinsicht durch die Beschreibung gestützt sind, als unzulässig erachtet werden, wenn sie Gegenstände umfassen, die anhand der Offenbarung in der Beschreibung nur mit unzumutbarem Aufwand oder erfinderischem Zutun ausgeführt werden können. Für den Umfang der für eine ausreichende Offenbarung erforderlichen technischen Angaben kommt es darauf an, welche Korrelation besteht zwischen der Sachlage im jeweiligen Einzelfall und verschiedenen allgemeinen Parametern, beispielsweise dem Gebiet der Technik, dem Datum der Offenbarung und dem einschlägigen allgemeinen Fachwissen oder dem Umfang der in einem Dokument offenbarten zuverlässigen technischen Einzelheiten (s. Entscheidung T 158/91 vom 30. Juli 1991).
In bestimmten Fällen könnte die Beschreibung eines Wegs zur Ausführung der beanspruchten Erfindung ausreichend sein, um breite Ansprüche mit funktionell definierten Merkmalen zu stützen, beispielsweise wenn die Offenbarung einer neuen Technik den Kern der Erfindung darstellt und die Beschreibung eines Wegs zu ihrer Ausführung den Fachmann in die Lage versetzt, dieselbe Wirkung der Erfindung durch Verwendung geeigneter Varianten der Merkmale der Komponenten ohne unzumutbaren Aufwand in einem weit gefaßten Bereich zu erzielen (s. T 292/85). In anderen Fällen können zur Stützung breiter Ansprüche weitere technische Angaben und mehr als ein Beispiel notwendig sein, beispielsweise wenn der Kern der Erfindung in der Erzielung einer bestimmten technischen Wirkung in verschiedenen Anwendungsbereichen mittels bekannter Techniken besteht und ernsthafte Zweifel bestehen, ob diese Wirkung ohne weiteres im gesamten beanspruchten Anwendungsbereich erzielt werden kann (s. T 612/92 vom 28. Februar 1996). In all diesen Fällen gilt jedoch der Grundsatz, daß der Fachmann nach Lektüre der Beschreibung ohne weiteres in der Lage sein muß, die Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand und ohne erfinderisches Zutun im gesamten beanspruchten Bereich auszuführen (s. T 409/91 und T 435/91). Dagegen müssen für den Einwand unzureichender Offenbarung in dieser Hinsicht ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen; siehe dazu T 19/90 (ABl. EPA 1990, 476, Nr. 3.3 der Entscheidungsgründe).
6. Nach Artikel 56 EPÜ darf sich die beanspruchte Erfindung, d. h. die vorgeschlagene technische Lösung für eine bestimmte technische Aufgabe, für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben. Beruht die erfinderische Tätigkeit einer beanspruchten Erfindung auf einer bestimmten technischen Wirkung, so muß sich diese grundsätzlich im gesamten beanspruchten Bereich erzielen lassen (s. beispielsweise T 939/92, ABl. EPA 1996, 309).
7. Für die Zwecke der Artikel 56 und 83 EPÜ ist vom Fachmann in zwei unterschiedlichen Ausgangssituationen der gleiche Wissensstand zugrunde zu legen (s. T 60/89, ABl. EPA 1992, 268): Während er bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur den Stand der Technik heranzieht, berücksichtigt er bei der Beurteilung der ausreichenden Offenbarung (und somit der Stützung durch die Beschreibung) den Stand der Technik wie auch die offenbarte Erfindung.
8. Aus den obigen Ausführungen wird deutlich, wie eng verknüpft und wie wichtig die Fragen der Stützung der Ansprüche, der ausreichenden Offenbarung und der erfinderischen Tätigkeit in Fällen wie dem vorliegenden sind, wo es besonders schwierig ist, ein ausgewogenes Verhältnis herzustellen zwischen der Breite der Ansprüche und dem tatsächlichen Beitrag der Offenbarung des Streitpatents zum Stand der Technik.
9. Im vorliegenden Fall stellt die Entgegenhaltung 5a den nächstliegenden Stand der Technik dar. Dieses Dokument ist die Mitschrift einer vor dem Prioritätstag erfolgten mündlichen Offenbarung von Dr. J. D. Kemp. Diese Offenbarung umfaßte unter anderem die Herstellung eines T-DNA enthaltenden DNA-Vektors, in den “das vollständige Phaseolin-Gen mit seinen eigenen Promotorbereichen” eingesetzt wurde (s. S. 4, Zeilen 7 und 8). Darüber hinaus erklärte Dr. Kemp: “Aber wie Sie wissen, wurde dies mittlerweile von einer ganzen Reihe von Personen getan, und niemand hat ein mit dem endogenen Promotor verknüpftes funktionales Gen nachgewiesen” (s. S. 4, Zeilen 8 bis 10). Zwar ist nicht sofort ersichtlich, auf welche Berichte Dr. Kemp sich bezog; im Stand der Technik war aber bekannt, daß frühere Versuche, eine Vielzahl von Bakterien-, Hefe- und Tiergenen in Pflanzenzellen zu übertragen, nicht zur Expression der Fremdgene führten, weil deren Kontrollsequenzen vom Pflanzenapparat nicht erkannt wurden (s. Entgegenhaltung 31). Dr. Kemp wies darauf hin, daß er über den letzten Versuch nicht berichten könne, weil “er noch nicht abgeschlossen ist” (s. S. 4, Zeilen 3 und 4). Wie der Entgegenhaltung 5a (s. S. 3 bis 4) zu entnehmen ist, soll dabei ermittelt werden, ob Transkription und Translation in Pflanzenzellen stattfinden, in die ein Vektor übertragen wurde.
10. Aus der Beschreibung des Streitpatents geht hervor, daß in den Beispielen 1 und 2 von der erfolgreichen Expression nachweisbarer Mengen (durchschnittlich 10 ng pro Gramm Gewebe/Frischgewicht) von Phaseolin in Sonnenblumenpflanzenzellen berichtet wurde, in die die DNA-Codierungssequenz mit ihrem eigenen Promotor mittels eines T-DNA-Vektors übertragen wurde. In Beispiel 3 wird von Manipulationen des Phaseolin-Gens und in Beispiel 4 von der Entfernung von Introns aus diesem Gen berichtet. In den Beispielen 5 bis 8 werden mutierte Ti-Plasmide beschrieben. In den Beispielen 9 und 10 wird allgemein auf die Regeneration von Pflanzen aus Karotten- bzw. Tabaktumoren ohne jeden Verweis auf ein dort exprimiertes Fremdgen verwiesen. Das Beispiel 11 bezieht sich auf das Einsetzen eines exprimierbaren Phaseolin-Gens in regenerierte Alfalfapflanzen, nennt aber keine konkreten Versuchsdaten. In Beispiel 12 geht es allgemein um Techniken für die Extraktion, die Fraktionierung und den Nachweis von RNA. Das Beispiel 13 handelt von Micro-ELISA-Tests zum Nachweis von Phaseolin. Das Beispiel 14 schließlich beschreibt die Durchführung triparentaler Paarungen.
11. Der tatsächliche technische Beitrag der Offenbarung des Streitpatents zum Stand der Technik besteht im wesentlichen darin, daß experimentelle Ergebnisse für die Übertragung und die Expression einer für Phaseolin codierenden DNA-Sequenz unter der Kontrolle des eigenen Promotors in Pflanzenzellen geliefert werden. Mit anderen Worten: Nicht eine neue allgemeine Technik zur Expression eines pflanzlichen Strukturgens in einer Pflanzenzelle ist der technische Beitrag, sondern der erfolgreiche Abschluß des von Dr. Kemp in seinem mündlichen Vortrag angekündigten Versuchs, mit dem die Wirkung der Übertragung der bekannten Vektorkonstruktion mit dem Phaseolin-Gen und seinen eigenen Promotorbereichen in Pflanzenzellen getestet wird (s. Nr. 9). Mit Bezug auf den Stand der Technik wird in der Beschreibung angegeben, wie aus diesen Zellen die Pflanzenregeneration erfolgen kann. Die speziellen Lehren der Beispiele werden dann in der Beschreibung verallgemeinert, wo es heißt: “Die Erfindung bezieht sich im Prinzip auf das beliebige Einsetzen von Pflanzengenen in eine beliebige Pflanzenart, in die T-DNA eingeschleust werden und in der T-DNA stabil repliziert bleiben kann. Im allgemeinen umfassen diese Arten dikotyle Pflanzen, sind aber nicht auf diese beschränkt …” (s. S. 8, Zeilen 51 bis 54). Auf Seite 9, Zeilen 3 bis 17 der Beschreibung ist auch angeführt, daß Promotor und Strukturgen von ein und derselben Pflanze oder von verschiedenen Pflanzen stammen können, daß sich ein Pflanzengen strangabwärts seines eigenen Promotors oder eines anderen Pflanzenpromotors befinden kann und daß der Promotor und die Codierungsbereiche auch natürlich oder künstlich herbeigeführte Modifikationen oder durch chemische Synthese entstandene Segmente enthalten können. Dafür werden aber keine Beispiele angeführt.
12. Der strittige Anspruch 1 ist generell auf ein Verfahren zur genetischen Modifizierung einer Pflanzenzelle gerichtet, indem in diese Zelle eine Kombination aus T-DNA mit Pflanzenpromotor und Pflanzengen übertragen wird, so daß Expression des von diesem pflanzlichen Strukturgen codierten Proteins in der genannten Pflanzenzelle feststellbar ist (Merkmal “so daß …”). Außer dem selbstverständlichen Hinweis, daß der Pflanzenpromotor dem 5′-Ende des Strukturgens benachbart ist, das in Transkriptionsrichtung stromabwärts des Promotors liegt (s. Buchstabe a), enthält der Anspruch keine konkreten Angaben zur strukturellen Anordnung der Kombination aus T-DNA mit Pflanzenpromotor und Pflanzengen. Somit entnimmt der Fachmann dem Anspruch im wesentlichen die Anweisung, einen DNA-Vektor wie den in der Entgegenhaltung 5a offenbarten (s. Nr. 9) in eine Pflanzenzelle zu übertragen, “so daß Expression des von diesem pflanzlichen Strukturgen codierten Proteins in der genannten Pflanzenzelle feststellbar ist”. Da keinerlei Einschränkung in bezug auf die Art der Pflanzenzelle, des Pflanzengens oder des Pflanzenpromotors vorgenommen wurde, ist der Anspruch somit auf ein Verfahren gerichtet, das in einem größeren Anwendungsbereich zum gewünschten Ergebnis führen soll (s. das Merkmal “so daß”). Mit anderen Worten erfährt der Fachmann, daß Patentschutz für alle Fälle beansprucht wird, in denen die Expression eines beliebigen Pflanzengens nachgewiesen wird, das mit seinem eigenen Promotor oder irgendeinem anderen Pflanzenpromotor mittels eines T-DNA-Vektors auf eine bekann te Weise in eine beliebige Pflanzenzelle übertragen wurde.
13. Dieser weit gefaßte Anspruch wird durch die allgemeinen Angaben in der Beschreibung in der Tat formal gestützt (s. Nr. 11). Es stellt sich aber die Frage, ob der Fachmann am Prioritätstag auf der Grundlage der Beschreibung des Streitpatents (s. Nr. 10) sowie des Stands der Technik in der Lage gewesen wäre, das Verfahren im gesamten beanspruchten Anwendungsbereich durchzuführen, ohne an einen Punkt zu gelangen, wo er die technische Wirkung trotz angemessener Bemühungen in einigen Anwendungsbereichen nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand erzielt hätte.
14. Im vorliegenden Fall ist aus folgenden Gründen fein abzuwägen:
– Wenn die Erzielung der technischen Wirkung (Expression) das zwangsläufige Ergebnis der technischen Maßnahme darstellt, ein pflanzliches Strukturgen in einen T-DNA-Vektor einzusetzen, der einem Pflanzenpromotor benachbart ist und stromabwärts von ihm liegt, dann könnte die Stützung mittels eines einzigen Beispiels für ausreichend erachtet werden; eine solche Sicht wäre aber wenig stichhaltig, weil die Maßnahme bereits in der Entgegenhaltung 5a explizit, wenn auch nur als Prognose angekündigt wurde.
– Wenn die Erzielung der technischen Wirkung aber keineswegs sicher ist – vor allem in anderen Anwendungsbereichen, als dem im Beispiel angegebenen – und unter Umständen mehr Aufwand erfordert als das bloße Einsetzen eines pflanzlichen Strukturgens stromabwärts eines Pflanzenpromotors, dann ließe sich dies als spezifischer Beitrag zwar möglicherweise in Erwägung ziehen; zur Stützung eines Anspruchs, der den gesamten Anwendungsbereich abdeckt, wären aber zusätzliche technische Angaben erforderlich.
15. Die Beschwerdekammer nimmt zur Kenntnis, daß die Beschwerdegegnerin bei der Begründung der erfinderischen Tätigkeit (s. Nr. X) vorgebracht hat, es habe eines größeren Forschungsaufwands bedurft, um zu testen, ob die in der Entgegenhaltung 5a offenbarte Vektorkonstruktion die Expression von Phaseolin bewirken konnte. Auch wenn dies trotz der bereits in der Entgegenhaltung 5a enthaltenen ausdrücklichen Hinweise tatsächlich der Fall ist, müssen ernsthafte Zweifel angemeldet werden, ob der bloße Abschluß des von Dr. Kemp angekündigten Versuchs, der ja den eigentlichen Beitrag des Streitpatents zum Stand der Technik darstellt (s. Nr. 11), bereits zur Stützung eines Anspruchs mit einem derart breiten Anwendungsbereich wie dem des Anspruchs 1 ausreicht. Es ist nämlich durchaus zu erwarten, daß ein Fachmann vor ähnlichen Schwierigkeiten stünde, wenn er dieselbe technische Wirkung über das gesamte beanspruchte Spektrum verschiedener Kombinationen von pflanzlichen Strukturgenen und Pflanzenpromotoren erzielen wollte. Diese umfassen ja nicht nur geeignete Varianten der in den Beispielen angeführten Merkmale der Komponenten, also z. B. Varianten des Phaseolin-Gens bzw. des Phaseolin-Promotors, sondern auch eine Fülle strukturell und funktionell unterschiedlicher Gebilde wie pflanzliche Strukturgene, die für ein anderes Protein als Phaseolin codieren, andere Promotoren als den Phaseolin-Promotor oder aber technische Voraussetzungen, z. B. monokotyle oder andere dikotyle Pflanzen, bei denen – anders als bei dem angeführten spezifischen Beispiel mit Phaseolin und seinem eigenen Promotor – nach wie vor Schwierigkeiten oder Ungewißheit bezüglich der Erzielung der beanspruchten technischen Wirkung bestehen. Die Bestätigung, daß sich bei Phaseolin mit seinem eigenen Promotor ein Erfolg einstellt, muß für den Fachmann, der dieselbe Wirkung mit völlig anderen Kombinationen aus Pflanzengen und Promotor erzielen möchte, nicht unbedingt von Nutzen sein.
16. Die obigen Überlegungen werden durch spätere Beweismittel in der Akte bestätigt. So zeigt beispielsweise die Entgegenhaltung 36, daß nach der Übertragung eines monokotylen Gens (Zein), das innerhalb der das 5′-Ende flankierenden Bereiche ausreichende Informationen für eine direkte Transkription enthielt, mittels T-DNA in Sonnenblumenzellen (dikotylen Pflanzenzellen) trotz des Vorhandenseins von mRNA kein Protein nachgewiesen werden konnte (s. insbesondere S. 379, letzter Absatz, und S. 380). Auch in der kurz nach dem hier maßgeblichen Prioritätstag veröffentlichten Entgegenhaltung 38 wird berichtet, daß Versuche zur Expression beispielsweise eines für Leghämoglobin codierenden Pflanzengens in Tabakzellen mittels Ti-Plasmid-Genvektoren erfolglos blieben, und zwar wahrscheinlich deshalb, weil die Transkriptionssignale (Promotorsequenzen) nicht erkannt wurden (s. insbesondere S. 209, letzter Absatz).
17. In einem technisch ähnlich gelagerten Fall eines Patents mit Gattungsansprüchen, die auf ein Verfahren zur Einschleusung fremder DNA in das Genom monokotyler Pflanzen mittels T-DNA gerichtet waren, entschied die damals zuständige Beschwerdekammer, daß die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt seien, weil ernsthafte Zweifel bestünden, ob ein solches Verfahren im gesamten beanspruchten Bereich – nämlich mit jeder beliebigen monokotylen Pflanze – durchgeführt werden könne (s. T 612/92).
18. Zusammenfassend ist folgendes anzumerken:
a) Die genetische Modifizierung von Pflanzenzellen mit dem Ziel einer Expression übertragener Fremdgene in nachweisbarem Umfang war am Prioritätstag des Streitpatents noch wenig ausgereift und mit einer Reihe von Unklarheiten und Schwierigkeiten konfrontiert, z. B. was die Stabilität von Fremd-DNA in T-DNA und im Pflanzengenom, das Vorhandensein von Introns, die Stabilität der Proteine oder Auswirkungen von Kontrollen der Regulation anging (s. Entgegenhaltung 5a, insbesondere S. 1).
b) Das Streitpatent hat zwar die Richtigkeit der technischen Angaben in der Entgegenhaltung 5a bestätigt und ein Beispiel für die erfolgreiche Expression von Phaseolin in Pflanzenzellen nach der Übertragung einer für Phaseolin codierenden DNA mit eigenem Promotor mittels T-DNA geliefert, die unter a) aufgeführten Schwierigkeiten und Unklarheiten aber nicht generell gelöst. So hat es nicht glaubhaft gemacht, daß bei einem analogen Vorgehen mit einer beliebigen Kombination eines beliebigen pflanzlichen Strukturgens mit einem beliebigen Pflanzenpromotor routinemäßig in jeder anderen Pflanzenzelle dieselbe Wirkung erzielt würde. Das Streitpatent bürdet es voll und ganz dem Fachmann auf, herauszufinden und zu erproben, ob und wie die Übertragung einer solchen Kombination in eine Pflanzenzelle so erfolgen kann, daß die Expression des vom pflanzlichen Strukturgen codierten Proteins in dieser Pflanzenzelle nachweisbar ist. Angesichts dieser Sachlage ist das Merkmal “so daß …” in Anspruch 1 lediglich als Aufforderung zur Durchführung einer Forschungsreihe zur Ermittlung der Kombinationen anzusehen, die im Erfolgsfalle vom Umfang des Anspruchs gedeckt wären (s. T 435/91, insbesondere Nr. 2.2.1 der Entscheidungsgründe).
c) So zeigen auch spätere Veröffentlichungen (s. Nr. 16), daß die Übertragung von Fremd-DNA mittels T-DNA in bestimmte Klassen von Pflanzen, z. B. monokotyle Pflanzen, und die Expression des übertragenen Gens unter eigener Kontrolle weitgehend empirisch waren, also einen erheblichen Versuchsaufwand erforderten und mit einem hohen Fehlschlagsrisiko behaftet waren.
19. Angesichts dieser Überlegungen befand die Kammer, daß die Versuchsdaten und die technischen Angaben in der Beschreibung des Streitpatents für den Fachmann nicht ausreichen, um die technische Wirkung der Expression eines beliebigen pflanzlichen Strukturgens in einer beliebigen Pflanzenzelle unter der Kontrolle eines beliebigen Pflanzenpromotors zuverlässig und ohne unzumutbaren Aufwand zu erzielen, und daß sie somit einen breiten Anspruch wie den vorliegenden Anspruch 1, der auf ein solches Verfahren gerichtet ist, nicht ausreichend stützen.
20. Aus diesen Gründen wird der Hauptantrag mit dem Anspruch 1 auf der Grundlage der Artikel 83 und 84 EPÜ zurückgewiesen.
Hilfsantrag 1
21. Im Vergleich zum Anspruch 10 in der ursprünglich erteilten Fassung des Patents enthält der Anspruch 1 gemäß diesem Antrag neben dem Merkmal “so daß …” (s. Nr. 2) eine Beschränkung des Verfahrens auf die Modifizierung einer dikotylen Pflanzenzelle durch Übertragen eines dikotylen Pflanzenpromotors mit einem dikotylen pflanzlichen Strukturgen. Nach Auffassung der Kammer schränkt diese Änderung den Schutzbereich gegenüber den Ansprüchen in der erteilten Fassung ein, so daß kein Einwand nach Artikel 123 (3) EPÜ zu erheben ist. Außerdem läßt sich die Grundlage für diese Änderung nach Auffassung der Kammer aus Seite 15 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung – wo speziell auf ein beliebiges Einsetzen von Pflanzengenen in beliebige Pflanzenarten einschließlich dikotyler Pflanzen verwiesen wird – in Verbindung mit der Passage von Seite 15 bis Seite 16 der Beschreibung mit der Definition des Begriffs “Pflanzengen” herleiten. Mit der fraglichen Änderung wird also kein Gegenstand eingeführt, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, so daß sich kein Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ ergibt.
22. Die Beschränkung des Anspruchs 1 dieses Antrags auf eine dikotyle Pflanzenzelle, in die ein dikotyler Pflanzenpromotor mit einem dikotylen pflanzlichen Strukturgen übertragen wird, räumt die bezüglich des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags vorgebrachten Einwände nach Artikel 83 und 84 EPÜ nicht aus, weil die Beschreibung des Verfahrens zur Erzielung eines nachweisbaren Umfangs an Expression für das Phaseolin-Gen mit seinem eigen en Promotor den Fachmann aus den oben genannten Gründen (s. Nrn. 3 bis 19) nicht in die Lage versetzt, die Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand im gesamten beanspruchten Bereich auszuführen, d. h. eine beliebige dikotyle Pflanzenzelle genetisch zu modifizieren, indem in sie ein beliebiges dikotyles pflanzliches Strukturgen unter der Kontrolle eines beliebigen dikotylen Pflanzenpromoters eingesetzt wird.
23. Aus diesen Gründen ist auch der Hilfsantrag 1 auf der Grundlage der Bestimmungen der Artikel 83 und 84 EPÜ zurückzuweisen.
Hilfsantrag 2
Hilfsantrag 3
25. Im Vergleich zum Anspruch 10 in der erteilten Fassung enthält der Anspruch 1 gemäß diesem Antrag neben dem Merkmal “so daß …” (s. Nr. 2) eine Beschränkung des Verfahrens auf die Modifizierung einer dikotylen Pflanzenzelle durch die Übertragung eines Phaseolin-Promotors mit einem Phaseolin-Strukturgen. Durch die se Änderung wird der Schutzbereich gegenüber den Ansprüchen in der erteilten Fassung eingeschränkt, so daß kein Einwand nach Artikel 123 (3) EPÜ zu erheben ist. Die Kombination des Phaseolin-Strukturgens mit seinem eigenen Promotor ist in den Beispielen der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart (s. Beispiel 1). Auf Seite 13 dieser Anmeldung wird auch auf die molekulare Homologie von Phaseolin und auf Seite 16 auf natürlich oder künstlich herbeigeführte Modifizierungen der Promotor- bzw. Codierungsbereiche von Pflanzengenen hingewiesen. Dies stellt eine direkte und eindeutige Stützung nicht nur für die Kombination eines bestimmten Phaseolin-Strukturgens mit seinem Promotor dar, sondern auch für zahlreiche Kombinationen von Varianten der beiden Komponenten. Aus diesen Gründen wird die Auffassung vertreten, daß die betreffenden Änderungen keinen Gegenstand hinzufügen, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, so daß kein Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ zu erheben ist.
26. Die Beschränkung des Anspruchs 1 dieses Antrags auf eine dikotyle Pflanzenzelle, in die ein Phaseolin-Promotor mit einem Phaseolin-Strukturgen übertragen wird, gewährleistet, daß der Gegenstand dieses Anspruchs die Erfordernisse der Artikel 83 und 84 EPÜ erfüllt. So erhält der Fachmann in der Beschreibung, wie für das Phaseolin-Gen mit seinem eigenen Promotor eine Expression in nachweisbarem Umfang erzielt wurde, eine ausreichende Anleitung, um die in Anspruch 1 beanspruchte Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand auszuführen und dieselbe technische Wirkung, gegebenenfalls auch mit geeigneten Varianten der betreffenden Komponenten, zuverlässig zu erzielen (z. B. Varianten des Phaseolin-Gens oder des Phaseolin-Promotors) (s. T 292/85; s. obige Nr. 5). Nach Auffassung der Kammer sind die technischen Gegebenheiten im Falle von Varianten des Phaseolin-Gens und -Promotors – anders als bei anderen Genen und Promotoren – so ähnlich, daß es glaubhaft ist, daß die beanspruchte Erfindung in diesem Rahmen routinemäßig ausgeführt werden kann. Angesichts des Beitrags des Streitpatents zum Stand der Technik erscheint eine solche Verallgemeinerung der Beschwerdekammer als angemessen.
27. Dr. J. D. Kemp verwies in seiner mündlichen Offenbarung (s. Entgegenhaltung 5a) zwar auf die Konstruktion aus einem DNA-Vektor mit T-DNA, in die “das vollständige Phaseolin-Gen einschließlich seiner Promotorbereiche” eingesetzt wurde (s. S. 4, Zeile 7 und 8; vgl. Merkmal a des Anspruchs 1), erklärte aber, über den letzten Versuch könne er nicht berichten, weil “er noch nicht abgeschlossen ist” (s. S. 4, Zeilen 3 und 4). Die Übertragung der DNA-Vektor-Konstruktion in eine dikotyle Pflanzenzelle bzw. die Versuche zum Umfang der Expression des vom eingesetzten Pflanzengen codierten Proteins (s. Merkmal b des Anspruchs 1) wurden also von Dr. Kemp nicht offenbart. Nach Auffassung der Kammer sind diese Aspekte auch nicht als impliziter Bestandteil seiner Offenbarung anzusehen, der sich zwangsläufig aus der Beschreibung des DNA-Vektors ableiten ließe. Somit war der Fachmann am Prioritätstag in Ermangelung weiterer Angaben und Versuchsdaten sowie angesichts der zahlreichen Unklarheiten und Schwierigkeiten auf diesem Fachgebiet nicht in der Lage, die technische Wirkung des DNA-Vektors in einer dikotylen Pflanzenzelle zwangsläufig aus der Entgegenhaltung 5a herzuleiten. Der Unterschied zwischen den Aussagen in der Entgegenhaltung 5a und dem beanspruchten Gegenstand besteht somit nicht allein in der Formulierung, sondern in der technischen Lehre. Aus diesen Gründen ist der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 7 dieses Antrags neu gegenüber der Entgegenhaltung 5a. Die Neuheit gegenüber den übrigen vorliegenden Dokumenten wurde nicht angefochten.
28. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
28.1 Die Entgegenhaltung 5a stellt für die strittigen Ansprüche den nächstliegenden Stand der Technik dar. Ihr Inhalt wurde bereits unter der Nummer 9 erörtert.
28.2 In Anbetracht dieses Dokuments besteht die technische Aufgabe in der Erzielung eines nachweisbaren Umfangs an Expression von Phaseolin in einer dikotylen Pflanzenzelle.
28.3 Die strittigen Ansprüche sollen diese Aufgabe dadurch lösen, daß der Umfang der Expression von Phaseolin in einer dikotylen Pflanzenzelle gemessen wird, in die eine durch Einsetzen eines Pflanzengens mit einem Phaseolin-Promotor und einem Phaseolin-Strukturgen in T-DNA hergestellte Kombination aus T-DNA und Pflanzengen übertragen wurde, wobei der Pflanzenpromotor dem 5′-Ende des pflanzlichen Strukturgens benachbart ist, das in Transkriptionsrichtung stromabwärts des Promotors liegt. Konkret handelt es sich dabei um eine DNA-Vektor-Konstruktion, wie sie aus der Entgegenhaltung 5a bekannt ist, so daß die vorgeschlagene Lösung eigentlich darin besteht, den Umfang der Expression von Phaseolin in einer dikotylen Pflanzenzelle zu messen, in die der aus der Entgegenhaltung 5a bekannte DNA-Vektor übertragen wurde.
28.4 Angesichts der im Streitpatent offenbarten Beispiele – und insbesondere der Beispiele 1 und 2 – ist die Kammer überzeugt, daß die oben angeführte technische Aufgabe gelöst wurde, weil gezeigt wurde, daß in Sonnenblumenpflanzenzellen nach Anwendung des vorgeschlagenen Verfahrens Phaseolin in nachweisbarer Menge meßbar ist.
28.5 Für die erfinderische Tätigkeit ist maßgeblich, ob der Fachmann auf der Grundlage der mündlichen Offenbarung von Dr. Kemp (Entgegenhaltung 5a) den darin angeführten Versuch mit guten Erfolgsaussichten durchgeführt hätte. In diesem Zusammenhang kommt die in der Entscheidung T 296/93 (s. o.) enthaltene Erklärung zum Tragen, wonach gute Erfolgsaussichten nicht mit der verständlichen Hoffnung auf Erfolg zu verwechseln sind (a. a. O., Nr. 7.4.4 der Entscheidungsgründe). So trifft es zwar zu, daß der fragliche Versuch angesichts der Entgegenhaltung 5a für den Fachmann naheliegend war; dies muß aber nicht heißen, daß er in der Praxis tatsächlich gute Erfolgsaussichten gehabt hätte. Die Erklärung Dr. Kemps, in seinem Labor laufe ein entsprechender Versuch, stellt für sich genommen noch keine Garantie dar, und dies vor allem angesichts seiner eigenen Aussage, wonach “… dies mittlerweile von einer ganzen Reihe von Personen getan wurde und niemand nach dem Einsetzen des endogenen Promotors ein funktionales Gen nachgewiesen hat.” Der Ausgang dieses Versuchs war also noch ungewiß. Damit ist zu entscheiden, ob der Durchschnittsfachmann in der Lage war, auf der Grundlage des damaligen Kenntnisstands vor Beginn des Versuchs eine vernünftige Prognose über seinen erfolgreichen Abschluß anzustellen.
28.6 Wie bereits ausgeführt (s. Nr. 18a), gehörte die genetische Modifizierung von Pflanzenzellen mit dem Ziel einer Expression übertragener Fremdgene in nachweisbarem Umfang Anfang 1983 noch nicht zur Routine auf diesem Fachgebiet. Zwar waren gewisse Erfolge mit DNA-Vektor-Konstruktionen bekannt, in die das Fremdgen unter der Kontrolle von Ti-Promotoren eingesetzt wurde (s. beispielsweise die Entgegenhaltungen 9a und 31); der Fachmann stand aber immer noch vor einer Reihe von Unklarheiten und Schwierigkeiten, z. B. was die Stabilität von Fremd-DNA in T-DNA und im Pflanzengenom, das Vorhandensein von Introns, die Stabilität der Proteine oder die Auswirkungen von Kontrollen der Regulation anging (s. Entgegenhaltung 5a, insbesondere S. 1). Dies sollte berücksichtigt werden, wenn man objektiv beurteilen will, wie der Fachmann am Prioritätstag seine Erfolgsaussichten, die technische Aufgabe mittels des von Dr. Kemp angeführten Versuchs zu lösen, eingeschätzt hätte.
28.7 Für eine vernünftige Prognose über die Erfolgsaussichten des in der Entgegenhaltung 5a angeführten Versuchs hätte der Fachmann die nachstehenden Faktoren berücksichtigen müssen:
a) Auf diesem Fachgebiet bestanden etliche Unklarheiten und Schwierigkeiten (s. Nr. 28.6).
b) Zwar lagen Berichte vor über die Expression von stromabwärts von Ti-Kontrollsequenzen in T-DNA eingesetzten Fremdgenen in Pflanzenzellen (s. Entgegenhaltungen 9a und 31); es gab aber keine Erfolgsmeldungen über ein mit dem endogenen Promotor verknüpftes Gen (s. Entgegenhaltung 5a).
c) Aus theoretischer Sicht war es zwar denkbar, daß ein Pflanzenpromotor vom Transkriptionsapparat der Pflanze erkannt werden könnte; es hätte aber keine Prognose abgegeben werden können, ob er auch nach dem Einbau in eine T-DNA erkannt würde (s. Buchstabe b). Darüber hinaus war in Anbetracht der ganz speziellen Beschaffenheit und Regulation des Phaseolin-Promotors, der ja ein Samenpromotor ist (s. allgemeine Hintergrundinformationen auf S. 8, Zeilen 5 bis 20 der Patentschrift), nur schwer vorherzusagen, ob er in dikotylen Pflanzengeweben wirksam wäre, bei denen es sich nicht um Samen handelt.
d) Zwar war die Isolierung und teilweise Sequenzierung eines genomischen Phaseolin-Klons, der das vollständige Gen sowie umfangreiche Sequenzen in den seine 3′- und 5′-Enden flankierenden Bereichen enthielt, und auch einer geklonten cDNA bekannt (s. Entgegenhaltung 49); die Expression von Phaseolin in einem rekombinanten Organismus war aber noch nicht offenbart worden. Außerdem wurde in der Literatur (s. Entgegenhaltung 3, insbesondere S. 266, linke Spalte, Absatz 5) indirekt auf einen Versuch Bezug genommen, bei dem unter Verwendung von Agrobacterium, in dessen T-DNA ein nicht näher erläutertes, für Phaseolin codierendes Gen eingesetzt war, die Transkription von Bohnenglobulin-mRNA in Gewebekulturen von Tumoren der Sonnenblume erzielt worden, aber keine Translation.
28.8 All diese Faktoren und Überlegungen hätten die Zuversicht des Fachmanns, den in der Entgegenhaltung 5a angeführten Versuch erfolgreich abschließen zu können, erheblich gedämpft. Daher wäre er vernünftigerweise nicht davon ausgegangen, daß die Expression nachweisbarer Mengen von Phaseolin in einer dikotylen Pflanzenzelle leicht zu erzielen wäre, und hätte somit die Ergebnisse, wie sie das Streitpatent präsentiert, mit einiger Überraschung aufgenommen.
28.9 Aus diesen Gründen gelangt die Beschwerdekammer zu dem Schluß, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 dieses Antrags auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Dies gilt auch für die Ansprüche 2 bis 6 dieses Antrags, die Ausführungsformen der in Anspruch 1 beanspruchten Erfindung sind, sowie für den Gegenstand des Anspruchs 7, d. h. die nach dem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6 hergestellte Pflanzenzelle.
Schlußfolgerung
29. Aus diesen Ausführungen folgt, daß das Streitpatent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 3 aufrechterhalten werden kann.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 3 sowie der Änderung auf Seite 9, Zeile 21 der Beschreibung aufrechtzuerhalten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurden.